Dürftigkeit des Verdienstes, die Härte und Vollständigkeit der Aus­beutung und Verknechtung reichen auf Seite des Arbeiters gewöhnlich bei Weitem nicht an das Arbeiterinnenelend heran. Die Arbeiterin ist eine Frau. Ihre Klassenlage als Proletarierin verquickt sich mit ihrer Geschlechtslage als Weib. Sie, die sozial zwiefach Schwache, ist sozial die zwiefach Geopferte. Ihre weibliche Be dürfnißlosigkeit und Anspruchslosigkeit, ihr weibliches Gehorchen und Sichfügen, ihre weibliche politische Rückständigkeit und Recht­losigkeit, ihre weibliche Widerstandsunfähigkeit, ja sogar ihre mütter­liche Liebe: alles Eigenschaften der Waare weibliche Arbeitskraft, welche das Kapital zu schäßen weiß, weil es sie auszubeuten, in reichsten Mehrwerth umzuprägen vermag, alles Eigenschaften, welche die Arbeiterin das Opfer der rücksichtslosesten Ausbeutung werden lassen. Ehern, wie das Schicksal der Alten, starren der Einzelnen diese Thatsachen entgegen. Sie mag mit Strömen von Thränen ihre Grundfesten zu erschüttern versuchen; sie mag sich gegen sie in stolzem Troß aufbäumen; sie mag sich mit zäher Energie an ihnen die Hände wund rütteln: vergebens alles, solange sie eine Einzelne ist. An der wirthschaftlichen Uebermacht der Kapitalisten, an dem starken Bau der kapitalistischen   Wirthschaftsordnung zer­stieben gleich Wogenschaum die Anstrengungen der sozial doppelt schwachen Arbeiterin.

Nur eins ermöglicht ihr den Kampf aufzunehmen: die Or­ganisation, welche ihr Macht und Wissen verleiht. Wie sich Sand­förnchen an Sandkörnchen zu Felsen fügen, wie sich Tropfen und Tropfen zu Meeren sammeln, so werden sozial Schwache mit sozial Schwachen, durch die gleichen Lebensinteressen zusammengehalten, durch den Druck der gemeinsamen Klassenlage zusammengeschweißt, in der Organisation zu einer sozialen Macht. Und diese Macht vermag es, sich im Kampfe mit dem ausbeutenden Kapitalisten zu messen, ihm Forderungen abzuringen, deren Verwirklichung er der einzelnen Arbeiterin hohnvoll verweigert. Je schwächer und wider­standsloser sich die einzelne Arbeiterin fühlt, je rücksichtsloser die Ausbeutung an ihrer Lebenskraft, ihrer Frauenwürde, ihrem Menschen­thum frevelt, um so dringender ist für sie die Nothwendigkeit, sich der gewerkschaftlichen Organisation anzuschließen, ihre persönliche Ohnmacht durch deren Kraft auszugleichen.

Nicht daß die Macht der gewerkschaftlichen Organisation die Ketten sprengen kann, welche die Arbeiterin belasten. Wohl aber vermag sie dieselben zu lockern. Nicht daß sie im Stande wäre, die kapitalistische Gesellschaft fortzufegen und damit der Proletarierin ihre volle Befreiung zu bieten. Wohl aber räumt sie ihrem Be­freiungskampfe zahlreiche Hindernisse vom Schlachtfelde, wohl reicht sie ihr in Gestalt besserer Arbeitsbedingungen die Wegzehrung, welche ihre Kraft für die Schlacht am Birkenbaum" stählt. Die gewerkschaftliche Organisation bedeutet für die Arbeiterin mehr Brot, mehr Zeit, mehr Freiheit, sie bedeutet für sie Erweckung des Soli­däritätsgefühls und Schulung des Klassenbewußtseins und mit dem allem ein höheres Menschenthum, eine höhere Kampfesfähigkeit für den Sturm von Klasse zu Klasse, der gewaltig einherbraust und machtvoll Jahrtausende altes Unrecht auf den Kehrichthaufen der Geschichte fegt. Die Zeit ruft zum Kampf. Arbeiterinnen, organisirt Euch!

Marianne Menzer+.

Anfang Juni starb in Dresden   im 81. Lebensjahre eine bekannte und verdiente Vorfämpferin für Frauenrechte, eine Demokratin vom alten, unbeugsamen Schlag: Fräulein Marianne Menzzer  , Schwägerin des Mitbegründers der freireligiösen Gemeinden Dr. Wislicenus.

Die Verstorbene gehörte zu den sehr wenigen Frauen der bürger­lichen Welt, welche die Frauenfrage nicht einseitig auffassen. Sie war die erste der bekannten Rednerinnen, welche im Anfang der achtziger Jahre in Lübeck   und Düsseldorf   statistische Angaben über Löhne und Arbeitszeit der Thüringer   Arbeiterinnen veröffentlichte, sowie die zahlreichen Mißstände aller Art zur Sprache brachte, unter denen diese litten und zum Theil noch leiden. Mit der vor einigen Jahren verstorbenen Johanna Wecker zusammen trat sie warm und energisch ein für die Gründung von Rechtsschutzvereinen für Arbeiterinnen.

