Nr. 11 der ,, Gleichheit" gelangt am 30. Mai 1894 zur Ausgabe.

bildung erhalten. Wenn durch das Inkrafttreten der Schutzbestim mungen die Zahl der jugendlichen Arbeiter um 13 bezw. 15 vom Hundert zurückgegangen ist, so ist äußerst wenig, so gut wie nichts erreicht im Vergleich zu dem, was im Interesse der Zukunft der ganzen Nation erreicht werden muß.

Wie verbrecherisch gewissenlos der Kapitalismus mit der kind­lichen Arbeitskraft wirthschaftet, welchen Raubbau er mit Menschen­leben treibt, das wird noch deutlicher ersichtlich, wenn man untersucht, um wie viel die Zahl der jugendlichen Arbeitskräfte in den einzelnen Industriezweigen zurückgegangen ist.

In Folge der Gewerbeordnungs- Novelle, d. h. des Ausscheidens der zwölf bis dreizehnjährigen Kinder, trat eine Abnahme der kind­lichen Arbeitskräfte unter 14 Jahren ein:

im Bergbau, Hütten- und Salinenwesen. in der Industrie d. Maschinen, Werkzeuge

"

Metallverarbeitungsindustrie

der beschäftigten Mädchen um

" Nahrungs - u. Genußmittelindustrie 69,2 Textilindustrie

===

der beschäftigten

80

ordnungs- Novelle beeinflußt das Verhältniß der Zahl der be­schäftigten weiblichen jugendlichen Arbeiter zur Zahl der männlichen jugendlichen Arbeiter in den Jahren 1890 und 1892 stellt.

Die betreffenden Zahlen folgen hier, und zwar zunächst für die Industrien, in denen eine Zunahme der weiblichen Arbeits­kräfte erfolgte.

Von 1000 jugendlichen Arbeitern im Alter von unter 14 Jahren und von 14-16 Jahren waren weibliche:

in der Bekleidungs- und Reinigungsindustrie Textilindustrie.

1890 1892

674

697

.

606

607

"

"

"

"

Nahrungs- und Genußmittelindustrie

466

.

471

"

11

Industrie der Heiz- und Leuchtstoffe

383

464

"

Erden und Steine

169

171

"

" 1

70

90

Knaben um

90,0 Proz. 71,9 71,6

66,9 Proz.

50,6

"

"

59,1

"

" 1

64,3

11

"

in der Papier - und Lederindustrie.

60,2

63,1

"

"

"

11

Bekleidungs- u. Reinigungsindustrie 60,1

62,9

" 1 11

"

" 1

"

"

Papier- und Lederindustrie.

59,6

56,7

"

"

in den polygraphischen Gewerben

58,9

35,2

" 1

"

56,2

25,0

11

11

"

"

"

"

chemischen Industrie.

47,0

63,9

"

"

Industrie der Maschinen und Werkzeuge

11

"

45,6

50,6

" 1

"

" 1

"

"

" 1

" Holz- u. Schnitzstoffe 45,0

34,9

"

" 1

1890 1892

478

468

400

379

265

198

207

178

.

196

177

46

37

"

in der Industrie der Heiz- und Leuchtstoffe

Industrie der Erden und Steine.

"

"

Neunzig Prozent aller im Bergbau, Hütten- und Salinenwesen ar­beitenden Mädchen jugendlichsten Alters waren also vor dem Inkraft­treten des Gesetzes unter 13 Jahre alt. Diese Thatsache redet ganze Bände über die Arbeiterfreundlichkeit" und das soziale Verständniß, über die sozialreformatorischen Neigungen des Staats als Arbeitgeber. Denn bekanntlich sind eine große Zahl der wichtigsten Unternehmungen dieser Art Staatsbetriebe. Der Klassenstaat versteht sich eben auf die Ausbeutung der proletarischen Arbeitskraft so gut wie irgend ein Privatunternehmer, und er betreibt sie nach den gleichen kapitalistischen Grundsätzen, mit der nämlichen kapitalistischen Rücksichtslosigkeit gegen die Lebenskraft des Proletariats.

An die genannten Industriezweige reihten sich dem Grade der Kinderausbeutung nach an die Metallindustrie, die Industrie der Nahrungs- und Genußmittel, die Textil-, Bekleidungs- und Reinigungs­industrie 2c. Die betreffenden Zahlen sind lehrreiche Winke für das Proletariat, welches für den gesetzlichen Schutz der Arbeitskraft kämpft und dem die Gesundheit und Lebenskraft des heranwachsenden Ge­schlechts am Herzen liegt.

Sehen wir nun zu, wie die Gewerbeordnungs- Novelle auf die Zahl der beschäftigten jugendlichen Arbeiter( im Alter von 14-16 Jahren) einwirkte, indem sie für diese den Arbeitstag verkürzte, die Nacht­arbeit verbot, gewisse Pausen während der Arbeitszeit festlegte. Als der kapitalistischen Ausbeutung dieser jugendlichen Arbeitskräfte gesetz­liche Schranken gezogen wurden, da war offenbar in manchen Industrie­zweigen ihre Verwendung nicht mehr so einträglich wie früher, in anderen paßte die für sie festgelegte Arbeitszeit nicht in den Rahmen des Betriebs hinein. Es erfolgte deshalb in einer Reihe von Industrien eine Abnahme der beschäftigten jugendlichen Arbeiter. Dieselbe betrug auf das Hundert:

53 im Berg, Hütten- und Salinenwesen,

10 in der Textilindustrie,

,, chemischen Industrie.

