Versammlung, in der Genossin Rohrlac referiren sollte, gleich nach der Eröffnung aufgelöst. Die sozialistische Bewegung hat im Laufe der letzten Jahre in der Masse der proletarischen Frauenwelt so tiefe und feste Wurzeln geschlagen, und sie ist zu solch kräftigem Baume emporgewachsen, daß es spurlos an ihr vorübergeht, wenn die verehrlichen Behörden mit den Papierkügelchen von knifflichen und tiftligen Verordnungen oder dem derben Rütteln allerhand schöner Maßregelungen gegen sie vorgehen.
Die proletarische Frauenbewegung für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, welche von den Behörden sehr richtig nicht als harmlose ideologische Schöngeisterei eingeschätzt wird, sondern als ernster Ansturm gegen den kapitalistischen Staat, nimmt einen fräftigen Fortgang. In Elberfeld , Frankfurt a. M., Kiel und Königsberg fanden imposante, seitens der Frauen sehr gut besuchte Volksversammlungen statt, welche im Anschluß an die Ausführungen der Genossin Kähler, des Reichstagsabgeordneten Schmidt, der Genossin Steinbach und des Genossen Rechtsanwalt Haase der bekannten Resolution über die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zustimmten. Ueber das Thema:„ Warum fordern die proletarischen Frauen ihre politische Gleichberechtigung?" referirte Genossin Bettin in Delsnig, Ronneburg , Chemnitz , Kappel, Leipzig ( zwei Versammlungen), Döhlen, Großenhain und Dresden . Sämmtliche Versammlungen waren sehr gut besucht, mehrere so überfüllt, daß die Lokale polizeilich gesperrt wurden und viele Genossinnen und Genossen keinen Zutritt erhalten konnten. Mit Begeisterung wurde überall die Berliner Resolution einstimmig angenommen. Dieselbe gelangte auch zur Annahme in einer Versammlung in Werdau , in welcher statt der behördlich bemaulkorbten Genossin Zettin Genosse Goldstein referirte. Das deutsche Proletariat, ohne Unterschied des Geschlechts, bethätigt der Frage der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts gegenüber gerade so viel Verständniß, Begeisterung und Kampfesenergie, als das deutsche Bürgerthum, ohne Unterschied des Geschlechts- von einer winzigen Minderheit bürgerlicher Frauen abgesehen der so wichtigen Reform gegenüber Unverständniß, Rath- und Thatlosigkeit an den Tag legt.
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Bur Frage des Frauenstimmrechts.
Der Frankfurter Zeitung ", die in der Frauenfrage eine sehr vernünftige Haltung einnimmt, wird zum Frauenstimmrecht geschrieben:
Bekanntlich ist kürzlich in Südaustralien das Frauenstimmrecht eingeführt worden, und das Land ist darin dem Beispiele von Neu seeland gefolgt, das bereits durch Gesetz vom 19. September 1893 das politische Stimmrecht der Frauen eingeführt hat. Zwei Monate später haben, zum ersten Male unter Theilnahme der Frauen, die Parlamentswahlen stattgefunden. Die Zahl der eingeschriebenen Wahlberechtigten betrug, wie eine neuerdings veröffentlichte Statistik darlegt, 302 997, davon 193 536 Männer und 109 461 Frauen. An der ersten Abstimmung betheiligten sich 129 792 Männer und 90 290 Frauen. Da die Zahl der Frauen, die nach ihrem Alter und ihrer Beschäftigung Anspruch auf das Wahlrecht hatten, 130915 betrug, so ergiebt sich, daß 78,2 Prozent der wahlberechtigten Frauen aus eigenem Antrieb ihre Einschreibung in die Wählerliste verlangten; unter den Gingeschriebenen haben dann 85,18 Prozent ihr Wahlrecht wirklich ausgeübt. Von den Männern sind nur 67 Prozent zur Urne gegangen. Dieses Ergebniß widerlegt jedenfalls die Behauptung, daß die Frauen das politische Stimmrecht nicht wollen und daß sie es, wenn sie es haben, nicht benützen. Wie ist nun aber diese erste Wahl mit dem Frauenstimmrecht ausgefallen? Das Ergebniß war die Vernichtung der gemäßigten Partei und der Sieg der Radikal- Sozialisten. Dieser Ausfall hat nun allerdings manche Anhänger des Frauenstimmrechts stußig gemacht und viele Gegner in ihrer Abneigung gegen dasselbe bestärkt. In England ist es darüber zu einem literarischen Streit gekommen, in dem Frau Millicent Fawcett , die Witwe des ehemaligen Generalpostmeisters, energisch am Recht der Frauen, trotz des Ausfalls der Wahl in Neuseeland , festhielt. Ein Mitarbeiter der„ In dépendance belge ", Herr Louis Frank, hat sich nun direkt an Sir John Hall in Neuseeland gewendet, um seine Meinung zu erfahren. Sir John Hall, der Urheber des Gesetzes vom 19. September 1893, ist ein alter australischer Parlamentarier; er war kabinetschef von 1879-1882 und ist der anerkannte Führer der konservativen Partei in Neuseeland . Auf die gestellte Anfrage antwortete Sir John Hall in einem Briefe vom 30. November 1894, in welchem er zunächst feststellte, daß der Sieg der Radikal- Sozialisten andere Ursachen habe als die Betheiligung der Frauen an der Wahl. So viel man angesichts der geheimen Abstimmung urtheilen könne, hätten die Frauen im Allgemeinen nach der gleichen Richtung gestimmt wie die Männer ihrer Familien, also verheirathete Frauen wie ihre Männer, Töchter
