öffentlichen Meinung allein war ausschlaggebend für das klägliche Ende des Umsturzrummels. Gewichtigere Umstände wirkten in der gleichen Richtung. Der Kautschuk der ausgeflügelten Knebe= lungsparagraphen hätte eventuell ihre Anwendung erlaubt auf jede, auch die zahmste bürgerliche Opposition. Keine bürgerliche Partei war sicher, vorkommenden Falles nicht die nämlichen Ketten tragen, die nämlichen Geißelhiebe dulden zu müssen, die sie der Sozial­demokratie gegönnt hätte. Zuletzt und nicht am wenigsten: die einander widerstreitenden wirthschaftlichen Interessen der verschie denen Kategorien der Kapitalistenklasse, welche von verschiedenen politischen Parteien vertreten werden, verhinderten einen Zusammen schluß zu der einen reaktionären Masse dem Umsturz gegenüber. Die bürgerlichen Parteien fonnten sich nicht einigen über den politischen und wirthschaftlichen Schacherpreis, um den sie für einander und für die Regierung feil waren. Nicht einer grund­säglichen, einheitlichen Gegnerschaft gegen die Reaktion, gegen die Vernichtung der Volksfreiheiten erlag die Umsturzvorlage, sie fiel in Folge der Interessengegensätze innerhalb der Welt der Besitzen den und der bürgerlichen Parteien, sie fiel aus fleinlichen, geschäft­lichen Augenblicksrücksichten.

Die Regierung aber hat das Ende des Umsturzrummels in der versuchten Form beschleunigt durch das unvergleichliche Ein­greifen des ministeriellen Kleeblatts, des Justizministers, Kriegs­ministers und des trefflichen Polizeiministers von Köller. Das ebenso unverfrorene als täppische Auftreten dieser Herren hat die bürgerlichen Parteien zur Opposition emporgepeitscht; es war so beispiellos provozirend, daß es bei den bürgerlichen Reichstags: abgeordneten alles wachrufen mußte, was sie an politischem, ja an persönlichem Ehrgefühl besaßen.

Die Umsturzvorlage ist todt, es lebe die Umsturzvorlage", soll der unfreiwillige Agitator für die Sozialdemokratie, Herr von Köller nach der entscheidenden Abstimmung ausgerufen haben. In der That, es ist nichts weniger als ausgeschlossen, daß dem Reichstag nicht demnächst die Vorlage zugeht, ein unverhülltes Sozialistengeset, ein nacktes Ausnahmegesetz gegen das kämpfende Proletariat zu fabriziren. Im Lager der Konservativen und Nationalliberalen fordert man laut und lauter ein solches. Welche Stellung die Regierung zu dem Begehren einnehmen wird, darüber läßt sich nicht prophezeien, denn ihre Stellung hängt von Gewalten ab, die unberechenbar und unverantwortlich sind. Plötzlich ist bei ihr Trumpf, und nicht blos nach Ausnahmegesezen gelüftet es der Reaktion, auch nach dem Umsturz von oben, nach einem Staats­streich, nach einer Meuchelung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts.

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Arbeiterinnen- Bewegung.

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In der Zeit vom 1. bis 20. Mai fanden öffentliche Ver­sammlungen statt in: Alten- Buseck  , öffentliche Versammlung aller in der Tabakindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die Nothwendigkeit der Organisation"( Genoffin Blohm); Altwasser, öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: Die Bedeutung des 1. Mai"( Genosse Kühn); Berlin  , öffentliche Versammlung aller in der Luxus- und Spitzenpapierbranche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die Arbeitsverhältnisse in der Papierbranche"( Ge­nosse Sailer); öffentliche Versammlung der in den Kontobücherfabriken beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: 1) Wahl eines Vertrauens­mannes", 2) Die politische Lage"( Genosse Hoffmann); öffentliche Versammlung aller in der Posamentenbranche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Der Kampf ums Dasein"( Genosse Adolf Hof­mann); Braunschweig  , öffentliche Volksversammlung: Das Schicksal der Umsturzvorlage"( Genosse Dr. Quarc); Buxtehude  , öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: Die internationale Mai­bewegung"( Genosse Krause); Cannstatt  , öffentliche Versammlung der Schneider und Schneiderinnen: Die Zustände in der Konfektions­branche"( Genosse Knoop); Daubringen  , öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: Die Nothwendigkeit der Organisation für die Tabakarbeiter"( Genossin Blohm); Estebrügge  , öffentliche Volks­versammlung: Die internationale Bedeutung der Maifeier"( Genosse Krause); Harburg  , große öffentliche Versammlung für Arbeiter und Arbeiterinnen: Der Streit auf den Palmkernölfabriken"( Genosse Baerer); Heuchelheim  , öffentliche Volksversammlung: Warum sollen sich die Tabakarbeiter organisiren?( Genossin Blohm); Köln  , öffentliche Volksversammlung: Das Schicksal der Umsturzvorlage" ( Reichstagsabgeordneter Schuhmacher); Leipzig  , öffentliche Versamm­lung aller in der Maß und Konfektionsschneiderei beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Weshalb fordern wir die Einrichtung von Betriebswerkstätten unter Beleuchtung der durch das Schwitzsystem hervorgerufenen Mißstände?"( Genossin Palm); Mannheim  , öffent­liche Versammlung der Schneider und Schneiderinnen: Warum fordern wir Betriebswerkstätten?"( Genosse Dolinski); Meerane  , öffentliche Versammlung aller in der Textilindustrie beschäftigten Personen: Die allgemeine Lage der Weber am Orte und die eventuelle Lohnaufbesserung der Hausweber"( Genosse Kirmse); Moabit  , große öffentliche Volksversammlung: Die Umsturzvorlage"( Reichstags­abgeordneter Wilhelm Blos  ); Nürnberg  , öffentliche Schneider- und Schneiderinnenversammlung: Die Nothwendigkeit der Betriebswerk­stätten"( Genosse Segitz); Obertriebel, öffentliche Versammlung für Männer und Frauen: Die Vorlage des Reichstags und die Bedeu tung des 1. Mai"( Reichstagsabgeordneter Albin Gerisch); Wieseck  , öffentliche Versammlung der Tabatarbeiter:" Weshalb organisiren wir uns?"( Genossin Louise Blohm).

