Nr. 24 der ,, Gleichheit" gelangt am 28. November 1894 zur Ausgabe.
Daß die fetten Pfründen der Hausbesitzer hauptsächlich durch Arbeitergroschen aufgebracht werden, ergiebt sich schon daraus, daß das arbeitende Volk den weitaus größten Theil der Einwohnerschaft ausmacht. Außerdem sind es aber gerade die kleinen Wohnungen, welche der meisten Steigerung des Miethzinses unterworfen sind. Die Massen des werkthätigen Volkes drängen sich nach den Städten, die Vermehrung der städtischen Arbeiterbevölkerung ist demnach eine größere, als die Vermehrung der Zahl der Reichen, und in der Folge giebt es eine weit stärkere Nachfrage nach kleinen Wohnungen. Die Hauseigenthümer nützen diese entstehende Wohnungsnoth rücksichtslos aus und steigern deren Preise.
Die Stadt Leipzig zeigt in dieser Beziehung von 1885 bis 1890 folgende Entwicklung:
Miethpreisklassen
gestiegen bei
Der Miethpreis ist
gefallen bei
Bis 400 Mt. 57,3 Proz. der Wohnungen 14,9 Proz. der Wohnungen
401-600
45,9
26,6
" 1
"
"
"
"
"
"
601-1000
" 1
32,6
43,5
"
"
"
"
"
"
1001-1500
11
28,7
"
"
"
48,1
"
" 1
"
1501-2000
"
2001-6500
"
29,4 24,7
"
"
"
48,7
"
"
"
49,5
"
"
"
"
"
"
Je größer die Wohnungen, desto weniger Fälle der Steigerung des Miethzinses und desto mehr solche seiner Ermäßigung sind zu verzeichnen. Den Reichen wird die Wohnung verbilligt, den Armen vertheuert. Wenn man die Gesammtmiethsummen für sämmtliche Häuser jeder Miethpreisklasse, ohne Unterschied der Steigerung oder Ermäßigung, zusammenrechnet, so ergiebt sich folgender Unterschied zwischen 1880 und 1890: die Wohnungen mit einem Miethpreis bis 100 Mark sind um 15 Prozent im Miethzins gestiegen, die Wohnungen mit 101-200 Mark sind um 9 Prozent gestiegen, die mit 201-300 Mark um 6 Prozent, diejenigen im Preise von 301 bis 400 Mark um 5 Prozent, die von 401-500 Mark um 3 Prozent, solche von 501-600 Mark um 1½ Prozent, der Miethzins der Wohnungen dagegen, die über 600 Mark im Preise stehen, ist gesunken.
Die prozigen Hausbesizer greifen immer tiefer in den schmalen Beutel der Arbeiterfamilie hinein. Was sich Mann und Frau vom Munde absparen, das müssen sie dem feisten, nichtsthuenden Hauspascha abliefern. Wie ist dem abzuhelfen? Einzig und allein dadurch, daß man die Grundlage dieser Art der Ausbeutung vernichtet, das Privateigenthum an Grund und Boden. Aber diese Art der Ausplünderung des werkthätigen Volfs ist nur eine Abart der kapitalisti schen Ausbeutung überhaupt. Nur die Ueberführung sämmtlicher Produktionsmittel in den Volksbesitz schafft deshalb gründlichen Wandel, vernichtet das ganze ruchlose System, das jede Ausbeutung der arbeitenden Masse mit Naturnothwendigkeit zeitigt.
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Vom Himmel fiel ein goldner Pflug", Berichten alte Völkersagen. Warum? Es bracht' in frühen Tagen Das Feld dem Bauern Gold genug. Die Wildniß brach er mit dem Pfluge, Bald wuchs die Achre golden drauf, Es schossen Baum und Rebe auf Und boten goldnen Wein im Kruge . Vorüber ist die schöne Zeit;
Was kann uns noch der Acker spenden, Und stehn wir auch mit fleiß'gen Händen Schon vor dem Morgenroth bereit? Wir düngen ihn mit unserm Schweiße, Und wenn die Ernte reichlich war, So loben wir das gute Jahr Die Börse aber macht die Preise. Nicht des Kometen Schweif und Stern Kann vollen Saft dem Weinberg geben. Wir Bauern haben freilich Reben, Allein der Wein gehört den Herrn. Vor Kälte bangt uns und vor Nässen. Ob einmal günstig der Ertrag, Es kam hernach der Martinstag, Hat wie ein Wolf ihn aufgefressen. Ein gutes Jahr, ein schlechtes Jahr, In schlechten Jahren muß man borgen, In guten Jahren hat man Sorgen Für Zins, der im Verzuge war. So sehn wir unser Geld verfliegen; Was bleibt, ist zum Erbarmen fast. Aufs Gütlein drückt die schwere Last Der Briefe, welche auf ihm liegen.
