Nr. 10.

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Die Gleichheit.

5. Jahrgang.

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.

Herausgegeben von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin .

Die ,, Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nro . 2756) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.

Stuttgart

Mittwoch, den 15. Mai 1895.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Mulier taceat in ecclesia.

, Mulier taceat in ecclesia", die Frau soll in der Gemeinde schweigen, oder wie der Abwechslung halber der ultramontane Herr Bachem zitirte: Mulier taceat in foro", die Frau soll auf dem Forum, soll in der Oeffentlichkeit schweigen, diese hausbackenste und 30pfigste aller Spießbürgerweisheit wurde wieder einmal von der Tribüne des Reichstags herab verkündet. Anlaß dazu bot der sozialdemokratische Antrag, der Bundesstaaten Vereins- und Ver­sammlungswesen von Reichs wegen einheitlich und in freiheitlichem Sinne zu regeln; das unbeschränkte Vereins- und Versammlungs­recht, die volle Stoalitionsfreiheit auch dem weiblichen Geschlecht einzuräumen. Wie hätte auch angesichts solch frevlen Verlangens der Vulgärpolitiker sich die billige Gelegenheit entschlüpfen lassen, aufs Neue zu bekräftigen, daß er als blinder Hödur den Zeichen der Zeit, gewissen sozialen Nothwendigkeiten gegenübersteht, daß er von dem Beispiel so mancher anderen Staaten nichts, aber auch gar nichts gelernt hat! Und so ließ denn der fromme Herr Bachem unter Beifall von rechts und links den alten, ach, gar so alten und vertrauten Ausspruch dem Zaum seiner Zähne entspringen.

Das war vorauszusehen. Das Zitat gehört zur Gattung der Worte, die stets zu rechter Zeit sich einstellen, wenn Begriffe, wenn Beweise fehlen. Es gehört zu dem eisernen Bestand banaler Redensarten, mit denen Philistermoral die Forderung der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts abthun zu können wähnt. Und dadurch, daß das Wort schon so altersgrau ist, hat es nicht an Wahrheit gewonnen, dadurch, daß es wieder und wieder gefaut ward, nahm es an Beweiskraft nicht zu. Umgekehrt: die wirthschaftliche Entwicklung, welche die politischen Rechte der Frau heischt, läßt sich durch Gemeinpläße nicht Halt gebieten. So ist bei jeder Wiederholung das Mißverhältniß zwischen Nedensart und thatsächlichen Zuständen ein immer größeres und gelangt zur Er­fenntniß immer breiterer Kreise.

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Beweiskräftiger wurde der Gemeinplatz auch nicht dadurch, daß ihn Herr Bachem, den ahnungsreichen Busen schmerzzeriffen, durch den Kassandraruf vervollständigte: Die Zulassung des Weibes zu politischen Dingen würde Anarchismus sein!" Und an Güte gewann er auch nicht dadurch, daß ihn der Zentrumsredner durch einen weiteren Gemeinplaz stüßte: Denn es ist gegen die Natur." Merkwürdig, daß wie Bachofen, Morgan und Andere noch unwiderleglich nachgewiesen die so vielberufene weibliche Natur" im Alterthum sich prächtig abgefunden hat mit einer hat mit einer wesentlich anderen als der heutigen sozialen Stellung der Frau, mit einer sozialen Stellung, welche dem schwachen Geschlecht" nicht blos eine unbehinderte, sondern eine ausschlaggebende Bethäti­gung im öffentlichen Leben ermöglichte. Merkwürdig auch, daß frog der vielberufenen allgemeinen weiblichen Natur" die Frau sich abfindet: in der Türkei 2c. mit dem abgeschlossenen, vegetativen Haremsleben; in England und Schweden , in den meisten der Ver­ einigten Staaten , in Neuseeland und Südaustralien mit dem Besitz und der Ausübung von mehr oder minder vollständigen politischen Rechten, mit dem Rathen und Thaten auf den verschiedensten Ge­bieten kommunalen und staatlichen Lebens.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner), Stuttgart , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

