Junge Mädchen, welche in Geschäften die Schneiderei erlernen und später daselbst thätig sind, verdienen bedeutend weniger; zu An­fang 60, dann 80 Pfg. täglich und erst nach jahrelanger Beschäftigung höchstens 1,30 bis 1,50 Mark ohne Kost. Man sieht, daß also auch unter den Lübecker Näherinnen Herr Eugenius Richter, der Spar- Agnes unsterblicher Dichter", das Urbild jenes Lichtgeschöpfes, welches milde und versöhnend, wie ein Gebild aus Himmelshöhn" mit den 2000 Mark ersparter Gelder durch den Schrecken seiner Zukunftsbilder" schreitet, schwerlich finden wird. Ebenso nutzlos würde es sein, wenn man eine Spar- Agnes unter den Modistinnen und Puhmacherinnen oder unter den Verkäuferinnen in den Ladengeschäften dieser Branche suchen wollte. Eine erste, ganz außerordentlich tüchtige Verkäuferin erhält monatlich 60-70 Mark ohne Kost oder 30-40 Mark mit Kost und Wohnung. Das Gehalt einer zweiten Verkäuferin, die sehr thätig sein muß, stellt sich auf 25-40 Mark ohne Kost oder 15-25 Mart mit solcher und Logis.

Diejenigen Mädchen, welche in den Stickerei und Tapisserie­geschäften als Verkäuferinnen angestellt sind, erhalten außer freier Kost und Wohnung zu Anfang 60 Mark jährlich, später steigt dieses Riesengehalt je nach der Tüchtigkeit der Verkäuferin und der Dauer ihrer Thätigkeit in der Branche bis auf höchstens 20-30 Mark monatlich. Das monatliche Durchschnittsgehalt der Verkäuferinnen beträgt in den Schuhwaarenmagazinen 25 Mark, in den Woll -, Garn-, Holländisch- und Weißwaarenhandlungen 20, 30 bis 40 Mart. In den letztgenannten Geschäften geht der eigentlichen Anstellung eine sechswöchentliche Lehrzeit voraus, während welcher meist keine Vergütung bezahlt wird. In fast all den angeführten Verkaufsgeschäften, vor allem aber in den Puzgeschäften, ist die eberarbeit in den Zeiten der Saison ein schreiendes Uebel. Die jungen Mädchen müssen Wochen lang Nacht für Nacht bis 12, 1, auch wohl 2 Uhr arbeiten, ohne daß sie für dieses Mehr an Leistungen auch nur einen Pfennig vergütet erhalten. Zum Schlusse der vor­ſtehenden, in ihrer Trockenheit so beredten Zahlenangaben sei noch mitgetheilt, daß das Salair der Lübecker Komptoiristinnen 40 bis 50 Mart monatlich beträgt.

Es versteht sich am Rande, daß bei solchen Einkommensverhält­nissen die Lübecker Arbeiterinnen durch die bitterste Noth zum Sparen" gewungen werden, zu einem Sparen auf Kosten ihrer Gesundheit, ihrer Lebenskraft, auf Kosten ihres Theilhabens an den Errungen­schaften der Kultur. Nicht dadurch wird ihr Elend gemindert, daß sie den Hungerriemen noch sester anziehen, daß sie sich in ver­dammter Bedürfnißlosigkeit" zu einer noch niedrigeren Lebenshaltung

Ein unerbittlich scharfer Wächter Und tapferer Gedankenwürger, Der, leider! erst, zum Heil der Bürger, In fernen, schönern Zeiten sproßt,

Das wäre so mein Augentrost!

Einst schlief ich unter grünen Bäumen,

Da ist sein Bild mir klar erschienen In meinen patriotischen Träumen: Wie er mit lieben Forschermienen Gedanken greift auf ihrer Flucht Und ihre hüllenden Gewande,

Jed' Fältlein lüftend, streng durchsucht,

Ob sie nicht führen Konterbande

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An allerlei verruchten Dingen, Ob sie ein Liebesbriefelein Der Freiheit wollen überbringen Und ein gefährlich Stelldichein. Mir ward in jenen Visionen Beglückter Zukunft schönster Gruß: Ich sah das Heer von Maulspionen, Welch ein prophetischer Hochgenuß! Wie Jäger, einen Fuchs zu prellen, Ans Loch des Baus ihm Schlingen stellen, Drein sich der Lose muß verfangen, Treibt ihn aus seiner dunklen Schluft Hinaus vorwitziges Verlangen Nach freier, frischer Waldesluft: So schaut' ich damals mit Ergötzen An Menschenmundes offner Pforte Spione lauern und die Worte Auffangen mit Verrathesnetzen. Hat es die Politik gebracht

In ihrer Kunst zu solchen Flügen, Dann ist begründet Eure Macht, Dann ist Regieren ein Vergnügen.

