Nr. 1 der ,, Gleichheit" gelangt am 8. Januar 1896 zur Ausgabe.
Gelehrte Französinnen im 18. Jahrhundert.
Französische Frauen haben unmittelbar und mittelbar, durch ihr Wirken und durch ihren Einfluß ihr gerüttelt und geschüttelt Maß beigetragen zu der geistigen Vorbereitung der großen Revolution, in welcher die französische Bourgeoisie ihre Befreiung von den Banden der feudalen Ordnung und ihre politische Herrschaftsstellung erkämpfte. Der französischen Literaturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts sind unter ihren glänzendsten Namen die von Frauen eingereiht, und die literarischen und politischen„ Salons" von Frauen beeinflußten tonangebend nicht blos das gesellschaftliche, auch das geistige und politische Leben der Zeit. Die Stürme der Revolution umbrausten etliche große, denkwürdige Frauengestalten und hoben sie auf die Wogen der geschichtlichen Berühmtheit, und wenn die große Masse derer, die ungekannt und ungenannt geschichtliche Bewegungen tragen, wenn das„ Volk" während der großen Revolution in Aftion tritt, so nehmen an dieser die Frauen einen hervorragenden Antheil. Niemand machte der Frau das Recht streitig, das Schaffot zu besteigen wie der Mann.
Aber auch auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften bethätigten sich französische Frauen im 18. Jahrhundert. Nach einer vor etlicher Zeit im„ Figaro" veröffentlichten Studie gab es damals Vertreteringen des sogenannten„ schönen Geschlechts", besonders in vornehmen Kreisen, die sich mit allem Eifer in die Wissenschaften vertieften und für die Ertheilung akademischer Titel an gelehrte Frauen eintraten. So begeisterte sich die kaum achtzehnjährige Comtesse von Coigny für die Anatomie.„ Der Sezirsaal ist mein Heim", pflegte die junge Dame zu sagen, und nur unter den Todten fühle ich mich zu Hause."
Ein Fräulein Biberon, Tochter eines Chirurgen, hielt anatomische Vorlesungen und fabrizirte dazu plastische Wachsnachbildungen des menschlichen Körpers. Der Encyklopädist Grimm, der ihren Vorlesungen beiwohnte, sprach sich voll Bewunderung über die gelehrte Dame aus. Auch Physik und Astronomie, die schon seit Fontenelles Zeiten unter den Damen eifrige Jüngerinnen fanden, erfreuten sich im vorigen Jahrhundert der Sympathien der fran zösischen Damen. Madame de Chatelet übersetzte Newton's„ Principes"( ,, Grundsäße") ins Französische und bewarb sich sogar um den Preis der Akademie. Bis kurz vor dem Ausbruch der Revolution wohnten Marie Antoinette und ihre Hofdamen den physikalischen Versuchen und astronomischen Beobachtungen des Abbe Nollet sehr fleißig bei.
Uebrigens war den Pariser Damen, vom Jahre 1786 angefangen, der Zutritt zu den Vorlesungen im„ College de France " gestattet. Im Jahre 1785 erschien in Paris die Universalbibliothek für Damen ", eine Encyklopädie der Naturwissenschaften, die besonders bei Hofe Anklang fand und von Madame Elisabeth , der Schwester Ludwigs XVI., empfohlen und verbreitet wurde. Dagegen blieb den Frauen in Frankreich , wie fast überall, bis auf den heutigen Tag die juristische Wissenschaft und ihre Ausübung verschlossen. Hier und da wurden jedoch bezüglich der Vertretung von Rechtssachen vor Gericht Ausnahmen gestattet, namentlich wenn Frauen als Vertreterinnen in eigener Sache zu sprechen verlangten. So wurde der Marquise von Creque die Erlaubniß ertheilt, vor dem französischen Ständeparlament eine eigene Angelegenheit zu vertreten. Die Marquise gewann auch den Prozeß.„ Sie spricht für drei Advokaten", rief ein Mitglied im Saale, als die Dame ihre Rede beendet hatte. Eine ähnliche Ausnahme wurde einem Fräulein de Lacoste im Jahre 1807 mit ausdrücklicher Erlaubniß Napoleons vor dem Kassationshof zu Theil. Auch später ist es hin und wieder in vereinzelten Fällen Damen gelungen, vor Gericht in eigener Angelegenheit plädiren zu dürfen.
