Nr. 1 der ,, Gleichheit" gelangt am 9. Januar 1895 zur Ausgabe.

rung von 8600 Jackets übernommen, für deren Herstellung er à Stück zwei Mark erhielt. Der Mann zahlte seinen Arbeiterinnen für das Nähen eines Jackets eine Mark; das Zuschneiden wurde mit 10 Pfennig, das Bügeln mit 12% Pfennig und der Transport mit 10 Pfennig berechnet. Er verausgabte also Alles in Allem an Arbeitslohn pro Jacket 1 Mark 321/2 Pfennig und säckelte für seine Vermittlung" einen Entbehrungslohn" von 67% Pfennig ein. Ein lichtvoller Beleg dafür, wie unter der kapitalistischen  Ordnung das Theilen" derart vor sich geht, daß auf Seiten der Arbeitskräfte die Plackerei und das Elend und auf seiten der Unter­nehmer der mühelose Profit fällt.

Die Ausbeutung der sogenannten Lehrmädchen ist in vielen Berliner   Buchbindereien eine hochgradige. In einer Werkstube werden 3. B. beim Falzen 20-25 Lehrmädchen" beschäftigt, welche 4-6 Wochen lernen", d. h. unentgeltlich eine Arbeit verrichten müssen, in welcher sie in ein paar Tagen geschickt werden können. Allerdings heißt es, daß die Mädchen nach beendeter Lehrzeit" 5 Mark Prämie erhalten. Allein diese 5 Mark bleiben meist unter dem Vorwand sagenhaft, daß Arbeit verdorben worden wäre. Die Lehrmädchen treten meist in der Hoffnung in dem betreffenden Betrieb ein, nach beendeter Lehrzeit wöchentlich 20 Mark verdienen zu können. Wenn sie jedoch ausgelernt haben, so werden sie meist entlassen und statt ihrer werden andere Lehrmädchen eingestellt. Mannigfach, wie die Wege der Vorsehung", sind die Kniffe, durch welche das Unternehmerthum Profit aus proletarischer Arbeitsfraft schlägt.

Widerliche Heuchelei und zügellose Profitgier paaren sich in der Aufforderung Plauenscher Fabrikanten der Stickereiindustrie, jeder einzelne Unternehmer solle so viel Sinn für die gemeinsamen Interessen der Industrie bekunden, daß er die Ausbildung von Ar­beitsmädchen selbst auf die Gefahr hin unternimmt, sie nicht dauernd in seinem eigenen Betrieb behalten zu können". Vor diesem rührenden Appel an den Sinn für das gemeinsame Interesse der Industrie" wird ausdrücklich zugegeben, daß der Bedarf an Arbeiterinnen zur Bedienung der Schiffchenmaschinen gedeckt sei. Gleichzeitig wird aber auch darauf hingewiesen, es müsse mit der Thatsache gerechnet wer den, daß bis zum Februar nächsten Jahres in Plauen   noch 200 bis 20 Schiffchenmaschinen zur Aufstellung gelangen". Wenn wir das fauitalistische Geflöte von den gemeinsamen Interessen der Industrie" in flip und flares Arbeiterdeutsch übersetzen, so heißt es nichts anderes ..: jeder Unternehmer solle sich angelegen sein lassen, das Angebot weiblicher Arbeitskräfte zu steigern, damit deren Löhne auf ein Hungerminimum herabgedrückt werden können. Aus dem Lammfell der Fürsorge für die Industrie schaut deutlich hervor der Wolfs­rachen der kapitalistischen   Profitwuth.

Ein Beitrag zur gewissenlosen Ausbeutung der Arbeits­kräfte durch die Zuckerbarone. In der Zuckerraffinerie zu Schulau  müssen die daselbst beschäftigten Mädchen von Nachts 1 Uhr bis Abends 6 Uhr arbeiten. Es soll auch vorgekommen sein, daß eine Frau volle 36 Stunden ohne längere Unterbrechung, als zum Essen nothwendig war, arbeiten mußte. Der langen Arbeitszeit ent­sprechend sind die Arbeitslöhne sehr niedrig und ohne Verhältniß zu den hohen Lebensmittelpreisen. Ausfuhrprämien und Ausschindung der Arbeitskräfte innig gesellt schaffen hohe Dividenden für die Zucker­barone, die trotzdem als Nothleidende, den Hut in der Hand, den Reichstag um besondere Liebesgaben" anbetteln. Natürlich nur in ,, sehr berechtigter Interessenvertretung", denn begehrlich" sind be­kanntlich nur die unverschämten Arbeiter.

Thatsachen beweisen, wie unhaltbar das zopfige Vorurtheil ist, welches den Frauen höhere Studien vorenthalten möchte. An den Hochschulen der Schweiz   haben im letzten Studienjahre dreizehn Damen den Doktorgrad erworben: in Bern   sieben, in Genf   eine, in Zürich   sechs Studentinnen. Acht Frauen erwarben die Doktorwürde in der Medizin, fünf promovirten als Doktoren der Philosophie. Die medizinischen Doktorschriften behandeln alle Gebiete der Heilkunde; die philosophischen meist botanische oder philologische( sprachwissen­schaftliche). Interessant sind die Fragen, welche zwei Studentinnen der Philosophie in ihren Doktorschriften behandeln: über Schopen­hauer's Lehre von der menschlichen Freiheit mit Beziehung auf Rant und Schelling" schrieb Fräulein Anna Wyczolfolska, und mit dem ,, Apperceptionsbegriff" beschäftigte sich sehr eingehend Frau Josepha Kodis  . Von den sieben Arbeiten, durch welche sich in Bern   Studen­tinnen um die Doktorwürde der Medizin bewarben, wurden vier in Virchow's Archiv veröffentlicht. Dieser Umstand spricht für ihren

