Nr. 17 der ,, Gleichheit" gelangt am 22. August 1894 zur Ausgabe.
geberische Maßregel agitirt hat. Er forderte nämlich, daß die Wäschereien, die besonders lange Arbeitszeit und höchst ungesunde Arbeitsbedingungen haben, dem Fabrikgesetz unterstellt werden sollten. Behufs Unterstützung dieser Forderung organisirte die Gewerkschaft Petitionen und Demonstrationen. Das Parlament schlug zwar in Folge des Protestes bürgerlicher Frauenrechtlerinnen gegen den gesetzlichen Schutz der Frauenarbeit das Verlangen der organisirten Wäscherinnen ab, dafür gewann aber die Vereinigung Dank ihres energischen Vorgehens bedeutend an Mitgliederzahl. Der Gewerkverein organisirte später eine Abstimmung aller Londoner Wäscherinnen über die Einführung des gesetzlichen Achtstundentags. Von 67 300 Frauen er flärten sich 65 900 dafür, 1100 blieben neutral und nur 300,, wollten nicht damit geplagt sein."
Daß die Frauengewerkvereine trotz einer sehr rührigen Agitation keine bedeutendere Ausdehnung erfahren haben, erklärt sich durch verschiedene Umstände. Manche Organisationen umschließen Arbeiterinnen solcher Berufe, in denen ausschließlich Frauen thätig sind. Hier ist die Beschäftigung gewöhnlich eine sehr unregelmäßige, schwankt zwischen Zeiten von Ueberarbeit und vollständiger Brotlosigkeit hin und her; hier sind die Lohn- und Erwerbsverhältnisse die denkbar traurigsten. Die betreffenden Arbeiterinnen verdienen kaum die nackte Nothdurft und sind nicht im Stande, die materiellen Opfer für die Zugehörigkeit zu einer Organisation zu bringen. Weiter. Die Gewerkvereine, welche nur Frauen umschließen, sind in der Regel nicht fräftig, weil die schlecht gezahlten Arbeiterinnen nicht so hohe Beiträge leisten können, wie ihre besser entlohnten Arbeitskameraden. In der Folge besitzen sie nur selten die Macht, dem Unternehmerthum bessere Arbeitsbedingungen zu entreißen. Vielfach treten die Frauengewerkschaften überhaupt gar nicht in einen Kampf gegen die kapita listischen Ausbeuter ein, sondern beschränken sich darauf, lediglich Unterstützungs- und Bildungsvereine 2c. zu sein. Bei einer getrennten Organisation von Arbeitern und Arbeiterinnen der nämlichen Industrie vermag das Unternehmerthum eventuell die einen gegen die anderen auszuspielen, fein gemeinsames systematisches Vorgehen aufkommen zu lassen, und die Frauenvereine, als die schwächeren Körperschaften, werden unter diesem Stand der Dinge am meisten leiden, am wenigsten Erfolge erzielen. Dazu kommt, daß es den Führerinnen mancher Frauengewerkschaften an Ueberblick über die wirthschaftlichen Verhältnisse mangelt, an Geschick und Erfahrung in der Geschäftsleitung, daß andere wegen ihrer bürgerlichen Abstammung und Anschauung nicht die richtigen Gesichtspunkte für eine durchgreifende praktische Aktion zu Gunsten der Arbeiterinnen zu finden wissen. All diese Gründe sind mehr oder weniger mit Veranlassung, daß die Frauenorganisationen im Allgemeinen feine bedeutenden materiellen Erfolge erzielten. Und so bleibt ihnen die Masse der Arbeiterinnen fern, denn sie besitzt kein Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit, sie verspricht sich feine besonderen Vortheile von ihnen.
( Schluß folgt.)
Kleine Nachrichten.
Vom Schlachtfelde des Klassenkampfes.* Anfangs Juni wurde vor der Straffammer des Landgerichts Liegnig verhandelt gegen die fünf Vorsteherinnen des dortigen Frauen- und MädchenBildungsvereins". Wie man, ohne im Geringsten Prophet zu sein, im Voraus wissen kann, standen dieselben unter der Anklage, das Vereinigungs- und Versammlungsrecht schnöde mißbraucht zu haben, indem sie in ihrem Verein die Erörterung politischer Fragen zuließen. Das Schöffengericht hatte sich bereits mit der Angelegenheit beschäftigt, aber die verruchten Missethäterinnen freigesprochen. Dieses Urtheil erschütterte offenbar den herrlichen preußischen Staat in seinen Grundvesten. Wehmüthig saß Grethchen- Staatsanwalt am Spinnrocken der Gesetzesauslegung und flötete klagend:„ Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer." Und um die Ruhe wieder zu finden und das von Staatssorgen schwere Herz zu erleichtern, legte der pflichttreue Beamte Berufung gegen das freisprechende Erkenntniß ein. Das Landgericht apportirte ihm die gewünschte Verurtheilung. Die Verhandlung ergab zwar keinen hinreichenden Beweis dafür, daß der Verein politische Zwecke verfolgt und eine sozialistische Gesinnung bethätigt habe. Aber derartige Kleinigkeiten geniren große Geister nicht. Der Gründung des Vereins war ein Vortrag unserer Genossin Ihrer vorausgegangen, welche die Frauen aufgefordert hatte, zusammen mit den Männern sozialdemokratischen Zielen zuzustreben. Weiter war die Gründung des Vereins durch drei Frauen erfolgt, deren Männer ,, notorische Agitatoren" der Sozialdemokratie seien, wie überhaupt das Zustandekommen
* Wegen Raummangel unlieb verspätet.
