Nr. 5.

Die Gleichheit.

7. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Begründet von Emma Ihrer   in Pankow   bei Berlin  .

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 3. März 1897.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalt:

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Unternehmerheuchelei. Die Durchführung der kürzeren Arbeitszeit der Fabrikarbeiterinnen. Von Sofie Schön. Aus der Bewegung. Zur Lage der Taglöhnersfrauen in Mecklenburg  . Vor Gericht.( Gedicht.) Von Maria Konopnicka.  - Feuilleton: Ein Traum. Eine Weihnachts- Legende von W. Korolenko.( Fortsetzung.) Kleine Nachrichten.

Unternehmerheuchelei.

Wenn der profitfrohen Kapitalistenklasse irgendwie die Begriffe fehlen, um die schrankenlose Ausbeutung der werkthätigen Masse zu vertheidigen, so stellt der Hinweis auf die Interessen der prole­tarischen Frau zu rechter Zeit sich ein. Es entspricht durchaus der in der Welt der Geldsacksgewaltigen üblichen Heuchelei, des Kapitalismus That- und Unterlassungssünden mit der fürsorglichen Rücksicht auf die Wünsche und Bedürfnisse der Proletarierin zu decken, der zwiefach Ausgebeuteten und Entrechteten, welcher die Möglichkeit mangelt, in der gleichen Weise wie der Mann der Arbeit das bürgerliche Otterngezücht mit der Ruthe des Stimm­rechts zu züchtigen.

So konnte auch die proletarische Forderung des Achtstunden­tags im Reichstag nicht diskutirt werden, ohne daß kapitalistische Heuchelei die Proletarierin zu unfreiwilliger Stronzeugenschaft gegen die Nüglichkeit der geheischten Reform zu pressen versuchte. Be­zeichnend. genug war es ein typischer Vertreter des beschränktesten Unternehmerstandpunkts, der den alten, bequemen Sniff aufs Neue übte. Die Frauen find gar nicht für eine Verkürzung der Ar­beitszeit", so verkündigte Herr v. Heyl, weil die Männer in die Wirthschaften gehen, denn es ist leider eine Thatsache, daß um die Fabriken herum die Wirthschaften sich ansammeln und der Alkoholgenuß der Arbeiter zunimmt."

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Wir wissen nicht, von wannen dem nationalliberalen Groß­unternehmer die Wissenschaft ward, daß die Proletarierin gegen die Verkürzung der Arbeitszeit sei, aus Furcht, der Mann ver­liedere in der gewonnenen freien Zeit. Aber die Vermuthung liegt nahe, daß er sein Urtheil schöpfte aus der Ansicht der Frauen von Auch- Arbeitern" mit der Kouponscheere. Diese Damen mögen ja, begreiflich genug, aus den Gepflogenheiten ihrer Klasse heraus der Meinung sein, daß der Arbeiter seine freie Zeit nicht anders verwenden könne, als der wenn auch nicht stets, doch immer­hin recht oft tagdiebende, vom kapitalistischen   Spiel um Mein und Dein überreizte, blasirte, von dem Familienleben gelangweilte Bourgeois. Munkelt man doch sogar, daß aus Rücksicht auf die durch zuviel Muße bedrohte Moral des theuren Gatten die Haus­ehre" mehr als eines angesehenen bürgerlichen Politikers parla­mentsmüde" sei oder wenigstens mit Vergnügen lange Sizungen und Anwesenheitszwang für die Reichsboten sehen würde. Berlin  ist verlockungsreich und auch das Mandat als Reichstagsabgeord­neter feit nicht gegen den Zauber der Soupers bei denen ,, man ' was erleben kann" und des frechen, aber graziösen Lasters, das angenehme Abwechslung von der daheim grollenden plumpen Tugend bringt.

