Nr. 8 der ,, Gleichheit" gelangt am 17. April 1895 zur Ausgabe.

so tief, daß ich die scharfen Pfeile", die ich noch in meinem Köcher führe, einstweilen stecken lasse. Frau v. Gizycki bezeichnet sich selbst als augenblickliche Schlachtenbummlerin". Schlachtenbummler dürfen sich nicht wundern, wenn sie hin und wieder eine Kugel trifft. Das kämpfende Proletariat jedoch hat kein Interesse daran, daß seine Reihen von Schlachtenbummlern umschwärmt werden. Wohl aber hat es ein wachsames Auge auf solche Schlachtenbummler zu halten, welche gelegentlich ihr Schlachtenbummlerthum aufgeben und ihre Stimme erheben und zwar recht laut und nachdrücklich erheben um das vorwärtsstürmende Heer der Klassenkämpfer in eine Richtung zu weisen, wo ihrer nicht die Befreiung wartet, sondern die sichere Enttäuschung. Clara Zetkin .

Luise Otto- Peters+

-

Deutschlands Frauenwelt hat eine ihrer ältesten und tüchtigsten Vorkämpferinnen verloren. Ende März starb in Leipzig Frau Luise Otto- Peters . Sie war feine der Unseren, sie stand nicht fämpfend im proletarischen Lager. Nichtsdestoweniger schuldet ihr auch die proletarische Frauenwelt Anerkennung. Luise Otto- Peters hatte erkannt, daß die volle politische Freiheit Aller die Vorbedingung ist für das Erringen sozialer Befreiung. Und so gehörte sie zu den ersten Frauen, welche in Deutsch­ land den Muth hatten, die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu fordern und sich politisch zu bethätigen. Bereits um das Jahr 1848 gab sie eine Frauenzeitung heraus mit dem Motto: Dem Reich der Freiheit werbe ich Bürgerinnen." Mit Kopf und Herz stand sie während der deutschen 40er Freiheitskämpfe im Lager der Rebellen", in dem auch ihr Bräutigam stritt, der dafür mit siebenjähriger Kerkerhaft büßen mußte. 1869 war es Luise Otto- Peters , die zusammen mit einigen anderen bekannten Vorkämpferinnen für Frauenrechte in Berlin den ersten Arbeiterinnenbildungsverein gründete. Ihrer Ueber­zeugung nach war die Verstorbene eine ehrliche bürgerliche Demokratin. Nach der Gründung des Volfsstaat" gehörte sie zu den gelegentlichen Mitarbeitern dieses sozialdemokratischen Blattes. Aber je reinlicher sich allmälig die Scheidung zwischen bürgerlicher Demokratie und Sozial demokratie vollzog, um so mehr ging ihr die Fühlung mit der letzteren verloren, und um so ausschließlicher widmete sie ihre bedeutende Kraft den Zielen der bürgerlichen Frauenbewegung. Der sozialdemokratischen Bewegung stand sie vorurtheilslos gegenüber, dem Leiden der Arbeite:= klasse brachte sie warmes Mitgefühl, ihrem Ringen nach Befreiung Sym­pathie entgegen. Ihr edler Charakter, ihr selbstloses, aufopferndes Wirken im Dienste ihrer Ueberzeugung sichern ihr eine Erinnerung weit über den Kreis Derer hinaus, die ihr persönlich nahe standen, und die durch ihren Tod schwer getroffen worden sind. Ehre ihrem Andenken.

Kleine Nachrichten.

Ein ,, guter" Nebenverdienst wurde einer Dresdener Arbeiterin, die durch ihre Berufsarbeit nicht genügend für ihren Unterhalt erwarb, in einem Stickereigeschäft angeboten. Die Arbeiterin stickte täglich von früh 4 Uhr bis 1/28 Uhr und von 5 Uhr Nachmittags bis spät in die Nacht hinein. Damit verdiente sie im Laufe eines ganzen Jahres ganze 45 Mark. Der Besitzer des Geschäfts begründete die gezahlten Schundpreise damit, daß ,, meist Damen für ihn arbeiteten, die es nicht so nöthig hätten, und die mit noch weniger zufrieden wären". Fast auf allen Gebieten der sogenannten weiblichen Hand arbeiten leiden die eigentlichen Berufsarbeiterinnen schwer unter der Schmutzkonkurrenz der besseren Frauen" und höheren Töchter", die nur nebenher arbeiten und nicht ihren gesammten Lebensunterhalt verdienen müssen, sondern oft nicht immer nur für ein Mehr an, standesgemäßem" Luxus aufkommen wollen.

-

Eine Frauenausstellung in Kopenhagen soll im Mai eröffnet werden. Kunst, Literatur, Musik, Wohlfahrtseinrichtungen und Haus­haltung sollen auf der Ausstellung vertreten sein. Die Initiative zu der Ausstellung geht von Frauen aus, Staat und Privatpersonen haben 50000 Kronen zu den Kosten beigesteuert. Im Komite, das Frau Kammerherr Drholm zu seiner Präsidentin gewählt hatte, ist jedoch Streit ausgebrochen. Ein Mitglied des Komites, Frau Meyer, hatte sich wegen sozialistischen Meinungen bei Frau Orholm ,, mißliebig" gemacht und wurde genöthigt, das erhaltene Mandat niederzulegen. Die Mehrzahl der Komitemitglieder wollten jedoch von der Einmischung der Politik in die Ausstellungsangelegenheiten nichts wissen, und so mußte sich die gutgesinnte Frau Orholm gleichfalls aus dem Komite zurückziehen. Die Baronin Reetz Thott, Gemahlin des Minister­präsidenten, wies den angebotenen Vorsitz zurück, wie man annimmt, weil auch sie nicht mit einer Sozialistin zusammenarbeiten wollte.

