also Leute, welche die Uebermacht der großkapitalistischen Be­triebe den gewerkschaftlichen Organisationen gegenüber kennen, welche behufs Schutzes der Arbeiterschaft gegen die Kartelle die Nothwendigkeit betonten, den gewerkschaftlichen Kampf durch den politischen zu ergänzen.

Von höchstem Interesse waren die Debatten über die Haltung der sozialistischen   Landtagsabgeordneten in Sachen der Etatabstim­mung. Veranlaßt wurden dieselben bekanntlich dadurch, daß die sozialistische Fraktion im bayerischen Landtage dem sogenannten Finanzgesetz ihre Zustimmung gegeben hat, während im Reichstag  die Sozialisten sich bei der Abstimmung über das Gesammtbudget grundsäßlich ablehnend verhalten. Auf diese verschiedenartige Haltung gründeten die Gegner der Sozialdemokratie seit Monaten die Hoff= nung auf eine Spaltung, welche ihnen mit der Regelmäßigkeit des Mädchens aus der Fremde mit jedem Jahr wiederkehrt. Der Parteitag sollte in der Frage entscheiden, und er hat entschieden, wenn auch nicht formell, so doch dem Wesen nach deutlich genug. Dem sich an die Oberfläche der Dinge haltenden Hörer der Debatten, die oft sehr hiẞig und zumal seitens der Bayern   von Anfang an recht persönlich zugespitzt geführt wurden, mochte es wohl scheinen, als ob es sich um einen persönlichen Gegensatz handele zwischen Vollmar und Bebel  , beziehungsweise den das Recht der nationalen Individualität vertheidigenden Bayern   und den vom preußischen Korporalgeist" erfüllten, schablonisirenden Berlinern. Aber in Wirk­lichkeit drehten sich die Debatten um gegensätzliche Auffassungen einer taktischen Frage; Meinungsverschiedenheiten waren wohl vorhanden, aber nicht die Anfäße einer Spaltung. Bebel, Auer und andere Redner machten mit Recht geltend, daß Sozialisten grundsäßlich stets ihre Zustimmung zu dem Etat eines Staats verweigern müssen, weil sie als Gegner der heutigen politischen Ordnung nicht die Mittel bewilligen dürfen zur Erhaltung des Klassenstaats, und weil sie den Regierungen, als Verwaltungs­ausschüssen des Klassenstaats, in Gestalt der Zustimmung zu dem Gesammtbudget nicht ein Vertrauensvotum geben können. Die bayerischen Genossen vertraten dagegen die Ansicht, daß unsere gegensägliche Stellung zum Klassenstaat aus der ge­sammten Thätigkeit der sozialistischen   Vertreter innerhalb eines gefeßgebenden Körpers hervorgehen müsse, und daß die Annahme oder Ablehnung des Etats eine Frage der reinen Zweckmäßigkeit sei. Aus Zweckmäßigkeitsrücksichten habe die bayerische sozialistische Landtagsfraktion für das Finanzgesetz gestimmt, denn der bayerische Bauer würde ein ablehnendes Votum nie und nimmer verstanden haben. Unseres Erachtens nun haben Vollmar, Grillenberger 2c. im Laufe der Debatten auch nicht einen einzigen stichhaltigen sach­lichen Grund für ihre Haltung angeführt. Und gerade mit Rück­sicht auf die so stark betonte Zweckmäßigkeit bedünkt uns, daß der Bauer, der kein leidenschaftlicher Freund vom Zahlen ist, weit eher begreifen wird, warum die Sozialdemokraten gegen das Gesammt­budget stimmen, als für dasselbe. Indem der Parteitag die von den bayerischen Genossen eingebrachte und ihrer Auffassung ent­sprechende Resolution mit 141 gegen 93 Stimmen ablehnte, trat er dem Wesen nach dem von Bebel   entwickelten Standpunkt bei. Daß derselbe nicht formell zur bindenden Nichtschnur für die parla­mentarischen Vertreter der Partei erhoben wurde, erklärt sich dadurch, daß die Mehrzahl der Delegirten jede Beschlußfassung vermeiden wollte, die auch nur entfernt wie ein Tadelsvotum gegen die bayerischen Genossen gedeutet werden konnte, deren energische Thätig­keit rückhaltslose Anerkennung fand. Wir sind überzeugt, daß auch ohne den Abschluß durch eine verpflichtende Resolution die gepflogenen Debatten bewirken werden, daß die Haltung der Sozialisten in den Einzellandtagen hinsichtlich der Etatabstimmung fünftighin der Haltung der Reichstagsfraktion entspricht.

