standtheil des Budgets geworden, das ohne sie nicht mehr denkbar ist, solange die kapitalistische Gesellschaft besteht. Die Last ist unerträglich, und einer nach dem anderen scheitern die Versuche, sie weiter zu ver­mehren. Aber die Entwicklung der Waffentechnik fordert fortwährend neue und größere Opfer, und die Umwandlung Japans   zur Großmacht des Stillen Ozeans muß für die kapitalistischen   Staaten des europäischen  Festlands die Vergrößerung der Kriegsmarine zur Folge haben. Gleich­zeitig wird das bedrängte agrarische Kapital immer frecher und zu­dringlicher in seinen maßlosen Geldforderungen an den Staat.

Die Regierungen: schwankend, topflos; die bürgerlichen Parteien: zerrüttet und sich untereinander bekämpfend. Nur die umstürzlerische Sozialdemokratie mehrt ihre Reihen, stählt ihre Kräfte, drängt mächtig

vorwärts.

In Desterreich sitzt der bürgerliche Staat so fest am Haken der Wahlreform, daß er sich nicht mehr von ihm loslösen, ja mehr noch, daß er ohne sie keine einzelne Bewegung ausführen kann, daß er verurtheilt ist, entweder elendiglich zu verkümmern, oder sich zu unter­werfen. Dagegen wächst im munteren Kampf die Sozialdemokratie und ruft bereits durch ihr Machtgebot Hunderttausende auf die Straße.

Bis aber in dieser Beziehung der große, ernste Umsturz vollendet ist, vollzieht sich ein fleiner, lustiger Umsturz im Wiener   Rathhaus. Die dicken Bourgeois werden verjagt von ihren breiten Sesseln, die sie bereits platt- oder durchgesessen haben, und unter Pfeifen und Gejohle zieht der wild gewordene Kleinbürger in die geweihten Räume ein.

In Frankreich  : Casimir- Perier   unter dem Gelächter der ganzen Welt in die schmutzige Grube hinuntergestürzt und Dupuy, der französische v. Köller, ihm nach. Das französische   Umsturzgesetz, genannt Gesetz gegen die Anarchisten, durch die Macht der öffentlichen

85

gesetz umgestürzt, Bismarck   umgestürzt, in die Zollpolitik, durch die Handelsverträge, eine Bresche gelegt, das Zedlitzsche Volksschulgesetz abgethan, die lex Heinze weggeworfen, die Militärvorlage das erste Mal abgelehnt, das zweite Mal moralisch umgestürzt, weil die Deckungsmittel bis auf diesen Augenblick verweigert wurden, die Tabaksteuer, die Finanzreform umgestürzt, die Umsturzvorlage um­gestürzt, die Tabaksteuer zum zweiten Male umgestürzt. Und die Zahl großer und kleiner Umstürze, die der Sturz der Umsturzvorlage nach sich ziehen wird, ist noch gar nicht abzusehen! Die Regierung gänzlich isolirt, getrennt von den Parteien; die Parteien gegeneinander gehetzt, das Zentrum mit Gewalt zur Opposition getrieben überall Kampf, Hader und Rathlosigkeit. Nur die Sozialdemokratie kämpft unverdrossen und unerschüttert, umlagert die bürgerlichen Parteien und die Regierung mit einer gewaltigen Macht, drängt und schiebt sie und läßt sie aufeinander stoßen.

Und während auf dieser Seite der Weltkugel der Umsturz in so mannigfaltigen Gestalten sich abspielt, vollzog sich soeben erst auf der anderen Hälfte der Umsturz einer ungeheuren, durch die Geschichte von Jahrtausenden herausgebildeten konservativen Staats- und Volksmacht, und dieser gewaltige Sturz wird voraussichtlich die tapitalistische Gesellschaft in ihren bereits unterwühlten, auseinander­fallenden, zerbröckelnden Grundlagen so stark erschüttern, daß sie jäh zusammenbricht!

Kein Ende und kein Maß dem Umsturz! Unabwendbar, wie das Schicksal und allmächtig wie dieses braust er heran. Ihn mit polizeilichen Maßnahmen bekämpfen, hieße den das Weltmeer auf­wühlenden Sturm in einem Wasserglas auffangen wollen!

Meinung umgestürzt. Siegessicher und kampfesfroh blos die sozialistische Das Vereins- und Versammlungsrecht vor dem Umsturzpartei.

In Italien   die Regierung durch Crispi geschändet, Crispi selbst als Lump an den Pranger gestellt; der kapitalistische Staat der Ver­achtung und dem Haß des Volkes preisgegeben. Und in England die große liberale Partei, die Partei des industriellen Kapitals, im ver­zweifelten Ringen um ihre Eristenz, weil die Arbeiterklasse durch den Klassenkampf zur Bildung einer selbständigen sozialistischen   Partei gedrängt wird!

