der mehr und mehr verelendenden Kleinbanernschaft das Feigenblatt für die Gelüste der Agrargewaltigen. Der Antrag Kanitz forderte, daß der Ein- und Verkauf des zum Verbrauch im Zollgebiet bestimmten ausländischen Getreides, mit Einschluß der Mühlenfabrikate, ausschließlich für Rechnung des Reichs erfolgt, und daß die Verkaufspreise des Getreides nach den inländischen Durchschnittspreisen der Periode 18S9— 1890, die Verkaufspreise der Mühlenfabrikate nach dem wirklichen Ausbeuteverhältniß, den Getreidepreisen entsprechend, festgesetzt werden, solange hierdurch die Einkaufspreise gedeckt sind, während bei höheren Einkaufspreisen auch die Verkaufspreise entsprechend erhöht werden müssen. Als Entgelt für die dem Reiche zugedachte Rolle des Brotwucherers und Preistreibers verhieß der Antrag den Reichskassen einen Millionenregen von Ueber- schüssen für Militärzwecke. Was bezweckte er? Durch die Staatsmacht die deutsche Getreideproduktion den Gesetzen des Weltmarkts zu entziehen, mit Zerschmetterung der kaum abgeschlossenen Handelsverträge die verbilligende Wirkung der ausländischen Konkurrenz zu beseitigen und für das deutsche Getreide Ausnahmspreise, Hungerpreise festzulegen. Zu Nutz und Frommen der nothleidenden Land- wirthschaft, erklären die Junker. Um den Latifundienbesitzern tausendfach, den Rittergutsbesitzern hundertfach, den großen Bauern zehnfach und den kleinen Bauern gar n»chts zu geben, während ein großer Theil der letzteren ebenso wie die industrielle Bevölkerung noch durch theurere Brotpreise schwer belastet wird, bemerkte Genosse v. Wollmar gelegentlich der Verhandlung des Antrags sehr treffend. Der höhere Getreidepreis würde sich in eine Browertheuerung umsetzen. Der Brotkonsum des deutschen Volks, der schon in Folge des Getreidezolls von 1879/30 bis 1839 jährlich von 230 auf 210 Kilogramm pro Kopf gesunken ist, würde noch tiefer fallen. Die Kartoffel träte noch mehr als bisher schon an Stelle des Brotes, und das durch die Brot- vertheuerung gesteigerte Massenelend fände, wie nachgewiesen, seinen Ausdruck in einer Zunahme der Verbrechen gegen das Eigenthum. Seit langer Hand stand der Kanitzsche Antrag im Mittelpunkt der agrarischen Agitation. Seine Verwirklichung, so wurde dem verschuldeten Kleinbäuerlein vorgegaukelt, bringe für den Bauernstand das goldene Zeitalter zurück. Und gläubig vertrauensvoll begeisterte sich ein großer Theil der Kleinbauernschaft für eine Forderung, deren Durchführung durch die Stärkung des Großgrundbesitzes zu ihrem eigenen Ruin beitragen müßte. Auf ihre kleinbäuerliche Gefolgschaft gestützt und im protzigen Gefühl ihrer Machtstellung im halbfeudalen Maria Stuart . Eine historische Skizze. Von Manfred Wittich. <F°rtftsu»g.> Bei Frauz II. Tod(5. Dezember 1560) war Marias elfter Schritt die Niederlegung des Titels einer englischen Königin, doch ohne sich des Erbrechts nach Elisabeths etwaigem Tod zu begeben. Weiter suchte sie die religiösen Parteien im Lande zu versöhnen. Sie sagte:„Ich halte meine Religion für die beste, ich gehöre nicht zu denen, die sie jedes Jahr ändern, aber ich wünsche auch nicht, einem meiner Unlerthanen Zwang anzuthun." Ebenso erstrebte sie Versöhnlichkeit in der Politik: sie wünschte das Bündniß mit Frankreich zu erhalten, aber auch mit England auf gutem Fuße zu stehen, was durch die Jahre 1561— 65 auch so ziemlich gelang. Das Volk war ihr gewogen. Im Aufstand ihres Halbbruders Murray(eines Bastards) zeigte es sich, daß der Adel, nicht das Volk revoltirte. Die Gemeinden waren bei Weitem nicht so fanatisch wie die Priester und die rebellischen Adeligen, lind warum revoltirte Murray? Weil Maria ihren Vetter Darnley geehlicht hatte und man nun Maria nicht mehr allein zu bekänipfen hatte. Die Genehmigung des schottischen Parlaments zu der Eheschließung mit Darnley vor dessen Mündigwerden hätte Maria wohl leicht erhalten, da man mit ihrem Regiment im Volke nicht unzufrieden zu sein Ursache hatte. Außerdem war der Sekretär Riccio, ein Italiener, den Adeligen, aber auch dem eitlen Darnley, der königliche Vollrcchte (verfassungswidrig!) begehrte, ein Dorn im Auge. Mit Darnley's Mitwissen brachte man David Riccio , den verhaßten„Ausländer", den Hauptrathgeber der Königin, vor deren Augen um. Als Darnley's Ehrgeiz seinen Mitverschworenen unbequem wurde, verschworen sich diese gegen ihn.