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wurde, weil er einen unsittlichen Angriff auf eines der von ihm be­schäftigten Kinder gemacht hatte. Der Mann wurde in Anklage ver­setzt, aber wegen eines Formfehlers freigesprochen. Die herbeigebrachten Beweisstücke ergaben den unaussprechlich niederen moralischen Ton, der in seinem Betrieb herrschte. Als seine Fabrik untersucht wurde, stellte sich heraus, daß es ein Keller war mit sanitären Einrichtungen, die eine Vergewaltigung jeden Anstandes waren. Daselbst arbeiteten: ein Vormann, eine Aufseherin und sechs kleine Mädchen unter zehn Jahren, darunter zwei Waisen, die allein für ihr Fortkommen zu sorgen hatten."

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dauernde ist. Dieselben Gründe, welche zur Verheimlichung der Pockenerkrankungen führten, sind auch maßgebend beim Vorkommen von Scharlach  , Diphtheritis  , Masern, Typhus  , Schwindsucht 2c. Die Tenementshausarbeit ist deshalb eine stete Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Frau Kelley gelangt auf Grund ihrer Erfahrungen zu dem Schluß, daß schon allein aus sanitären Gründen abgesehen von anderen ein vollständiges Verbot der Tementshausarbeit nöthig sei, eine bloße gesetzliche Regelung derselben genügt nicht.

Unsere deutschen Fabrikinspektoren können viel, sehr viel lernen von der Energie, mit welcher ihre amerikanische Kollegin die von der tapitalistischen Ausbeutung erzeugten Uebel aufdeckt und bekämpft. Jedenfalls widerlegt Frau Kelley's Thätigkeit aufs Glänzendste alle Einwände und Bedenken gegen die Anstellung weiblicher Fabrik­inspektoren, bestätigt sie das zu der Frage in voriger Nummer mit­getheilte Urtheil des Schweizer Gewerbeinspektors Dr. Schuler, daß " Frauen unermüdlich sind in der Vertheidigung der Interessen der Personen, die ihrem Schute anvertraut sind."

Kleine Nachrichten.

Den Grundsatz des gleichen Rechts für das weibliche und männliche Geschlecht bethätigt die sozialdemokratische Fraktion, den Parteiprinzipien entsprechend, in folgenden drei Initiativanträgen, die sie im Reichstage einbrachte:

1) Einführung des Reichs- Versammlungs- und Vereinsgesetzes, sowie Sicherstellung des Koalitionsrechts, unter Aufhebung aller bestehenden Vereins- und Versammlungsgesetze in den Bundesstaaten und im Reichsland.

2) Errichtung von Volksvertretungen in den Bundesstaaten und in Elsaß- Lothringen   auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts und Theilnahme aller über zwanzig Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts.

3) Ausdehnung der Zuständigkeit der Gewerbegerichte auf das Handelsgewerbe und Abänderung des Gesetzes betreffend die Gewerbegerichte dahin, daß weibliche Personen zur Theil­nahme an den Wahlen berechtigt sind und als Mitglieder eines Gewerbegerichts berufen werden können.

Wie ersichtlich, wird in diesen Anträgen die politische Gleich­berechtigung des weiblichen Geschlechts gefordert, eine Forderung, welche die Hüter und Pfleger des spießbürgerlichen, bornirten Zopf thums sicherlich baß entsetzt. Die Fraktion ist ferner beschäftigt mit der Ausarbeitung eines Gesetzes über die Einführung des Achtstunden­tags und eines zweiten über den Arbeiterschutz. Der letztere Gesetzes­entwurf fordert u. a. die Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren.

