sache kleine, mittlere, große Betriebe und Großmagazine. Die kleinen und mittleren Betriebe sind in der überwiegenden Mehrzahl; in ihnen, als in ihrem eigenen Reich, schaltet und waltet der weibliche Meister. Zu der Eröffnung eines Betriebs ist nichts erforderlich wie einige Ersparnisse, Geschick, Geschmack und persönliche Beziehungen, die der Schneiderin die erste Kundschaft sichern. Die Meisterin verlegt ihren Betrieb nicht in einen offenen Laden, sondern sie miethet eine Woh nung, welche ein oder zwei Probierräume, einen Raum für Stoffmuster und die Werkstätte enthält. Der Kunde bringt Stoff und Ausputz für das anzufertigende Kleidungsstück, und die Schneiderin erhält die Arbeit und die in Anrechnung gebrachten Zuthaten bezahlt. Diese Art der Lohnarbeit verschwindet jedoch immer mehr und mehr. Die großen Handlungshäuser, welche in direktester Verbindung mit Fabriken stehen und deren Waaren vertreiben, hinterlegen kommissionsweise Stoffe, Seide, Bänder, Passementerien u. s. w. bei den Schneiderinnen, so daß diese vielfach ihren Kunden gegenüber nun auch als Wiederverkäufer fungiren. Der Umsatz der Meisterinnen und der Profit, den sie aus diesem Zwischenhandel ziehen, schwankt zwischen ganz niedrigen und sehr hohen Summen. Nach Mittheilungen aus einem Betriebe dritter Größe, der bis zu 40 Arbeiterinnen beschäftigt, beträgt der Umsatz jährlich 100 000 Frcs.( 80 000 Mt.) und wirft 25 000 Fres.( 20000 Mt.) Profit ab. Mit ganz anderen Summen rechnen die erst in den letzten Jahrzehnten entstandenen Betriebe der„ Grands Couturiers"( großen Damenschneider) und die Konfektionsabtheilungen der modernen Riesenmagazine.
Die großen Damenschneider sind in der Gegend der Rue de la Paix etablirt. Sie verdanken die Entwicklung ihrer Unternehmungen und ihren Weltruhm zum großen Theil der Kundschaft internationaler Millionäre, die in Paris zusammenströmen. Die Weltfirmen Worth, Felix, Doucet 2c. beziffern ihren Jahresumsatz bis auf 6 Millionen Fres. Ihr Profit pendelt zwischen 7 und 12 Prozent der Umsatzsumme, stellt sich also bei durchschnittlich 10 Prozent und 6 Millionen Frcs. Jahresumsatz auf das nette„ Kapitälchen" von 600 000 Frcs. jährlich. Solch ein großer Damenschneider gebietet über etwa 475 Arbeitskräfte, die sich fast ausschließlich aus der Frauenwelt rekrutiren. So tamen z. B. auf 400 Arbeiterinnen verschiedener Kategorien und sechs Subunternehmerinnen mit 60 Arbeiterinnen 25 Zuschneider. Die Verhältnisse in den großen Betrieben der Damenschneider zeigen, daß sich mit der Uebernahme des Verkaufs von Stoffen 2c., kurz mit dem kommerziellen Charakter der Unternehmungen die Heimarbeit
entwickelt.