Papier - und Lederindustrie,

Bekleidungs- und Reinigungsindustrie, " Metallverarbeitungsindustrie,

13

"

6

"

"

3

"

" 1

3

"

" 1

"

4

"

" 1

Industrie der Maschinen, Werkzeuge u. s. w.,

"

" 1

Heiz- und Leuchtstoffe.

Dagegen fand trotz der Schutzbestimmungen" eine Zunahme an jugendlichen Arbeitern statt:

in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie

um 2,5 Proz.,

"

"

Industrie der Holz- und Schnitzstoffe Erden und Steine.

11

" 1

10,5 " 12,5

"

"

21,6

in den polygraphischen Gewerben

" 1

" 1

In der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, in den poly­graphischen Gewerben, in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe ( Korbmacherei 2c.) und auch in der Industrie der Erden und Steine ( Steinbrüche, Ziegeleien), wo die Arbeit besonders schwer, besonders ungesund und sehr schlecht entlohnt ist, wird also mit den jugendlichen Arbeitskräften weiter aus dem Vollen gewirthschaftet. Alles zum größeren Ruhme des Gözen Kapital, der unsere Gesellschaft beherrscht, d. h. im Interesse seiner Profite.

Für die Leserinnen der Gleichheit" dürfte es von besonderem Interesse sein, zu wissen, wie sich theilweise von der Gewerbe­

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im Bergbau, Hütten- und Salinenwesen

In manchen Industrien trat dagegen eine Abnahme der weib­lichen jugendlichen Arbeitskräfte ein.

Von 1000 jugendlichen Arbeitern waren weibliche:

chemischen Industrie.

in den polygraphischen Gewerben

in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe

Metallverarbeitungsindustrie

Wir gehen wohl nicht fehl mit der Annahme, daß die Zu- oder Abnahme der Zahl der weiblichen jugendlichen Arbeiter im Grunde einzig und allein von einem Umstand bedingt worden ist: von der Rücksicht auf den Profit. Je nachdem die Verwendung solcher Arbeits­kräfte unter den Bedingungen, wie sie die Gewerbeordnungs- Novelle geschaffen hat, mehr oder weniger profitabel erscheint, stellen die Kapitalisten in den verschiedenen Industrien auch mehr oder weniger Mädchen im Alter von 14-16 Jahren ein.

Aus den amtlichen Berichten der Gewerbe- Inspektoren wird mit sinnenfälliger Deutlichkeit klar, in welchem Umfange die deutschen Kapitalisten in der Fabrikindustrie die kindlichen und jugendlichen Arbeitsfräfte ausbeuteten. Das Gesetz mußte ihrer Profitgier Schranken ziehen. Aber welch weiter Spielraum ist ihr noch immer gelassen. Alles, was in dieser Beziehung zum Schuße der kindlichen und jugend­lichen Arbeiter geschehen ist, ist ein kleiner, zaghafter Schritt nach vorwärts. Der kapitalistischen Ausbeutung sind noch völlig auf Gnade und Ungnade überliefert die vielen Tausende von proletari­schen Kindern, welche in der Klein- und Hausindustrie frohnden. Der Schutz der in Fabrikbetrieben schaffenden Kinder und jugendlichen Arbeiter ist ein durchaus ungenügender, es wahrt nicht ihr Recht auf gesunde Entwicklung und Ausbildung. Die Kritik der Sozialdemokratie gegen die Halbheit und Unzulänglichkeit der Gewerbeordnungs- Novelle ist deshalb eine durchaus berechtigte, und die zielbewußte Arbeiter­Klasse hat die Aufgabe, mit aller Energie weiter zu kämpfen für den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung im Allgemeinen und für durch­greifenden gesetzlichen Schutz der jugendlichen Arbeiter insbesondere. Und dies im Interesse der Befreiung des Proletariats. Denn eine gesunde, kräftige Arbeitergeneration ist eine Bürgschaft für den Sieg der Arbeit über das Kapital. H. Rohrlack.

Kleine Nachrichten.

Achtstundentag in England. Das englische Unterhaus nahm die Bill( Gesetzentwurf) an, welche den gesetzlichen Achtstundentag für die Bergarbeiter festlegt. Es vergeht kaum noch eine Woche, ohne daß der Telegraph Fortschritte meldet, welche der Achtstundentag in England macht. In Deutschland dagegen stehen wir in Sachen der Sozialreform noch immer auf dem Boden der kaiserlichen Bot­schaft" und des beschränktesten Unternehmerinteresses.

Politische Gleichberechtigung der Frauen bei den Anti­poden( Gegenfüßlern). In Wellington ( Neu- Seeland ) empfing der Premierminister Siddon eine Abordnung von Frauen, welche befür­wortete, daß Frauen auch als Parlamentsmitglieder wählbar sein sollten. Der Minister erwiderte, daß die Wählbarkeit der Frauen außer Zweifel und nur eine logische Folge davon sei, daß die Frauen das Stimmrecht erhalten hätten. Die politische Erziehung der Frauen wäre natürlich eine Grundbedingung dafür, daß Frauen im Parla­mente sitzen könnten. Wie berührt diese Nachricht die deutschen bürger­lichen Frauenrechtlerinnen, die von wenigen Ausnahmen abge­sehen noch nicht einmal die Kourage gefunden haben, für das weibliche Geschlecht offiziell die politischen Rechte zu verlangen? Und wie berührt diese Nachricht den deutschen Spießbürger, für den die politische Gleichberechtigung der Frau noch immer mit dem Welt­untergang gleichbedeutend ist?

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Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zettin( Cißner) in Stuttgart .

Druck und Verlag vov J. H. W. Dieg in Stuttgart .