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verhängt. Die Organisation soll gesündigt haben, denn so besagt das Urtheil- da für den Thatbestand des§ 8 der Verordnung vom 11. März 1850( Vereinsgesetz) genügt, daß die Erörterung politischer Gegenstände bezweckt ist, so ist die Absicht, eine solche Er örterung vorzunehmen, ausreichend, und nicht erforderlich, daß diese Erörterung thatsächlich stattgefunden hat."

Gar wunderlich muthet dieser Ausspruch richterlicher Weisheit an. Er giebt zu, daß der Frauenverein thatsächlich nicht politische Gegenstände erörtert hat, gleichzeitig aber erklärt er das Schuldig, weil im Verein die Erörterung politischer Gegenstände beabsichtigt worden sei. Um dieses salomonische Urtheil in seiner ganzen Tief gründigkeit zu erfassen, muß man den Thatbestand kennen, welcher der Anklage zu Grunde lag, und der seinerzeit zur Schließung des Vereins führte.

Während der letzten Reichstagswahl sollten die Ronsdorfer  Proletarierinnen durch einen Vortrag über" Die Rechtlosigkeit der Frauen und die bevorstehende Reichstagswahl" über die Bedeutung der Wahlen aufgeklärt werden. Der geplante Vortrag war zweifellos politischer Natur. Trotzdem wollte ihn die Vorsitzende in einer Vereinsversammlung halten lassen. Rechtzeitig wurde sie indessen noch von einer Elberfelder Genossin warnend darauf aufmerksam gemacht, daß die Organisation durch Erörterung eines politischen Themas in einer Mitgliederversammlung das Vereinsgesetz übertreten würde.

Diese Warnung erfolgte brieflich und bewirkte, daß die Ver-. sammlung, in welcher der betreffende Vortrag gehalten werden sollte, als öffentliche Volksversammlung angemeldet und annoncirt ward, ferner, daß nach ihrer Eröffnung eine Bureauwahl stattfand, wie bei jeder anderen öffentlichen Versammlung. Der Verein hatte mithin mit der Versammlung gar nichts zu thun, er hatte sich nicht die geringste Ungesetzlichkeit zu Schulden kommen lassen.

Die Behörden hatten jedoch Kenntniß erhalten von dem ur­sprünglichen, hochstaatsgefährlichen Plane der Vereinsvorsitzenden. Wie bei den Gerichtsverhandlungen offenbar wurde, war nämlich der oben erwähnte Brief der Genossin Grimpe- Elberfeld in die Hände des Ronsdorfer   Stadtsekretärs gelangt. Ob auf dem bekannten, zur Zeit des Ausnahmegesetzes nicht mehr ungewöhnlichen und oft mit Glück betretenen Wege" oder durch sonst eine wunderbare Fügung", darüber schwieg des Sängers Höflichkeit. Auf eine diesbezügliche Anfrage des Vertheidigers hieß es, daß die Aussage darüber mit Berufung auf die Amtsverschwiegenheit verweigert werde". Wir sind also wohl nach wie vor mit dem starkgläubigen Herrn v. Stephan zu der Ueberzeugung verpflichtet, daß in Deutsch­ land   das Briefgeheimniß so sicher ist, wie die Bibel auf dem Altar." Eine Abschrift des Briefes lag dem Anklagematerial bei als Beweis für die ungesetzlichen Absichten des Ronsdorfer   Frauenvereins.

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Uebrigens hatte der Verein noch eine ähnliche Absichtssünde" auf seinem Kerbholz. Für eine Mitgliederversammlung war ein Vor­trag über den Sozialismus" geplant gewesen. Zwar wurde der Vortrag gar nicht gehalten, weil man erkannte, daß in der Er­örterung des Themas eine Beschäftigung mit politischen Fragen er­blickt werden könne. Den Behörden war jedoch schon die bloße Ab­sicht verdammungswürdig genug, der Jude muß verbrannt werden", im Interesse der kapitalistischen   Ordnung, der kapitalistischen   Aus­beutung muß man die Organisationen proletarischer Frauen zerstören. Noch giebt es Richter in Preußen! Um in den Augen der Behörden das Maß der Morithaten des Ronsdorfer   Frauenvereins voll zu machen, war der Ertrag der Tellersammlung der zuerst erwähnten öffentlichen Versammlung dem sozialdemokratischen Wahlfonds überwiesen worden. Nun ist zwar dem profanen Menschenverstand nicht recht ersichtlich, welcher Zusammenhang besteht zwischen diesem Umstand und dem Ronsdorfer   Frauenverein. Allein ,, was kein Ver­stand der Verständigen sieht", das ahnet, findet und beweist haar­scharf ein Tribunal gelehrter Berufsrichter. Der zufällige Umstand, daß in der fraglichen öffentlichen Versammlung der nämliche Vor­trag gehalten worden war, welcher ursprünglich für eine Mitglieder­versammlung des Frauenvereins geplant gewesen, mußte offenbar das allerdings sehr wackelige Verbindungsglied hergeben, um den Frauenverein für die Ueberweisung des Ertrags der Tellersammlung an den sozialdemokratischen Wahlfonds verantwortlich zu machen. Aus dieser Ueberweisung wurde aber dann weiter gefolgert, daß der Frauenverein voll und ganz von der sozialdemokratischen Partei­leitung beeinflußt werde." Eins, zwei, drei, Geschwindigkeit ist keine Hererei. Und so gelangte das Landgericht Elberfeld   zu folgendem erbaulichen und beschaulichen Schlußsatz seines Urtheils: Weiterhin erschien auch die vom ersten Richter ausgesprochene Schließung des voll und ganz von der sozialdemokratischen Parteileitung beeinflußten Vereins, deren Zulässigkeit§ 16 der bezogenen Verordnung ergiebt, im gegebenen Falle gerechtfertigt, da derartige politische Grörterungen,

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wie sie der fragliche Verein seiner ausgesprochen politischen Tendenz nach bezweckte, im hohen Maße geeignet sind, die weibliche Bevölkerung gegen die gesetzliche Ordnung, gegen bewährte(!) staatliche Einrichtungen aufzustacheln und sie ihren naturgemäßen(!) Pflichten zu entziehen."(!)