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Klassen

Indeß die Gedanken des Herrn v. Heyl und seiner Klassen­genossinnen über die unheilvollen Folgen furzzeitiger Berufsarbeit sind nicht die Gedanken der proletarischen Frauen. Nicht blos die

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara gettin( Eißner), Stuttgart  , Rothebühl Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

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politisch Aufgeklärten, nein die leidlich Verständigen von ihnen, sind weit davon entfernt, sich behufs Rettung der proletarischen Tugend unter der Führung moralbeflissener Großindustrieller zu einem Kreuzzug gegen den+++ Achtstundentag zusammen zu thun. In seines kapitalistischen Herzens blüthenweißer Unschuld scheint es Herr v. Heyl nicht zu wissen, daß es in Deutschland   so etwas wie annähernd eine Million industrieller Arbeiterinnen giebt die Heimarbeiterinnen ungerechnet-, der Mehrzahl nach Frauen und Töchter von Arbeitern. Dazu etwa 21/2 Millionen landwirth­schaftlicher Arbeiterinnen, 14 Million im Hausdienst beschäftigter Proletarierinnen und die vielen Zehntausende weiblicher Handels­angestellter. Wer hat die Stirn, zu behaupten, daß diese Millionen eine Verminderung ihrer Frohn auf acht Stunden täglich nicht in jeder Beziehung als Segen empfinden würden? Dies um so mehr, als das Muß des Broterwerbs außerhalb der Familie Hundert­tausende und Aberhunderttausende nicht der Nothwendigkeit der häuslichen Arbeit enthebt, als für sie neben dem Zwange, zu Nutz und Frommen des Anwenders Mehrwerth zu erschanzen, die Pflicht und der Wille besteht, den Aufgaben den Kindern und dem Gatten gegenüber gerecht zu werden, die Arbeitslast der Mutter zu er= leichtern. Und die längere Sklavenrast, welche die Arbeiterin für sich selbst als recht begehrt, die gönnt sie gern dem Kameraden als billig. Ist sie doch stündlich Zeuge seiner Plage, spürt sie doch am eigenen Leibe, in den eigenen Lebensverhältnissen den Fluch der langen Arbeitszeit.

Aber auch die lediglich hauswirthschaftende Proletarierin- und mag sie in ihren Anschauungen vielfach noch recht rückständig ist doch nicht so einfältig, wie Herr v. Heyl ihr unterstellt. Sie denkt nicht im Traume daran, Arm in Arm mit dem deutschen  Kapitalistenklüngel den Teufel des Alkohol durch den Beelzebub der langen Arbeitszeit austreiben zu wollen. Zu gut kennt sie aus trüber Erfahrung, wie verwüstend der ausgedehnte ungeregelte Werkeltag in das Leben des Mannes, in die Verhältnisse der proletarischen Familie hineingreift. Lange Arbeitszeit, und Gesund­heit, Lebenskraft, Arbeitsfähigkeit des Ernährers wird vorzeitig aufgebraucht. Lange Arbeitszeit, und müde, förperlich und geistig erschlafft, abgeſtumpft, mißmuthig kehrt der Mann in sein Heim zurück, unfähig, mit heiterem Gemüth und klarem Blicke am Leben der Kinder und der Frau theilzunehmen. Lange Arbeitszeit, und der Proletarier muß von seiner Nachtruhe die Stunden rauben, deren er unumgänglich bedarf, um sich politisch aufzuklären, gewerk­schaftlich zu organisiren, damit er durch gemeinsames Nathen und Thaten mit den Kameraden bessere Arbeitsbedingungen für Weib und Kind zu erringen vermag. Lange Arbeitszeit, und der Mann greift wohl tagsüber zur Flasche, um seine Müdigkeit hinwegzu­täuschen, und sucht Abends das Wirthshaus auf, da er zu ab­geradfert ist zu gehaltvollerem Genuß und Thun  , und weil der Fusel seine erschlafften Nerven wachpeitscht.

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Herr v. Heyl, der sich mit echt kapitalistischer Großmuth aus eigener Machtvollkommenheit zum Ritter der proletarischen Frau geschlagen hat, weiß freilich wie sein Erwerbsgenosse" v. Stumm daß die kürzere Arbeitszeit weder der Gesundheit, noch dem Familienleben, noch der Bildung des Arbeiters zu Gute kommt, sondern lediglich der Wirthshaushockerei. Und Herr v. Heyl zählt nicht zu den Aufhezern", die beweislos ins Blaue hinein­

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