Nr. 15 der ,, Gleichheit" gelangt am 24. Juli 1895 zur Ausgabe.
findet unter 9 Mt. pro Monat kein möblirtes Zimmerchen, eine bloße Schlafstelle muß sie mit 3-5 Mk. monatlich bezahlen, und wenn sie sich noch so sehr mit ihren Lebensansprüchen bescheidet, so erreichen ihre Ausgaben doch die 6 Mt. 50 Pf., welche Professor Kuno Frankenstein als Existenzminimum einer ledigen Arbeiterin herausgerechnet hat. Das Fazit dieser Verhältnisse heißt Sorgen, heißt Entbehrungen, heißt eventuell Schmach und Schande.
Eine gründliche Besserung ihres Looses haben die Proletarierinnen ebenso wenig wie die Proletarier von der heutigen Gesellschaft und innerhalb derselben zu erhoffen. Nur in der Zukunft, nur in einer sozialistischen Gesellschaft blüht dem Proletariat das Heil, und nur der Kampf von Klasse zu Klasse macht es zum Herrn der Zufunft und seines Geschickes. Deshalb ans Wert, Männer und Frauen der Arbeit! Klärt euch auf, organisirt euch, tragt Aufklärung in jedes proletarische Hirn, zieht eure Brüder und Schwestern der Frohn und der Armuth zur Organisation heran, schult sie zu Kampfesgefährten. Wenn ihr von einer Erkenntniß durchdrungen, von einem Willen geeint seid, so gehört euch die Welt. Otto Ohl , Stettin .
Zu
1. Die gewerkschaftlich organisirten Arbeiterinnenvereine der Schweiz hielten an den Pfingstfeiertagen in Zürich ihre alljährliche Delegirtenversammlung ab. Vertreten waren auf derselben die Settionen Basel , St. Gallen , Winterthur und Zürich . Zur Annahme gelangte u. A. der Antrag der Sektion Basel , die Anstellung fantonaler weiblicher Fabrikinspektoren zu fordern. diesem Zwecke sollen die einzelnen Sektionen mit den übrigen Frauenvereinen am Ort in Verbindung treten, um eine gemeinschaftliche Petition bei den kantonalen Behörden einzureichen. Ferner wurde angeregt und beschlossen, die Errichtung von staatlichen Heimstätten für minder bezahlte Arbeiterinnen von den kantonalen Behörden zu verlangen. In diesen Anstalten sollen die Arbeiterinnen Kost und Logis zum Selbstkostenpreis erhalten. Nachdrücklichst wurde seitens der Delegirten betont, daß die Arbeiterinnenvereine der Ausgestaltung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes die regste Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Für die Kantone, wo noch keine ge= setzlichen Bestimmungen bestehen, welche den Schutz der Arbeiterinnen über das allgemeine eidgenössische Fabrikgesetz hinaus erweitern, sollen entsprechende Entwürfe ausgearbeitet und dem Zentralkomite der Arbeiterinnenvereine zur Begutachtung vorgelegt werden. Das Zentralfomite hat seinerseits die Aufgabe, für die Einführung und Durchführung eines allgemeinen und wirksamen gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes zu wirken.
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Seitens der Delegirten wurde allgemein darüber geklagt, daß die in den letzten Jahren abgehaltenen Koch- und Haushaltungskurse nur den begüterten Klassen zu Gute kämen, und daß dabei keine Rücksicht auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der proletarischen Familien genommen würde. Man will deshalb bei den Gewerbeschuldirektionen denen diese Kurse unterstehen dahin vorstellig werden, der betreffende Unterricht möchte auch den Arbeiterinnen zugänglich gemacht werden.( Auch dann werden die Kurse den Arbeiterinnen noch nicht immer zugänglich sein. Die gebotene Lerngelegenheit tönnen sie nur ausnüßen, wenn sie ihre paar Erholungsstunden an Abenden und Sonntagen opfern, oder wenn der Herr Unternehmer gnädig genug ist, seinen„ Händen" die Zeit für den Besuch der Kurse freizugeben. Außerdem: von Kochenkönnen und Haushaltenkönnen der Frau wird die proletarische Familie nicht satt. Was helfen die Kenntnisse einer perfekten Köchin, wenn es in Folge von Arbeitslosigkeit nichts zu brocken und zu beißen giebt, wenn dem färglichen Einkommen entsprechend Kartoffel und Häring die Hauptnahrung bildet, wenn die Frau, um die Existenzmittel der Familie zu vermehren, von früh bis Abends in der Fabrik schanzen muß? A. d. R.)
Als Vorort für das neue Geschäftsjahr wurde Basel bestimmt; dem dortigen Arbeiterinnenverein wurde die Organisation des nächſtjährigen Delegirtentags übertragen. Hoffentlich hat dieser bezüglich des Gedeihens der Arbeiterinnenvereine der Schweiz und ihrer Aktion recht günstige Resultate zu verzeichnen.
Kleine Nachrichten.