Wir können dem Landgericht Elberfeld   eins verrathen: Urtheile, wie das vorliegende, sind im hohen Maße geeignet, die weibliche Bevölkerung gegen die gesetzliche Ordnung, gegen bewährte staatliche Einrichtungen aufzustacheln"; sie sind in höherem Maße geeignet, die weibliche Bevölkerung zur richtigen Werthschätzung der sich gegen sie bewährenden staatlichen Einrichtungen zu bringen, als Dußende politischer Erörterungen in Dußenden von Frauenvereinen. Was aber die Behauptung anbetrifft, daß politische Erörterungen" die weibliche Bevölkerung ihren naturgemäßen Pflichten entziehen", so war es uns neu, daß politische Erörterungen" Fabriken, Werkstätten und Maga­zine besitzen, in denen Frauen 11 Stunden täglich und länger schuften und schanzen müssen, so daß sie außer Stande gesetzt werden, ihren Pflichten als Gattinnen und Mütter nachzukommen. Es blieb dem Landgericht Elberfeld   vorbehalten, in Gestalt der politischen Erörte­rungen die Ursache dafür zu entdecken, daß sich die proletarischen Frauen weniger und weniger der Wirthschaftsführung und Kinder­erziehung widmen können. Wir rathen ihm, diese Entdeckung einem Raritätenfabinet zu übergeben, damit sie der Nachwelt aufbewahrt bleibe zur Erbauung.

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Während sich das Urtheil des Landgerichts Elberfeld   gegen die Frauenbildungsvereine wendet, bezweckt das Urtheil des Landgerichts Köln  , den Frauen- Agitationskommissionen das Lebenslicht auszublaſen. Wir haben bereits in Nr. 4 der Gleichheit" ausführlich über die Angelegenheit, bezw. Verurtheilung der Düsseldorfer   Frauen- Agitations­kommission berichtet. Das Kammergericht hatte bekanntlich diese Kom­mission zu einem Verein gestempelt, und es war gegen diesen Ent­scheid Berufung eingelegt worden. Das Landgericht zu Köln   hat nun gleichfalls die Frauen- Agitationskommission als einen Verein erklärt, der sich gegen das Gesetz mit politischen Angelegenheiten beschäftigt habe. Die Mitglieder der Kommission, resp. des Vereins" sind nach dem neuesten Entscheid strafbar, weil sie sich in diese gesetzwidrige Organisation haben aufnehmen lassen. Nach unserer Ansicht war ein solcher Urtheilsspruch ausgeschlossen. Wenn sich Jemand in einen Verein aufnehmen läßt, so muß doch eine Leitung oder mindestens ein Vorsitzender der Organisation, vorhanden sein, welcher die Hand­lung der Mitgliederaufnahme vornimmt. Die Mitglieder der Agi­tationskommission waren aber nicht aufgenommen, sondern in öffentlicher Volksversammlung gewählt worden, sie hatten nicht auf­genommen werden können, weil keine Leitung, kein Vorsitzender vor­handen war. Trotz alledem ist das Landgericht Köln   zu seinem wunderbaren Entscheid gekommen. Der Jude muß verbrannt wer­den", wie wir bereits sagten.

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Die Düsseldorfer   Genossinnen haben in Anbetracht der prinzi­piellen Wichtigkeit des Urtheils nochmals Revision beantragt. Man kann jedoch wohl im Voraus annehmen, daß es bei dem gefällten Entscheid bleibt. Unsere Juristen bethätigen einen staunend hohen Grad von Spitfindigkeit, sie schwelgen in der ärgsten talmudistischen Haarspalterei, wenn es sich darum handelt, die Strafthaten" prole­tarischer Frauen aufzudecken und zu ahnden. Dagegen werden sie sich in dem vorliegenden Falle den Kopf nicht lange über den Begriff ,, aufnehmen lassen" zerbrechen. Mit etwas Firigkeit und gutem Willen bringen sie es schon zu Wege, dem berühmten Messer ohne Heft und ohne Klinge entsprechend einen Frauenverein ohne Mitglied­schaft und ohne Leitung zu konstruiren, dem anzugehören staats­gefährlich und strafbar ist.

Nur immer zu! Die Proletarierinnen werden auf die Nücken und Tücken der polizeilichen und richterlichen Behörden antworten durch größere Vorsicht, größeren Opfermuth, hellere Begeisterung im Dienste ihrer nach Befreiung ringenden Klasse. An der Logik der Thatsachen, welche die proletarische Frau in den Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaft zwingen, werden Büttelei und Tüftelei der staatserhaltenden Gewalten" ohnmächtig zerschellen wie an einem granitenen Felsen.

Amerikanische   Fabrikinspektorinnen über die Kinderarbeit im Staate Illinois  .

Frau Alzina Stevens, eine der fünf Hilfs- Fabrikinspektorinnen des Staates Illinois  , hat jüngst in der" Arena" einen bemerkens­werthen Artikel über die Kinderarbeit veröffentlicht. Ihre Aus­führungen enthalten im Wesentlichen die Erfahrungen, welche Frau

* Siehe ,, Weibliche Fabrikinspektoren," Nr. 1 der Gleichheit" 1894.