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herabdrücken lassen. Umgekehrt, höhere Ansprüche an das Leben in jeder Beziehung müssen zum Stachel werden, der sie in den Kampf treibt, um aufgeklärt und organisirt bessere Existenzbedingungen in der Gegenwart und ihre Befreiung in der Zukunft zu erringen.

Aufrichtig ist deshalb zu bedauern, daß das Werk der Aufklärung und Organisation der Lübecker Proletarierinnen nur langsam Fort­schritte macht. Zwar nehmen sämmtliche Lübecker Gewerkschaften auch Frauen als Mitglieder auf- selbstverständlich wenn weibliche Arbeiter in der betreffenden Branche vorhanden sind-- aber leider wird die derart gebotene Möglichkeit der Aufklärung und der Aufbesserung der Erwerbsverhältnisse seitens der Arbeiterinnen nur wenig ausgenützt. Diesem Stand der Dinge gegenüber ist es vor allem Pflicht der männlichen Arbeiter, auf ihre Kameradinnen unermüdlich einzuwirken und sie zum Eintritt in die Gewerkschaften zu mahnen. Und nicht ihre Pflicht allein, auch ihr wohlverstandenes Interesse, denn dem verhängnißvollen Einfluß der Frauenarbeit auf die Arbeitsbedingungen der Männer kann nur durch die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen entgegengewirkt werden. Schon ist in Lübeck eine kleine Schaar klassenbewußter Proletarierinnen bemüht, Aufklärung in die Reihen der Schwestern zu tragen, sie für den Gedanken der Organi­sation zu gewinnen. Hoffentlich gelingt es der vor einiger Zeit am Orte gegründeten Vereinigung der Frauen und Mädchen Lübecks" dieses ihr Ziel zu erreichen. Der Anschluß an diese Organisation, die ihre Versammlungen jeden zweiten Freitag im Monat in Leeckes Gasthaus, Lederstraße 3, abhält, ist jeder Proletarierin dringend zu empfehlen!

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Zwei Kongresse amerikanischer Frauen­

rechtlerinnen.

Im ersten Viertel dieses Jahres fanden in den Vereinigten Staaten zwei frauenrechtlerische Kongresse statt, welche jenes eigen­thümliche, in die verschiedensten sozialen Stimmungen hinüberschim­mernde Gepräge tragen, das die Frauenbewegung in den Ländern der Neuen Welt, zum Theil auch in England charakterisirt.

In Washington tagte der zweite Kongreß der Frauen der Vereinigten Staaten ", der alle drei Jahre stattfindet. Zahl­reiche frauenrechtlerische Organisationen und Persönlichkeiten waren auf ihm vertreten und zwar Persönlichkeiten und Organisationen, welche neben der Frauenrechtelei und zum Theil innig mit ihr verquickt den verschiedenartigsten religiösen, philanthropischen 2c.

Es sauft die Maschine.

Es saust die Maschine.

-

Mit mächtigem Toben

Das laute Getön sich erhebt,

Wie kraftvoll ein Geier in Lüften hoch droben

Zur goldigen Wolkenhöh' schwebt.

-

Es saust die Maschine. Es klingt an den Ohren Wie wildes, verzweifelndes Schrei'n

Der Opfer, die kläglich ihr Leben verloren,

Gezerrt in das Triebwerk hinein.

Ats furchtbarer Herrscher des Chaos von Feuer, Von Riemen, von Schrauben und Stahl, Berauscht sich das schnaubende Ungeheuer

Und lärmend erdröhnt es im Saal.

Es schwatzt, lacht und glüht, hört im Toben dann auf, Bis kreischend zum Stillstand sich's bringt; Dann stürmt es aufs Neu' und zum Himmel hinauf Prophetisches Hurrah erklingt:

Nur vorwärts, Ihr Helden der künftigen Thaten,

Es steht Euch der Kampfplatz bereit.

Die Säge, die Hacke, das Beil und der Spaten,

Sie rufen zum ehrlichen Streit.

,, Die strotzenden Adern von Lebenskraft glühend, Das Antlitz von Sonne verbrannt,

Balsamische Luft mit dem Athem einziehend,

Genährt von dem fruchtbaren Land,

,, Stürzt kühn Euch, Ihr Helden, in Kampfesgewimmel,

Das goldene Freiheit Euch bringt."

Es saust die Maschine: und stürmisch zum Himmel Prophetisches Hurrah erklingt.

Ada Negri .

Aus der Gedichtsammlung Schicksal"( Fatalità), deutsch von Hedwig Jahn. Verlag von Alex. Dunder, Berlin .