56

-

-

einer

immer hübsch demokratisch Die Präsidentschaft soll nun Prinzessin angeboten werden. Kommentar zu diesen Vorgängen über­flüssig.

Ausbau der Fabrikgesetzgebung- in England. Das eng­lische Unterhaus nahm in erster Lesung eine vom Minister des Innern eingebrachte Novelle zum Fabrifgesetze an, deren Zweck ist, Beding ungen der Sicherheit für Leben und Gesundheit der Arbeiter zu schaffen". Der Entwurf soll verhindern, daß die Arbeiter in Fabriken und Werk­stätten in gesundheitschädlicher Enge zusammengepfercht schaffen; er verbietet, daß Kinder und junge Personen in Bewegung befindliche Maschinen reinigen; daß Personen unter 13 Jahren Ueberstunden leisten, daß in Fabriken beschäftigte Kinder Arbeit mit nach Hause nehmen. Ferner beschränkt er die Ueberzeit für Arbeite rinnen und bestimmt, daß junge, männliche Personen und Arbeiterinnen, die ihre volle Zeit in Fabriken thätig sind, keine Arbeit nach Hause mitnehmen, oder nach der Tagesarbeit im Laden beschäftigt werden dürfen. Der Entwurf dehnt außerdem das Fabrifgesetz aus auf Wäschereien, Docks, Werften, Quais, Gebäude, in welchen Maschinen verwendet werden, und auf Backhäuser. Gelegentlich der Spezialdebatte soll aus dem Hause heraus die Erhöhung der Altersgrenze für die Zulassung von Kindern zur Fabrikarbeit beantragt werden. In England arbeitet man schrittweise, aber stetig an der Erweiterung des Arbeiterschutzes. In Deutschland revidirt man den dürftigen gesetzlichen Arbeiterschutz nach rückwärts, erklärt, daß in dieser Beziehung nichts, aber auch gar nichts mehr gethan werden könne und dürfe und bietet dem Proletariat das Maulkorbgesetz. Deutschland kultivirt offenbar die Sozialreform, wie sie von der Kapitalistenklasse verstanden wird.

Das Frauenstimmrecht in Amerika . Der gesetzgebenden Körperschaft( Legislatur) der englischen Kolonie Neu- Braun­ schweig , Kanada , lag kürzlich ein Gesezentwurf vor, den Frauen von gewissem Vermögen oder Einkommen das Stimmrecht zum Parlament zu ertheilen. Der Antrag wurde mit einer Majorität von vier Stimmen abgelehnt. Das Schicksal des Antrags zeigt, daß der Gedanke der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Ge­schlechts auch in den älteren englischen Kolonien mehr und mehr Boden gewinnt. Der Antrag selbst aber beweist, daß in den Kreisen, welche für die Befreiung des weiblichen Geschlechts schwärmen, viel­fach das Prinzip der Gleichberechtigung alles dessen, was Menschen­antlig trägt, nur oberflächlich an der Haut sitzt und vor der Armuth Halt macht. Mit diesem Antrag spottet die neu- braunschweigische Frauenrechtelei ihrer selbst, sie weiß nicht wie. Denn was sie fordert, ist nicht das Recht für die Frau als Person, als Menschenwesen, sondern für die Frau als Besizerin von Vermögen. Nicht die Gleich­heit Aller im Punkte der politischen Rechte wollte der Antrag herbei­führen, nur Gleichheit zwischen dem Mann und der Frau der be­sitzenden Klasse. Recht nackt und unflug hat in diesem Falle bürger­liche Frauenrechtelei einmal verrathen, was sie sonst gern in Abrede stellt oder bei ihrer ungeschichtlichen Auffassung der sozialen Verhält nisse nicht erkennt: daß auch für sie das Klasseninteresse bestimmender ist, als alle ideologischen Erwägungen.

Bur Beachtung.

Da wie bekannt die Berliner Frauen- Agitations­Kommission behördlich aufgelöst wurde, sind bis auf Weiteres alle Anfragen und Sendungen betreffend die Agitation unter den Frauen zu richten an

Frau v. Hofstetten, Berlin ,

Louisenufer 46 parterre.

Zur Beachtung.

Damit die nothwendige Forderung des Wahlrechts für die Frauen auch in solchen Orten erhoben wird, wo aus irgend welchen Gründen Versammlungen nicht stattfinden können, soll ein Flugblatt zur Verbreitung kommen. Es werden daher die Kreis- Vertrauenspersonen ersucht, möglichst bald der Unter­zeichneten mitzutheilen, wie viel Flugblätter sie für ihren Kreis zu haben wünschen.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner ) in Stuttgart .

Ottilie Gerndt, Berlin O., Blumenstraße 26.

-

Druck und Verlag vov J. H. W. Diez in Stuttgart .