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- Vereinsversammlungen fanden in der nämlichen Zeit statt in: Berlin  , Mitgliederversammlung des Verbands der Arbeiter und Arbeiterinnen der Wäsche und Kravattenbranche: Rassenbericht";

nisse in der Posamentenbranche"( Genosse Mahlke); Mitglieder­versammlung der Freien Vereinigung aller in der Schuhwaaren­industrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die Bedeutung der Verkürzung der Arbeitszeit( Genosse Dr. Weyl); Hamburg  , Mitgliederversammlung des Verbands der Fabrik-, Land- und Hilfs­arbeiter und Arbeiterinnen: Die Frauenarbeit und ihr Einfluß in wirthschaftlicher und politischer Beziehung auf die Gesammtarbeiter­schaft"( Genosse Liebscher); Stuttgart  , Mitgliederversammlung des Bezirksvereins Westen: Die Thätigkeit des Landtages"( Genosse Agster); Wellingdorf  , Mitgliederversammlung des Bildungsvereins für Frauen und Mädchen: Der Einfluß der Krisen auf das Gesell­schaftsleben"( Genosse Klüß).

Die Sozialdemokratie, die zielbewußte Arbeiterklasse, sieht allen Möglichkeiten ruhig und gewappnet in heiterer Siegeszuversicht Mitgliederversammlung des Textilarbeiterverbands: Die Lohnverhält entgegen. Sie geht daran, den Gewinn, den ihr die Situation gebracht hat, endgiltig einzuheimſen und zu bergen, völlig auszu­nüßen. Sie war die erste politische Partei, welche die Bewegung gegen die Umsturzvorlage in die Massen getragen hat. Sie war die einzige Partei, welche im Reichstag und außerhalb seiner Mauern jedes Antasten der politischen Freiheiten der Nation grund­fäßlich bekämpfte. Die Kritif, welche ihre Vertreter an der Um­sturzvorlage, an den heutigen Verhältnissen übten, haben weite Kreise Indifferenter politisch wachgerüttelt. Klärlich zeigte es sich, daß die sozialistische Bewegung so innig mit der gesammten Zivili­sation unserer Zeit verwachsen ist, daß man die Sozialdemokratie nicht fesseln kann, ohne gleichzeitig die moderne Kulturentwicklung schwer zu schädigen, sie rückwärts zu bremsen. So ist es nur natürlich, daß der Sozialdemokratie in der Zeit des Umsturz­rummels neue Schaaren von Anhängern zugeströmt sind. dies nicht blos aus dem Proletariat, auch aus anderen gesellschaft­lichen Schichten. Nun gilt es, diese oppositionellen, unklaren Ele­mente der Partei zu assimiliren, ohne sich von ihnen beeinflussen zu lassen, sie aus radikalen Mitläufern zu zielbewußten Genossen zu erziehen. Die Aufgabe ist groß, sie ist schwierig, aber die Sozialdemokratie wird sich ihr gewachsen zeigen. An ihrer alt­bewährten revolutionären Taktik festhaltend, marschirt sie durch die Wirrnisse, welche die Situation zeitigt, von Sieg zu Siege.

Und

Die Maifeier.

Das tämpfende internationale Proletariat kann auch dies Jahr wieder mit stolzer Befriedigung auf seinen Maientag zurückschauen. Er war würdig der großen Kulturbewegung, deren Trägerin die ziel­bewußte Arbeiterklasse ist. Trotz der verschiedenen Formen, in denen der Arbeit Mai in den einzelnen Ländern begangen wurde, hatte die Feier überall den gleichen Inhalt: die kraftvolle Versicherung aller bewußt gewordenen Ausgebeuteten, keinen Frieden mit der kapita­ listischen   Gesellschaft schließen zu können, die volle Befreiung der Arbeit durch den Kampf von Klasse zu Klasse erringen zu wollen; die klipp und klare Forderung aller Reformen, welche das Proletariat