Nr. 12 der ,, Gleichheit" gelangt am 13. Juni 1894 zur Ausgabe.
7 Mt., bei 14- bis 16stündiger Arbeitszeit kann er es aber auch mitunter auf 12 bis 15 Mt. bringen. Der Durchschnittsverdienst der Frauen stellt sich wöchentlich auf 4 bis 5 Mk. Das Abrippen des Tabaks wird von Frauen und Kindern besorgt, erstere erhalten pro Pfund 5 Pfg., letztere 3 Pfg. Es ist 1 bis 2 Stunden erforderlich, um ein Pfund der sogenannten„ Einlage" abzurippen. Bei 12stündiger Arbeitszeit stellt sich also der Tagesverdienst der mit Abrippen beschäftigten Frauen auf 20 bis 30 Pfg. Da in Orb die Wohnungsmiethe ziemlich theuer ist, so muß Jung und Alt der Arbeiterfamilie schuften, und dies in einem einzigen Zimmer zusammengepfercht, wo gekocht, gewaschen, geschlafen und gearbeitet wird. Das Elend der Orber Proletarier ist ein so hochgradiges, weil hier die Tabakindustrie als Hausindustrie betrieben wird, so daß Arbeiter und Arbeiterinnen des schwächlichen Schutzes entbehren, welchen das Gesetz den Arbeitern der Fabrikindustrie gewährt. Der Profitgier der Kapitalisten sind somit keine Schranken gezogen, und die Herren nutzen ihr Recht" aus, im Namen des ,, freien Arbeitsvertrags" die Arbeiter und Arbeiterinnen bis auf die Knochen auszubeuter.
Straflose Auswucherung weiblicher Arbeitskraft. In der Fabrik von Zamori in Königsberg werden Strohhülsen zum Einpacken von Flaschen hergestellt. Der Betrieb beschäftigt nur Mädchen, die im Akkord schaffen. Für 100 Hülsen erhält eine Arbeiterin 15 Pf. Daß solcher Akkordsatz für den Unternehmer einträglicher ist, als für die Arbeiterinnen, leuchtet wohl ein. Der Fabrikant läßt sich jedoch nicht genügen, seinen Reichthum vermittelst der Hungerlöhne seiner Arbeiterinnen zu mehren. Er versteht es aus dem ff, noch durch andere Mittel und Wege Profit aus ihnen herauszuschlagen. So wird z. B. jeder Arbeiterin pro Tag 1 Pf. für„ Zylinder" vom Lohn abgezogen. Die Mädchen müssen 14 Tage lernen", ohne daß ihnen auch nur ein Pfennig für die angefertigten Hülsen vergütet wird. Wenn Stroh ankommt, so müssen sie tagelang beim Abladen behilflich sein, sie werden beauftragt, Wasser und Kohlen für die Hauswirthschaft des Fabrikanten zu schleppen 2c. 2c. Alles dies unentgeltlich, im Interesse des Geschäfts" oder„ aus Gefälligkeit." Nur als die Arbeiterinnen beim Umzug eine ganze Woche lang geholfen hatten, gab es eine Extravergütung. Diese war allerdings danach: jedes Mädchen erhielt nämlich für ihre Plackerei, man höre und staune 7 Pf., sage und schreibe sieben Pfennige deutscher Währung! Wenn es nur irgendwie geht, so haben die Arbeiterinnen für Schaden im Betrieb aufzukommen. Als z. B. die Ratten einen Theil fertiger Strohhülsen zerfressen hatten, mußten ihn die Mädchen ohne Bezahlung nachliefern. Das Gesetz straft den Diebstahl. Das Gesetz straft den Geldwucher. Das Gesetz hat aber feine Strasbestimmung, wenn ein Profitwütherich mittelst seines Besitzes die Arbeitskraft, den einzigen Besitz der Armen, in einer schandbaren Weise auswuchert, die jeder Beschreibung spottet. Der Geldwucherer ist ein Gauner, der Fabrikant aber, der seine Arbeiter und noch mehr seine Arbeiterinnen bis zur Blutleere schröpft, ist ein Ehrenmann, der sich um die ,, nationale Industrie" hoch verdient macht.
Aus dem Tollhaus, genannt kapitalistische Gesellschaft. In dem Savoy Hotel zu London gab jüngst der Baron Hirsch 60 Millionären ein Diner, für das er 30000 Mark bezahlte. Das Mittagessen stellt sich also pro Person auf die Kleinigkeit von 500 Mark. Der Speisezettel des interessanten Diners ist uns leider nicht bekannt, aber ohne besonderen Aufwand von Phantasie können wir uns vorstellen, wie die armen Millionäre für die lumpigen 30000 Mart darben mußten.
Am gleichen Tage„ dinirte" die aus vier Erwachsenen bestehende Arbeiterfamilie Müller in X. zusammen für 33 Pfennig. Das Mittagessen stellt sich also pro Person auf 8% Pfennig. Es wurde ein einziges Gericht aufgetragen, hergestellt nach einem Rezept, das in dem berühmten Buch der katholischen Sozialpolitiker„ Das häusliche Glück" enthalten ist. Es lautet:
2 Pfund grüne Bohnen in Suppe
5
Kartoffeln..
11
2
11
frische Schweins knochen
14 Pfg. 15
"
4
"
Ohne besonderen Aufwand von Phantasie können wir uns vorstellen, wie die genußsüchtigen Proletarier für die Riesensumme von 33 Pfg. schlampampt haben.
