Nr. 15 der ,, Gleichheit" gelangt am 25. Juli 1894 zur Ausgabe.
nachwies, seit vorigem Jahr mehr als 1000 Wähler durch Wegzug verloren hat. Mit Genossen von Elm, einem bekannten Gewerkschaftsführer, zieht der 46. Sozialdemokrat in den deutschen Reichs tag ein.
Klaffenstaatliches aus Sachsen . Zum 1. Mai hatten die Dresdener Genossen einen Umzug durch die Stadt geplant. Allein die Sozialdemokratie denkt, und die löbliche Polizei lenkt. Der Umzug wurde verboten auf Grund des§ 12 des Vereinsgesetzes, der besagt, daß bei dringender Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit Versammlungen, sowie öffentliche Auf- und Umzüge untersagt werden können. Die Dresdener Genossen fügten sich, um sich aber ihre Maifeier nicht ganz und gar rauben zu lassen, beschlossen viele, mit ihren Familien spazieren zu gehen. So schlenderten Nachmittags viele Tausende durch die Stadt. Die Polizei brachte nun das Unglaubliche fertig, die Spaziergänger zu„ Umzüglern" zu stempeln und gegen 140 Personen wegen Uebertretung des angeführten Verbots in den Anklagestand zu versetzen. Und das noch Unglaublichere geschah: es fanden sich Richter, welche diese Auffassung theilten und die Angeklagten verurtheilten, obgleich nicht einmal der Schatten eines Beweises dafür erbracht werden konnte, daß ein Zug stattgefunden hatte, obgleich nachweislich die Ordnung, Ruhe und Sicherheit nicht im geringsten gestört worden war. So wurden vom Dresdener Gericht gegen 140 Personen, darunter mehrere Frauen, zu insgesammt 13 850 Mt. Geldstrafe und acht Monaten Gefängniß verurtheilt wegen Spazierengehens. Dieses ungeheuerliche Urtheil, das seinesgleichen kaum haben dürfte, erklärt sich nur durch eins: durch die wahnsinnige Angst, die man in Sachsen vor der Sozialdemokratie empfindet. Die Sozialdemokratie hat sich in Sachsen mit dem Ausnahmegesetz abgefunden, sie wird sich auch mit der schärferen und schärfsten Handhabung des„ gemeinen" Rechts abfinden. Wie sagt doch das Sprüchlein?
-
Den Sozialismus in seinem Lauf Hält weder Ochs noch Esel auf."
Tiefer hängen! In der Dresdener Zuckerwaarenfabrik von K. erhalten die mit dem Einpacken beschäftigten Mädchen Wochenlöhne von 2 Mk. 40 Pf. bis 4 Mt. Dafür müssen sie noch eine Stunde Ueberarbeit leisten. Die mit der Herstellung von Zuckerwaaren beschäftigten Arbeiterinnen werden ebenso schandbar bezahlt, sie haben Wochenverdienste von 2, 3 und 4 Mk. Doch mit Hungerlöhnen allein kommt der„ strebsame" Unternehmer allem Anschein nach nicht schnell genug vorwärts. Um seinen Profit zu mehren, sind in der Fabrik allerhand schmutzige Kniffe üblich, durch welche die„ Produktionskosten vermindert werden", natürlich auf Kosten der Arbeiterinnen. Wenn diese ihren Lohn fordern, so sind z. B. dem Herrn Werkführer zufällig" und„ leider" die Bücher verbrannt, in denen die abgelieferte Arbeit verzeichnet steht. Der Herr Werkführer setzt dann die Menge der fertiggestellten Waaren nach Ermessen fest. Nach diesem Ermessen erhielt eine Arbeiterin 5000 Zuckerfischchen bezahlt, während sie 20000 hergestellt hatte. In der Kunst unredlichen Gewinns erscheinen die mittelalterlichen Kipper und Wipper als die reinen Waisenknaben verglichen mit unseren kapitalistischen Unternehmern und ihren Zuhältern.
"
-
Frauenarbeit im Post- und Eisenbahndienst. Nach dem Wiener Handelsmuseum" macht in Frankreich die Verwendung von Frauen zum Postdienst rasche Fortschritte. Frankreich war das erste Land, welches Frauen zum Postdienst heranzog, und die weiblichen Postbeamten erwiesen sich als so tüchtig, daß man sie vielfach den Männern vorzieht. England folgte sehr bald dem gegebenen Beispiel, und gegenwärtig machen daselbst die Frauen 25 Prozent des ge= sammten im Postdienst thätigen Personals, mit Ausschluß der Briefträger, aus. In Holland ist die Beschäftigung der Frauen im Post wie im Eisenbahnwesen auf einige wenige Dienstabtheilungen beschränkt, bei den Eisenbahnen sind nur 720 Frauen beschäftigt. In der Schweiz sind die Frauen zu allen Arten des Dienstes zugelassen, doch sind nur in den Telegraphen- und Telephonämtern viele weibliche Beamte angestellt. In Skandinavien wird die Verwendung von Frauen im Post- und Eisenbahndienst stark begünstigt. In Schweden sind sie bei der Post zu allen Stellen, mit Ausnahme derjenigen der Briefträger, zugelassen, desgleichen in Norwegen und Dänemark , wo sie auch das gleiche Gehalt wie die Männer beziehen. So viel uns bekannt ist, erhalten die weiblichen Post- und Eisenbahnbeamten in allen übrigen Ländern geringere Besoldung als ihre männlichen Kollegen. Die Billigkeit war ja gerade der ausschlaggebende Grund, weshalb die Frauen in den betreffenden Beschäftigungszweigen Verwendung fanden. Der Staat als Unternehmer bethätigt genau die nämlichen Ausbeutungspraktiken wie der erste beste Privatkapitalist.
