Nr. 20 der ,, Gleichheit" gelangt am 3. Oktober 1894 zur Ausgabe.
war die Rede Mawdsley's, des energischen Sekretärs der englischen Baumwollspinner. Die politische Aktion der Arbeiter, so erklärte er, die sich in der Wahl eigener Vertreter ins Parlament und in andere Körperschaften zeigen müsse, sei das eine der großen Mittel, um die Löhne zu erhöhen und die Lage der Arbeiter zu verbessern, so lange eben noch das Lohnsystem bestehe; das andere wirksame Mittel zum Zweck seien Trade Unions , die mächtig durch ihre Mitgliederzahl und ihre Geldmittel keine Angriffe zu fürchten hätten. Der Kongreß faßte das Ergebniß der einschlägigen Debatten in folgender Resolution zusammen:
,, Der Kongreß ist der Ansicht, daß die beste Methode, die Löhne zu steigern und überhaupt die Lage der Arbeiter zu bessern, die ist, die Gesammtheit der Arbeiter in Trade Unions mit guten Reservefonds zu organisiren, die im Stande sind, bei günstiger Gelegenheit Lohnerhöhungen zu erringen und Lohnerniedrigungen zu widerstehen; und ferner als Ergänzung dazu, je nach den Umständen für angemessene Arbeitervertretung in den gesetzgebenden Körpern zu sorgen. Der Kongreß protestirt gegen die Gesetze der Länder, in denen es den Trade Unions verboten ist, sich politisch zu bethätigen und fordert die Regierungen dieser Länder auf, die Gesetze aufzuheben, welche die Freiheit beschränken und die Arbeiter dazu zwingen, ungesetzliche Mittel anzuwenden, um ihre Zwecke zu erreichen."
Zum letzten Punkt der Tagesordnung:„ Mittel der internationalen Aktion zur Erreichung des Achtstundentags und höherer Löhne" beschloß der Kongreß die Gründung einer internationalen Föderation aller Textilarbeiter und Arbeiterinnen, Mawdsley wurde zum Generalsekretär und Holmes zum Kassirer der internationalen Organisation ernannt. Beiden steht das Recht zu, sich des Raths und Beistands des„ Legislativenraths der Textilarbeiter Großbritanniens " und der Föderation von Yorkshire " zu bedienen, um die internationalen Geschäfte des Jahres zu führen. Jede Nationalität, die ihren Beitritt zur Föderation erklärt hat, ernennt korrespondirende Sekretäre, welche sobald als möglich ihre Vorschläge für die Konstituirung der Internationalen Föderation der Textilarbeiter" einsenden müssen. Der Generalsekretär hat diese Vorschläge zu prüfen und abzuändern und dem nächsten internationalen Kongreß vorzulegen, der im Juli 1895 in Gent stattfinden soll. Der Antrag der Franzosen , ein internationales Textilarbeiterblatt herauszugeben, wurde als unausführbar abgelehnt.
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Im Anschluß an den Kongreß fand eine von dem Lokalverein der Sozialdemokratischen Föderation" einberufene Massenversammlung statt, welche sich für die Ueberführung der Produktionsmittel in den Gemeinbesitz erklärte und zu einer großartigen internationalen Demonstration gestaltete. Die Arbeiten des internationalen Kongresses zu Manchester werden sicherlich die künftige Aktion der organisirten Textilarbeiter aller Länder vortheilhaft beeinflussen. Sie werden das Ihrige dazu beitragen, daß man in England immer klarer die Nothwendigkeit einer selbständigen politischen Bethätigung der Arbeiter als Klassenpartei erkennt, und daß man sich immer rascher und entschiedener dem sozialistischen Lager zu bewegt. Sie werden das Ihrige dazu beitragen, daß man in den Ländern des Kontinents kräftig für den Ausbau und die Fortentwicklung der gewerkschaftlichen Organi sationen wirkt. Hier wie da wird dann die organisirte Textilarbeiterschaft, ohne Unterschied des Geschlechts sowohl im politischen wie im gewerkschaftlichen Kampfe gleichmäßig ihre volle Pflicht und Schuldig feit thun, und das im wohlverstandenen eigenen Interesse, wie im Interesse der Befreiung des gesammten Proletariats.
Kleine Nachrichten.
Hausarbeit- Hungerlohn. In einem großen Berliner Geschäft für Damenkonfektion erhalten die Heimarbeiterinnen für das Nähen eines Sommerdamenjackets ganze 20 Pfennig, sage und schreibe zwanzig Pfennige. Natürlich müssen die Näherinnen noch den Nähfaden aus der eigenen Tasche zahlen. Wie weit oder richtiger wie nah es von solchem Verdienst noch bis zum Verhungern ist, kann sich Jeder an den Fingern abzählen.
