und zwar zum großen Theil unter den allerelendesten Arbeitsbedingungen. Die Berichte, welche dem Kongreß vorlagen, enthielten folglich auch viele interessante Einzelheiten über die Arbeitsverhältnisse der in Spinnereien und Webereien 2c. thätigen Frauen und Mädchen. Und die Beschlüsse, zu denen die Delegirten auf Grund ihrer Verhandlungen gelangten, werden hoffentlich nicht ohne Einfluß bleiben auf die Besserung der Lage der Textilarbeiterinnen, der Fabriklerinnen par excellence. Denn die vom Kongreß erhobenen Forderungen halten sich durchaus im Rahmen der Reformen, welche die allgemeine moderne Arbeiterbewegung erstrebt, und für ihre Verwirklichung wird mithin nicht blos die organisirte Textilarbeiterschaft eintreten, sondern das klassenbewußte Proletariat aller Länder.
Wie der internationale sozialistische Arbeiterkongreß zu Zürich die Anregung zur engeren internationalen Fühlung einer ganzen Reihe von Gewerkschaftsorganisationen verschiedener Länder und zur Abhaltung mehrerer internationaler Gewerkschaftskongresse gegeben hat, so wurde auch in Zürich von Delegirten der Textilindustrie der Beschluß gefaßt, in der Folgezeit eine internationale Konferenz der Textilarbeiter abzuhalten. Dieselbe sollte 1896 in London stattfinden und die englischen Gewerkschaften waren mit der Ernennung eines internationalen Sekretariats und der Führung der Korrespondenz zwischen den einzelnen Nationen beauftragt worden. Eine Nationalkonferenz der französischen Textilarbeiter, welche 1893 in Roubair tagte, wollte jedoch, daß die internationalen Kongresse der Industrie. alljährlich stattfinden sollten und forderte deshalb die englischen Gewerkschaften auf, den geplanten nächsten Kongreß bereits für 1894 einzuberufen. Die englischen Textilarbeiterorganisationen kamen der Aufforderung bereitwillig nach. Der Umstand ist bezeichnend für den Umschwung, der sich in der Haltung der englischen Gewerkschaftsbewegung zu vollziehen begonnen hat. Vor nicht allzulanger Zeit hätten englische Trades Unions jede Gemeinsamkeit mit den organisirten Arbeitern des Festlandes zurückgewiesen, weil diese Sozialisten, d. h. der englischen Auffassung nach Wolkenkuckucksheimer, unpraktische Träumer waren. Jetzt dagegen sind es gerade die englischen Gewerkschaften, welche zum Zwecke der internationalen Verständigung der organisirten Arbeiter die häufige ja unseres Erachtens zu häufige Abhaltung internationaler Kongresse wollen und begünstigen. Die von den Trades Unions der englischen Textilarbeiter erlassene Einladung zu dem Kongreß von Manchester wurde von den franzö sischen, österreichischen, belgischen, holländischen, dänischen und amerifanischen Gewerkschaften angenommen. Die deutschen TextilarbeiterEntsetzen, daß sie den Tod den zu gewärtigenden Qualen vorzog. Eine objektive Beurtheilung der Verhältnisse, unter denen sie sich entwickelte, unter denen sie lebte und kämpfte, läßt keine Verurtheilung ihrer That aufkommen. Und dem Proletariat, dem Genossin Wabniz bis zum letzten Athemzug mit selbstloser Aufopferung ergeben war, ihm liegt die Anwandlung besonders fern, dort den Splitterrichter zu spielen, wo es von ehrlicher Trauer erfüllt ist.
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Mit Agnes Wabnitz hat die deutsche zielbewußte Arbeiterklasse ihre Louise Michel verloren, der Heldin der Kommune ebenbürtig an Idealismus und Ehrlichkeit der Gesinnung, an Selbstlosigkeit des Strebens, an Begeisterung, Opferfreudigkeit und nicht ermattender Energie, wie sie auch leidend unter den Fehlern ihrer Vorzüge, ihr ähnlich in dem und jenem eigenartigen Zuge des Wesens. Nur Eins hat ihr gefehlt, damit die Aehnlichkeit scharf zu Tage trat, damit ihr Name von Mund zu Mund über den Erdball flog, von den Einen mit Bewunderung und Liebe, von den Anderen mit Haß genannt: der große tragische geschichtliche Hintergrund. Aber sie hat nicht umsonst gerungen und gefämpft, und sie wird unvergessen sein. In dankbarer Verehrung und Sympathie wird das klassenbewußte Proletariat Deutschlands allzeit der hochherzigen, willensstarken, aufopfernden Vorkämpferin für seine Befreiung gedenken. Wie groß, ergreifend und tröstlich hebt sich doch von der Korruption der bürgerlichen Welt und der Kleinheit und Selbstsucht ihrer Charaktere die Gestalt der schlichten, opferfreudigen Frau ab, die an Bürgertugenden so manchen Helden mit und ohne Krone tief in den Schatten stellt, die ein Beweis ist für den reichen Schatz an geistigen und sittlichen Kräften, die im Volfe schlummern und nur der Hebung durch gerechte soziale Verhältnisse warten. Ihr den höchsten Jdealen geweihtes Leben wird Hunderten, ja Tausenden von Frauen des werkthätigen Volks ein leuchtendes Beispiel sein zu streben und zu kämpfen, zu opfern und zu wirken, damit aus den Ruinen der in Schutt und Trümmer fallenden Gesellschaft der Ausbeutung und des Leids der Massen bald das neue Leben des Reichs der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit blüht.