Diderot , der tiefe Denker, der große Encyklopädist, war ein entschiedener Gegner der gelehrten Frauen. Er erklärte in einer seiner Schriften ausdrücklich, daß das Studium der Wissenschaften bei einem Mädchen oder einer Frau weder dem Alter noch dem Geschlecht nach am Platze sei." Auch mancher andere bedeutende Gelehrte seiner Zeit theilte seine Ansicht. Nicht minder bedeutende Gelehrte und Schrift steller, wie z. B. Condorcet, befürworteten dagegen die höhere Ausbildung der Mädchen sehr warm. Von einem heftigen Kampf wie heutigentags gegen und für das Frauenstudium, hört man nichts. Erflärlich genug. Damals bildeten die Frauen, die sich den Wissenschaften zuwendeten, verschwindende Ausnahmen. Meist war es einzig und allein eine ausgesprochene, unbezwingbare Neigung für ein bestimmtes Wissensgebiet, welche das Studium der Frau veranlaßte, nicht aber die Nothwendigkeit, die erworbenen Kenntnisse zur Grundlage einer wirthschaftlichen Existenz zu machen. Anders in unserer Zeit. Hunderte und Hunderte von Töchtern der wirthschaftlich ruinirten
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oder schwer bedrohten Mittelschichten wollen durch das höhere Studium die Voraussetzung gewinnen für eine Berufsthätigkeit, welche eine auskömmliche Gristenz sichert. Und in der bürgerlichen Gesellschaft und deren ureigensten Gesetzen gemäß müssen sie damit zu Konkurrentinnen der in jenen Berufszweigen thätigen Männer werden, deren Brot sie schmälern, deren Existenzkampf sie erschweren. In diesem Unterschied zwischen dem Sonst und Jetzt liegt der Grund, weshalb sich heutigentags die bürgerliche Männerwelt gegen die Erweiterung der Thätigkeitssphäre der Frau auf dem Gebiete der liberalen Berufe wehrt, während sie nichts einwendet gegen die Erweiterung der industriellen Thätigkeitssphäre der Frau, die der Kapitalistenklasse sehr einträglich ist. Die Konkurrenzfurcht ist die treibende Kraft des Widerstands der männlichen Bourgeoisie gegen die Emanzipationsforderungen der weiblichen Bourgeoisie. Die angerufenen„ großen Prinzipien",„ wissenschaftlichen", sittlichen", sozialen Interessen" sind nichts als ideologischer Mummenschanz, hinter dem sehr materielle Interessen, wirthschaftliche Interessen, Mageninteressen sich bergen.
Kleine Nachrichten.
Einfluß der Frauen auf ein Volksvotum. Nach dem ultramontanen Luzerner„ Vaterland" soll der Einfluß der Frauen nicht wenig dazu beigetragen haben, daß am 3. November in der Schweiz die dem Volke zur Abstimmung vorgelegte Militärvorlage mit großer Majorität verworfen wurde. Das klerikale Blatt betont, daß gerade die Frauen sehr gut die Opfer kennen, welche. der Familie durch den wochenlangen Militärdienst des Vaters oder der Söhne, sowie durch das Militärbudget auferlegt werden. Sie wollten deshalb von einer Vermehrung dieser Lasten nichts wissen und eiferten ihre männlichen Angehörigen an, zur Urne zu gehen und mit„ Nein" zu stimmen. Das Interesse der Frau an den öffentlichen Angelegenheiten ist ein so zwingendes, tiefes, daß sie dieselben zu beeinflussen suchen muß, daß sie sich auch nicht mit einem mittelbaren politischen Einfluß begnügen fann, sondern gleicher politischer Rechte wie der Mann bedarf.
Wahlrecht der Frauen zum Volks- Reichstag in Schweden . In Schweden hat die von den Sozialdemokraten und bürgerlichen Demokraten getragene Stimmrechtsbewegung einen neuen und kräftigen Aufschwung genommen. Sie wird von energischen Männern getragen, besitzt die Sympathie weiter Volksfreise und verfügt über eine stattliche Kriegskasse. Wie beschlossen, soll sich zum zweiten Male ein Volksreichstag mit der Forderung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts beschäftigen. Die Wahlen zu demselben sollen in der Zeit zwischen Weihnachten 1895 und dem Heiligendreikönigstag 1896 stattfinden. An den Wahlen kann sich jeder schwedische Reichsangehörige, ohne Unterschied des Geschlechts betheiligen, vorausgesetzt, daß er das mündige Alter erreicht hat.
Weibliche Aerzte in London . Ein Arzt berichtet einem österreichischen Fachblatt zur Frage der weiblichen Aerzte in England Folgendes: Das neue Londoner Hospital, an dem Frauen thätig sind, und das 42 Betten aufweist, ist eine Musteranstalt. Daselbst wurden im Jahre 1894 im Ganzen 54 große und 107 kleine Operationen vorgenommen. Diese Thatsache allein spricht nach dem berichtenden Arzt für die Befähigung und Tüchtigkeit der weiblichen Aerzte. In England ist in dem Jahrzehnt 1881-1891 die Zahl derselben von 25 auf 101 gestiegen. Sie leisten hauptsächlich als Kinderärzte Ersprießliches. In Indien praktiziren gegenwärtig 40 Engländerinnen unter den ungünstigsten Verhältnissen. Mit großer Tapferfeit und Selbstaufopferung gehen die Aerztinnen in den ungesunden Gegenden des Landes ihrem Berufe nach. Die Missionsgesellschaften, in deren Diensten 30 Aerztinnen stehen, sind genöthigt, einen großen Theil derselben schon nach einjähriger Praxis aus Gesundheitsrücksichten zu beurlauben. Im Großen und Ganzen thut die Ehe der Ausübung der Berufsthätigkeit keinen Abbruch. Die englischen Universitäten verleihen zwar den Frauen nicht das medizinische Doktordiplom, aber dieser Umstand stellt keinen Behinderungsgrund für die Praxis dar. Medizinische Fakultäten für Damen bestehen in London , Edin burgh und Glasgow , in 3 Anstalten in Irland und 4 in New= castle können die Frauen zusammen mit den Männern studiren. Die Hochschulen von London , Durham , Edinburgh , Glasgow und St. Andrews lassen die Frauen zu den Prüfungen zu. Nach dem Bericht des österreichischen Fachblattes besteht kein Zweifel, daß die geplante Reform der englischen Universitätsverhältnisse das medizinische Studium für die Frauen aber auch für die männlichen Studentenvereinfachen und für das ganze Reich gleichmäßig organifiren wird.
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