die Regierung auch die sozialreformatorischen Maßregeln prüfen mit Rücksicht ihrer Wirkung auf die Sozialdemokratie. Die einschlägigen Sozialreformen stärken nur die Sozialdemokratie, und deshalb behalte fich die Regierung Zeit und Modus der Verwirklichung der kaiser­lichen Erlasse vor. Diese Erklärung war natürlich nach dem Herzen des industriellen Prozenthums, in dessen Namen der Nationalliberale Möller sofort dankend dafür quittirte. Dieser Biedermann bejubelte in hellen Tönen und mit pyramidaler Unfenntniß der Verhältnisse in anderen Ländern die Herrlichkeiten der deutschen Sozialreform, die so Großartiges geschaffen habe, daß jedes Mehr vom Uebel sei und nur die arme Industrie belaste. Besonders energisch verwahrte er sich gegen jede Arbeitervertretung und verwünschte die Gewerkschafts­organisationen, die nur Streifvereine seien. Seinen Ausführungen entgegen vertrat der bekannte Bierkönig Rösicke den Standpunkt des liberalen, einsichtsvollen Großunternehmers. Der Kampf zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, so meinte er, sei natürlich und nicht schlimmer als die Kämpfe, durch welche das Bürgerthum seine Freiheit erlangt habe. Den Gewerkschaften müsse gesetzliche Anerkennung und unbe schränkteste Koalitionsfreiheit zu Theil werden. Der Arbeiter bedürfe gegenüber der Kapitalmacht der Organisation, während der Arbeit­geber ihrer leicht entrathen könne. Das Gesetz müsse dem Arbeiter volle Gleichberechtigung mit dem Arbeitgeber verbürgen. Ob dieser Ansichten erklärte König Stumm Herrn Rösicke schlankweg für un­würdig, die Interessen der heiligen Kapitalistengilde zu vertreten und verhängte über ihn den Boykott des Nicht- mit- ihm- disputiren- wollens. Natürlich ist König Stumm gegen jede Arbeiterorganisation, auch gegen die zahmste, die frömmste, die konservativste. Dagegen wurde die gesetzliche Anerkennung der Gewerkvereine seitens der Freisinnigen und des deutsch  - konservativen Hüpeden entschieden befürwortet. Von den Sozialdemokraten griffen der Bergmann Möller, Legien und Fischer in die Debatte ein. Möller wies entschieden die Beschuldigungen Stumm's gegen die organisirten Bergarbeiter zurück und formulirte ihre Beschwerden und Forderungen. Legien ging mit dem National­liberalen Möller und König Stumm scharf und gründlich ins Gericht. Streng sachlich, aber in sehr überzeugender Weise charakterisirte er das Wesen und die Aufgaben der Gewerkschaften, die wohl Kampfesorganisationen sein müßten, aber auch im Punkte der Bil­dung und Unterstützung Großes für die Arbeiterschaft leisten. Am Schlusse seiner Rede sendete er einen kalten Wasserstrahl auf die Hoffnungen der Gegner, welche von einem Gegensatz zwischen politischer und gewerkschaftlicher Arbeiterbewegung träumen. Auf verschiedenen Gebieten kämpfe die eine und die andere in prin­zipieller Uebereinstimmung und Einmüthigkeit für das nämliche Ziel. Der Arbeiterklasse gehöre die Zukunft. Genosse Fischer geißelte mit un­gemein zündenden Worten die Heuchelei des Zentrums, die Sünden des Neuen Kurses, seinen völligen Bankerott als Kurs der Sozialreform. Die Thatsachen zeigen, so bewies Fischer, daß das soziale Königthum vor dem Großkapital fapitulirt hat. Statt einer Verwirklichung der versprochenen sozialen Reformen biete man der Arbeiterklasse das Umsturzgesetz, d. h, die völlige Unterwerfung des Proletariats unter die Kapitalistenherrschaft. Man gebe der werkthätigen Masse unbe­schränkte Koalitionsfreiheit, und diese verzichtet mit Vergnügen auf all den sozialreformerischen Krimskrams, von dem man ihr redet. Genosse Fischer schloß seine energievolle Züchtigung der herrschenden Gewalten mit der Erklärung des Kopenhagener Kongresses, daß die Sozialdemokratie weder an die ehrlichen Absichten, noch an die Be­fähigung der herrschenden Klassen glaubt, für die Arbeiter einzutreten. So fällt auch das Fazit dieser Verhandlungen zu Gunsten der Sozial­demokratie aus. Die Debatten über die Interpellation Hize zeigen: die Vertreter der Bourgeoisie von tiefgehenden Meinungsverschieden­heiten zerklüftet; den Neuen Kurs als Zickzackkurs soziale Reformen auf Sankt Nimmerlein vertagend und sich zum Glauben der allein­seligmachenden Peitsche bekennend; die Sozialdemokratie einig und zielflar, voll Kampfesenergie und allezeit auf dem Posten, um das Wohl des arbeitenden Volks zu vertheidigen.