Der Vollständigkeit wegen sei noch hinzugefügt, daß der Baron Hirsch zu jenen edlen Wohlthätern der Menschheit gehört, welche sich im Schweiße ihres Antlitzes damit abarbeiten, durch Hausse, Baisse, Firen und hochprofitable" Gründungen die kleinbürgerlichen„ Gimpel" von der Sorgenlast ihres„ Kapitälchens" zu befreien. Der Arbeiter Müller zählt dagegen zu der nichtsnutzigen Ranaille, die mit 12- und 14stündiger Spielerei in einer Spinnfabrik die Zeit todt schlägt und
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aus lauter Bosheit die Sorgen des sorgenreichen Schlotjunkers noch dadurch vergrößert, daß sie ihm zu seinen Millionen noch weitere Millionen aufhalst.
Eine Organisation zur Erkämpfung des Wahlrechts für die Frauen ist kürzlich in Amsterdam gegründet worden. Die proletarische Frauenwelt Deutschlands hat nicht nöthig, besondere Organisationen für die Erlangung ihrer politischen Gleichberechtigung zu gründen. Die ganze deutsche Sozialdemokratie, die mächtigste politische Partei Deutschlands , hat die Forderung der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts in ihr Programm ge schrieben, und sobald das Klasseninteresse des gesammten Proletariats es erlaubt, wird sie auch mit aller Energie praktisch für die Verwirk lichung dieser Forderung eintreten. Jede Organisation von zielbewußten deutschen Proletariern und Proletarierinnen ist mithin auch eine Organisation für Erkämpfung des Wahlrechts der Frauen. Die deutschen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen aber von wenigen Ausnahmen abgesehen sind viel zu ,, ewig- weiblich" und saftlos und vor allen Dingen viel zu de- und wehmüthig nach oben hin, als daß sie sich zur Erlangung der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts organisiren würden. Wenn erst einmal eine hohe" oder gar eine„ allerhöchste" Frau ,, allergnädigst geruhen" wird, unter„ allerhöchstihro" Protektion eine Organisation wie die in Amsterdam ins Leben zu rufen, dann wird auch unseren deutschen Frauenrechtlerinnen die Kourage kommen, unterthänigst" die Erlangung des Wahlrechts als eine„ nationale und patriotische Pflicht" zu erkennen. Die proletarischen Frauen, zusammen mit den Männern ihrer Klasse, warten nicht, bis man„ geruht". Sie schlagen die Schlacht für die Befreiung des weiblichen Geschlechts, ohne daß sie der Unterstützung hoher Persönlichkeiten und der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen bedürfen.
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Die gemeinsame gewerkschaftliche Organisation von Arbeiterinnen und Arbeitern des nämlichen Berufs erscheint immer mehr als Nothwendigkeit. Die englischen Gewerkschaften, welche nur weibliche Mitglieder zählen, haben nicht die besten Erfolge zu verzeichnen. Nach dem letzten Bericht der„ Women's Trade Unions Association"( Gewerkschaftsverband der Frauen) vermochte die beste Organisation, die Seilmacherunion, nur die Zahl ihrer Mitglieder zu erhalten. Die Gewerkschaft der Kleidermacherinnen behauptete ihre früheren Errungenschaften und ihren Mitgliederstand, und die jüdischen Schneiderinnen von Whitechapel haben eine Filiale gegründet, welche mit der Mäntelmacherunion in Verbindung steht. Dagegen hat sich die Organisation der Falzerinnen aufgelöst, und die Zuckerbäckerinnen verloren in Folge überhandnehmender Kinderarbeit ihre Beschäftigung. Die Anhängerinnen der besonderen Frauenorganisationen schreiben diesen unbefriedigenden Stand der Dinge einzig und allein der schlechten Geschäftslage zu und den geringen Geldmitteln der Vereine. Unseres Erachtens ist jedoch die Haupursache davon die Schwäche der Organisationen( und gerade der Geldmangel der Vereine ist ein Beweis dafür), welche nur aus Frauen bestehen und nur die Interessen der Frauen vertreten. Solche Organisationen werden nie start und mächtig genug sein, die Unternehmer zur Anerkennung der berechtigten Forderungen der Arbeiterinnen zu zwingen, und der Kapitalist kann gelegentlich die Frauen gegen die Männer und die Männer gegen die Frauen ausspielen. Während die Nichts- alsFrauen- Unions Mißerfolge verzeichnen müssen, haben die gemischten Trades- Unions allmälig für ihre weiblichen Mitglieder die besten Löhne aller organisirten Arbeiterinnen Englands erkämpft. So z. B. die mächtigen Verbände der Textilarbeiter und Arbeiterinnen von Yorkshire und Lancashire , die beträchtlich mehr Frauen als Männer zu Mitgliedern zählen. Die bürgerliche Frauenrechtlerin Lady Dilke , welche ein einflußreiches Mitglied der Women's Trade Unions Association ist, räth in Artikeln und Vorträgen ein Zusammengehen der Frauen mit den Männern an. Und auf dem Delegirtentag der liberalen Frauenvereinigung zu Portsmouth erklärte Miß Balgarnie, eine Vorkämpferin für die Forderung, Arbeiterinnen als Gewerbeinspektorinnen anzustellen- daß Gewerkschaften, denen Männer und Frauen angehören, zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen. Mehr und mehr bricht sich auch unter den Frauenrechtlerinnen Englands die Erkenntniß Bahn, daß die Arbeiterinnen in ihrem Kampf gegen das Unternehmerthum auf die gemeinsame Organisation und das Handinhandgehen mit den Arbeitern angewiesen sind. Die Fanatikerinnen der Nichts- als- Frauen- Organisationen werden bald vereinzelt dastehen.
Quittung.