Unter den Dresdener   Genofsinnen und Genossen werden ver­schiedene sich noch der lebhaften alten Dame mit dem silberweißen

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Haar erinnern, welche in mehreren Volksversammlungen, in denen Genossin Ihrer referirte, begeistert und begeisternd die Arbeiterinnen aufforderte, sich zu organisiren und durch die Macht von Gewerk vereinen gegen die kapitalistische Ausbeutung anzufämpfen. Den Leiterinnen des Frauenvereins, der damals in Dresden   gegründet wurde, stand Marianne Menzzer   in liebenswürdigster Weise jederzeit mit Rath und Belehrung zur Seite, und mit warmer Sympathie ver­folgte sie die Bestrebungen der Arbeiterklasse, ihre Ketten abzuschütteln. Noch im Anfang Mai dieses Jahres besuchten mehrere Genossinnen die hochbetagte Dame und fanden sie wie immer feurig begeistert für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und voll lebhaften Interesses für den Befreiungskampf des werkthätigen Volkes. Obgleich ihr Augenlicht beinahe erloschen war, las sie doch mit der größten Anstrengung ihre Tageszeitung. Bis an ihr Ende war sie stets bereit, Minderwissende aufzuklären und mit Schrift und Wort für um ihr Recht betrogene Arbeiterinnen einzutreten.

Mit Marianne Menzzer   hat die deutsche bürgerliche Frauen­bewegung in kurzer Zeit die dritte der Frauen verloren, denen sie ihre Begründung verdankt und an welche ihre jüngeren Trägerinnen nicht heranreichen. Eine Wecker, eine Otto- Peters   und eine Menzzer haben für die Gleichberechtigung ihres Geschlechts zu einer Zeit ge kämpft, wo diese Gleichberechtigung nicht blos den Narren eitel Thorheit" dünkte, wo die Forderung von Frauenrechten allgemein einem Wahnsinn gleichgeachtet wurde, wenn nicht gar einem Ver­brechen gegen göttliche, sittliche oder natürliche Ordnung. Und eine Wecker, Otto- Peters und Menzzer haben und hätten sich nie dazu herbeigelassen, mit lakaienhaften Verbeugungen demüthige Bitten vor der Macht zu murmeln, welche die Bestrebungen für die Gleichberech tigung des weiblichen Geschlechts, welche insbesondere den Befreiungs­tampf der proletarischen Frauen mit allen möglichen Nücken und Tücken zu hindern sucht. Getreu ihrer demokratischen Ueberzeugung, ihrem Mitgefühl für das leidende und ihrem Verständniß für das kämpfende Proletariat gehörte Marianne Menzzer   zu den wenigen Frauenrechtlerinnen, welche protestirten gegen den Beschluß des bürger­lichen Frauentags zu Berlin  ( Frühjahr 1893), durch welchen bekanntlich die Arbeiterinnenvereine bewußt oder unbewußt als sozialdemokratische und politische Organisationen denunzirt und von dem gegründeten " Bunde deutscher Frauenvereine" ausgeschlossen wurden.

Ehre dem Andenken der opferfreudigen, selbstlosen, warmherzigen und energischen Frau, die sich so vortheilhaft vor der Masse ihrer Klassengenossinnen auszeichnete und die sich bis zum letzten Athem­E. J. zuge getreu ihren Idealen bethätigte.

Arbeiterinnen- Bewegung.

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-In der Zeit vom 20. Juni bis 10. Juli fanden öffentliche Versammlungen statt in: Altona  , öffentliche Versammlung der Hand­lungsgehilfen und Gehilfinnen: Die drohende Rückwärtsrevidirung der Sonntagsruhe"( Genosse J.); Berlin  , öffentliche Versammlung der Händler und Händlerinnen: Die Zustände in der Zentral­markthalle"( Genosse Saß); öffentliche Versammlung der Metall­arbeiter und-Arbeiterinnen: Die Zustände in den Werkstätten der Aktiengesellschaft S. Bergmann& Komp."( Genosse Näther); öffent­liche Versammlung der Arbeiter und Arbeiterinnen der Berliner  Velvetfabrik: Die Vortheile der verkürzten Arbeitszeit"( Genosse Zahn); öffentliche Versammlung der in der Müßenbranche beschäf tigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die Arbeitsverhältnisse in der Mützenbranche"( Genosse Peters); öffentliche Versammlung der Ar­beiter und Arbeiterinnen der Pelzbranche: Die Arbeitsverhältnisse im Kürschnergewerbe"( Genosse Regge); öffentliche Volksversammlung: ,, Wieviel ist eine Frauensperson" werth unter Berücksichtigung behörd licher Einschätzungen?"( Reichstagsabgeordneter Stadthagen  ); öffent­liche Versammlung der Konfektionsschneider und Schneiderinnen aller Branchen: Welche Schäden herrschen unter den Hausarbeitern der Bekleidungsindustrie, und wie stellt sich die Arbeiterschaft zu unseren Forderungen?"( Genosse Wiesemann); öffentliche Volksversammlung: Das Märchen von der Unabhängigkeit des Richters"( Reichstags abgeordneter Stadthagen); öffentliche Versammlung aller im Handels­gewerbe beschäftigten Personen: Die Sonntagsruhe ist in Gefahr" ( Reichstagsabgeordneter Schmidt- Berlin); Bonn  , öffentliche Ver­sammlung für Arbeiter und Arbeiterinnen: Die erzieherische Wir­fung der Organisation"( Genossin Schneider- Köln); Brandenburg  , öffentliche Versammlung der Arbeiter und Arbeiterinnen des graphi schen Gewerbes: Die Bedeutung der gewerkschaftlichen Organisation" ( Genosse Massini); Charlottenburg  , öffentliche Versammlung der Arbeiter und Arbeiterinnen aller Branchen: Welche Aufgaben erwachsen den Arbeitern und Arbeiterinnen im Kampfe um bessere Lohn- und Arbeitsverhältnisse?"( Genossin Rohrlack); öffentliche Ver

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