Stellung der Hausindustrie wie der Großindustrie unter das Gesetz und unter die Fabrifinspektion. Die Nothwendigkeit dieser Reform ist bekanntlich von der Sozialdemokratie jederzeit betont worden. Für ihre Verwirklichung wäre es nicht ohne Bedeutung, wenn alle Fabrik­inspektoren einsichtig und vorurtheilslos genug wären, die Einbeziehung des Kleinbetriebs und der Hausindustrie unter das Gesetz zu fordern. So lange aber Arbeiter und Arbeiterinnen bei der Ernennung der Aufsichtsbeamten kein Wort mitzusprechen haben, kann man ein der­artiges Eintreten der Herren für die Interessen der Ausgebeuteten faum erwarten.

Daß die Ausbeutungsgelüfte der Kapitalisten maßlos und daß die unteren Verwaltungsbehörden ihnen gegenüber zu entgegenkommend sind, geben manche Fabrikinspektoren indirekt zu. So weist z. B. der Aufsichtsbeamte für Düsseldorf darauf hin, daß die untere Verwal­tungsbehörde 97 Prozent aller Anträge auf Ueberarbeit genehmigte, während die obere Verwaltungsbehörde die Hälfte aller Anträge zu rückwies. Auch andere Fabrifinspektoren stellen ähnliche Thatsachen fest und fordern, daß in Zukunft bei Entscheidung der Frage, ob Ueberarbeit zu bewilligen sei oder nicht, die Aufsichtsbeamten als Sachverständige hinzugezogen werden sollen. Dürftig genug ist der gesetzliche Schutz, der den Arbeiterinnen zu Theil wird. Noch weit dürftiger sieht er, wie wir in Vorstehendem gezeigt haben, in der Praxis aus. Wenn die Unternehmer nach den Amtlichen Mitthei­lungen" trotzdem die wenigen, so oft umgangenen Bestimmungen zum Schutz der Arbeiterinnen noch als tief einschneidende Maß= regeln" empfinden, so beweist dies nur die maßlose Profitwuth der Herren und ihre Gepflogenheit, die weibliche Arbeitskraft gewissenlos bis zur Grenze der Vernichtung auszubeuten, ja oft noch über diese Grenze hinaus.

Was die gesetzlich geschützten" Arbeiterinnen anbetrifft, so sind diese laut der Amtlichen Mittheilungen" im Allgemeinen mit der Verkürzung der Arbeitszeit wohl zufrieden. Besonders gefällt den meisten Arbeiterinnen der zehnstündige Arbeitstag an den Vorabenden der Sonn- und Feiertage.

Wie in den Berichten wiederholt konstatirt wird, trat im All­gemeinen mit der Verkürzung der Arbeitszeit kein Sinten der Löhne ein. Die Arbeiterinnen, welche im Wochenlohn schafften, behielten fast ausnahmslos den früheren Verdienst. Nur in vereinzelten Fällen erklärten Arbeiterinnen, daß ihr Verdienst seit der Einführung des fürzeren Arbeitstags zurückgegangen sei. Wollte man der Sache auf den Grund gehen, so würde sich herausstellen, daß der kürzere Ar­beitstag nur der Vorwand, nicht aber die Ursache für die Herab­setzung der Löhne gewesen ist. Die Erfahrung bestätigt eben allent­halben, daß lange Arbeitszeit und niedriger Lohn und kurze Arbeits­zeit und höherer Lohn Hand in Hand gehen. Uebrigens erklärten auch die Arbeiterinnen, deren Verdienst etwas gesunken war, das Mehr an freier Zeit sei ihnen lieber, als ein Mehr an Verdienst. Wir heben diese Thatsache hervor, weil sich bekanntlich das Unter­nehmerthum geberdet, als wolle es aus lauter großmüthiger Rück­sicht auf den hohen Verdienst der Arbeiterinnen und Arbeiter nichts wissen von einer Verkürzung der Arbeitszeit, zumal von dem Acht­stundentag.

Wenn die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit trotz ihrer äußerst mangelhaften Durchführung von den Arbeiterinnen als eine Wohl­that, von dem Unternehmerthum als eine lästige Fessel empfunden wird, so läßt das einen Rückschluß darauf zu, welch greuliche Zu­stände bei Ausbeutung der weiblichen Arbeiter vor dem Inkraft­treten der Gewerbeordnungs- Novelle geherrscht haben. Wenig nur ist daran gebessert worden, und das Wenige kommt nur einem Bruch­theil der deutschen Arbeiterinnen zugute. Zur selben Zeit, wo in England in Staatsbetrieben der Achtstundentag eingeführt wird, wo die gesetzliche Festlegung der achtstündigen Arbeitszeit für die Berg­arbeiter eine Frage der nächsten Zukunft ist, haben in Deutschland einzig und allein die Arbeiterinnen der Fabrikbetriebe den gesetzlichen elfstündigen Arbeitstag, und sie haben ihn obendrein zum großen Theil nur auf dem Papier. Klingt es da nicht wie bitterer, blutiger Hohn, wenn die Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Was der Staat den Arbeitern schuldig ist, hat er an sich und ohne Rücksicht auf sozialdemokratische Resolutionen und Programme zu thun, und wir meinen, im Deutschen Reiche hätte man dieses reich­lich genug gethan". Was in Deutschland bis jetzt an Arbeiter­schutz geschaffen worden ist, das verdankt man den Anregungen der Sozialdemokratie und der Furcht vor ihr. Die Sozialdemokratie wird auch weiterhin mit aller Energie für den Ausbau und die Erweiterung des gesetzlichen Arbeiterschutzes eintreten, und zwar wird sie den Schutz der Ausgebeutetsten der Ausgebeuteten, der jugendlichen Arbeiter und der Frauen in erster Linie erstreben. Nicht von dem Skt. Nimmerlein der Einsicht und des Wohlwollens der Besitzenden und Herrschenden,