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und Schwestern wie ihre Väter und Brüder. Nur zwei Ausnahmen gebe es von diesem Prinzip. Da, wo ein Temperenzkandidat aufgestellt war, haben die Frauen alle für ihn gestimmt, so daß mehrere absolute Gegner des Alkohols gewählt wurden. Ferner haben in den Industriedistrikten diejenigen Frauen, die in Fabriken und Werkstätten arbeiten, meistentheils für die sozialistischen Kandidaten ge= stimmt, auch wenn die Männer ihrer Familie keine Sozialisten waren. Das Ergebniß der Wahl wäre wahrscheinlich das gleiche gewesen, auch wenn das Frauenstimmrecht nicht eingeführt worden wäre. Zum Schluß hebt Sir John Hall als die wichtigste Erscheinung den Umstand hervor, daß so viele Frauen sich in die Wahllisten einschreiben ließen, obgleich der Termin nur sehr kurz bemessen war. Das beweise, daß die Frauen politische Rechte wünschen und sie auch benützen wollen. Der Versuch sei also gelungen und die große Reform habe einen bedeutsamen Erfolg aufzuweisen. So Sir John Hall. Jedenfalls hat durch den Ausfall der Wahl in Neuseeland sich Süd australien nicht abhalten lassen, das politische Stimmrecht der Frauen auch bei sich einzuführen. England weist ebenfalls Fortschritte auf diesem Gebiete auf. Im Kirchspielgesetz vom 5. März 1894 ist das Wahlrecht und die Wählbarkeit für Kirchen, Schul- and Armenräthe nicht blos den ledigen Töchtern und Witwen, sondern auch allen verheiratheten Frauen zugesprochen worden, die ein besonderes Eigenthum besitzen. Zu der ersten Wahl nach diesem Gesetze, die im vergangenen Dezember stattfand, stellten sich 458 weibliche Kandidaten, und von diesen sind 391 gewählt worden, die nunmehr in den Kirchen-, Schul- und Armenräthen von England und Wales sitzen. Vom übrigen Europa ist namentlich Finnland zu bemerken, wo Frauen in vielen Geschäften und Anstalten thätig sind: Der zweite Kassirer der finn
ländischen Staatsbank ist eine Frau, an der Universität Helsingfors studirten im letzten Jahre 81 Mädchen; die Frauen nehmen Theil an der Pfarrerwahl und können in die Schul- und Armenräthe gewählt werden. Im letzten Jahre standen 45 Frauen an der Spize von Arbeitshäusern und 125 waren Mitglieder von Armenräthen. Aus Amerika sind weitere Fortschritte zu berichten. Im Staate Wyoming , wo die Frauen seit 1869 mit den Männern gleichberechtigt sind, ist Miß Real an die Spitze des Unterrichtsministeriums berufen worden; sie schlug bei der Wahl ihren Mitbewerber Matthews mit 3500 Stimmen Majorität und trat ihr Amt am 7. Januar an. Im Staate Colorado , wo die Frauen im Dezember 1893 das politische Stimmrecht erhielten, wurden bei den letzten Wahlen drei Frauen ins Parlament gewählt; es sind Mrs. Frances Klock, Mrs. Clara Cressingham und Mrs. Carrie Holley de Pueblo; die zweite hat sich durch ihre politische Energie und ihre Beredtsamkeit bereits einen bedeutenden Ruf erworben. In demselben Staate Colorado steht ebenfalls eine Frau, Mrs. Angenette Peary, an der Spitze des Unterrichtsministeriums. Um wieder nach Neuseeland zurückzukehren, so sei noch erwähnt, daß dort die Frauen auch für die Gemeindeverwaltung wahlberechtigt und wählbar sind; seit Kurzem ist eine Frau, Mrs. Yates, Bürgermeister von Onehunga. Das ist überhaupt der erste Fall in der ganzen Welt, daß eine Frau an der Spitze einer Stadtvertretung steht.
Bebel's Husführungen im Reichstage über das Wahlrecht der Frauen.
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Meine Herren, wir verlangen, daß das Wahlrecht auch auf die Frauen ausgedehnt wird. Das ist ja ungeheuerlich, das ist verrückt"- hat man mir gesagt. Ja, meine Herren, was ist nicht Alles schon in der Welt für verrückt gehalten worden? Alles Neue wird anfangs von den Vertretern des Alten für undurchführbar, für verrückt erklärt. Keine neue Idee, kein großes Ziel in der menschheitlichen Entwicklung, das nicht bei seiner ersten Geltendmachung in ähnlicher Weise beurtheilt, verurtheilt und dementsprechend bekämpft worden wäre! Ist aber eine Forderung vernünftig, ist sie gerecht, ist sie natürlich, dann kann man auch sicher darauf rechnen, daß sie schließlich zum Durchbruch, zur Verwirklichung kommen wird. Und, meine Herren, wenn heute zum ersten Mal in einem deutschen Parlament eine solche Forderung aufgestellt wird, dann ganz sicher nicht zum letzten Mal! Es wird mit dieser Frage gehen wie mit anderen. Genau so, wie gegen die Forderung, den Frauen das Studium der Medizin, überhaupt das höhere Studium auf unseren Universitäten, zu ermöglichen, anfangs eine große Mehrheit vorhanden war, aber mehr und mehr zusammengeschmolzen ist, so daß in der Petitionskommission schließlich sogar eine Mehrheit für diese Forderung sich herausgestellt hat, so wird auch die Forderung des Frauenstimmrechts nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden; sie wird immer wieder auftreten, immer weitere Kreise erfassen und wird schließlich auch in