allem hatten die Organisationen, denen die Verstorbene angehörte, sich ausgezeichnet. Die Frauen- Agitationskommission, der Frauenund Mädchen- Bildungsverein, wo ihr fegensreiches Wirken ihr ein unvergeßliches Andenken sichert und die Schneider und Schneide rinnen Berlins legten ihrer Mitkämpferin den letzten Gruß aufs Grab. Auf der breiten, rothseidenen Schleife des Frauen- und Mädchen- Bildungsvereins las man:„ Der Dienst der Freiheit ist ein schwerer Dienst; Er trägt nicht Fürstengunst. Er bringt Verbannung, Hunger, Schmach und Tod; Und doch ist dieser Dienst der höchste Dienst." Weiße Schleifen trug der Kranz der„ Arbeiter eines Staatsbetriebs"; schwarze Farben hatten mehrere Anarchisten Berlins mit dem Motto gewählt:„ Wer einst die Kette knirschend trug, dem ist das Sterben Lust."" Eine Steglitzer Proletarierfamilie" stiftete einen schönen Kranz; desgleichen die„ ausgesperrten Brauer und Böttcher", die„ Arbeiter der Böhow'schen Brauerei", des„ Münchener Brauhauses" und„ die dankbaren Buchdrucker". Auch die Arbeitslosen hatten es möglich gemacht, der Frau aus dem Volke ihren Dankeszoll in Gestalt eines schmucklosen Kranzes darzubringen. Ungemein groß war die Zahl der Spenden von außerhalb. Genosse Ewald legte im Namen der Brandenburger Genossen und Genossinnen einen Kranz nieder; theils durch Deputationen aus den einzelnen Orten, theils auch durch hiesige Parteigenossen wurden die Kinder Floras der Todten als Opfer dargebracht. Unter anderen waren folgende Orte vertreten: Frankfurt a. D., Forst i. L., Görlitz , Halle a. S., Kottbus , Spremberg ( schwarze Schleife), Frankfurt a. M.( zwei, Partei und Arbeiterinnenverein), Dresden ( zwei), Sagan, Stettin , Leipzig , Alten burg , Haynau in Schlesien , Magdeburg , Zeiß, Kassel , MagdeburgSudenburg, Bernburg , Braunschweig , außerdem sämmtliche um Berlin gelegene Ortschaften, zum Theil doppelt und dreifach. Die Zahl der Kränze zu bestimmen, welche ohne Widmung und von Privaten gespendet wurden, ist fast unmöglich; es war erhebend, wie die vielen Arbeiterinnen in der Tracht der Armuth thränenden Auges der todten Genossin die Zeichen der Liebe darbrachten. Man greift sicher nicht zu hoch, wenn man die Gesammtzahl der Kränze auf über tausend beziffert: Arbeitergroschen, doch gern gegeben, als schwacher Ausdruck der Gefühle, die Jeder und Jede in sich trug.
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Die Feier selbst wurde durch einen Gesangsvortrag des Gesangvereins„ Nord" eingeleitet, dem die„ Typographia" folgte; alsdann nahm der Genosse Vogtherr das Wort zu einer Ansprache, worin er das arbeitsreiche Leben der Todten vor dem geistigen Auge der Zuhörer vorüberziehen ließ und mit flammenden Worten die Umstände Freiheitsentziehung, die nur der Gesinnung wegen verfügt wurde, erschien ihr als widerrechtlich. Sie wollte deshalb der Macht des Klassenstaats, eine solche widerrechtliche Freiheitsentziehung über sie zu verhängen, den passiven Widerstand des Hungerns entgegenstellen, und hatte ihrer Mutter auf dem Sterbebette gelobt, nie Gefängnißkost zu genießen. Sie führte ihren Vorsatz durch und kehrte geschwächt, aber gesund aus der Haft zurück. Jm Juli 1892 stand sie in Berlin unter der Anklage vor Gericht, sich der Majestätsbeleidigung und Beschimpfung von Religionseinrichtungen schuldig gemacht zu haben. Ohne Vertheidiger trat sie der Strafkammer gegenüber, da sie glaubte, die engen Grenzen der gewährleisteten Redefreiheit nicht überschritten zu haben. Sie wurde jedoch zu zehn Monaten Gefängniß verurtheilt und sofort verhaftet. In Folge ihrer energischen Weigerung, Gefängnißkost zu sich zu nehmen, wurde fie in die Charité übergeführt und zwangsweise ernährt. Am 8. Oktober hoben endlich die Behörden die ohne jeden greifbaren Anlaß verhängte Untersuchungshaft auf. Trotzdem wurde sie nicht entlassen, vielmehr ohne jeden gesetzlichen Grund in der Charité zurückbehalten. Zehn Tage später erfolgte dem Ansuchen der Polizei entsprechend ihre Ueberführung als einer„ gemeingefährlichen Geisteskranken" in das Irrenhaus zu Dalldorf . Angesichts der so beschränkten deutschen Preßfreiheit müssen wir leider darauf verzichten, das Vorgehen der Behörden gegen Agnes Wabniß gebührend zu kennzeichnen. Aber die Thatsache selbst und das auferzwungene Schweigen erzählen beredt genug von der Herrlichkeit des christlich- germanischen Rechtsstaats. Der Aufenthalt unter Geistestranten steigerte begreiflich genug die schon früher an ihr wahrgenommene hochgradige Erregung aufs Höchste. Von dem Gedanken gepeinigt, daß sich die Pforten der Irrenanstalt ihr nicht so bald öffnen würden, machte sie einen Selbstmordversuch. An dem nämlichen Tage, wo dies geschah, war es gelungen, ihre Entlassung aus Dalldorf durchzusetzen. Schwerkrank verließ Genossin Wabniz das Irrenhaus, und nur Dank ihrer geradezu unverwüstlichen Lebenskraft und ihrer zähen Energie, für die Zertrümmerung der Lohnsklaverei weiter wirken zu wollen, überwand sie ihr körperliches Leiden. Kaum halb genesen schulterte sie wieder das Gewehr und trat in Reih und Glied der proletarischen Befrei
darlegte, unter denen sie das Leben abwarf und die Gründe, welche sie zu diesem Schritte führten....
