förperlich, geistig und sittlich heben, seine Kampfesfähigkeit damit steigern, sein Befreiungsringen erleichtern und fördern; eine im Gegensatz zu dem Mordspatriotismus der Besitzenden stehende Kundgebung für den allgemeinen Weltfrieden, dessen Grundlage die Solidarität der Interessen aller Ausgebeuteten ist. Der politischen Situation entsprechend war der allgemeine Inhalt der Maifeier in verschiedenen Ländern noch mit bestimmten Sonderkundgebungen verquickt: in Deutschland mit energischen Protesten gegen die am 1. Mai noch drohende Umsturzvorlage; in Desterreich mit einer gewaltigen Demonstration zu Gunsten des allgemeinen Wahlrechts; in Italien mit der Brandmarkung der Crispischen Schand- und Gewaltherrschaft. Natürlich fehlte es hier und da nicht an Versuchen, die Maifeier durch die Hungerpeitsche des Unternehmerthums oder durch den Polizeifnüppel todtzuschlagen. Sie blieben erfolglos. Ebenso auch das Bestreben, die Maimanifestanten zu Gewaltthätigkeiten zu reizen. So imposant die Maifeier allerorten verlief, so ruhig und friedlich blieb sie ihrer Form nach. Die revolutionäre Vorhut des Proletariats bewies ebenso faltblütige Werthung der thatsächlichen Machtverhältnisse, als flares Zielbewußtsein, ebenso stramme Schulung als Begeisterung und zukunftsfrohe Siegeszuversicht.
In Deutschland wurde die Maifeier dieses Jahr in noch weit größerem Umfange begangen als 1894. Trotzdem daß die Kundgebung im Zeichen der noch nicht begrabenen Ümsturzvorlage stand, oder richtiger: gerade weil dies der Fall war. Angesichts der beabsichtigten Knebelung erklärte das deutsche Proletariat gelegentlich der Maifeier laut, eindringlich: ich pfeife auf eure Nücken und Tücken, ich pfeife auf eure Gewaltmaßregeln. Ihr hemmt mich, doch ihr zwingt mich nicht. Die Zahl der Orte, in denen am 1. Mai manifestirt wurde, ist gegen das Vorjahr sehr bedeutend gestiegen, und dies nicht blos in den Industriedistrikten, auch in vielen ländlichen Gegenden. Weit größer als im Vorjahr war auch der Andrang der proletarischen Massen, die außerhalb der Organisationen stehen und noch nicht direkten und bewußten Antheil am Klassenkampfe nehmen. In auffällig gestiegener Menge betheiligten sich insbesondere die Frauen der werkthätigen Masse an der Maifeier. In den größeren Städten und Industriezentren machten sie oft die Hälfte der Manifestanten aus, aber auch in den kleinsten Dertchen fehlte es nicht an Proletarierinnen, welche die frühere Gleichgiltigkeit gegenüber dem Kampfe ihrer Klasse abgelegt hatten, aufmerksam den Ausführungen der Redner lauschten, begeistert den sozialistischen Forderungen zustimmten. Daß die redegewandten Genossinnen wie stets so auch am 1. Mai in Versammlungen auf Posten waren, ist selbstverständlich. Hocherfreulicher Weise zeigte sich, daß auch in Deutschland weitere Kreise von Proletariern und Proletarierinnen es durchgesetzt haben, den 1. Mai durch Arbeitsruhe feiern zu können. Die sehr zahlreichen, gut besuchten, ja zum Theil überfüllten Vormittagsversammlungen beweisen dies augenscheinlich, desgleichen die vielen Massenausflüge, Spaziergänge, Nachmittagsfeste zc. Am großartigsten gestaltete sich die Maifundgebung natürlich in den großen Städten und Industriezentren, allen voran in Berlin , Hamburg , Leipzig , Dresden , Nürnberg , Fürth , München , Stuttgart , Köln , Frankfurt a. M., Breslau , Magdeburg , Bremen 2c. 2c. In einigen Orten fanden, stattliche Umzüge statt, so in Lübeck und Geestemünde . Anderwärts wurde der geplante Demonstrationszug verboten, so in Kiel , und zwar mit der Begründung, es würden sich Einzelne zu Ruhestörungen hinreißen lassen, weil zumal die Maifeier aufreizen solle".