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einzig und allein von dem Kampf der Arbeiterklasse gegen die Be­sitzenden und Herrschenden können die Proletarierinnen den umfassenden gesetzlichen Schutz gegen ihre Ausbeutung erhoffen, den sie in ihrer Eigenschaft als Frauen besonders dringend bedürfen.

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H. Rohrlack.

Der Tod der Proletarierin. Der Mond blitzt durch die Fensterscheiben, Ums dunkle Dachwerk pfeift der Wind, Und Nachbars Lieschen liegt im Sterben, Und ihre Mutter weint sich blind. Das Haar gebleicht von tausend Sorgen, Im dünnen Kleidchen von Kattun Erwartet sehnlich sie den Morgen Der Apotheker will nicht borgen, Der Doktor hat zu viel zu thun!".. Der Märznacht goldne Sterne scheinen, Ihr Himmel deckt uns Alle zu; Hör' auf, Du Mütterchen, mit Weinen, Dein Kind ist besser dran als Du! Es braucht nicht nähend mehr zu sputen Sich spät bis in die Nacht hinein, Und wenn die Lüfte sie umfluthen, Und roth die Rosen wieder bluten, Spielt um sein Grab der Sonnenschein! Die Noth im löch'rigen Gewande Zertritt die Perle der Moral; Das Loos der Armuth ist die Schande, Das Loos der Schande das Spital! Ja, jede Großstadt ist ein Zwinger, Der roth von Blut und Thränen dampft; Drum hütet Euch, Ihr armen Dinger, Denn diese Welt hat schmutz'ge Finger Weh', wenn sie sie ins Herzfleisch krampft! Da horch, ein langgezognes Stöhnen, Und jetzt ein wilder, greller Schrei! Was thut's? Man muß sich dran gewöhnen! Hier hieß es wieder' mal: Vorbei!" Schon übermorgen karrt der Racker Das arme Mädel vor die Stadt, Und Niemand kennt den Todtenacker, Darauf beim öden Sternenflacker Ein Herz sein Glück gefunden hat!

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Kleine Nachrichten.

Arno Holz .

Der Wahlfieg der Sozialdemokratie in Elmshorn - Pinne berg. Nach dem glänzenden Sieg im Wahlkreis Plauen der nicht minder glänzende Sieg in Elmshorn - Pinneberg . Auch hier kam es zur Nachwahl, weil der Reichstag das Mandat des im vorigen Jahre gewählten Abgeordneten, des Reichsparteilers Grafen Moltke, für ungiltig erklären mußte, und auch hier wurde der Sieg erst in der Stichwahl errungen. Bei der Hauptwahl am 13. Juni bewarben sich Sozialdemokraten, Nationalliberale, Freisinnige und Antisemiten um das Mandat. Der sozialdemokratische Kandidat erhielt mit 12 231 Stim­men eine überwältigende Majorität, denn für den ihm an Stimmen­zahl folgenden Nationalliberalen hatten nur 5994 Wähler gestimmt, und die Kandidaten der Ordnungsparteien" hatten es zusammen nur auf 13 332 Stimmen gebracht. Der Ausgang der nothwendig ge­wordenen Stichwahl war also kaum zweifelhaft, wenn auch voraus­zusehen war, daß die Gegner Alles aufbieten würden, der Sozial­demokratie den sicheren Sieg zu entreißen. Und sie boten thatsächlich Alles auf. Es wurde mit einem Hochdruck, wie kaum je zuvor, gegen die Sozialdemokraten gearbeitet. Die Stichwahl war auf einen Sonn­abend angesetzt, den für die Arbeiterschaft ungünstigsten Wahltag. Die Ordnungsparteien vereinigten sich zu dem bekannten Ordnungsbrei". Der Kandidat der Nationalliberalen erhielt trotz seiner Eigenschaft als Jude die Stimmen der Antisemiten, er erhielt die Stimmen der Großgrundbesitzer, obgleich er in seiner Eigenschaft als Margarin­fabrikant, d. h. als Konkurrent, diesen verhaßt ist. Die Führer der Freisinnigen hatten zwar zur Wahlenthaltung aufgefordert, allein auch die Mehrzahl der freisinnigen Wähler stimmte für den National­liberalen, wie dies das Ergebniß der Stichwahl beweist. So hatte die Sozialdemokratie die eine reaktionäre Masse gegen sich, und sie ward mit der einen reaktionären Masse fertig. Genosse von Elm wurde am 23. Juni mit 13 814 gegen 13 293 Stimmen, also mit einem Mehr von 520, gewählt! Der in zähem, heißem Kampfe errungene Sieg ist um so ehrenvoller und spricht um so beredter für das Wachs­thum der Sozialdemokratie, als diese, wie das Hamburger Echo"