Die Ronfektionsabtheilungen der großen Magazine Bon Marché , Louvre, Printemps , Samaritaine 2c. haben in den letzten Jahren rasch an Umfang und Bedeutung gewonnen. Sie entstanden aus der Absicht heraus, die mittlere und kleinere Schneiderin in ihrer Eigenschaft als Zwischenhändlerin mit Stoffen, Besatzartikeln 2c. zu beseitigen und sich des betreffenden Profits zu bemächtigen; ferner auch aus der Erkenntniß, daß die Ausstellung und Anhäufung großer Massen fertiger Waaren eine besondere lockende Anziehungskraft auf das Publikum ausübt, so daß die Abtheilungen für Straßen- und Gesellschaftstoiletten, für Morgen- und Hauskleider, Blousen, Mäntel, Kindergarderobe einen sehr umfangreichen Absatz von Artikeln mittlerer Qualität versprachen. So wurden von den Großmagazinen, die direkt von den Fabriken kaufen, zum Theil eigene Fabriken errichten, Werkstätten eingerichtet für Maßnehmen, Zuschneiden und Anprobiren. Das Nähen der Konfektionsartikel erfolgt meist außerhalb der Magazine, nur selten in Betriebswerkstätten, sondern gewöhnlich als Heimarbeit und zum großen Theile außerhalb von Paris , auf dem Lande. Die Magazine, denen für die Fabrikation alle Vortheile des Großbetriebs zugute kommen und die sehr niedrige Arbeitslöhne zahlen, verkaufen ihre Konfektionsartifel zu billigen Preisen und haben in der Folge den Kundenschneiderinnen einen bedeutenden Theil ihrer Kundschaft entzogen.
Wenig Tröstliches ist von der Lage der 50 000 Pariser Schneiderinnen zu berichten. Auch sie erfahren den so ungemein schädlichen Wechsel zwischen Zeiten voller Beschäftigung, ja ausgedehntester Ueberarbeit und gänzlicher Arbeitslosigkeit. Zweimal im Jahre ist„ Saison", häufen sich die Bestellungen: soweit die Fremdenkundschaft in Betracht tommt, von Mitte August bis Ende Dezember und von Februar bis Ende Juni, für die einheimischen Runden etwas später. In den Zwischenzeiten herrscht absolute Beschäftigungslosigkeit. Auf Grund dieser Verhältnisse theilen die großen Schneiderfirmen ihr Arbeitspersonal in drei Kategorien: die dauernd beschäftigten Elitearbeiterinnen; die Arbeiterinnen, welche auch während der Halbsaison behalten werden; die Arbeiterinnen, die man nur für eine Saison einstellt und dann entläßt. Arbeiterinnen der letzteren Kategorie haben im Jahre bestenfalls 160 Arbeitstage, während die Elitearbeiterinnen auf 280 und die dritte Art der Schneiderinnen auf 200 Tage Beschäftigung
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und Verdienst rechnen können. Die tägliche Arbeitszeit ist durch das Gesetz vom 2. November 1892 auf täglich 11 Stunden und ein wöchentliches Maximum von 60 Stunden festgesetzt. Doch können Ueberstunden bewilligt werden, und Meister und Meisterinnen finden es am bequemsten und einträglichsten, das Gesetz zu umgehen, indem sie den Arbeiterinnen unvollendet gebliebene Arbeit zum Fertigstellen mit nach Hause geben.
In Betreff des Einkommens sind nur die Verkäuferinnen der großen Firmen gut gestellt, die ein Jahresgehalt bis zu 25 000 Fres. haben. Der Verdienst der eigentlichen Schneiderinnen bleibt günstigsten Falles noch etwas unter 2000 Fres. jährlich zurück; Näherinnen, die nur saisonweise beschäftigt werden, erreichen zum Theil nicht einmal ein Jahreseinkommen von 500 Fres. Es erhalten pro Tag: 5-7 Fres.( 1 Fres.= 80 Pf.)
Anprobirerinnen Zuschneiderinnen Garnirerinnen.
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5-6
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11
5-51
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Maschinennäherinnen
Vorhesterinnen.
