Nr. 23 der Gleichheit" gelangt am 14. November 1894 zur Ausgabe.
Einen wie des Anderen auf bedenklichen Trugschlüssen auf. Wir, die wir in unserer Auffassung nicht durch den vorurtheilsvollen bürgerlichen Standpunkt beirrt werden, weisen auf Thatsachen über Thatsachen hin, welche den Zusammenhang zwischen Elend und Schmach klärlich erhärten und rufen beiden Genannten zu:" Wozu in die Ferne schweifen, seht, die Ursache des Schlechten liegt so nah!"
Kleine Nachrichten.
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Leist's ,, Fehltritt." In der zweiten Hälfte des Oktober stand der Frauenpeitscher und Frauenschänder Leist vor der Disziplinarkammer zu Potsdam vor Gericht. Unseren Leserinnen und Lesern wird der Sachverhalt genügend aus der Tagespresse bekannt sein, sie werden auch wissen, daß der den Behörden durch die öffentliche Meinung aufgezwungene Prozeß mit einer so lächerlich geringen Verurthei lung des Angeklagten endigte, daß sie wie eine Freisprechung aussieht, um nicht zu sagen wie eine Prämie, in unseren Kolonien Frauen zu knuten und zu vergewaltigen. Leist wurde als„ tüchtiger, pflichtgetreuer Beamter" herausgestrichen, dessen Schandthaten keine Vergehen im Amte seien", deshalb nur leichteste Ahndung erheischten und auch diese nur, wie im Verlaufe der Verhandlungen klar hervortrat, weil durch seine" Thaten" die Ehre des deutschen Namens im Auslande kompromittirt worden sei. Die nämliche Auffassung klingt auch durch den größten Theil der bürgerlichen Presse durch. Daß der Bube Leist Frauen peitschen ließ, daß er Frauen schändete, das ist ländlich sittlich. Aber daß er sich dabei erwischen ließ, darin lag sein„ Fehltritt". Nicht seine Thaten, das Bekanntwerden derselben kompromittirte den deutschen Namen dem Ausland gegenüber, kompromittirte die deutsche Kolonialpolitik, d. h. die Geldsacksinteressen der deutschen Kapitalisten im Ausland. Im Uebrigen ist Leist ein ehrenwerther Mann". Diese Auffassung wundert uns nicht seitens einer Gesellschaft, welche in der reichen Frau nichts als das Lustthier und die Repräsentationspuppe sieht, in der armen Frau aber das Lustthier und Lastthier zugleich.
Kapitalistische Profitgier und Schweinerei. Als jedem Schamgefühl Hohn sprechend, ja als geradezu schweinisch müssen die Zustände bezeichnet werden, welche in der Kammgarn- Spinnerei zu Zwößen bei Gera bis vor Kurzem herrschten und auch jetzt wohl noch zum Theil weiter bestehen dürften. Früher waren in dieser Fabrik für 140 Arbeiter hinter einer Art Bretterverschlag im Spinnsaal zwei Aborte vorhanden, welche, da jeder Abzug und Zuzug von Luft fehlte, einen abscheulichen Geruch verbreiteten. Anstatt Abhilfe zu schaffen, ließ die Direktion diesen Sommer vier Löcher in den Asphaltboden hauen, wo die Arbeiter ohne jede Sihvorrichtung ihre Nothdurft verrichten sollten. Vor den Löchern war weder Verschluß, noch Thür, so daß die dort Kauernden den Blicken jedes Eintretenden preisgegeben waren. Was den„ ungebildeten" Arbeitern recht sein sollte, war natürlich den„ gebildeten" Herren Vorgesetzten nicht billig. Diese benutzten nämlich für ihre Befriedigung nicht die Löcher sondern die Retirade für Frauen und Mädchen, wo die Abortverschläge ebenfalls der Thür ermangeln! Die Neuerung wurde damit begründet, daß die Arbeiter sich früher zu lange auf dem Abort aufgehalten hätten. Man kann sich denken, wie groß die Versuchung der Arbeiter gewesen ist, länger als nöthig in dem verpesteten Raume zu bleiben. Die Arbeiter waren mit Recht über die Neuerung entrüstet, und in der„ Reußischen Tribüne" erschien eine Notiz, welche die betreffenden Mißstände charakterisirte. Der Erfolg davon war, daß zwei Spinner und ein Anleger aus der Arbeit entlassen wurden, weil die Direktion sie im Verdacht hatte, jene Notiz veranlaßt zu haben. Die Arbeiter hielten nun eine Besprechung ab und forderten Umänderung der Aborte und Wiedereinstellung der Gemaßregelten. Die Direktion bewilligte die erste Forderung, wollte jedoch von der zweiten nichts wissen, da man" Profeschore und Prädikante im Geschäft nicht dulden könne." Die Kündigung wurde trotzdem und bezeichnend genug bei einem Spinner zurückgenommen, der dem Verband der Textilarbeiter nicht angehört. In einer großen öffentlichen Versammlung, der Obermeister, Meister und andere Beamte der Spinnerei beiwohnten, wurden die daselbst herrschenden Zustände einer scharfen und nicht widerlegten Kritik unterzogen. Abgesehen von den schweinischen Abortsverhältnissen wurde konstatirt, daß das Trinkwasser miserabel ist, daß die Arbeiter bei der elfstündigen Nachtschicht nur 20 Minuten Pause haben, während welcher die Anleger die Zylinder puzen müssen, daß zum Aufbewahren des Brotes nur die an den Maschinen angebrachten Wollkästen vorhanden sind, so daß die Arbeiter Brot mit daranhängender Wolle genießen müssen 2c. Ist denn in
Zwözzen kein Fabrikinspektor da? Und wo bleibt die hohe, die löbliche Polizei, die doch sonst als berufene Hüterin der Beobachtung gesetzlichen Vorschriften mit Eifer eingreift? Wir leben ja in einem Rechtsstaat so wird uns versichert und auch eine millionenreiche Kammgarnspinnerei steht gewiß unter, nicht über dem Recht. Oder doch?