112
Strafloser Massenmord. In den letzten Wochen waren die Zeitungen tagelang erfüllt von den entsetzlichsten Einzelheiten über das Grubenunglück von Karwin ( Desterreichisch- Schlesien), das 232 Bergleuten das Leben kostete und 131 Witwen und 1000 Waisen machte. Und kaum hatten sich in Karwin die Gräber über den Opfern der Explosion, d. H. der Profitgier, geschlossen, so brachte der Telegraph aus England die Nachricht, daß in dem Kohlenwerk Albion bei Pontypridd ( Wales ) ein Grubenunglück 253 Menschenleben gekostet hatte. Auch hier haben viele Hunderte von Kindern den Vater, haben viele Frauen den Gatten verloren. Die 485 Kohlengräber, welche bei den beiden Katastrophen getödtet wurden, wie Tausende und Tausende, welche vor ihnen in Bergwerken den Tod fanden, sind als Opfer der kapitalistischen Profitwuth gefallen. Seit gegen zwanzig Jahren schon ist es wissenschaftlich festgestellt, daß alle Grubenexplosionen mögen sie von Gas oder von Kohlenstaub herrühren vermieden werden können, sobald die Schächte rationell ventilirt werden. Aber eine rationelle Ventilation kostet Geld, und das ausbeutende Kapital will Profit, viel Profit. Menschenleben sind ihm seinem Profit gegenüber Hekuba. So werden die dringendsten Sicherheitsmaßregeln mit freventlicher Gewissenlosigkeit unterlassen, so werden Hekatomben über Hekatomben von Arbeitern kaltblütig dem Tode überliefert. Dem Spruche folgend:„ Wer Menschenblut vergießt, deß Blut soll wieder von Menschen vergossen werden", bestraft die Gesellschaft den Mörder mit dem Tode. Die Grubenbarone aber, die ihrer Profitwuth zuliebe täglich, ja stündlich Menschenleben aufs Spiel setzen, Hunderte um Hunderte von Menschenleben auf dem Gewissen haben, die gehen straflos aus, die werden von der bürgerlichen Gesellschaft mit fetten Profiten belohnt und mit größter Ehrerbietung" behandelt.
Fabrikinspektorin. Der englische Minister des Innern hat Frl. Mary Anderson zur Fabrikinspektorin ernannt. In England vermehrt man die Zahl der weiblichen Gewerbeaufsichtsbeamten, weil man einsieht, wie nothwendig und nüßlich es ist, daß die Verhältnisse der Arbeiterinnen durch Frauen untersucht werden, und weil sich die Frauen in ihrer diesbezüglichen Amtsthätigkeit trefflich bewährt haben. In Deutschland dagegen scheint man an maßgebender Stelle mit der Entwicklung der Industrie, der Ausdehnung der Frauenarbeit, und den Bedürfnissen und Forderungen der Arbeiterinnen nicht einmal so weit bekannt zu sein, daß man die Frage der Anstellung von Gewerbe- Inspektorinnen auch nur in ernstliche Erwägung zieht. Wir Deutsche haben nun einmal das schöne Vorrecht, mit dem Krähwinkeler Landsturm zusammen immer spät, recht spät zu kommen.
Organisirte Textilarbeiterinnen in England. Dem Verband der englischen Textilarbeiter gehörten im Jahre 1890: 28 230, im Jahre 1893 dagegen 45 496 Frauen an. Diese haben an der Verwaltung des Verbands zwar keinen Antheil, doch sind ihre Löhne verhältnißmäßig hohe. Die Frauen fanden und finden eben an der sehr mächtigen Organisation, der sie angehören, einen trefflichen Rückhalt, der es ihnen ermöglichte, Lohnerhöhungen durchzusetzen, bezw. Lohnkürzungen erfolgreich abzuschlagen. Die nur aus Frauen be stehenden englischen Gewerkschaften waren bis jetzt außer Stande, auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitglieder den gleichen günstigen Einfluß auszuüben, wie die aus Arbeiterinnen und Arbeitern bestehenden Organisationen. Sehr beachtenswerth ist die Thatsache, daß die englischen Textilarbeiterinnen von allen europäischen Textilarbeiterinnen die höchsten Löhne erhalten, ferner, daß sich ihr Verdienst dem der Männer mehr nähert als der ihrer nichtenglischen Kolleginnen. Von wesentlichem Einfluß hierauf ist sicher der Umstand, daß die englischen Textilarbeiterinnen in verhältnißmäßig großer Anzahl organisirt sind, während die nichtenglischen Textilarbeiterinnen der Mehrzahl nach außerhalb der gewerkschaftlichen Organisationen stehen.
Quittung.
Zu Agitationszwecken erhalten zu haben: durch Genossin O. BaaderBerlin 1 Mark; von den Geraer Genossinnen 25 Mart, bescheinigt dankend Die Frauen- Agitations- Kommission Berlin .
Bur Beachtung.