„Die Königin wußte von dieser Verschwörung nichts, ein beachtenswerthes Zeugniß für die deutschen Reiche ließen die Agrarier wieder und wieder der Regierung hören, daß die Kanitzerei der Preis für ihre Monarchentreue sei. Auch aus der Begründung des Antrags durch den Grafen Kanitz und aus den Reden der„Erwerbsgenossen" des Herrn, klang der nämliche Ton durch, wenn auch etwas höflicher, als in der außerparlamentarischen Agitation. Mit echt demagogischer Gewandtheit und Skrupel- losigkeit suchte der konservative Graf allen Parteien die Kanitzerei mundgerecht zu machen. Den Ultramontanen und Mittelstandsparteien pries er sie als das unfehlbare Mittel, einen gottessürchtigen, kräftigen Mittelstand zu erhalten. Den Vertretern der Großindustrie und des Großhandels verhieß er durch Erhöhung der Konsumfähigkeit des Bauernstands ein reiches Emporblühen des Geschäftslebens. Die Sozialdemokraten suchte er zum Vorspann junkerlicher Interessen durch den Hinweis zu pressen, sie seien verpflichtet, durch Kräftigung des Bauernstandes für Arbeitsgelegenheit des Proletariats zu sorgen. Der Regierung drohte er bald mit der Vormalung der heftigen bäuerlichen Agitation im Lande, bald lockte er sie, indem er den fürstentreuen Bauernstand als festeste Stütze von Thron und Gesellschaft aufmarschiren ließ. Daß der agrarische Wortführer und die um ihn die ganze Schale des krautjunkerlichen Zorns über die Handelsverträge ergossen, welche dem deutschen Volke das Brot ein Weniges verbilligten, versteht sich am Rande. Den Bruch der kaum verbrieften Abkommen mit oder ohne Kanitzerei forderten die Herren mit beispielloser Unverfrorenheit als etwas Selbstverständliches. Und nie ist von„gewerbsmäßigen Hetzern" aufreizender zum Fenster des Reichstags hinausgesprochen worden, als es die Zierden der konservativen Partei gelegentlich der Verhandlung des Antrags thaten. Aber wie der seiner Zeit vom Kaiser zusammenberusene Staatsrath trotz seiner ausgesprochenen Agrarfrenndlichkeit den Antrag Kanitz zurückgewiesen hatte, so nahm die Regierung ihm gegenüber auch im Reichstag eine schroff ablehnende Haltung ein. Ganz besonders energisch verwahrte sie sich gegen die Zumuthung, die Handelsverträge zu brechen. Das Zentrum ließ durch seinen Vertreter, dem frommen Grafen Galen erklären, daß es für die Kanitzerei nicht zu haben sei, da diese der„christlich-sozialen Weltanschauung widerstreite". Um jedoch im Punkte Bauernfreundlichkeit und Bauernfängerei nicht ganz ins Hintertreffen zu kommen, beantragte es eine Kommissionsberathung des Antrags, damit das Reich den berechtigten Forderungen der Land- wirthschaft auf anderen Wegen möglichst Rechnung tragen könne. Den gleichen Zweiseelenstandpunkt vertrat der nationalliberale Agrarier Gewissenhaftigkeit und Verschwiegenheit dieser schottischen Adeligen, I wenn es sich um Verbrechen zum gegenseitigen Vortheil handelte", I schreibt Storm und— er scheint uns damit sehr ins Schwarze l zu treffen. Sind doch auch später lebende Geschlechter, bis auf l die Gegenwart, Zeugen von solchen Verbrechen aus Eigennutz seitens Adeliger gewesen, wenn sie auch in weniger rauhen, offen banditen- I mäßigen Formen sich abspielten, wie zu Maria Stuart's Zeiten. Diese hatte mit ihrem Volk, mit einer neuen Religion, mit ihrem Adel, mit ihrem eigenen Mann— einem Toffel und Egoisten> in Folio— zu kämpfen: man wolle sich dazu noch denken ihre religiösen lleberzeugungen, ihr Gefühl persönlicher Würde, ihr> Herrscherbewußtsein als echte Thronerbin, ihre internationalen Rücksichten aller Art— eine Welt von Sorgen lag auf ihr— und ihre Feinde handelten mit der Rücksichtslosigkeit einer religiös und j sozial verwilderten Zeit, wo die höchsten und maßgebendsten Kreise am wildesten mitthaten. Denn es galt Zuwachs an Besitz und Macht zu erlisten, zu erraffen, zu erzwingen mit allen Mitteln,! Niederträchtigkeit, Eidbruch, Mord, Brand und Gift nicht ausge-! schloffen. Als Riccio gemordet worden war, und als die Gattin Darnley's ! diesen als Helfershelfer der Mörder spät erst erkannte,— wie � muß das Alles auf die im Grunde edle Natur Marias gewirkt haben! Und was muß sie gelitten haben, als sie später, weggelockt vom Krankenbett ihres schuftigen Gemahls, dessen Ermordung bezichtigt wurde, welche in Wahrheit seine Mordkumpane, die Mörder> Riccio's, ins Werk gesetzt hatten. Geck Darnley war der Geck geblieben, der er war. Er suchte — verfassungswidrig!— König zu spielen und drohte mit dem> Davonlaufen.— Für Maria wäre es nur gut gewesen, wenn es der Laffe gethau hätte!— Aber er that es nicht: Marias Besitz war ihm ein Rechtstitel auf Macht und Reichthum, darum wollte er sie nicht aufgeben. Das verziehen ihm seine„Konkurrenten", seine Herren Standesgenossen nicht und sprengten ihn auf seinem �
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5 (17.4.1895) 8
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