204In Magdeburg wurde Genossin Palm zu einem Monat Ge-fängniß verurtheilt wegen Aufreizung zu Gewaltthätigkeiten. Diebetreffenden Verhandlungen legen rühmliches Zeugniß ab von deroffenbar großen Vielseitigkeit des die Anklage führenden Staatsanwalts. Dieser Herr scheint in der spiritistischen Kunst des Gedankenlesens ebenso beschlagen zu sein, wie in der juristischen Wissenschaft der Gesetzesauslegung. Er war nämlich der Ansicht, daß dieAngeklagte bei ihren Aeußerungen über eine Revolution zwar vongeistigen Waffen gesprochen, aber an andere Waffe» gedachthätte. Der aufreizende Charakter ihrer Hetzereien erhelle auch daraus,daß laut der Aussage des Gemeindedieners Scheel während ihrerAusführungen„die Brust der Anwesenden auf- und niedergewogthabe". Angesichts der sinnig und minnig erkannte» gewaltthätigenGedanken der Genossin Palm und der staatsgefährlich wogenden Brustder Anwesenden konnte, so will uns bedünken, an der Schuld der Angeklagten wohl kein Zweifel sein, und sie wurde verdonnert—„vonRechts wegen". Wie man aus diesem Urtheil ersieht, ist die Verschärfung des gemeinen Rechts, alias ein Knebelgesetz zur Bekämpfung desUmsturzes, thatsächlich von dringendster Nothwendigkeit.Das Maullwrbgesetz.Vertraut, ach wie holdselig vertraut lächelt der kapitalistischen Dreieinigkeit des Schlot-, Kraut- und Börsenjunkerthums aus dem neuestenKurs der älteste Kurs entgegen. Das ist die nämliche lakaienhafteBereitwilligkeit, durch Knebelung der Sozialdemokratie die Arbeiterpolitisch mundtodt zu machen, sie als Produzenten und Konsumenten demProtzenthum zur schonungslosesten Auspowerung zu überliefern. Dasist das nämliche gesellschaftsretterische Räuspern und Spucken, das derhohenzollernsche Exhausmeier, der Mann der Eisen-, Blut- und Schmutzpolitik mit der Täppigkeit eines schlechten Komödianten übte. Das istlast,»ot least(zu letzt, aber nicht am wenigsten) das nämliche bodenlose,rathlose Unverständniß gegenüber den Zeichen und Problemen, welchesich aus dem Schooße der fortschreitenden Entwicklung unserer Wirth-schafts- und Gesellschaftsverhältnisse loswinden. Kläglicher als durchdie seitens der Reichsregierung dem Parlament zugestellten Vorlagezur Bekämpfung des Umsturzes hätte die herrschende Kapitalistenklasseihren politischen Bankerott nicht eingestehen können. Feigenblattloserals durch sie konnte der Charakter des Staats, als eines politischenVerwaltungsapparates des Geldsacks kaum zum Ausdrucke gelangen.Unter welchem Gesichtswinkel auch immer man die beantragte„Ausgestaltung" des gemeinen Rechts betrachtet, sie muß jedem Unbefangenenals gleich ungeheuerlich erscheinen. Das dürftige Bischen an Rede-und Preßfreiheit, dessen man sich in Deutschland erfreut— die Rede-und Preßfreiheit mit findigen Richtern und schneidigen Bütteln zurSeite— soll vollends erdrosselt werden.Nach der geforderten Reform kann derjenige, welcher bestimmte,bunt ausgewählte Vergehen oder Verbrechen„öffentlich anpreist oderals erlaubt hinstellt", genau so bestraft werden, wie die Person, welchedazu anstiftet. Der Anstifter zu strafbaren Handlungen aber verfällt dem Gesetz, auch wenn sein Vergehen keine Folgen zeitigt.Wer den Unglücklichen entschuldigt, der aus bitterer Roth ein Brotstahl, wird straffällig. Wer öffentlich gewisse Stellen aus Schiller'sRäubern, Wilhelm Tell und anderen Klassikern zitirt, muß fürchten,dem strafenden Arm der Dame Justitia zu verfallen. Und schwersaust dieser Arm auf die Misselhäter nieder, züchtigt sie mit Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängniß bis zu einem Jahre bezw.drei Jahren.Mit Gefängniß von 1 Monat bis zu 3 Jahren soll verurtheiltwerden, wer ein Mitglied des aktiven Heeres oder der aktiven Marinezur Theilnahme an Bestrebungen verleitet,„welche auf den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichtet sind". Nichtskann aber eventuell unseren so feinsinnigen Herrn Juristen weniger Beschwer machen, als nach dem Motto„Eins, zwei, drei, Geschwindigkeit istkeine Hexerei"„gerichtsnotorisch" festzustellen, daß die Sozialdemokratiedie Partei des gewaltsamen Umsturzes unserer herrlichen Staatsordnungist. In welchem Umfange in der Folge schwere Straffälligkeit eintretenkann, liegt auf der Hand. Eine Genossin, die ihren Schatz in zweierleiTuch zu einem sozialdemokratischen Vergnügen einführt, um dort mitihm zusammen das Tanzbein zu schwingen, kann solch staatsumstürz-lerisches Unterfangen schwer büßen müssen. In sachlichem Zusammenhange mit den betreffenden revidirten Bestimmungen des gemeinenRechts steht eine Verschärfung des Militär-Strafgesetzbuches. Ihr zuFolge kann über Personen des Beurlaubtenstandes während ihrer Beurlaubung durch ein besonderes Verfahren des Militärgerichts