Dichters Wort: fie reget ohn' Ende die fleißigen Hände". Aber trotzdem oder auch gerade deswegen ist für sie ein Ausspannen aus dem Getriebe und Gesumme der Wirthschaft, ein frisch- fröhliches Bethätigen der Körperkräfte in anderer Weise als bei der Arbeit eine dringende Nothwendigkeit. Recht nöthig haben das Turnen die Lehrerinnen, Komptoristinnen 2c., kurz alle jene mittelbürgerlichen Frauen, welche die Erwerbsarbeit zu sitzender Lebensweise zwingt. Aus dem Mittelstande rekrutiren sich denn auch hauptsächlich die Mitglieder der Frauenturnvereine, die vor allem in Berlin  , aber auch in Königsberg  , Magdeburg  , Frankfurt   a. M., Stettin  , Breslau   u. a. D. in erfreulicher Entwicklung begriffen sind.

Was die Arbeiterinnen anbetrifft, so thäte auch ihnen das Turnen noth. Viele Zehntausende von ihnen, die Näherinnen, Schneiderinnen, Puhmacherinnen 2c. müssen bei ihrer Beschäftigung schier endlos lange Stunden sißen, gebückt, frumm, sehr oft in ganz verdorbener Luft. Andere wieder führen von morgens bis abends an der Maschine genau die gleichen Bewegungen aus, so daß bestimmte Muskel- und Nervengruppen in einseitiger, ermüdendster Weise an­gespannt, ja abgespannt werden. Berufskrankheiten, Leiden aller Art, förperliche Mißbildungen sind die Folgen davon. Gut geleitete Turn­übungen vermöchten hier manches zu bessern. Aber woher soll die Arbeiterin in den meisten Fällen die dafür erforderliche Zeit nehmen?

In der Hausindustrie hat das junge Mädchen, die abgerackerte Frau 14, 15, ja manchmal 18 Stunden am Tage zu schaffen. Und die Frohn beginnt nicht erst, wenn um mit dem Verfasser zu reden -die Jugend gelernt hat, ihren Körper für die Mühsale und An­strengungen des Lebens zu festigen". Schon vom fünften Jahre ab müssen in der Hausindustrie Kinder mit arbeiten. Die Fabrik­arbeiterinnen haben allerdings" nur" einen elfstündigen Arbeitstag. Aber viele von ihnen sind gezwungen, Arbeit mit nach Hause zu nehmen und dort noch zwei bis drei Stunden für den Unternehmer thätig zu sein. Die Handlungsgehilfinnen warten noch immer auf den Achtuhr- Ladenschluß.

Und mit der Erwerbsarbeit allein ist das Arbeitsmaß der Proletarierinnen in der Regel noch lange nicht erschöpft. Die Frau, die durch ihrer Hände Arbeit ihren Unterhalt erwerben muß, oft auch den einer ganzen Familie, hat nach Feierabend" oder zwischen der Arbeitszeit noch den Haushalt zu besorgen. Was in den wohlhaben­den Familien Köchin, Waschfrau, Flickerin leistet, das fällt ihr allein zu. Bis tief in die Nacht zieht sich ihr Arbeitstag hin. Treffend bemerkt Bulwer  , daß Frauen in dieser Lage es oft schlimmer haben als Stlavinnen, und daß die doppelte Arbeitslast geeignet ist, Miß­stimmung, Verdrießlichkeit, Nervosität 2c. zu erzeugen. Gewiß würde das Turnen einen wohlthätigen Einfluß auf die Gesundheit der über­bürdeten Frauen ausüben. Aber die Noth des Lebens macht für sie das Turnen zu etwas unerreichbarem.

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Etwas günstiger liegen die Verhältnisse für einen Theil der unverheiratheten Arbeiterinnen.* Der Verfasser tadelt es denn auch, daß diese ihre freie Zeit nicht dazu benützen, um in einem Turn­vereine Leib und Geist zu erholen", sondern Tanzsäle aufsuchen ,,, sozial­politische Vereine, von denen sie eine glückliche Lösung der Frauen­frage erwarten", daß sie Romane lesen 2c. So vortheilhaft das Turnen für die jungen Mädchen wäre, so erklärlich ist es, wenn sie es nicht genügend pflegen. Gar knapp sind ihre Feierstunden gemessen. Der Wunsch, auf eintönige Arbeit Zerstreuung folgen zu lassen, begreift sich. Der Tanzsaal ist außerdem oft genug das Heirathsbureau", hier werden Bekanntschaften geschlossen, die so hofft das junge Blut zur Eheschließung führen. Daß die ernster veranlagten und denkenden Arbeiterinnen, Angestellten 2c. sich heutzutage am Vereins­und Versammlungsleben betheiligen, sozialpolitischen Fragen Auf­merksamkeit zuwenden, auf sozialpolitischem Gebiete in den Kampf treten: das ist ein unabweisbares Gebot ihrer Lage, das ist ihre Pflicht. Aufklärung und Organisation der werkthätigen Masse ohne Unterschied des Geschlechts, ihr Kampf im Blachfelde des politischen und wirthschaftlichen Lebens erzwingt Reformen, welche auch den proletarischen Frauen die Vortheile des Turnens zu Gute kommen laffen. Die Einführung des gesetzlichen Achtstundentages würde z. B. von ganz wesentlicher Bedeutung dafür sein, daß die Masse der jungen Arbeiterinnen in regelmäßigen Turnübungen Erholung und Kräftigung finden könnte. Seinen vollen segensreichen Einfluß auf die körperliche Entwicklung der Frauen kann freilich unserer Ansicht nach das Turnen erst in einer sozialistischen   Gesellschaft entfalten. Diese allein bietet alle Vorbedingungen dafür, daß turnerische Uebungen, daß Turnfahrten und Wettkämpfe das ihrige beitragen zum Heranwachsen eines kräftigen, gewandten, gesunden und schönen weiblichen Geschlechts. Ra Leben.

