ganz andere praktische Bedeutung und Tragweite. Die Gegner selbst erzeugen die Vorbedingungen dafür, daß sie über den Rahmen einer Parteiagitation hinauswächst und zu einer Volksbewegung in großem Stile wird, deren naturgemäße Führerin die Sozialdemo fratie ist. Und diese Voltsbewegung wird einen für Deutschland  neuen Zug aufweisen: die energische und begeisterte Massenbetheili­gung der Frauen, für welche der freiheitliche Ausbau des Vereins­und Versammlungsrechts und die Erringung des Wahlrechts von höchster Wichtigkeit ist. Mag der Wind die am Horizont aufge= stiegenen Wetterwolfen der Reaktion zerstreuen oder rasch näher führen, die Sozialdemokratie sieht den Ereignissen ruhig und ge= rüftet entgegen. Die geschichtliche Entwicklung hat alle Trümpfe in ihre Hand gegeben, die geschichtliche Entwicklung hat sie zur Urtheilsvollstreckerin an der bürgerlichen Gesellschaft bestellt, und sie wird diese ihre Aufgabe unter allen Umständen erfüllen. Die Sozialdemokratie ist mit dem Ausnahmegesetz fertig geworden, sie wird sich auch damit abfinden, wenn das gemeine Recht gegen sie in das gemeinste" Recht verwandelt werden sollte. Nur zu, ihr Herren, nur zu!

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Arbeiterinnen- Bewegung.

In der Zeit vom 1. bis 31. August fanden öffentliche Ver­sammlungen statt in: Barmen, öffentliche Volksversammlung: Die gegenwärtige politische Lage"( Genosse Dr. Lütgenau); Bramsche  , öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: Die wirthschaft liche und politische Lage"( Genosse Schrader); Berlin  , öffentliche Versammlung der Plätterinnen:" Die Stellung der Frau in der Ge­sellschaft"( Genosse Astor); öffentliche Versammlung des Bildungs­vereins für Frauen und Mädchen: Die Nothwendigkeit der Haut­pflege"( Genosse Dr. Bernstein); öffentliche Versammlung der in der Kürschnerbranche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: 1) Thätig­feitsbericht, 2) Wahl eines Vertrauensmannes; öffentliche Versamm­lung für Männer und Frauen der Lederarbeiter: Die Ernährung des Kindes im ersten Lebensjahr"( Genosse Dr. Weyl); öffentliche Ver­sammlung aller in der Luruspapierbranche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die trostlosen Zustände in den Fabriken und Werk­stuben"( Genosse Jahn); 39 von Männern und Frauen gut besuchte Ver­sammlungen in Berlin   und Umgegend beschäftigten sich am 24. August

Das Kalkwerk.

Von Heinrich Landsberger.

Glühend, schwimmend wie in weißgekochtem Erz, so brannte von dem blassen, wolkenlosen Blau die Sonne herab. Ein feiner lichtblauer Dunst stieg flimmernd zum Aether hinauf... und gerade so lichtgrau, so dehnte es sich, wohin das Auge sah. Grau die Straße, die Ebene, droben die Hügel und die Tiefen und Klüfte darunter, und grau die Gebäude und Hütten und Schuppen. Nur unten in der Sohle, wo der Stein gebrochen wurde und mit leisem Klimpern das Getön der Hacke heraufscholl, blinkte es in einem schimmernden Grün. Das war Wasser, das Sammelbecken der Feuchtigkeit, die dem zu beiden Seiten aufsteigenden, gehauenen Gestein entquoll.

Droben, am Rande, hart über dem Gewässer, wölbte sich ein kleiner, flacher Hügel. Dort waren die Lefen, wo der Stein gebrannt und der Kalk ihm abgewonnen wurde.

Fünf freisrunde, in einer Längslinie sich anreihende, in die Erde gegrabene Deffnungen, jede von einer dunklen Lage bedeckt. Das war der Koaks, zwischen dem das Gestein erst zu braten hatte, bevor es seinen Inhalt hergab. 3art, in kaum sichtbaren Wölkchen, schlank wie eine Säule, ohne sich in der todtenstillen, unbewegten Luft zu fräuseln, stieg der Rauch daraus hervor... den Athem versengend, aber dumpf und drückend mit dem Sonnen­brande sich vereinigend, der Gluthhauch des Koats.

Eintönig flappernd und quietschend ziehen den Hügel die Karren hinauf und hinab. Männer und Weiber ziehen sie... mit ausdruckslosen stumpfen Gesichtern, der Typus der polnischen Ebene. Die Männer im englischen Leder, die Weiber mit einem bunten Leinentuch um den Kopf, im Wollkleid und in Männer­stiefeln. Die Männer fahren die Steine hinauf... der Belastung wegen über einen eisernen Schienenstrang. Die Weiber, über einen