Arbeiterinnen- Bewegung.

In der Zeit vom 20. Januar bis 15. Februar fanden öffent­liche Versammlungen statt in: Altenbuseck  , öffentliche Versammlung für Tabakarbeiter und Arbeiterinnen: Die drohende Tabaksteuer und ihre Folgen für die Arbeiterschaft der Tabakindustrie"( Genossin Löwenherz); Berlin  , zwei öffentliche Versammlungen der Mäntel­näherinnen, Bügler und Berufsgenossen: 1) Vortrag( Gen. Hoffmann); Diskussion der aufgestellten Forderungen; 2) Das moderne Raub­ritterthum"( Gen. Hoffmann); öffentliche Versammlung der Karton­arbeiter und-Arbeiterinnen: Werkstubenberichte"( Gen. Sailer); Wahl von Vertrauenspersonen. Gewählt wurden Genossin Schulz und Gen.

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Schwarzburger  ; öffentliche Versammlung der Hilfsarbeiter und Ar­beiterinnen: Die Gewerkschaftsbewegung und der Bierboykott"( Gen. Jahn); öffentliche Versammlung des Frauen- und Mädchen- Bildungs­vereins: Die Lebensstellung der Frauen in der bürgerlichen Gesell­schaft"( Reichstagsabgeordneter R. Schmidt). In der Diskussion wurde empfohlen, der bekannten frauenrechtlerischen Petition feine Unter­schrift zu geben. Oeffentliche Versammlung der im Kürschnergewerbe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Berichterstattung von der Gewerkschaftskommission"( Gen. Michaelis). Wahl von fünf Ver­trauenspersonen. Gewählt wurden Genossin Köhler und die Genossen Gaser, Wittich, Regge und Hoppe; öffentliche Versammlung der in der Luruspapierbranche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Thätigkeitsbericht"( Gen. Bergmann  ); Daubringen  , öffentliche Ver­sammlung für Tabakarbeiter und Arbeiterinnen: Die drohende Tabak­steuer"( Genossin Löwenherz); Dresden  , öffentliche Versammlung des Arbeiterinnen- Bildungsvereins:" Die Bedeutung der Frau in der Kulturgeschichte"( Gen. Reichard); öffentliche Versammlung der Ar­beiter und Arbeiterinnen der Stroh- und Filzhutbranche:" Frauen­arbeit und kapitalistische Gesellschaft"( Gen. Fräßdorf); Heuchelheim  und Krofdorf  , je eine öffentliche Versammlung für Tabatarbeiter und Arbeiterinnen: Die Regierungsvorlage, die Tabaksteuer betref­fend"( Genossin Löwenherz); Ottensen  , öffentliche Versammlung für Frauen und Mädchen: Wie verhalten sich die Frauen und Mäd­chen zur Gründung eines Lokalbildungsvereins?"( Genossin Blohm). Die Versammlung beschloß mit großer Majorität die Gründung eines solchen Vereins, dessen Vorstand die Genossinnen Krimson, Bräuer und Busky angehören. Zur Vertrauensperson wurde Genossin Steffensen gewählt. Pankow  , öffentliche Versammlung, einberufen vom Frauen und Mädchenbildungsverein: Die Stellung der Frau in der Gesellschaft"( Gen. Baumann); Treptow  , öffentliche Volks­versammlung:" Zweck und Nutzen der Organisation"( Genossin Rohr­lack); Wieseck  , öffentliche Versammlung der Tabakarbeiter und Ar­beiterinnen: Die Folgen der drohenden Tabaksteuer für die Arbeiter­schaft der Tabakindustrie"( Genossin Löwenherz).