* Soviel uns bekannt, bestehen in Berlin   zwei Arbeiterinnen- Turnvereine, die sich sehr erfreulich entwickeln.

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Das Weib des Streikenden.

Hus dem ,, Postillon" von Ernst Klaar. Als ich Dir einst mein heilig Jawort gab, Da wußt' ich wohl, was ich Dir zugeschworen: Dir treu zu sein bis an und übers Grab, Und treu den Kindern, die noch ungeboren. Ich wußt' es wohl, daß Armuth unser Loos Und daß die Noth uns dauernder Gefährte, Doch schien der Opfer keines mir zu groß, Daß ich Dir Weib und Kampfgenossin werde. Und was ich Dir gelobt ich hielt es treu, Ich hielt's in guten wie in schlimmen Tagen, Und nie hat mich ergriffen bange Reu', Und nie vernahm Dein Ohr von mir ein Klagen. Ich pflegte Dein und unsrer Kinderschaar, Gebrochen nie von Elend, Noth und Kummer. Obwohl mein Loos vielleicht das schwerste war Und selbst die Nächte ohne Ruh' und Schlummer. Und nun, da heiß der Klassenkampf entbrannt, Da bang die Welt erbebt in Ungewittern Und wilder Schlachtruf gellt durch alles Land, Da sollte ich, das Weib des Volkes, zittern? Nun sollt' ich Dir in den erhob'nen Arm, Der auch für mich kämpft, feig und muthlos fallen? Und sollt' aus banger Scheu vor Noth und Harm Jch dämpfen Deines Zornes Ueberwallen? Nein, nimmermehr! Ich weiß, ich bin Dein Weib, Ich weiß, ich bin die Mutter Deiner Kinder, Und Dir gehör' ich zu mit Seel' und Leib, Und stehst im Kampfe Dusteh' ich dahinter! Nicht nur zu Lust und süßem Tändelspiel Hab' ich mit Dir den Ehebund geschlossen Wir kämpfen Beide für das große Ziel, Der Noth Geschwister und des Leids Genossen. Und wenn in unsrer Stube dumpf und kalt Vor Frost und Hunger unsre Kinder wimmern, Und wenn Verzweiflung mir das Herz umkrallt Und alle Hoffnung mir zerschellt in Trümmern, Ertragen will ich, was mir zugedacht:

Des Hungers Dual und selbst der Kinder Klagen. Doch daß ich zum Verräther Dich gemacht, Das soll von Deinem Weibe Keiner sagen. Als ich Dir einst mein heilig Jawort gab, Da wußt' ich wohl, was ich Dir zugeschworen. Und halten will ich Dir's bis übers Grab, Dir und den Kindern, die ich Dir geboren. Ich will sie wärmen mit dem eig'nen Leib Und nähren sie mit meinem letzten Bissen, Doch rein sei meine Ehre als Dein Weib, Und rein mein proletarisches Gewissen.

Kleine Nachrichten.

Zum Schutze der Sittlichkeit hat das Zentrum einen Palliativ­antrag im Reichstag eingebracht. Unter einem Plunder werthloser und reaktionärer Vorschläge enthält er zwei Paragraphen, welche in bescheidenem Umfange die Sittlichkeit der wertthätigen Frauenwelt und die Volksgesundheit zu schützen geeignet sind. Sie lauten:

,,§ 182 a. Arbeitgeber oder Dienstherren und deren Vertreter, welche unter Mißbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, insbe= sondere durch Androhung oder Verhängung von Arbeitsentlassung, von Lohnverkürzung oder von anderen mit dem Arbeitsverhältniß zusammenhängenden Nachtheilen oder durch Zusage oder Gewährung von Arbeit, von Lohnerhöhung oder von anderen aus dem Arbeits­verhältniß sich ergebenden Vortheilen ihre Arbeiterinnen zur Duldung oder Verübung unzüchtiger Handlungen bestimmen, werden mit Ge­fängniß bestraft.

"§ 327 a. Wer, wissend, daß er an einer ansteckenden Geschlechts­frankheit leidet, den Beischlaf ausübt, wird mit Gefängniß bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu 1000 Mt. bestraft. Ist die Handlung von einem Ehegatten gegen den anderen verübt, so tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein."

Eine Kritik dieser Vorschläge enthält der heutige Leitartikel. Ein Verein für Reform der Frauenkleidung ist von Ber  liner Frauenrechtlerinnen gegründet worden. Die Organisation will