Frau Kelley betont und beweist im Weiteren noch, daß die er­werbsthätigen Kinder in ihrer geistigen Ausbildung zurück­bleiben, zum großen Theil nicht einmal fertig lesen und schreiben lernen; ferner, daß sie durch ihre Arbeit keine technischen Berufs­fenntnisse erlangen, welche ihnen für später die Gewinnung des Lebensunterhaltes erleichtern könnten. In einem Spezialbericht über die Tenementshausarbeit in Chicago   während der diesjährigen Pocken­epidemie zeigt Frau Kelley die geradezu entsetzlichen, im höchsten Grade gemeingefährlichen sanitären Zustände, welche industrielle Haus­arbeit und Schwißsystem schaffen. Die amerikanischen   Tenements­haus( Miethkasernen-) Werkstätten gehören bekanntlich zu den schlimm­ſten Stätten der kapitalistischen   Ausbeutung. Die Räume gehören dem Unternehmer bezw. Schwizmeister und werden von ihm gepachtet. Der Hausarbeiter ist gezwungen, in diesen Kasernen zu wohnen, wenn er Beschäftigung finden will, und natürlich muß er hier fast doppelt so hohe Miethe zahlen, als sonstwo. Außerdem muß er, um sein Elend und den Profit des Unternehmers zu steigern, zu äußerst niedrigen Löhnen arbeiten. Im April des Jahres brach in einem hauptsächlich von Böhmen   und Polen   bewohnten Distrikt Chicagos  eine Pockenepidemie aus, die bis jetzt noch nicht erloschen ist. In dem Distrikte befinden sich viele Tenementshaus- Werkstätten, besonders Schneiderwerkstätten, und Frau Kelley hatte bei ihrer streng durch­geführten Inspektion reichlich Gelegenheit, die in sanitärer Beziehung vorliegenden grauenhaften Verhältnisse kennen zu lernen. Nach dem Sozialpolitischen Zentralblatt", das einen Auszug aus Frau Kelley's Bericht bringt, drang die Fabrikinspektorin auf energische Maßregeln gegen diese Werkstätten, in denen von erkrankten oder angesteckten Personen Kleider hergestellt wurden, mit welchen die Krankheitskeime in alle Welt gingen. Frau Kelley mußte alle Energie aufbieten, um die Gesundheitsbehörde soweit zu bringen, daß diese, gesetzlichen Vor­schriften entsprechend, durch Feuer vier verschiedene Quantitäten Waaren vernichten ließ, welche nachweislich Ansteckungsstoff enthielten. In einer gemeinsamen Versammlung der Gesundheitsbehörden von Mi­ chigan  , Wisconsin  , Illinois  , Ohio   und Indiana  , zu der auch die Kleiderfabrikanten von Chicago   hinzugezogen wurden, schlug Frau Kelley vor, für die Dauer von mindestens sechs Monaten alle Tenements­hausarbeit zu verbieten und die Herstellung der Waaren in geeigneten Fabrikräumen vornehmen zu lassen. Die Fabrikanten erklärten das für eine Unmöglichkeit. Darauf forderte die Fabrikinspektorin, daß die Unternehmer wenigstens in die Werkstätten des von der Epidemie heimgesuchten Distrifts keine Arbeit geben sollten. Auch das wurde abgelehnt und schließlich der Vorschlag angenommen, daß eine genü­gende tägliche Inspektion aller Werkstätten stattfinden müsse. Da es in Cicago 30000 Schneiderwerkstätten giebt, so liegt das Belanglose dieses Beschlusses auf der Hand. Tenementshausarbeit entzieht sich der Ueberwachung, und mit Recht sagt Frau Kelley bezüglich der An­steckungsgefahr: Es giebt keine Sicherheit für das kaufende Publikum, so lange Tenementshausarbeit geduldet wird." An zahlreichen Bei­spielen liefert ihr Bericht den Nachweis, daß sowohl die Arbeiter als auch die Unternehmer alles Mögliche thun, um den Ausbruch von Krankheiten in ihren Werkstätten zu verheimlichen. Die Unternehmer, um ihr Geschäft nicht zu stören und sich Scherereien zu sparen, und die Arbeiter, um das Krankenhaus zu vermeiden und Lohn und Brot nicht zu verlieren. Die Eltern fürchten sich, ihre Kinder einem Krankenhaus zu übergeben, wo 70 Prozent aller Patienten sterben, und so greifen sie zu den außerordentlichen Mitteln, um diese im Falle einer Erkrankung daheim zu behalten. Es kam vor, daß Eltern ihre pockenkranken Kinder in Kaffeesäcke steckten, in Waterklosets ein­schlossen, sie in Form eines Kleiderbündels nach Vororte und von da zurück transportirten, dabei Vorübergehende und Mitfahrende auf der Pferdebahn der Gefahr der Ansteckung aussetzend. Wenn in einer Familie die Pocken ausbrachen, so halfen gewöhnlich die Nachbarn, die Thatsache verheimlichen, damit auch ihr Geschäft nicht gestört würde. So kam es, daß lange nach Ausbruch der Seuche bei einem Hausarbeiter noch lustig Kleider fabrizirt wurden, die dann in den Handel kamen. Frau Kelley betont sehr richtig, daß die mit der Tene­mentshausarbeit verbundene Gefahr der Ausbreitung ansteckender Krankheiten nicht blos zu Zeiten einer Epidemie besteht, sondern eine

Wie der preußische Staat die Bildung seiner Kinder nach dem ,, Verdienst" ihrer Geburt fördert. Nach der amtlichen Statistik, welche vom preußischen Ministerium für die Weltausstellung von Chicago   aufgestellt wurde, kostete im Jahre 1891: ein Schüler der Volksschule 29,74 Mart, der Knaben- Mittelschule 87 Mart, eine Schülerin der Mädchen- Mittelschule 66 Mark und eine solche der höheren Mädchenschule 123 Mart. Für die Schulbildung eines Mädchens, das sich der verdienstlichen That rühmen darf, in der Wahl seiner Eltern vorsichtig gewesen zu sein und als höhere Tochter" geboren zu werden, verausgabt man also jährlich fast um 100 Mark mehr als für die Bildung eines Schülers, bezw. einer. Schülerin der Volksschule. Dafür dürfen die Eltern der Letzteren ebensoviel und noch mehr als die Eltern höherer Töchter" an Steuer­lasten tragen, damit vom Tische des Militärstaats etliche Brosamen für Bildungszwecke abfallen. Das nennt sich dann ausgleichende Gerechtigkeit" wie sie einem Klassenstaat eigenthümlich ist und eigenthümlich sein muß.

Wahre Schlemmerlöhne erarbeiten sich die Näherinnen in der Konfektionsbranche. Eine Berliner   Konfektionsarbeiterin verdiente von Mitte Juni bis Anfang Dezember 155 Mt. 50 Pf., pro Woche 5 Mt. 50 Pf. Von diesem Verdienst" mußte sie, wie sich's im Interesse des Geldsacks schickt, noch das Nähmaterial zahlen. Wenn eine in ihren Erwerbsverhältnissen derart gestellte Arbeiterin der Prostitution verfällt, so trägt selbstredend nur ihre lasterhafte Neigung die Schuld daran. Das wissen nicht blos die Stöckerlinge ganz genau, sondern auch eine ganze Reihe bürgerlicher Frauenrechtlerinnen, welche die Sittlichkeit der ärmeren Schwestern" durch die Büttelei einer lex Heinze heben wollen.

Zu den Seinigen, denen es der Herr im Schlafe giebt, gehören offenbar die Zwischenmeister der Konfektionsbranche. Ein Berliner Schwitzer" hatte während der letzten Saison eine Liefe

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