,, Die Arbeiterfrauenfrage und die Gewerkvereine", so lautete ein Punkt der Tagesordnung, mit welcher sich der 12. Verbandstag der Gewerkvereine( Hirsch- Duncker) beschäftigte, der vom 3. bis 9. Juni in Danzig tagte. Ueber die Frage referirte auf Grund eigener Erfahrungen und statistischer Thatsachen Maschinenbauer Moser Krefeld und Schneider Müller- Breslau . Nach lebhafter
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Debatte gelangte eine von dem erstgenannten Referenten eingebrachte Resolution zur Annahme. Dieselbe besagt, daß die möglichste Gleichlohnung der männlichen und weiblichen Arbeitskraft einerseits durch verbesserten Arbeiterschutz, andererseits durch Berufsorganisationen auch der Frauen, womöglich im Anschluß an Gewerkvereine beider Geschlechter erstrebt werden soll. Der Verbandstag nahm zu der Frage noch eine von dem Maschinenbauer Schumacher- Erfurt eingebrachte Resolution an, welche die mit allen gesetzlichen Mitteln zu betreibende Verbesserung der Lage der männlichen Arbeiter für den wirksamsten Beitrag zur Lösung der Arbeiterfrauenfrage" erklärt. Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, von welch eminentem Nutzen die Verbesserung der materiellen Lage der männlichen Arbeiter für die proletarischen Frauen ist, aber durchaus irrthümlich ist die Annahme, daß mit dieser Verbesserung bezw. mit einer Hebung der materiellen Lage der proletarischen Frauen die„ Arbeiterfrauenfrage" wesentlich gelöst sei. Es handelt sich nicht blos um die Versor gung der Frau obgleich die" Magenfrage" die treibende Kraft der Frauenbewegung ist auch um die Befreiung der Frau. Und aus der zweiten der angenommenen Resolutionen lugt verschämt, aber deutlich genug, der alte Philisterstandpunkt hervor: die Frau gehört ausschließlich ins Haus. Nicht auf dem Boden der Philisterwünsche, sondern auf dem der Thatsachen steht dagegen die erste Resolution, die gleichen Lohn für Arbeiter und Arbeiterinnen und die Einbeziehung der Arbeiterinnen in die Gewerkschaften fordert. Und weil die frumben Hirsch- Dunckerschen sich hier auf den Boden der Thatsachen stellten, mußten sie unausbleiblich zu Forderungen gelangen, welche die Sozial demokratie seit vielen Jahren erhebt und zu verwirklichen trachtet, während diese Forderungen früher von den Harmonieaposteln als Ungeheuerlichkeiten und Utopien verspottet wurden. Der sozialdemo fratische Sauerteig erweist seine Kraft. Hätte sich Hirsch- Dunckersche Musterknaben- Weisheit je träumen lassen, daß sie sozialdemokratischen Forderungen nachhinken muß?
Die Anstellung weiblicher Aufsichtsbeamten für die In spektion solcher Betriebe, in denen Arbeiterinnen beschäftigt sind, wünschten die 23 evangelischen Arbeitervereine Württem bergs, welche am 3. Juni ihre Hauptversammlung zu Stuttgart ab hielten. Dieselben sprachen noch eine weitere Reihe von Wünschen und Bitten aus, die sich auf die Fabrikinspektion und die Arbeiter sekretariate beziehen, einen vernünftigen sozialpolitischen Geist athmen und durchgängig alte Forderungen der Sozialdemokratie sind. Alle sozialen Strömungen, die auf Kurs unter dem Proletariat spekuliren, werden gezwungen, bei dem Programm der Sozialdemokratie Anleihen zu machen und damit bewußt und unbewußt deren Ueberlegenheit und Macht anzuerkennen.
Ein Fortschritt, die höhere Franenbildung betreffend. Die badische Regierung hat dem Frauenbildungsverein Reform" die Zusage ertheilt, den Schülerinnen des Mädchengymnasiums zu Karls ruhe bei regelmäßiger Entwicklung der Anstalt seinerzeit die Ablegung der Reifeprüfung gestatten zu wollen. Diese Zusicherung bedeutet einen Fortschritt der Bewegung für höhere Frauenbildung. Denn mit der Zulassung der Frauen zum Abiturium fällt der einzige sachlich begründete Einwand, der bisher gegen die Zulassung des weiblichen Geschlechts zu den deutschen Universitäten geltend gemacht wurde: nämlich daß die Frauen nicht durch gleiche Prüfungen wie die jungen Männer den Besitz der gleichen Vorbildung für die Universitätsstudien nachweisen könnten. Wir begrüßen diesen Fortschritt freudig, obgleich er nicht dem gesammten weiblichen Geschlecht zu Gute kommt, vielmehr nur -von Ausnahmen abgesehen der Frauenwelt der besitzenden Klasse
Näherinnenelend in München . Eine für ein recht angesehenes Geschäft in München arbeitende Konfektionsnäherin erhielt für das Nähen eines Jackets 95 Pfennig, eines Regenmantels i Mark 30 Pfennig. Das Ausfertigen von einem Duhend Taillen Knopflöcher wird mit 80 Pfennig gelohnt. Für diesen Preis muß die Näherin die Seide zugeben und die Knöpfe annähen! Bei derartiger Entlohnung werden Millionäre auf der einen Seite ge züchtet, Bettlerinnen und Prostituirte auf der anderen.
Zur Beachtung.
Alle Zuschriften, Anfragen, Geldsendungen, welche sich auf die Agitation unter den Frauen beziehen, bezw. für diese Agitation bestimmt sind, sind zu richten an Frau Ditilie Gerndt Berlin O, Blumenstraße 26.
Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner) in Stuttgart . Druck und Verlag vov J. H. W. Dieg in Stuttgart .
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