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Da kommt das Gütlein auf die Gant; Die Bieter haben sich verschworen, Es gehen Haus und Heim verloren, Der Arme wird ein Lump genannt. Mit Weib und Kindern mag er ziehen In eine ferne, fremde Stadt, Ob sie für ihn ein Plätzchen hat Mag übers Meer der Schand' entfliehen. Wir brauchen einen goldnen Pflug, Wie ihn gerühmt die alten Sagen, Dann wird die Arbeit wieder tragen Die goldne Frucht, die einst sie trug. Daß er vom Himmel niederfalle
Ein zweites Mal, wer glaubt es? Nein! Es muß ein neu Geräthe sein:
Das schmieden wir uns selber Alle!
Kleine Nachrichten.
Die schamlose Ausbeutung der Kellnerinnen erhellt aus den Anträgen, welche sieben Züricher Arbeiterinnen- und Frauenvereine zu einem diesbezüglichen, in Berathung stehenden Gesetzentwurf einbrachten. Die Vereine fordern, daß es Mädchen unter 20 Jahren gesetzlich verboten werde, den Kellnerinnenberuf auszuüben, daß die Arbeitszeit der Kellnerinnen nicht länger als bis 11 Uhr Nachts dauern dürfe, und daß eine tägliche Ruhezeit von mindestens acht Stunden und eine wöchentliche Freizeit von nicht weniger als sechs Stunden gesetzlich festgelegt werden müsse. Außerdem soll der Sonntag Vormittag bis 11 Uhr freigegeben werden. Welch hohen Grad muß die Ausbeutung der Arbeitskraft der Kellnerinnen erreicht haben, daß die Verwirklichung so bescheidener Forderungen als wünschenswerthe Reformen angestrebt wird. Bei uns im Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte" ist die Ausbeutung der Kellnerinnen feine geringere, und diese Ausbeutung zeitigt bekanntlich die scheußlichsten Sittenzustände. Aber bei uns ist man nicht so einsichtig, wie die„ gottverlassenen" republikanischen Züricher Gesetzgeber, der Ursache dieser offiziell beheulmeierten Zustände, der Ausbeutung der Kellnerinnen, wenigstens in etwas Schranken zu ziehen.
Fabrikantenkniffe zum Zwecke der Lohndrückerei. In Plauen verdienen die an Schiffchenstickmaschinen thätigen Arbeiterinnen bei 11-13 Stunden täglicher Arbeitszeit gegenwärtig bei flottem Geschäftsgang 11-13 Mart Wochenlohn. Das ist gewiß nicht übermäßig viel, allein den Fabrikanten erscheint die angegebene Summe nichts destoweniger als so ungeheuerlich hoch, daß sie ,, einen normalen Lohn" von 10-11 Mark pro Woche durch die Zufuhr auswärtiger Arbeitskräfte, d. h. durch die Schmutzkonkurrenz herbeiführen wollen. Der Plauensche Fabrikantenverein der Stickerei- und Spizenindustrie hat die eminent kulturwürdige, menschenfreundliche und profitdienliche Mission übernommen, die Herren Unternehmer mit billigem weiblichen Maschinenfutter zu versorgen. Im Voigtl. Anzeiger" fordert der Verein die Fabrikanten auf, anzugeben, wieviel weibliche Arbeitskräfte sie gebrauchen können, damit solche in genügender Zahl von dorther, wo wenig Arbeitsgelegenheit sei( lies: wo sich die Arbeiterinnen mit Hundelöhnen begnügen), herangezogen werden. Die auf solche Arbeitskräfte reflektirenden Fabrikanten müssen sich verpflichten, dieselben 8-14 Tage gegen wöchentliche Vergütung von 6 Mark anzulernen. Es hat von jeher zu den Kniffen des Kapitals gehört, Arbeitskräfte, die niedrigere Lebensgewohnheiten haben und billiger sind, gegen höher entlohnte Arbeitskräfte auszuspielen und für das Anschwellen der industriellen Reservearmee zu sorgen zum größeren Ruhm des dreimal heiligen kapitalistischen Profits.
Warum sich Frauen prostituiren, wird durch folgende Annonce des Berliner„ Lokal- Anzeigers" illustrirt:„ Dame 22, die ermattet dem Kampf ums tägliche Brot unterliegt, wünscht die Bekanntschaft eines alten, reichen Herrn, behufs Heirath." Kommentar dazu überflüssig.
Erweiterung der weiblichen Thätigkeitssphäre. Die Frau eines Küstriner Kaufmanns, der ein bedeutendes Schuhwaarengeschäft betreibt, hat sich in Wien als Schuhmacher ausgebildet. Sie hat ihre Meisterprüfung so gut bestanden, daß ihr ein Diplom und eine silberne Medaille zuerkannt wurden.
Quittung.