An der östlichen Seite des Friedhofes, unweit der Säule, unter welcher die Asche von Wilhelm Hasenclever ruht, senkte man dann den Sarg in die Gruft. In langem Zuge defilirten die Tausende an dem Hügel vorüber und deckten ihn mit Kränzen. Als die Deputationen den Kirchhof nach der Treskowstraße zu verließen, wurde der Eingang geöffnet und der Menschenstrom, der sich draußen ge= sammelt hatte, fluthete in die Gänge. Bis zum Anbruch der Dunkelheit wogten die Menschenmassen um das Grab, und nur allmälig lösten sich die Gruppen auf, welche immer noch wartend an den Thoren standen. Wie viele Personen am Sonntag vergeblich Einlaß begehrten, ist schwer zu sagen; nach ungefährer Schätzung werden sich 40-45 000 in unmittelbarer Nähe des Begräbnißplates befunden haben. Die Polizei verhielt sich mit wenigen Ausnahmen in zweckmäßiger Reserve und überließ zumeist den Ordnern und Friedhofsbeamten das immerhin schwierige Amt des Dirigirens solcher großen Menschenmassen.
Durch den Verlauf dieser imposanten Todtenfeier ehrte das arbeitende Volk nicht nur das Opfer der heutigen Zustände, die Kämpferin für Wahrheit und Recht, sondern auch sich selbst. Das Volk ist frei von jener Heuchelei, die vor der„ Selbstmörderin" drei Kreuze schlägt. In goldenen Lettern auf rothem Grunde trug eine Schleife die Inschrift:
Du kämpftest im und um das Leben,
Und gehst nun aus der besten aller Welten. Soll ich im Tode noch Dich darum schelten? Nein, Klage nur will ich um Dich erheben!"
Der internationale Textilarbeiterkongreh zu
In Manchester , der Königin der englischen Fabrikstädte, dem Mittelpunkt der englischen Textilindustrie, tagte vom 24. bis 27. Juli ein internationaler Textilarbeiterkongreß, dessen Verhandlungen und Beschlüsse für die proletarische Frauenwelt von besonderem Interesse sind. Gerade in der Textilindustrie hat die Frauenarbeit den größten Umfang angenommen; Hunderttausende, ja Millionen von Proletarierinnen frohnden hier als dem Kapital tributpflichtige Lohnsklavinnen
* Wegen Raummangels unlieb verspätet.
ungstämpfer. In Sachsen , Thüringen , Mecklenburg , Pommern 2c. 2c. hat sie im Laufe des letzten Jahres Tausenden und Abertausenden von Männern und Frauen des Proletariats die Größe ihres Märtyrerthums und die Schuld der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zum Bewußtsein gebracht, hat sie dem Leiden und Sehnen der frohndenden und entbehrenden Menge ergreifenden Ausdruck verliehen, zeigte sie ihr, wie in der Nacht der Gegenwart verheißungsvolles Morgenroth empordämmert.
Die behördlichen Verfolgungen dauerten unterdeß fort. Der Staatsanwalt hatte beantragt, sie als„ gemeingefährlich geisteskrank" zu entmündigen. Von der starken Neurasthenie, an der Genossin Wabniz litt, bis zur gemeingefährlichen Geisteskrankheit ist noch ein weiter Schritt. Die Aerzte erklärten deshalb einstimmig, daß Agnes Wabnitz gegenwärtig und für die absehbare Zukunft weder des Gebrauchs ihrer Vernunft gänzlich beraubt noch unvermögend erscheine, die Folgen ihrer Handlungen zu überlegen". Darauf bestätigte das Reichsgericht das Urtheil, das ihr zehn Monate Haft zuerkannte, es bestätigte dieses Urtheil, obgleich unzweifelhaft bei Genossin Wabnitz Zeichen zu Tage getreten waren, die auf einen krankhaften Zustand ihres Nervensystems schließen ließen. Ein Wort genügt zur Kennzeichnung, um nicht zu sagen Brandmarkung dieses Entscheids: das Wort Klassen justiz. Nicht eine Minute der Zeit, die Agnes Wabnih im Gefängniß und als Gefangene im Kranken- und dann im Irrenhause zugebracht hatte, wurde ihr angerechnet.
Am 28. August sollte sie ihre Haft antreten. Da setzte sie ihrem Leben selbst ein Ziel: sie vergiftete sich auf dem Friedhof des Friedrichshains auf dem Todesacker, wo die 1848 in Berlin gefallenen Freiheitskämpfer ruhen. Nicht die Furcht vor den zehn Monaten Gefängniß trieb die Frau in den Tod, die unerschrocken und treu lange Jahre allen Gefahren des Kampfes gegen die übermächtige kapitalistische Gesellschaft getrotzt hatte. Ihr Entschluß reifte vielmehr in Folge der Ueberzeugung zur That, daß das Festhalten an ihrer Weigerung, Gefängnißkost zu genießen, wahrscheinlich ihre abermalige Ueberführung in das Irrenhaus bewirken würde. Und die Aussicht, als Gesunde unter Frre gesperrt zu werden, in der Folge die Umnachtung des Geistes befürchten zu müssen, erfüllte Genossin Wabnih mit solchem