Und erst in unserem geliebten Deutschland  ! Wieviel Umstürze hat schon allein der neue Kurs ertragen müssen? Das Sozialisten­

sie sich in dem kalten, unfreundlichen Zimmer umsieht, sagt sie zu sich selbst, während ihr die Thränen über die blassen Wangen herabrinnen: Was nun?"

-

Da hört sie Tritte vor der Thür sie schreckt zusammen­sie weiß, daß, wenn ihr Jemand vom Geschäft begegnen würde, ihr dies den letzten Nest von Muth nehmen müßte.

Darum packt sie rasch ihre Sachen zusammen, steht einen Augenblick still, wischt sich die Thränen aus den Augen und geht die Treppe hinab. " Und morgen?"

Morgen wird dann die herzbrechende Suche nach Arbeit, nach einer neuen Stelle, mit einer Reihe von Demüthigungen kommen und dann vielleicht doch kein Resultat ihr schaudert.

-

Und was für ein Zeugniß wird ihr Herr X. ausstellen? Außer ihrer geringen Habe, die sie soeben zusammengepact hat, sind die wenigen Mark ihr ganzes Gut und damit soll sie der Welt entgegentreten?

In solchen Gedanken geht sie in das Dunkel der Nacht hin­aus auf die Straße, das gemeinsame Heim der Unglücklichen und der Elenden.

In feenhaftem Glanze erstrahlten die Läden, den Passanten zum Eintritt und Kauf verlockend. An der Ecke scheint noch immer ber bläuliche Schimmer der elektrischen Bogenlampe, deren Licht die Fassade des Modebazars plastisch hervortreten läßt und tages­hell das Innere des Verkaufssalons erleuchtet.

Um die Ecke aber schleicht, müde und erschöpft, das arme Mädchen arbeitslos, stellenlos.

-

-

Herr X. aber fährt mit dem ruhigsten Gewissen zu seiner Frau und seinen Kindern hinaus in seine Villa und denkt nicht mehr an den kleinen Zwischenfall, handelt es sich ja doch nur um eine Geschichte, die sich jeden Tag abspielt.

Die nächtlich einsamen Straßen der Stadt, wie die Brüstungen der über den Fluß führenden Brücke wären wohl im Stande, das Ende solcher Geschichten zu erzählen.

Reichstage.

Wie Pilze nach einem warmen Gewitterregen so schießen in unserer staatsstreichlüsternen Zeit reaktionäre Wünsche und Gesetzes­vorlagen empor. Der jetzige Reichstag hat den größten Teil seiner Zeit und Kraft mit der Erörterung bezw. dem Todtschlag derartiger Geschöpfe verbringen müssen. Selten nur ist er in die Lage gekommen, Anträge zu debattiren, welche von einer Erörterung der Rechte und Freiheiten der werkthätigen Masse handelten. Und war dies der Fall, so gingen die diesbezüglichen Forderungen fast regelmäßig von der

Herausforderung.

Welt von Bürgern, schlau und ehrenwerth, Die Geld anhäufen und bequem sich betten, Welt von Millionären, wohlgenährt Und zierlichen Koketten;

Welt von Frau'n hysterisch, schlank und blaß, Die um den Liebsten gehn zur Messe offen; Welt voll Treuebruch, voll Raub und Haß Und trügerischem Hoffen;

Bist du es also, lügnerische Welt, Die Licht und Jdeal mir will verleiden, Bist du es, feiger Zwerg, der drauf verfällt, Die Flügel mir zu schneiden?...

Du kriechst, ich fliege, gähnst du, singe ich, Verachte deine Ränke, deine Lügen; Der Zauber der Begeisterung schwebt um mich, Du bleibst im Schlamme liegen.

Welt von Thoren und von Schlangenbrut, Du feige Welt, mein Fluch hallt dir entgegen. Den Blick gewandt auf der Gestirne Gluth, So folg' ich meinen Wegen.

-

Allein und wehrlos, voller Durst nach Licht Zieh ich dahin. Und magst du, skeptisch, trübe Zurück mich halten, aus der Brust doch bricht Das hohe Lied der Liebe.

Geh üpp'ge Welt, zieh durch den Aether fort, Verworfenheit und Geldsucht mit dir jagen. Als Geißel schwinge ich das glüh'nde Wort, Dir ins Gesicht zu schlagen.

Ada Negri  .

Aus der Gedicht sammlung Schicksal"( Fatalità), deutsch von Hedwig Jahn. Berlin  , Verlag von Alex. Duncker.