Bezüglich der Haltung der parlamentarischen Vertreter der Sozialdemokratie hatte der Parteitag noch eine andere Streitfrage zu entscheiden. Als im badischen Landtag die Entscheidung über den Antrag des Zentrums fiel, die Ausnahmemaßregeln gegen die Orden und Missionen aufzuheben, hatte sich der sozialistische Ab­geordnete Dr. Rüdt in seiner Eigenschaft als Freidenker der Ab­stimmung enthalten. Der Parteitag sprach ihm deswegen ein energisches Tadelsvotum aus, da er in dieser Haltung einen Ver­

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stoß gegen zwei Parteiprinzipien erblickte: einen Verstoß gegen unsere prinzipielle Bekämpfung aller Ausnahmemaßregeln und einen Verstoß gegen unseren Programmpunkt Religion ist Privatsache". Wie ernst es der Partei mit letterem Grundsatz ist, erhellt auch daraus, daß der Parteitag mit großer Majorität durch Uebergang zur Tagesordnung sämmtliche Anträge ablehnte, die den betreffen­den Passus unseres Programms geändert oder gestrichen wissen wollten.

Der Bericht über die Thätigkeit des Parteivorstandes gab nur zu Debatten über einen unwesentlichen Punkt Anlaß. Dafür waren diese Debatten breit und unerquicklich genug: sie kreisten um die von der bürgerlichen Presse bis zum Ueberdruß ausgeschlach­teten Frage der Gehälter von Parteibeamten. Während in der Partei der Grundsatz gilt, daß die in ihrem Dienst stehenden Hand­arbeiter nach den für ihre Berufsart üblichen günstigsten Bedingungen entlohnt werden, sollten nach den Anträgen Berliner   und Ham­burger Parteigenossen die Gehälter geistiger Arbeiter Redakteure, Reichstagsabgeordnete, Verwaltungsbeamte unter ein bestimmtes Niveau hinabgedrückt werden. Der Parteitag lehnte die betreffenden Anträge mit großer Majorität ab, in der Erkenntniß, daß die Partei nicht mit zweierlei Maß messen dürfe, und daß sie die Höhe der Beamtengehälter nach dem Werth der geforderten und erhaltenen Leiſtung bemißt.

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Bezüglich der Maifeier hielt der Parteitag den Beschluß seines Vorgängers aufrecht. Als bezeichnend muß aber hervorgehoben werden, daß sich dieses Jahr auch nicht eine Stimme für Ver­legung der Manifestation auf den ersten Sonntag des Mai erhob.

Dem Parteitag lagen wie stets eine große Anzahl von An­trägen vor, von denen die weitaus meisten gewerbepolitischer Natur waren, den Ausbau und die Reform des Gewerbeinspektorats durch das Reich forderten, die weitere Ausgestaltung des gesetzlichen Ar­beiterschutzes im Sinne der sozialistischen   Forderungen, die Reform der Alters- und Invaliditätsversicherung, eine einheitliche Regelung der Arbeiterversicherung, eine durchgreifende Statistik über Arbeits­verhältnisse, die Abschaffung der Gesindeordnung und Unterstellung der Dienstboten unter Arbeiterschutzgesetze 2c. 2c. Ein Theil dieser Anträge wurde angenommen oder der Reichstagsfraktion überwiesen, und wir lassen an anderer Stelle die von ihnen folgen, welche besondere Reformen zu Gunsten der Arbeiterinnen fordern oder die Arbeiterinnen besonders interessiren. Ohne Zwischendeuterei zu treiben, kann man aus der großen Zahl der gewerbepolitischen An­träge schließen, daß das deutsche aufgeklärte Proletariat mit dem jeweiligen Stand der sozialen Gefeßgebung höchst unzufrieden ist, diesbezügliche ernste Reformen für wichtig und dringend nothwendig erachtet und entschlossen ist, dieselben unter Führung der Sozial­demokratie im zähen Kampfe den herrschenden Gewalten abzuringen.

Der sozialistischen   Frauenbewegung, die sich in engster Ideen­und Kampfesgemeinschaft mit der allgemeinen sozialistischen   Be­wegung entwickelt, wurde durch mehrere Beschlußfassungen die im Interesse der Partei selbst liegende kräftigste Förderung zugesichert. Die innige Solidarität, welche die deutsche Sozialdemokratie mit den Bruderparteien der anderen Länder verknüpft, fand ihren Aus­druck in Delegationen und Sympathieadressen derselben. Die Ge­nossen Dr. Adler, Silberberg und Van Kol überbrachten dem Parteitag die Grüße und Wünsche der österreichischen, ungarischen und holländischen Sozialdemokratie.

Eröffnet und geschlossen wurde der Parteitag unter dem Hin­weis auf die dem deutschen   klassenbewußten Proletariat drohende Reaktion. Und wie in seiner Eröffnungsrede Liebknecht mit stolzer Genugthuung die Thatsache konstatirte, daß die 12 Jahre Schand­gesetz die deutsche Sozialdemokratie aus Eisen zu Stahl gehämmert haben, so konnte Singer in seinem Schlußwort mit voller Be­rechtigung versichern, daß die Sozialdemokratie allen reaktionären Maßregeln zum Troz fortkämpfen werde, bis der Feind matt gesetzt sei.

In gewissenhafter Erwägung hat die Sozialdemokratie auf ihrem lezten Parteitage ihre inneren Angelegenheiten geordnet; im Bewußtsein ihrer inneren und äußeren Stärke hat sie durch den Beschluß über die Agrarfrage einen neuen Laufgraben gegen die bürgerliche Gesellschaft eröffnet; in stolzer Siegeszuversicht stehen