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sie mittels der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion durch Initiativ­anträge an die gesetzgebenden Gewalten mit Forderungen herantreten könnten. Eine Diskussion über die Berichterstattung fand nicht statt. Genossin Gerndt legte darauf Rechnung ab über ihre Einnahmen und Ausgaben von Ende März bis Mitte November. Die ersteren betragen 208,03 Mt., die letzteren 188,98 Mt. Die Versammlung betraute die Genossinnen Greifenberg , Mesch und Scholz mit der Revision des Kassenberichts. Nach einer sehr gründlichen Aus­sprache über die Fähigkeit der Genossin Gerndt, den Posten als Vertrauensperson auszufüllen, wurde ihr mit 64 gegen 32 Stimmen abermals dieses Amt übertragen. Ihre Aufgabe ist es, in Berlin die allgemeine Agitation unter den proletarischen Frauen zu leiten und die Korrespondenz mit den Vertreterinnen derselben außerhalb der Reichshauptstadt zu führen. Die Genossinnen Luz, Haase, Aller, Fiedler und Leuschner wurden beauftragt, den Nachlaß des polizeilich geschlossenen Frauen- und Mädchen- Bildungsvereins nach Bereinigung aller Forderungen an die Organisation, laut§ 12 des Statuts Vereinen mit gleichen Zielen zu überweisen.

fahrung wissen, so daß sie meist von vornherein darauf verzichten, und unpolitische oder geschlossene Versammlungen abhalten. kommt es denn öfter zu einer Versammlungsauflösung: die Dehn­barkeit des Kautschuk ist nichts gegen die Dehnbarkeit des Begriffes Politik, und in manchem polizeilichen Hirn ist alles und etliches mehr politisch". Die Versammlungen waren fast allerwärts gut besucht; in Mecklenburg auch in den kleinen Orten, wo es noch wenig In­dustriearbeiterschaft giebt. Dagegen ließ der Besuch der Versammlungen in Hamburg und Vororten leider zu wünschen übrig. Die Versamm­lungen wurden hier nicht durch Inserate, sondern lediglich durch Flugblätter bekannt gegeben. Man hoffte gerade dadurch die In­dustriearbeiterinnen zur regen Betheiligung an den Versammlungen heranzuziehen, doch hat sich diese Art der Bekanntgebung nicht bewährt. Für 22 Versammlungen konnte die Zahl der Besucher festgestellt wer­den, sie betrug 8214. Der direkte Erfolg der Agitation bezüglich der Gewinnung neuer Mitglieder insbesondere weiblicher für die Gewerkschaften, konnte nicht überall kontrollirt werden. In den meisten Versammlungen wurden nämlich nicht sofort Mitgliederan­meldungen entgegengenommen, vielmehr die Zahllokale der verschie­denen Gewerkschaften bekannt gegeben. Wo von den Gewerkschafts­fartellen Vorbereitungen für die Aufnahme von Mitgliedern getroffen Der Staatsanwalt im Kampfe gegen die prole­waren, zeigte sich ein erfreulicher Erfolg der Agitation. In 8 der stattgehabten Versammlungen wurden den Gewerkschaften insgesammt 152 Mitglieder gewonnen.

Für den Agitationsbezirk Thüringen , in dem Genossin Löwenberg referirte, waren ursprünglich 22 Versammlungen an­gesetzt, von denen 4 auf eine spätere Zeit verschoben werden mußten, eine wegen zu später Bekanntgabe, eine andere mit Rücksicht auf lokale Verhältnisse und eine dritte wegen zu schwachen Besuchs nicht stattfinden konnte. Die meisten der 15 Versammlungen, welche statt­fanden, waren recht gut besucht, die Zahl ihrer Theilnehmer wurde auf 4650 geschätzt. Behördliche Störungen der Versammlungen er­folgten nirgends, und doch ist in Thüringen die herrliche kapitalistische Ordnung noch nicht drunter und drüber gegangen! Die örtlichen Gewerkschaftsorganisationen hatten sich durchweg eine gute Vorbe­reitung und Agitation für die Versammlungen angelegen sein lassen, dagegen hat ein Theil der Gewerkschaftsmitglieder diese nicht that­fräftig genug unterstützt, nicht genügend für den Versammlungsbesuch seitens ihrer Arbeitskameradinnen gewirkt. In Eschwege konnten feine Mitgliederaufnahmen stattfinden, da die Versammlung im Freien tagen mußte. In Eisenach wurde eine Zahlstelle des Textilarbeiter­verbandes begründet; in Hüttensteinach schlossen sich 40 Porzellan­arbeiterinnen zu einem Verein zusammen. Derselbe soll sich dem Verband der Porzellanarbeiter anschließen, sobald dessen Statuten dahin geändert sind, daß er weibliche Mitglieder aufnehmen kann. In 12 Versammlungen wurden insgesammt 283 Mitglieder, der Mehr­zahl nach Arbeiterinnen, den Gewerkschaften zugeführt. Hoffentlich beweist die Zukunft, daß der von den Genossinnen Rohrlack und Löwenberg ausgestreute Samen der Aufklärung nicht auf felsigen Boden gefallen ist, daß er keimt und üppig in die Halme schießt den Arbeiterinnen und Arbeitern zu Nutz und Frommen.