Am herrlichsten hat auch diesmal wieder das Proletariat Desterreichs den revolutionären Maitag gefeiert, der zugleich eine gewaltige Rundgebung war zu Gunsten des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts. Dem politisch ebenso verlumpten als unfähigen Roalitionsministerium, welches die feierlich verheißene Wahlreform unter den erbärmlichsten Vorwänden verschleppt, hat das österreichische Proletariat am 1. Mai wieder zugedonnert:„ Wir lassen uns nicht narren; wir fordern unser Recht; wir erkämpfen unser Recht!" Vergebens hatte sich das Unternehmerthum verschiedener Gegenden bemüht, die Maifeier mit Gewalt oder List zu hintertreiben. Vergebens hatten die Staatsgewalten versucht, sie niederzubütteln oder die österreichische Arbeiterklasse durch Provokationen vor die Flinte, die schießt, unter den Säbel, der haut, zu bringen. Die österreichischen Proletarier und Proletarierinnen ließen sich weder schrecken, noch herausfordern. Mit revolutionärem Zielbewußtsein und revolutionärer Begeisterung, aber auch mit strammer Disziplin und ruhiger Besonnenheit begingen sie ihren Maitag. In den größeren Städten und Industriezentren war die Arbeitsruhe so gut wie vollständig, sogar viele Staatsbetriebe mußten sich mit ihr abfinden. Den glänzendſten und überwältigendsten Verlauf nahm die Kundgebung in Wien , wo die 47 Vormittagsversammlungen überfüllt waren. Mittags marschirten mindestens 100 000, nach anderen Schätzungen 140 000 flassenbewußte Proletarier
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und Proletarierinnen in geschlossenem Zuge an dem Parlament vorüber nach dem Prater. In dem Riesenzuge, der den verbohrtesten Gegnern imponirte und Bewunderung abzwang, wurden rothe Banner und Tafeln getragen mit Inschriften, die sich auf die Bedeutung des 1. Mai, die Forderung der Sozialdemokratie, das allgemeine Wahlrecht, bezogen. Besonders bemerkt wurde eine Gruppe von 5000 Ziegelarbeitern und Ziegelarbeiterinnen( dieselben hatten kurz vorher im Streit gestanden und dank der Unterstützung der organisirten Arbeiterschaft die Verwirklichung eines Theils ihrer Forderungen errungen), die in ihrer Arbeitstracht, meist barfüßig, die Frauen in bunten Kopftüchern, im Zuge marschirten. Auch eine größere Gruppe von jungen Genossinnen, in rothe Blousen gekleidet, erregte besonderes Aufsehen. Die Betheiligung der Frauen an der Demonstration, wie an den Versammlungen, war eine äußerst rege und zahlreiche. Nach dem Schluß der Feier im Prater zogen etwa 5000 Genossen und Genossinnen vor das Palais des Ministerpräsidenten und gaben ihm. in nicht mißzuverstehender Weise die Werthschätzung des Proletariats und seine Forderungen kund. In Brünn , Prag , Graz, Salzburg , Linz , Krakau , Lemberg , Czernowig, Triest 2c. manifestirte die Arbeiterklasse gleichfalls in zielbewußter, energischer und würdiger Weise. In Budapest , wie in anderen ungarischen Städten, verboten die Behörden jede Kundgebung, konnten aber nicht verhindern, daß viele Tausende sich zusammenfanden, um den 1. Mai festlich zu begehen. Das ungarische Proletariat kann außerdem auf eine besonders schöne Manifestation seines Willens und seiner Kraft verweisen: seit dem 1. Mai erscheint das sozialistische Parteiorgan täglich.