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Kapitalistische Schwärmerei für das ,, Ewig- Weibliche". Bei dem Bau des neuen Schwur- und Landgerichtsgebäudes in Gera werden Frauen zu Arbeiten verwendet, die eigentlich nur von körperlich starken Männern verrichtet werden sollten. Das Unternehmerthum schwärmt nie inniger für das Ewig- Weibliche, als wenn es sich mittelst desselben zu den Höhen fetterer Profite„ hinanziehen" lassen kann.
Erweiterung der weiblichen Berufssphäre. In einer Berliner Kunsttischlerei ist seit Ende Juli der erste weibliche Tischlergeselle thätig. Es ist dies eine junge Dame aus Kopenhagen , welche ein Staatsstipendium zum Zwecke ihrer weiteren professionellen Ausbildung erhält und diese in Berlin , Wien , Paris und London zu suchen gedenkt.
Luftsklaven.
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Fabriksklaven In den Krimmitschauer Webereien ist die Lage der Arbeiterinnen eine äußerst traurige. Ihr Verdienst ist in der Regel ein sehr niedriger und steht hinter dem der Männer noch weit zurück, Wochenlöhne von fünf Mark sind feine Seltenheit. Lohnabzüge, oft von bedeutender Höhe, sind an der Tagesordnung. Damit nicht genug. Die Herren Fabrikanten und Vorgesetzten erachten es vielfach als ihr Recht, die als proletarische Arbeitskraft ausgebeutete Arbeiterin auch noch als Frau auszunutzen, zu ihrer Lustsklavin zu machen. Aus Furcht, in Folge der Entlassung aus der Arbeit das Stück trocken Brot zu verlieren, wagen die Arbeiterinnen den Paschagelüften der Herren keinen Widerstand entgegen zu setzen. Freie Liebe ", Vielweiberei, Weibergemeinschaft sind in unserer äußerlich anständigen, ja spießbürgerlich- zopfigen Gesellschaft stehende Einrichtungen, die erzeugt und genährt werden durch den Reichthum und die Macht der Einen, durch die Noth und die Abhängigkeit der Anderen.
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Arbeiterinnenloos
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traurig Loos. In Wandsbeck beträgt der durchschnittliche Wochenlohn der Arbeiterinnen 8 Mark 40 Pfennig. Eine unverheirathete Arbeiterin muß in dieser Stadt für Kost und Logis wöchentlich mindestens 6 Mark bezahlen. Im günstigsten Falle bleiben ihr also 2 Mark 40 Pfennig, von denen sie bestreiten muß: die Beiträge für Kranken-, Alters- und Invalidenversicherung, Frühstück- und Vesperbrot, Wäsche, Kleidung, Schuhwerk, Beleuchtung, Beheizung und sonstige Ausgaben, die auch bei den verschiedensten Ansprüchen unvermeidlich sind. Man kann sich an den Fingern abzählen, wie unendlich traurig und entbehrungsreich sich bei obigem Verdienst das Loos der ledigen Arbeiterinnen gestaltet, die für ihren Unterhalt ausschließlich auf ihren Erwerb angewiesen sind.
Einen Beitrag zum unerschöpflichen Kapitel der Hungerlöhne greifen wir aufs Gerathewohl aus dem letzten Jahresbericht der sächsischen Fabrikinspektoren heraus. Nach demselben hatten in einem bedeutenden Färbereibetrieb die 24 erwachsenen männlichen Arbeiter einen Wochenlohn von 8-10 Mart, die 8 erwachsenen Arbeiterinnen einen solchen von 6 Mark! Daß eine Arbeiterin, welche von ihrer Familie nicht unterstützt werden kann und die Zahl Derer, für welche die Erwerbsarbeit zwar einen Zuschuß zu den Existenzkosten zu liefern hat, wird immer kleiner mit einer wöchentlichen Einnahme von sechs Mark auch nicht die nackte Existenz zu fristen vermag, liegt auf der Hand. Die Noth aber macht den Absturz in die Schande leicht. Es gehört die ganze Verbohrtheit und Unkenntniß der satten Tugend dazu, den innigen Zusammenhang zwischen materiellem Elend und moralischem Fall zu verkennen.
Erweiterung des Arbeiterinnenschutzes in Zürich . Das neue Arbeiterinnenschutzgesetz für den Kanton Zürich , über das wir bereits mehrmals berichteten, ist am 12. August in einer Volks- Abstimmung angenommen worden. In sämmtlichen Bezirken fand das Gesetz eine Mehrheit. In den Städten Zürich und Winterthur war die Zahl seiner Gegner sehr klein; in Zürich betrug die Mehrheit für das Gesetz das Zehnfache der Minderheit; in Winterthur das Siebenfache. In England und der Schweiz baut man den gesetzlichen Arbeiterschutz langsam weiter aus, in dem mit seiner„ Sozialreform" prunkenden Deutschland wird dagegen der winzige, gesetzlich festgelegte Arbeiterschutz nur durchlöchert und rückwärts ❝revidirt".
Quittung.