Berlin . In einer Volksversammlung, die Mitte November tagte, berichteten die Genossinnen Lutz und Rohrlack über den Breslauer Parteitag, auf dem sie die Berliner Frauen und Mädchen vertreten hatten. Genossin Lutz gab einen Ueberblick über die Ver­handlungen zu Punkt 1-6 der Tagesordnung. Besonders ausführlich besprach sie die Erörterungen über das Agrarprogramm, betreffs dessen sie den Standpunkt der Rautstyschen Resolution theilte. Ge nossin Rohrlack referirte über die übrigen Arbeiten des Parteitags. Eingehend beschäftigte sie sich mit den Verhandlungen über die Frage: " Hausindustrie, Schwitzsystem und Arbeiterschutz", sowie dem Schicksal des Antrages, eine Reform des Fabrikinspektorats betreffend. Die Referentin bedauerte, daß durch das Eingreifen geschickter Debatte­mörder" feine Genossin zur Frage der Hausindustrie sprechen konnte, die doch gerade die Interessen der proletarischen Frauen in einschnei­dendster Weise berührt. Scharfe Kritik übte sie an der Behandlung des Antrags, der den Ausbau der Fabrikinspektion forderte. Durch die Einfügung des Passus, der Antrag sei der Reichstagsfraktion zur Berücksichtigung empfohlen", wäre der Beschluß nichts Halbes und nichts Ganzes, ihm fehle die verpflichtende Kraft. Der Vorwurf des Dr. Quarck, die proletarischen Frauen seien bezüglich der For derung auf Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren hinter den bürger­lichen Frauen nachgehumpelt, wies Genossin Rohrlack energisch zurück. Sie führte an, daß die bürgerlichen Frauen nur eine Forderung auf­gegriffen hätten, für welche die proletarische Frauenbewegung bereits seit 10 Jahren eintrete. Die Bettelgänge der bürgerlichen Frauen mitzumachen, hätten die Proletarierinnen umsoweniger Anlaß, als

tarische Frauenbewegung.

Daß Bayern , welches in puncto der Handhabung der Vereins­gesetze den proletarischen Frauen gegenüber die schneidigsten Polizisten hat, sich auch in der gleichen Materie besonders frischer und munterer Juristen rühmen darf, ist nicht mehr zu bezweifeln. Bestätigt aber wird es stets aufs Neue, sobald proletarische Frauen nicht reiner als Cäsars Frau von dem Verdacht sind, mit der unheiligen Dame Politica geliebäugelt zu haben. Dies zeigte auch der im Oktober zum Abschluß gekommene Massenprozeß gegen die Mitglieder des ehe­maligen Frauen und Mädchen- Bildungsvereins zu Nürn= berg. Bereits am 16. Oktober vorigen Jahres war die genannte Organisation von dem besonders eifrigen, sattsam bekannten Nürn­ berger Stadtmagistrat als eine politische erklärt worden, und ein Theil seiner Mitglieder hatte Strafmandate in der Höhe von 20 Mt. oder 4 Tagen Haft erhalten. Die gegen diese Verfügung eingelegte Be­rufung gelangte am 30. Mai dieses Jahres vor dem Schöffengericht zur Verhandlung, das sich jedoch für unzuständig erklärte und die Sache vor die Strafkammer verwies. Da Krankheit drei der Ange­flagten am Erscheinen verhinderte, hatten sich nur" 56 von den 59 Missethäterinnen zu den letzten Verhandlungen vor der Straffammer gestellt. Diese erinnerten in Folge des Massenaufgebots" von Frauen äußerlich recht lebhaft an eine jener Frauenvereinsversammlungen, welche die Sicherheit des guten bayerischen Staats in so perfider Weise gefährden. Selbstredend sollen sich die Angeklagten gegen die Artikel des unschätzbaren bayerischen Vereinsgesetzes verfehlt haben, welche die politische Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts als Recht erklären. Die Anklage gründete sich hauptsächlich auf die bei einer Haussuchung vorgefundenen Kassenbücher, in denen Ausgaben für inhaftirte Genossen verzeichnet stehen, ferner eine Ueber­weisung von 10 Mt. an den nordbayerischen Agitationsverein und ein Betrag an die Genossin R., Berlin für eine Agitationsreise. Eine andere hochpolitische That entdeckte die Anklage in der Einführung der Gleichheit". Die Verhandlungen zeigten deutlich, daß der großen Mehrzahl der Angeklagten jede Absicht einer politischen Agitation mittels des Vereins fern lag. Ein Theil der Mitglieder der Organi­sation war monatelang vor der polizeilichen Schließung aus ihr ausgetreten. Ein anderer Theil bezahlte wohl die Mitgliedsbeiträge, besuchte aber nur die Vereinsvergnügungen und wohnte nie den Vereinssitzungen bei, so daß er nicht wußte, wie das Geld veraus­gabt wurde. Trotzdem hielt der Staatsanwalt die Anklage in ihrem vollen Umfange aufrecht und beantragte für jedes der Ausschuß­mitglieder je 50 Mt. Geldstrafe oder 10 Tage Haft, für die übrigen Angehörigen des Vereins je 10 Mt. Geldstrafe oder 2 Tage Haft. Der Gerichtshof verdonnerte je 2 der Umstürzlerinnen zu je 40, 3 zu je 25 und 46 zu je 10 Mt. Geldstrafen bezw. der entsprechenden Haft. Mit diesem Urtheil ist den Nürnberger Genossinnen auf absehbare Beit endgiltig jede Möglichkeit einer Organisation zu Bildungszwecken genommen. Das ihnen durch die Verfassung zugesicherte Recht, sich gewerkschaftlich zu organisiren, wird ihnen durch die in Nürnberg und anderwärts in Bayern beliebte Handhabung des Versammlungs­rechts bedeutend beschränkt. Die öffentlichen Gewerkschaftsversamm­lungen, in denen auch den Frauen die Nothwendigkeit des Zusammen­schlusses klar gemacht, in denen die wirthschaftlichen Interessen der Lohnsklavinnen erörtert werden sollen, erklären die Behörden für politische Vereinsversammlungen, an denen Frauen nicht theilnehmen dürfen. Der Umstand erschwert die gewerkschaftliche Organisation