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Ausbau des gesetzlichen Arbeiterschutzes in einem ,, wil­den Lande. Die schweizerische Bundesversammlung stimmte einer Reihe von Anträgen der nationalräthlichen Kommission zu, durch welche der gesetzliche Arbeiterschutz erweitert wird. So sollen u. a. in das eidgenössische Strafrecht Bestimmungen aufgenommen werden zum Schutz des Vereinsrechts der Arbeiter gegen deren Beein­trächtigung durch die Unternehmer; den Fabritarbeiterinnen soll der Samstag Nachmittag freigegeben werden 2c. 2c. Ferner wurde ein Antrag der Kommission angenommen, welcher den Bundesrath auffordert, die Verhandlungen bezüglich einer inter­nationalen Regelung der Arbeiterschutzgesetzgebung wieder aufzunehmen und zu fördern. In der Schweiz  : Fortschritte der Sozial­reform; in Deutschland  : Fortschreitende Rückwärtserei derselben und Versuche, das Proletariat politisch zu knebeln. Fürwahr, das Lied: ,, Deutschland  , Deutschland   über Alles" kann mit flammender Be­geisterung gesungen werden von der deutschen   Rapitalistentlasse.

Erweiterung der weiblichen Berufssphäre. Frl. Tischler in Wien   hat vom Magistrat die Bewilligung erhalten, das Geschäft ihres verstorbenen Vaters, der Chef eines bekannten Anstreicherateliers war, selbständig fortzuführen. Frl. Tischler hat das Anstreicher­gewerbe vorschriftsmäßig erlernt und führt an der Spitze von vierzig auserlesenen Arbeitern persönlich alle Anstreicherarbeiten künstlerisch und mit feinstem Geschmack aus.

Den Grundsatz der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts bethätigen die ungarischen Sozialdemokraten anläßlich einer geplanten Volksabstimmung über die Frage: Wollt Ihr das allgemeine Wahlrecht und das Recht der freien Vereinigung und Versammlung?" An dieser Volksabstimmung soll jeder über 20 Jahre alte Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts theilnehmen. Die sozialdemokratische Partei will durch ihr diesbezügliches Vorgehen dem ungarischen Volke politische Rechte erringen helfen, deren es zur Wahrung seiner Lebensinteressen dringend bedarf. Jetzt sind von den 17 Millionen Einwohnern Ungarns   nur 840000 stimmberechtigt, und ein allgemeines Gesetz über das Vereins- und Versammlungs­recht giebt es überhaupt nicht.

Ausübung des Wahlrechts durch die Frauen. Bei den Ersatzwahlen für den Gemeinderath, welche am 10. Dezember in London   stattfanden, machte zum ersten Male eine größere Anzahl

verheiratheter Frauen von dem ihnen am 5. März dieses Jahres zu­

erkannten Wahlrecht Gebrauch. Wird der deutsche Spießer glauben, daß in der Folge auch nicht eine Suppe mehr als sonst angebrannt ist, und daß die männlichen Angehörigen der wählenden Frauen noch nicht wegen ,, mangelnder Sockenpflege" barfüßig eine Demonstration organisiren mußten?

Bei den letzten Staatswahlen in Colorado  , wo das weib­liche Geschlecht das Stimmrecht besitzt, haben die Frauen 70000 Stim­men abgegeben. Im Allgemeinen sollen die Frauen konservativ und schutzöllnerisch gewählt haben. Die Gegner der politischen Gleich­berechtigung des weiblichen Geschlechts verfehlen natürlich nicht, aus diesem Umstand Kapital zu schlagen, und mit vollen Backen die glänzende Bestätigung" der jedem Zopfträger so theuren Theorie von der politischen Unreife" der Frauen zu verkünden. Ihre Schluß­folgerung ist ebenso albern als unhaltbar. Wäre sie richtig, so würde. jede reaktionäre Majorität wegen politischer Unreife" des Stimm rechts für verlustig erilärt werden müssen. Die eventuell reaktionäre Haltung der Frauen spricht nicht gegen die politische Gleichberech­tigung des weiblichen Geschlechts, sondern nur für die Nothwendig­keit der politischen Aufklärung und Schulung der Frauenwelt.

Quittung.

25 Mark von Ungenannt" zu Agitationszwecken erhalten zu haben, bescheinigt dankend Die Frauen- Agitationskommission Berlin  .

Bur Beachtung.

Alle für die Berliner   Frauen- Agitations- Kom­mission bestimmten Briefe, Geldsendungen ze. sind zu richten an:

Werth. Die meisten der neugeschaffenen weiblichen Doktorinnen sind frln. Ottilie Baader  , Berlin   NO,

Russinnen oder Polinnen. Nur eine Deutsche befindet sich unter ihnen, Frau Clara Weiß.

Weberstraße 24, Hof, Querg., 1 Treppe.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Cißner) in Stuttgart  . Druck und Verlag vor J. H. W. Diez in Stuttgart  .

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