Die Schweizer Arbeiterklasse feierte den 1. Mai in inniger Ideen und Kampfesgemeinschaft mit dem Proletariat anderer Länder. Allerorten fiel die Maifeier glänzender aus, als in den Vorjahren. In Zürich , Basel , Bern , Winterthur , St. Gallen , Genf , Chaux- de- Fonds, Grenchen 2c. fanden äußerst gut besuchte Versammlungen statt, an vielen der genannten Orte auch Umzüge. Der Züricher Demonstrationszug zählte gegen 10 000 Theilnehmer. In Winterthur sprach der Pfarrer Pflüger, ein ernster Sozialreformer und ehrlicher Arbeiterfreund, unter freiem Himmel vor mehr als 3000 Arbeitern und Arbeiterinnen. In Oerlikon und Grenchen waren anläßlich der Maifeier die Schulen geschlossen. Die Behörden von Chaux- de- Fonds überließen die Ortsfirche zur Maifeier. Man vergleiche mit diesen Thatsachen die Haltung der deutschen Bürgerfreise und Behörden!
In Frankreich hat sich der 1. Mai als Feiertag des Proletariats fest eingebürgert. In Paris wurde der Tag hauptsächlich zu großen, gut besuchten Agitationsversammlungen benutzt. In den Orten der Provinz, wo der Sozialismus festen Fuß gefaßt hat, so in Lille , Calais , Roanne , Roubaix , Marseille , Troyes 2c. verlief die Feier glänzend. Weit mehr als die Hälfte der in Arbeit stehenden Lohnsklaven und Lohnsflavinnen dieser Städte und der umliegenden Gemeinden hat den 1. Mai durch Arbeitsruhe gefeiert und betheiligte sich begeistert an den Kundgebungen der verschiedensten Art.
Das Proletariat von Belgien und Holland hat ebenso schön und in noch größerem Umfange manifestirt als die früheren Jahre. In der Gegend von Lüttich feierte mehr als die Hälfte aller Arbeiter, in den Industriezentren von Mittelbelgien war die Arbeitsruhe so gut wie allgemein. In Städten und Induſtriedistrikten, so in Lüttich , Brüssel, Antwerpen , Verviers , Jolimont 2c. fanden Versammlungen, Umzüge, Kundgebungen in verschiedener Form statt. In Antwerpen und Gent veranstaltete die organisirte Arbeiterschaft am Sonntage nach dem 1. Mai großartige Demonstrationen mit Umzug. In mehr als 60 holländischen Orten wurde der 1. Mai in entsprechender Weise gefeiert. Besonders imposant gestaltete sich die Feier in Amsterdam , Haag und Maastricht .
In Italien hat die Maifeier naturgemäß unter der Crispischen Diftatur gelitten. Sehr viele, um nicht zu sagen die meisten Arbeiterorganisationen, gewerkschaftliche wie politische, sind zerstört, ein Druck ohne Gleichen lastet auf der werkthätigen Bevölkerung. Dazu kam, daß in manchen Gegenden, so besonders in Sizilien , ein solches Aufgebot von Polizei und Soldateska für den 1. Mai erfolgt war, daß die Genossen von jeglicher öffentlichen Rundgebung absahen, um das von Grispi gewollte Blutvergießen zu vermeiden. Wo es irgend durchführbar war, fanden dagegen öffentliche Versammlungen statt, die sämmtlich einen glänzenden Verlauf nahmen. Dies gilt besonders für Mailand , wo 18000 Arbeiter feierten, für Rom , Vicenza , Livorno , Pisa , Reggio Emilia , Florenz , Lima 2c.
In den größeren Städten von Spanien und Portugal , so in Madrid , Barcelona , Malaga , Bilbao , Cadiz , in Lissabon , Oporto u. a. D. vereinigten Klassenbewußte Proletarier ihre Stimme mit der ihrer Ideen- und Kampfesgenossen in anderen Ländern.