Auswucherung weiblicher Arbeitskraft. In einem Hotel in Garmisch im bayerischen Hochgebirge schlafen während der heißen Sommermonate acht Dienstmädchen in sieben Betten in einem Dachraum, der für gewöhnlich nur als Speicher dient und selbstverständlich ohne Ventilation 2c. ist. Der Raum ist so groß, daß unter normalen Verhältnissen etwa zwei bis drei einschläfrige Betten darin stehen können. Die Mädchen kommen Nachts zwischen zwölf und ein Uhr zu Bett, früh um vier, spätestens fünf Uhr müssen sie wieder aufstehen. Die 18-19 Stunden, welche ihr Arbeitstag dauert, müssen sie meist in der heißen Küche oder in dem Wasch- und Bügelraum zubringen, wo auch eine entsprechend überhitzte, dampf
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geschwängerte und ungesunde Atmosphäre vorhanden ist. Die Zimmermädchen des betreffenden Hotels, ebenso die Kellnerinnen bekommen keinen Lohn, sie sind für ihren Verdienst ausschließlich auf die Trinkgelder der Gäste angewiesen. Die Kellnerinnen haben auch noch die Streichhölzchen für die Gäste auf den Wirthshaustisch zu stellen und das Puyen der Bestecke und Waschen der Gläser zu zahlen. In Partenkirchen mußte im vorigen Jahr ein Bademädchen achtzig Mark in baar für die Saison an den Besizer vergüten. In einem feinen Hotel in der Nähe von Partenkirchen hat die Kassirerin kein Gehalt, dagegen muß sie von ihren Trinkgeldern noch einen Kellner und zwei Kellnerinnen bezw. Wassermädchen bezahlen. Für Vermittelung dieser Stellen, die so einträglich für die Herren Hotelbesitzer sind, haben die Mädchen gewöhnlich noch zwanzig Mark Gebühren zu entrichten. Und angesichts solcher Verhältnisse giebt es Leute, die noch immer nicht begreifen wollen, warum gerade die Kellnerinnen und weiblichen Hotelbediensteten einen besonders hohen Prozentsatz zur Prostitution stellen.
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Von staatlich begünstigter Schmutzkonkurrenz durch Zuchthausarbeit erzählt folgende Bekanntmachung:„ Vom 1. April 1895 ab sind die Arbeitskräfte von etwa 60 Zuchthaus - und 70 GefängnißGefangenen( Frauen), die zu längeren Strafen verurtheilt sind, sowie etwa 50 jüngere Arbeitshaus- Gefangenen, mit Nachhaft bis zu zwei Jahren, zusammen, oder auch jede der drei Abtheilungen für sich, auf mehrere Jahre anderweit zu vergeben. Seither wurden diese Leute mit gröberer und feiner Weißnäherei und Stickerei beschäftigt. Hierauf Reflektirende werden ersucht, ihre auf elsaß - lothringisches Stempelpapier( 40 Pfennig Bogen) geschriebenen Offerten, nebst etwaigen Referenzen und Angaben über Leistungs- und Kautionsfähigkeit, bis zum 20. September cr. früh 9 Uhr franko an die unterzeichnete Direktion einzusenden. Dieselbe ertheilt auch mündlich und schriftlich weitere Auskunft. Hagenau i. E., den 27. Juli 1894. Kaiserliche Strafanstalts- Direktion." Die staatliche Verwaltung der Hagenauer Strafanstalt ist offenbar der Ansicht, daß der Verdienst der freien" Weißnäherinnen und Stickerinnen zu Nutz und Frommen fapitalistischen Profits noch nicht genug an der Grenze der Hungerlöhne steht und sie erachtet es als ihre Pflicht, denselben durch die Schmutzkonkurrenz von Strafgefangenen denn Zuchthausarbeit ist billige Arbeit noch tiefer zu drücken. Welch scharf geschnittene Illustration zu der Rolle des Vater Staat als Hausknecht des Geldsacks.
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Eine Erhebung über das Alter, die Zahl und die Entlohnung der weiblichen Dienstboten in London ist vom englischen Arbeitsamt unternommen worden. Danach erhielten Küchenmädchen ( zur Aushilfe) 240 Mark jährlich, ihr Durchschnittsalter betrug neunzehn Jahre. Mädchen für Alles werden im Mittel mit 310 Mart, Köchinnen mit 440 Mark und Kammerzofen mit 500 Mark im Jahre entlohnt. Die Lohnstala steigt mit dem Alter der Dienstboten. Unter 16jährige Mädchen erhalten 141 Mark, die über 40jährigen weiblichen Dienstboten beziehen einen Durchschnittslohn von 486 Mark. Wie werthvoll würde es nicht für ein gründliches Studium der Lage unserer deutschen weißen Haussklavinnen sein, wenn auch in Deutsch land eine ähnliche amtliche und unanfechtbare Erhebung vorgenommen würde. Aber in Deutschland will man oben die Lage der weißen Hausstlavinnen gar nicht in ihrer schrecklichen Wirklichkeit kennen lernen und vor Allem zur Kenntniß bringen. In Deutschland ist man nur darauf bedacht, die Dienstboten als die Parias der Parias unter der Fuchtel der standalösen, nach Feudalpeitsche duftenden Gesindeordnung zu halten.
Ein Unternehmerparadies ist Japan . Nach dem Jahresbericht des englischen Konsuls in Nagasaki für 1893 heißt es:„ Die Baumwollindustrie entwickelt sich überaus günstig. In Folge der billigen Arbeit können die meisten Fabriken ausgezeichnete Preise erzielen. Der Arbeitslohn in Miiki betrug im letzten Jahre durchschnittlich 17,37 Sen( ungefähr 25 Pfennig!) täglich für den Arbeiter und 7,85 Seu( zirka 10 Pfennig) für die Arbeiterin; in Kagoshima täglich 15,35 Seu für männliche und 5,57 Sen( etwa 7 Pfennig) für weibliche Textilarbeiter. In Miiki und Kurume laufen die Spindeln 23 bis 24 Stunden täglich das ganze Jahr hindurch, mit Ausnahme der Feiertage, während in Kagoshima blos 10% Stunde täglich gearbeitet wird. Wir sind überzeugt, daß sich die europäischen Textilbarone am liebsten hängen möchten vor Aerger, daß sie es im Punkte der Länge der Arbeitszeit und der Hungerlöhne noch nicht bis zu dem Ideal kapitalistischer Ausbeutung proletarischer Arbeitskraft gebracht haben, wie es ihre Herren Kollegen in Japan verwirklicht haben.
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