- Vereinsversammlungen fanden in der nämlichen Zeit statt in: Berlin  , Generalversammlung des Allgemeinen Arbeiter- und Arbei­terinnenvereins: Thätigkeitsbericht( Gen. Jahn), Kassenbericht( Gen. Arndt); Mitgliederversammlung des Verbands der Textilarbeiter und Arbeiterinnen: Der Kampf ums Dasein"( Gen. Hoffmann); General­versammlung des Vereins der Arbeiter und Arbeiterinnen der Wäsche­und Kravattenbranche: Thätigkeitsbericht, Rassenbericht( Gen. Hergt), Vorstandswahl. Dem Vorstand gehören die Genossinnen May, Russow, Pelz und Schlichting an. Dresden  , Generalversammlung des Ar­beiterinnen- Bildungsvereins: Thätigkeitsbericht, Kassenbericht( Genossin Eichhorn). Den Einnahmen im Betrage von 260 Mart 4 Pfennig stehen Ausgaben in der Höhe von 159 Mark 69 Pfennig gegenüber, so daß der Kassenbestand 100 Mark 35 Pfennig beträgt. Glienicke  , Mitgliederversammlung des Arbeiter- und Arbeiterinnenvereins: Fort­schritt und Armuth"( Gen. Jahn); Mitgliederversammlung des Zentral­verbands der Frauen und Mädchen Deutschlands  : Interne Ange­legenheiten. Vorstandswahl. Der Vorstand besteht aus den Genof­sinnen: Heitmann, Koop, Heine, Meisner, Dreier, Peeck, Eichentopf, Bräuer, Loschwitz  , Behn und Reupert. Uhlenhorst, Mitglieder­versammlung des Vereins der Frauen und Mädchen: Thätigkeits­bericht, Kassenbericht, Vorstandswahl. Der Vorstand besteht aus den Genossinnen: Kantin, Augustin, Drewes, Reumann, Enderlein, Wegner, Honig. Weißensee, Mitgliederversammlung des Frauen- und Mäd­chenbildungsvereins: Die Sklaven unserer Zeit"( Genossin Mesch); Thätigkeitsbericht, Kassenbericht.

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Behördliche Schneidigkeit und Findigkeit im Kampfe mit den proletarischen Frauen. In schöner Nacheiferung des Bei­spiels gar mancher preußischer Ortsbehörden hat der Amtsvorsteher zu Salbke  ( Kreis Magdeburg  ) nun ebenfalls den hochstaatsgefähr­lichen und politischen Charakter der Arbeiterfeste entdeckt, denen folg­lich die Frauen fern bleiben müssen. Seiner nicht neuen, aber immer­hin originellen Auffassung entsprechend gestattete er dem Arbeiter­Bildungsverein Salbte und Umgegend, in durchaus geschlossener Ge­sellschaft" die Abhaltung eines Theaterabends, verbot aber streng den Zutritt für Frauen, Schüler und Lehrlinge". Die Beamtentreue des Mannes verdient offenbar einen Orden, wenn sie auch für die Katz gewesen ist, denn die zum Nachdenken erwachten Proletarierinnen schaaren sich um das Banner der Sozialdemokratie! Trotz alledem!

In Ottensen   mußten wieder einmal proletarische Frauen für ihre politische Rechtlosigkeit büßen. Die vier Vorstandsmitglieder der Zahlstelle Ottensen   des Zentralvereins der Frauen und Mädchen Deutschlands   wurden vom Altonaer   Amtsgericht zu je 20 Mark Strafe oder vier Tagen Gefängniß verurtheilt, weil besagter Verein Politik getrieben haben soll, und sie selbst der Morithat schuldig