Dienstentlassung oder Degradation verhängt werden, wenn die Betreffendenwegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, wegen Vergehen undVerbrechen wider die öffentliche Ordnung ec. zu einer Gefängnißstrafevon mehr als sechs Wochen verurtheilt worden sind. Das„Volk inWaffen" soll der Reaktion erhalten bleiben zu Heldenthaten ä lu Fuchsmühl gegen das Volk in Fabrik und Werkstatt, auf dem Feld und imBergwerk. Der Soldat ist bekanntlich durch den Besitz des bunten Rockesder zivilen Kanaille bei Weitem„vorgezogen". Mit Begeisterung wirder zum Dank für seine bevorrechtete Stellung auf die armselige politische Bewegungsfreiheit verzichten, deren sich der„Unterthan" zweitenGrades im Lande der Denker und Dichter erfreut.im Glänze von Hunderten von Kerzen; phantastische Schatten kriechendie Steinfließen und Wände der Seitengänge entlang. Duftige, zarteWeihrauchwölkchen umlagern den Altar und fliegen in feinem Ge-kräusel und Geschlinge aufwärts, bis zu den geschnitzten, pausbäckigenEngelsköpfchen da oben.Orgelton fluthet durch die Halle. Ein wehmüthiges, sehnsuchtsvolles Seufzen und Schluchzen der Töne ist's. Ein eindringlichesBitten, Suchen und Ringen. Das kommt aus der Tiefe und klettertund rankt sich höher, immer höher, in unruhigem, verzehrendemSehnen und Hoffen. Plötzlich aber braust die Melodienfluth inmächtigem Jubel empor:„Zu Bethlehem geboren, ist uns ein Kindelein". Der unsichtbare Chor setzt ein. Helle Kinderstimmen singeneins der uralten Marienlieder, wie sie in ihrer süßen, mystischenPoesie nur der naive, innige Kinderglauben längst vergangener Geschlechter schaffen konnte. Der Priester liest das Evangelium von derwundersamen Geburt zu Bethlehem:„Und Maria gebar ihren erstenSohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe."Und abermals preisen holde Weisen das im Stall geborene Kindund seine jungfräuliche Mutter. Sie weben weiter in traumverlorenen,geheimnißvoll durcheinander schwirrenden Melodien, während derPriester das Allerheiligste zeigt, und die Gläubigen auf die Kniesinken. Sie tönen fort und fort und klingen zum Schluß der Messein seligem Jubel aus, der kraftvoll bis zum Gewölbe des stolzenSchiffs emporschmettert. Preis und Ehre dem himmlischen Kind,das vaterlos in Dürftigkeit und Armuth geboren! Preis und Ehreder Mutter, die es im Schooße getragen, Marien, der reinen Magd!In Tausenden von Kirchen und Kirchlein erklingt es am Christabendin Wort und Ton. Von Tausenden und Zehntausenden von Kanzelnwird es am Christfest gepredigt. Und Millionen von Herzen beugen sichin demüthiger Freude vor der Krippe im Stall. Bethlehem! Bethlehem!»»»Aus einem Fenster des vierten Stocks einer grauen Mieths-kaserne blinkt Helles Licht. Kein Christbaumschimmer ist's, der leuchtet,eine bis zum Schwülen hinaufgeschraubte Petroleumlampe billigster Art.In glänzenden Reflexen tanzt ihr Schein über den schwerenSeidenstoff, den die schmalen, weißen Finger eines jungen Mädchens— oder ist es eine junge Frau?— mit nervöser Hast über die Maschine führen. Schwindelnd schnell kreist das Rad der Maschine,schwindelnd schnell hebt und senkt sich ihr stählerner, glänzender Arm.Ticktick, ticktick, ticktick...„Mit Fingern mager und müd,Mit Augen müd' und roth,In schlechten Hadern saß ein Weib,Nähend um« liebe Brot",so surrt und tickt in rhythmischem Schwünge das Räderwerk.„Nähendums liebe Brot", seufzt die Dürftigkeit der Einrichtung im Zimmerchen.„Nähend ums liebe Brot" erzählen die abgespannten Züge der emsigen Arbeiterin.Anmuthig und von fast noch kindlicher Weichheit sind dieseZüge, wenn nicht, wie eben jetzt, wo der Faden gerissen ist und einunwillkommener Halt bei der Arbeit eintritt, sich tiefe Linien umMund und Nase graben und sich ein Schatten über das Gesicht legt,der es vorübergehend frauenhaft und reif erscheinen läßt. Müd' undroth sind die'Augen, die mit angespanntester Aufmerksamkeit jedemStich der Maschine folgen. Müd' und roth müssen sie sein. ZweiNächte schon hat Marie, angekleidet aufs Bett geworfen, nur wenigeStunden geschlummert. Das Seidenkleid muß ja unbedingt morgenfrüh geliefert werden. Die Frau Rath will es zur morgigen Abendgesellschaft tragen, und die Frau Rath ist eine von Marie's bestenKunden. Und außerdem, ja, wer weiß...? Das junge Mädchenhält einen Augenblick inne und läßt einen finsteren, scheuverlegenenBlick an sich hinabgleiten. Gleich darauf surrt und tickt die Maschineweiter, doppelt schnell, sinnverwirrend schnell. Und so Stunde aufStunde. Ticktick, ticktick. Stich, Stich, Stich...Die Arbeit will heute auch gar nicht fördern. Kein Wunder!Die Müdigkeit und die Schmerzen im Kreuz! Frau Braun hat recht.Sie hat sich erkältet, sie heizt zu wenig. Hu, war das eben ein