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der Organisation nur auf Rechnung der Liegnitzer Sozialdemokraten gesetzt werden müsse. Endlich waren in zwei Vereinsversammlungen Artikel aus der„ Gleichheit" vorgelesen worden. Die Angeklagten machten demgegenüber geltend, daß sie lediglich die geistigen und wirthschaftlichen Interessen der Vereinsmitglieder und der Arbeiterinnen überhaupt zu wahren gesucht, daß sie aber politische Angelegenheiten nicht verhandelt hätten. Der Gerichtshof erkannte jedoch dem Antrage des Staatsanwalts entsprechend auf je 24 Mart Geldstrafe oder acht Tage Gefängniß, außerdem verfügte er die Schließung des Vereins.
In Zschopau verboten die Behörden zwei Versammlungen, in denen Genossin Kähler- Wandsbeck über„ Der Kampf ums Dasein" und„ Bildung und Bildungsmittel" referiren sollte. Das Verbot erfolgte auf Grund des§ 5 des königlich sächsischen Vereinsgesetzes, das Vereins- und Versammlungsrecht betreffend. Die sächsischen Behörden scheinen an der vielberufenen„ Helligkeit" des sächsischen Volks keinen Theil zu haben. Andernfalls müßten sie doch aus den mit dem seligen Sozialistengesetz gemachten Erfahrungen gelernt haben, daß der Sozialdemokratie mit Machtmitteln schlechterdings nicht beizukommen ist, in Sachsen ebensowenig wie sonstwo.
Zunahme der Beschäftigung von Arbeiterinnen. Wenn es sich um die Erweiterung der politischen Rechte der Frauen handelt, dann predigt das Kapital unter Augenverdrehen: die Frau gehöre nicht ins öffentliche Leben, ihr Gebiet sei das Haus, die Familie, ihre Aufgabe die Kindererziehung, die Führung der Wirthschaft; sie sei ihrer ganzen Natur nach zu fein, zu ideal, zu gemüthstief, als daß sie sich mit der rauhen Politik beschäftigen könne und dürfe, und was der pharisäerhaften Salbadereien noch mehr sind. Aber gleichzeitig zwingt dasselbe Kapital immer mehr Proletarierinnen in die Fabrik, denn durch fortgesetzte Lohndrückerei setzt es den Arbeiter in die Unmöglichkeit, eine Familie ernähren zu können. Die Heiligkeit der Familie geht flöten vor der Heiligkeit des Profits, die Nothwendigkeit der Kindererziehung wird verdrängt durch den Vortheil der Kinderausbeutung, die Rücksichten auf das zarte Gemüth der Frau werden ersetzt durch die Rücksichten auf die zarten Frauen- und Kinderfinger, die zum Spinnen 2c. wie geschaffen sind. Alle humanitären nd sonstigen Erwägungen zerstieben wie die Spreu im Winde vor der Aussicht, in der Frau eine billige Arbeitskraft zu erwerben. Von 1875 bis 1882 hat im Deutschen Reich die Zahl der gewerbsthätigen Frauen um 35 Prozent zugenommen, während die Zahl der männlichen Arbeiter nur um 6 Prozent zunahm. Es ist äußerst kennzeichnend, daß die Frauenbeschäftigung besonders stark in den Kleinbetrieben gestiegen ist. In den Großbetrieben hat die Zahl der weiblichen Arbeiter um 26 Prozent zugenommen, die der männlichen um 16 Prozent, in den Kleinbetrieben dagegen wuchs die Zahl der Arbeiterinnen um 40 Prozent, die Zahl der Arbeiter nur um 1 Prozent. Das untergehende Kleingewerbe schöpft die letzten Kräfte zu seiner Existenz aus der mörderischen Ausbeutung von Frauen und Kindern. Man ersieht daraus, wie dringend nothwendig es ist, die Arbeiterschutzgesetzgebung auch auf das Kleingewerbe und die Hausindustrie auszudehnen. Die Zunahme der Frauenarbeit geht, wie statistische Zahlen es deutlich beweisen, in der Weise vor sich, daß in den Produktionszweigen, in denen die Frauenarbeit am schwächsten vertreten ist, die stärkste Zunahme stattfindet. Es zeigt sich also die Tendenz, allmälig in sämmtlichen Berufsarten in gleichem Maße Frauenarbeit zu verwenden. Das ist die fapitalistische Gleichheit und Gerechtigkeit. Aber freilich, je mehr die kapitalistischen Frauen und Mädchen durch das Kapital in den wirthschaftlichen Kampf hineingezwungen werder, desto mehr werden sie dazu gedrängt, Arm in Arm mit dem männlichen Proletariat auch im großen geschichtlichen Befreiungskampf der Ausgebeuteten mitzufämpfen. So erzeugt denn das Kapital in den ausgebeuteten Arbeitern und Arbeiterinnen seine eigenen Todtengräber.
,, Lohnende Beschäftigung “ nach kapitalistischer Auffassung stellt es dar, wenn eine Arbeiterin 30 bis 40 Pfennig pro Tag verdient. In einer Göppinger Trifotfabrik wurde jungen Mädchen lohnende Beschäftigung versprochen und ein Tagesverdienst von 60 Pfennig in Aussicht gestellt. Am Zahltag erhielten die Arbeiterinnen nur einen Tagesverdienst von 30 bis 40 Pfennig. Sogar nach Ansicht konservativer Sozialpolitiker ist ein Tagelohn von einer Mark noch nicht hinreichend für den Lebensunterhalt einer Arbeiterin, so daß also auch ein täglicher Verdienst von 60 Pfennig noch bei weitem nicht als„ lohnend" erscheint. Wie aber eine Beschäftigung als„ lohnend" erscheinen kann, bei welcher sich der tägliche Verdienst auf 30 bis 40 Pfennig beläuft, das begreift man nur, wenn man die Frechheit und die Profitgier des kapitalistischen Prozenthums kennt.