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Vergangenheit und Gegenwart zeigen, daß die vom Philister als waltendes Fatum heraufbeschworene weibliche Natur" durch­aus nicht das unfaßbare, mystische Etwas ist, das, verschleiert von den Weihrauchdämpfen poetischer Verklärung oder von dem prosaischeren Brodem der auf dem häuslichen Herde schmorenden Gerichte, in ewig starrer Unwandelbarkeit über den wogenden Wassern der sozialen Verhältnisse schwebt. Auch für die weibliche Natur" gilt die Binsenwahrheit, daß sie nicht schiebt, sondern geschoben wird, daß sie sich ändert mit der Zeit, mit dem Land, mit den Produktions­bedingungen, mit der Klassenzugehörigkeit, kurz durch die Gesammt= summe der gesellschaftlichen Verhältnisse, welche Entwicklung und Eristenz der einzelnen Frau beeinflussen.

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Und so sinnenfällig sind die diesbezüglichen Thatsachen, daß sich sogar Herr Bachem sich sogar Herr Bachem troß seines frommen Köhlerglaubens an die politische Unbeflecktheit der weiblichen Natur" zu einer Konzession bequemen muß. Er anerkennt die Nothwendigkeit, den Frauen eine gewisse Koalitionsfreiheit auf wirthschaftlichem Gebiete einzuräumen, damit sie ihre wirthschaftlichen Interessen wahren fönnen". Noch einen Schritt weiter, und Herr Bachem hätte die Nothwendigkeit anerkennen müssen, gerade behufs Wahrung wirth­schaftlicher Interessen den Frauen die volle Koalitionsfreiheit auf wirthschaftlichem und politischem Gebiete, überhaupt volle politische Rechte zu verleihen. Denn die bürgerliche Frau bedarf dieser Rechte, um mittels ihrer im Kampfe gegen den Mann ihrer Klasse wirthschaftliche Unabhängigkeit zu erringen und damit die Möglich­feit eines freien Auslebens ihrer Individualität. Die proletarische Frau aber bedarf dieser Rechte, um mittels ihrer zusammen mit dem Mann ihrer Klasse im Kampfe gegen den ausbeutenden Kapi­taliſten und die kapitalistische Gesellschaft ihre wirthschaftliche Frei­heit zu erobern als Vorbedingung einer freien Entfaltung und Bethätigung ihres Wesens.

Herr Bachem hat diesen Schritt der Erkenntniß nicht gethan. Der Mann, der vom Standpunkte eines mittelalterlichen Kanonikus aus sich den Kopf der Sozialdemokratie über die Fährnisse des " Zukunftsstaates" zerbricht: hat selbstverständlich weder Augen für das keimende geschichtliche Leben der Gegenwart, noch Ohren für die Reformforderungen, welche die Verhältnisse mit eherner Stimme heischen. Der Standpunkt des reaktionären und seichten Sozial­politikers Bachem hat uns deshalb nicht überrascht. Dafür hat uns der Standpunkt des Ultramontanen Bachem um so an­genehmer belustigt. Man genieße die volle, unfreiwillige Komit folgender Situation: Herr Bachem warnt mit erhobenem Schul­meisterfinger vor der Zulassung der Frau zu politischen Dingen". Und Herr Bachem ist Ultramontaner , d. H. ein politischer Vor­kämpfer der katholischen Kirche , der Macht, die zu allen Zeiten systematisch und mit unübertroffen feiner Virtuosität die politischen Verhältnisse durch die Frauen beeinflußt hat!

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In der That, wenn der Herr die Herzen der Gewaltigen und Mächtigen dieser Erde einmal nicht sichtbarlich lenkte wie Waffer­bäche in der Richtung einer kirchennüßlichen Politik: hat die fatho lische Kirche allzeit mittels von schönen und flugen Frauen der Vorsehung korrigirend nachgeholfen. Und zwar ließ sie in diesem Falle in edlem Gleichheitsdrang und ohne Ansehen der Person sowohl ,, legitime" als illegitime", pardon! allerhöchst- illegitime" Frauen