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organisationen sahen dagegen von einer Beschickung des Kongresses ab, einmal, weil sie sich durch den Beschluß der Züricher Konferenz gebunden glaubten und den Kongreß bis 1896 verschoben wissen wollten, dann auch, weil ihnen die Kosten einer Delegation augenblicklich als zu groß erschienen. Soweit wir die Situation kennen, wäre es wohl zweckmäßiger gewesen, daß der Kongreß noch nicht in diesem Jahre getagt hätte, damit auch die vertretenen festländischen Gewerkschaften stattliche Heere von Textilarbeitern sammeln und repräsentiren konnten. Da aber der Kongreß nun einmal beschlossene Sache war, so hätten unserer Ansicht nach die deutschen Textilarbeiter besser gethan, sich wenigstens durch einen Delegirten in Manchester vertreten zu lassen. Das Fernbleiben der Deutschen ward allgemein bedauert.
Auf dem Kongreß waren etwa 179 000 organisirte Textilarbeiter und Arbeiterinnen durch 54 Delegirte vertreten. Die Zahl der englischen Delegirten betrug 42, welche zusammen 150 000 Arbeiter und Arbeiterinnen repräsentirten, 7500 Franzosen und 2500 Belgier hatten je 4 Delegirte entsendet; 15 000 Amerikaner, 3000 Desterreicher, 500 Dänen und 500 Holländer waren durch je einen Delegirten vertreten. Die Engländer empfingen die ausländischen Delegirten in sehr herzlicher Weise, während der Kongreßarbeiten herrschte fast stets eine große Einmüthigkeit, die Abstimmungen geschahen nach Nationalitäten. Erfreulich genug traten auf dem Kongreß feine allzu scharfen Gegensätze zu Tage zwischen der sozialistischen Auffassung der festländischen Delegirten und der Nichts- als- Gewerkschaftlerei der Engländer. Unter den Führern der englischen Textilarbeiterorganisationen giebt es wohl kaum noch Anhänger des starren alten Trade- Unionismus, die von der gesetzlichen Regelung des Arbeitsverhältnisses und der selbständigen politischen Vertretung der Arbeiterklasse in den gesetzgebenden Körperschaften nichts wissen wollen. Dagegen hat in den letzten Jahren gerade unter der englischen Textilarbeiterschaft sowohl die sozialdemokratische Föderation, wie auch die unabhängige Arbeiterpartei mehr und mehr Anhang gewonnen.
Die Berichte, welche dem Kongreß über die Lage der Textilarbeiter der vertretenen Länder erstattet wurden, waren zum Theil hochinteressant und enthielten eine Fülle von Thatsachen, welche u. A. auch insbesondere die Erwerbsverhältnisse der Textilarbeiterinnen in helle, aber wenn wir von Lancashire absehen in nichts weniger als rosige Beleuchtung rücken. Der Bericht der ,, United TextilOperatives of Great Britain"( Vereinigten Textilarbeiter von Groß britannien ) betont, daß kaum eine Industrie so viele und hartnäckige Kämpfe zwischen Unternehmern und Arbeitern aufzuweisen habe, als gerade die Textilindustrie. Diese Kämpfe legten der Arbeiterschaft schwere Opfer auf, allein sie bewirkten auch, daß die in der englischen Baumwollindustrie beschäftigten Proletarier gegenwärtig gleich hohe Löhne erhalten, wie die best bezahlten gelernten Arbeitskräfte anderer Gewerke, während sie früher die niedrigst entlohnten der ungelernten Arbeiter waren. Nach den angestellten statistischen Erhebungen über die Durchschnittslöhne sind diese von 1833 bis 1893 um 382 bis 494 Prozent gestiegen, die Arbeitszeit ging dagegen gleichzeitig um 212 Prozent zurück, statt 76 Stunden schaffen die englischen Textilarbeiter nur noch 562 Stunden wöchentlich. Die Thatsache zeigt recht sinnenfällig, daß kurze Arbeitszeit und hohe Löhne Hand in Hand gehen, und daß die gegentheilige Behauptung des Kapitalistenklüngels eitel Flunkerei und Heuchelei ist. Von wesentlichem Einfluß auf die Besserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie war die Fabrikgesetzgebung, welche vom englischen Proletariat in zähem gewerkschaftlichen und politischen Kampfe errungen wurde. Von wesentlichster Bedeutung hierfür war ferner unmittelbar der Kampf der Gewerkschaften gegen das Unternehmerthum. Ihre Erfolge sind zum Theil mit darauf zurückzuführen, daß die weiblichen Arbeitskräfte, die in der Textilindustrie. eine so hervorragende Rolle spielen, der Mehrzahl nach in die Organisationen einbezogen worden sind. Und dies obgleich gerade die Organisirung der Frauen bekanntermaßen mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Im Krempelraum und in den Webeabtheilungen sind meist Frauen und Mädchen beschäftigt, und doch gehören 70 Prozent aller daselbst thätigen Arbeitskräfte den Gewerkschaften an, 95 Prozent der Spinner und 65 Prozent der Anknüpfer sind organisirt. Fabrikgesetzgebung und gewerkschaftliche Organisation haben einander gegenseitig ergänzt und gefördert. und auf Grund des bereits Errungenen hoffen die englischen Textilarbeiter in naher Zukunft den gesetzlichen Achtstundentag zu erringen.
Nach dem Bericht der Weber- und Textilarbeiter- Assoziation von Yorkshire " sind die Wollarbeiter nicht so gut organisirt als ihre Kollegen der Baumwollindustrie. Immerhin gehören gegen dreißig