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mit dem gegenwärtigen Stand des Bierboykotts. Man beschloß energische Fortführung des Boykotts. Von den Referenten erwähnen wir die Reichstagsabgeordneten Auer, Fischer, Vogtherr, Zubeil, sowie die Genossinnen Greifenberg   und Wabniß; Charlottenburg  , öffent­liche Versammlung für Männer und Frauen: Ist die heutige Gesell­schaft reformbedürftig?"( Genossin Wabniz); Durlach  , große öffent­liche Volksversammlung: Der wirthschaftliche und politische Kampf der Arbeiterklasse; der Klassenkampf, das Recht der Enterbten"( Reichs­tagsabgeordneter Meist); Hamburg  , öffentliche Volksversammlung: ,, Berichterstattung über die zweite Session des Reichstags"( Reichs­tagsabgeordneter Molkenbuhr); öffentliche Versammlung der Schneider und Schneiderinnen: Die Entlassung der Arbeiter bei Grimm"( Ge­noffe Tabbert); öffentliche Versammlung der Schuhmacher: Der Kon­greß in Erfurt  "( Genosse Kölle); Kreuznach, öffentliche Versamm­lung für Männer und Frauen: Ist der Sozialismus durchführbar?" ( Reichstagsabgeordneter Schuhmacher); Leipzig  , öffentliche Versamm­lung, einberufen vom Bildungsverein für Frauen und Mädchen: " Sibirien   und die administrative Verbannung"( Genosse Lipinsky); sechs große öffentliche Versammlungen beschäftigten sich mit der Stellung­nahme gegen die Verweigerung des Bürgerrechts; Liegnitz  , öffent­liche Volksversammlung: Sozialdemokratie und Antisemitismus ( Reichstagsabgeordneter Herbert); Magdeburg  , öffentliche Gewerk­schaftsversammlung: Der Zentralarbeitsnachweis und die Stellung des hiesigen Magistrats zu demselben"( Genosse Voß); Offenburg  , öffentliche Volksversammlung: Der Klassenkampf, das Recht der Ent­erbten"( Reichstagsabgeordneter Meist); Ottensen  , öffentliche Partei­versammlung:" Wollen wir eine Lassalle- Todtenfeier veranstalten?" ( Genosse Heine); Pankow  , öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: Lumpengesindel  , Polizei und Brausewetter"( Reichs­tagsabgeordneter Stadthagen  ); Sanssouci  , öffentliche Volksver­sammlung: Die technisch- wirthschaftliche Revolution"( Genosse Dr. Lur); Staßfurt  , öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: ,, Die Fabrik- und sonstige Lohnarbeit"( Reichstagsabgeordneter Wurm); Stuttgart  , große öffentliche Volksversammlung: Anarchismus und Sozialismus"( Reichstagsabgeordneter Liebknecht); Thann   im Elsaß  , öffentliche Volksversammlung: Die Bedeutung der Bezirkstagswahlen" ( Genosse Jäckh); Tondern  , öffentliche Volksversammlung: Kapital und Arbeit"( Reichstagsabgeordneter Kühn); Triberg  , öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: Die Forderungen der Sozial­demokratie"( Reichstagsabgeordneter Meist); Wermelskirchen  , öffent­liche Volksversammlung: Staat und Religion"( Genosse Dr. Lütgenau). hölzernen Plankenweg, fahren den Koaks... immer neben ein­ander, zu zwei und zwei... hinauf und dann mit dem geleerten Karren wieder hinab, um neue Lasten unten einzunehmen. Still und schweigend ziehen sie hin. Kein einziges Wort wird mitein­ander gewechselt. So geht es von Morgens sechs bis zum Abend um sechs. Da, während ein Theil des Trupps oben auf dem Hügel wieder anlangt, seinen Karren umkehrt und den Inhalt ausschüttet, klingt die Stimme des Aufsehers. Es ist ein Deutscher, wie alle Beamten in dem Werf. Erst ruft er einen Namen. Da tritt einer aus dem Trupp hervor... mit dichten grauen Stoppeln im Gesicht. Die fahle, graugelbe Haut wie von gegerbtem Leder; die kleinen, schwarzen, matten Augen tief in den Höhlen, ganz wie die Andern. Der Aufseher spricht in polnischer Sprache und der Mann hat verstanden. Er macht Ueberschicht... das heißt, er arbeitet von Früh vier Uhr bis Abends um acht. Nun hat ihm der Aufseher für den Abend seine Beschäftigung zugewiesen.

Diesmal in der Mühle, wo der Kalt gemahlen wird, um dann zu Zement verarbeitet zu werden. Dann setzt sich der Zug, den Hügel hinab, über die Schienen wieder in Bewegung.

Da horch! Durch die stille Luft, wie ganz von ferne, ein leises Klingeln. Nun, zwar immer noch wie ganz von ferne, schon ein wenig vernehmlicher... von jetzt ein dumpfes Dröhnen darein, wie das Wirbeln von Trommeln. An der Seite des Kalfwerks, über die Mühle hinweg, dehnt sich die Häusermasse der Stadt und davor der Streifen mit den grünen Bunften, die Landstraße. Da, von dem Hügel aus, wird es jetzt sichtbar. Ein langler dunkler Zug und darüber ein Funkeln, Blizen und Glizern. Alle wissen, was das ist. Ein Offizier wird zu Grabe getragen, hinaus nach dem Militärfriedhof. Eine Granate, die unversehens explodirte, hatte ihn getödtet. Drüben auf dem Geschüß- Uebungs­plage war's und man hatte den Knall bis hier herüber gehört. Heute wird er begraben, und das da drüben, das ist der Zug.