Lehrmädchen
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5 3-3 1/ 2-1/ 2"
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Hält man die Zahl der Tage fest, an denen die Schneiderin thatsächlich Beschäftigung hat, so ergeben sich im Allgemeinen recht dürftige Jahreseinkommen. Herr du Maroussem berechnet auf Grund eines 236tägigen Arbeitsjahres und des durchschnittlichen Verdienstes der Schneiderinnen aller Kategorien den durchschnittlichen Jahreserwerb auf 935 Frcs. Die Arbeiterin verbraucht für Beköstigung
den Tag zu 1 Frcs. 50 Cts. berechnet jährlich 550 Frcs.; für Wohnungsmiethe 200 Frcs. Verausgabt sie für Kleidung, Wäsche 100 Frcs., so verbleiben ihr von ihrem Einkommen im günstigsten Falle für die übrigen zum Theil dringlichen Bedürfnisse, für den Fall von Krankheit, Erwerbslosigkeit, Alter 2c. 85 Frcs. Bemerkt muß werden, daß die Ausstellung des Budgets auf den Angaben einer Arbeiterin beruht, welche in der Familie ihr Unterkommen hat. Ihre Existenz mag auch bei den vorgeführten Erwerbsverhältnissen eine sichere und auskömmliche sein. Nicht so die der zahlreichen Arbeiterinnen, die für ihren Lebensunterhalt ausschließlich auf den eigenen Erwerb angewiesen sind. In diesem Falle und bei den theuren Lebensbedürfnissen in Paris - erweist sich der Verdienst der Schneiderinnen als unzureichend für eine einigermaßen sorgenfreie und menschenwürdige Lebenshaltung.
Die vorgeführten Angaben setzen sich zu folgendem Bilde von der Lage der Pariser Damenschneiderei zusammen: Die Kleinbetriebe befinden sich zwar noch in der Mehrzahl, werden aber durch die Konkurrenz der Konfektionsabtheilungen der großen Magazine schwer bedrängt. Die mittleren Betriebe sind durch diese Konkurrenz und durch die der großen Damenschneider so gut wie vernichtet worden. Die Arbeiterinnen des Gewerbes mußten vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über den elfstündigen Marimalarbeitstag für Frauen überlange Arbeitszeit leisten; auch jetzt geschieht dies noch häufig mit Umgehung des Gesetzes. Ihr Lohn ist im Durchschnitt ein sehr niedriger und steigt sehr wenig über die Hungergrenze. Trotzdem haben sich die Schneiderinnen bis jetzt noch nie gegen ihre Ausbeutung aufgelehnt, sie sind nicht gewerkschaftlich organisirt, sie haben nie gestreift. Der 1876 gemachte Versuch, sie in einem Syndikat ( Gewerkverein) zusammen zu fassen, ist gescheitert. Daß sehr viele der Arbeiterinnen mit ihrem fargen Lohn auskommen und zufrieden sind, erklärt sich dadurch, daß sie, verheirathet oder ledig, mit ihrem Erwerb nur einen Zuschuß zum Einkommen der Familie zu liefern haben. Für einen Theil der Betreffenden ist die Zeit der Lohnarbeit nur ein Uebergangsstadium; sie etabliren sich selbst und beuten dann jüngere Arbeitskräfte aus, wie sie selbst ausgebeutet worden sind. Indessen verringert sich mit jedem Jahre die Zahl der Arbeiterinnen der Damenschneiderei, die sich selbständig zu machen vermögen oder die auf Rückhalt in der Famlie rechnen können. Stetig steigt die Menge derer, die in wirthschaftlicher Beziehung vollständig von der Familie losgelöst werden und ihr eigenes Brot essen müssen. Und für diese bedeuten die gefennzeichneten dürftigen Erwerbsverhältnisse die Prostitution oder das tiefste Elend.
Die birmanische Frau.
Den Untergang aller gesellschaftlichen Ordnung, ein entsetzliches Drunter und Drüber der Sitte und Sittlichkeit als Folge der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts prophezeien deren Gegner, wenn statt der fehlenden Begriffe die Worte, die tönenden, klingenden Schlagworte zu rechter Zeit sich einstellen. Mit welchem Unrecht, das haben die Verhältnisse jederzeit dort bewiesen, wo sich die Frauen im Besitz eines kleineren oder größeren Stücks ihrer Gleichberechtigung