Frauenstimmrecht eintreten wird. Wohl giebt es auch in Desterreich einzelne Männer der bürgerlichen Klassen, die das Frauenstimmrecht als gerechtfertigt anerkennen. Aber als Partei ist es einzig die Sozialdemokratie, welche die politische Gleichstellung der Geschlechter im Programm fordert. Das begreifen die österreichischen Arbeiterinnen, soweit sie sich von dem Banne des Klerikalismus frei gemacht haben. Ihnen war deshalb klar, daß die Erkämpfung des Wahlrechts für die Arbeiter auch Kämpfer für die Gleichberechtigung der Frauen in das Parlament bringen muß.
Der Wahlrechtskampf der österreichischen Arbeiterschaft war kein vergeblicher. Regierung und Parlament mußten tapituliren es wurde die vielgenannte fünfte Kurie den Merkwürdigkeiten des österreichischen Wahlrechts als besondere Rarität angegliedert. Ungeheure Wahlkreise wurden geschaffen, raffinirt schlau wurde ausgeflügelt, auf welche Weise die großindustriellen sozialistischen Arbeiter durch die noch stumpfsinnigen kleingewerblichen Arbeiter und die ländliche Bevölkerung politisch erdrückt werden könnten. Aber es erhielt doch jeder 24 Jahre alte Staatsbürger, der sechsmonatliche Seßhaftig feit an einem Orte nachweisen kann und weder ein gemeines Verbrechen begangen, noch innerhalb bestimmter Zeit Armenunterstützung bezogen hat, das Wahlrecht in der allgemeinen Wählerklasse der fünften Kurie. Die weiblichen Staatsbürger blieben natürlich, wie sich's für einen christlich und weise regierten Staat geziemt, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Eine Klasse von Frauen giebt es jedoch in Desterreich, die das Wahlrecht zu dem Reichsrath besitzt: die- Großgrundbesitzerinnen. Diese bevorrechteten Frauen üben das Wahlrecht in der Kurie der Höchstbesteuerten aus. Auch nur mit einem Worte zu sagen, warum man alle anderen Frauen von den Staatsbürgerrechten ausschließe, fiel den Erfindern der fünften Kurie natürlich nicht ein. Das alte Parlament wurde aufgelöst, Neuwahlen auf Grund des erweiterten Wahlrechts wurden ausgeschrieben.
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Die österreichische Sozialdemokratie trat zum ersten Male in einen ernsten Wahlkampf. Die denkenden Arbeiterinnen nahmen den regsten Antheil an ihm. Die Genossinnen, die mittels des Frauenund Mädchenklubs„ Libertus" die Agitation unter den Wiener Arbeiterinnen betreiben, stellten für die Dauer der Wahlperiode die Thätigkeit der Organisation ein, um sich mit ganzer Kraft der Wahlagitation zu widmen. Der Klub selbst konnte in die Wahlarbeit nicht eingreifen, weil ja Frauenvereine von jeder politischen Thätigkeit ausgeschlossen sind. Das war eine Bewegung unter den Wiener Arbeiterinnen. Zu Tausenden strömten die Frauen in die Versammlungen, die in nahezu beängstigender Weise besucht waren. Nie zeigten die Wiener Proletarierinnen mehr Begeisterung als in jenen Tagen. Jede Woche wurden in den größten Sälen der Bezirke zwei bis drei Frauenversammlungen abgehalten, alle mit der Tagesordnung:„ Die Rechtlosigkeit der Frauen und ihre Pflichten bei den Reichsrathswahlen". Frauenmassen, wie man sie bisher noch nie vereinigt gesehen, strömten zusammen. Nicht nur die deutschen, auch die tschechischen Arbeiterinnen Wiens hielten großartige Versammlungen ab. Das Gepräge aller Versammlungen war ein tief bewegendes, hinreißendes, besonders in den echten Proletariervierteln, wie Favoriten, Meidling , Ottakring und Währing . In den Sälen, aus denen alle Tische und Stühle entfernt werden mußten, standen eng aneinander gepreßt schon lange vor Beginn der Versammlungen die Proletarierinnen. Arbeiterinnenkategorien waren vertreten, die früher noch nie in Versammlungen gesehen wurden. Und diese Tausende bleicher, hohlwangiger Gestalten in den dünnen, verwaschenen Kleidern, das Perkaltüchel um den Kopf geschlungen, Frauen, die zum größten Theil nie eine Zeitung oder ein Buch gelesen, lauschten mit Aufmerksamkeit den Ausführungen der Rednerinnen. Leidenschaftliche Erregung durch zitterte die Armen, spiegelte sich in ihren Zügen, in ihren Zurufen bei den Schilderungen des Volkselendes und des Frauenelendes im Besonderen. Niemand, der diese Versammlungen mitgemacht hat, konnte sich des tiefen Eindruckes erwehren, Niemand hätte aber auch geglaubt, daß sich Wien am Tage der Wahl für die Pfaffenknechte, die sogenannten Christlichsozialen, entscheiden werde.
Wie viel Haß und Verachtung zeigten die Arbeiterinnen, wenn von dieser Partei gesprochen wurde! Wie heftig lehnten sie es ab, sich ferner unter dem Einfluß der schwarzen Garde zu ducken und in Demuth, Geduld und Ergebenheit ihr Loos zu tragen! In sämmtlichen Versammlungen gelobten die Frauen, mit all ihren Kräften für die Wahl der sozialdemokratischen Kandidaten zu wirken.
Die Genossinnen hielten nicht nur eigene Versammlungen ab, sie gingen auch in jene Frauenversammlungen, die von der christlichsozialen Partei einberufen waren und wo sich die christlichen Kandidaten den„ geehrten Damen der Herren Wähler" vorstellten. Es war bekannt, daß diesen Frauenversammlungen, die zum größten Theil von Kleinbürgerinnen, Hausbesitzerinnen, Geschäftsinhaberinnen und
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Meisterinnen besucht waren, von den christlichen Führern die unerhörtesten Dinge über die Sozialdemokraten erzählt wurden. Es wurde das Blaue vom Himmel herunter gelogen und verleumdet. Wagte es aber eine Genossin, ihrer Entrüstung durch einen Zwischenruf Ausdruck zu verleihen, so wurde sie und Alle, die sich ihrer annahmen, unter Beschimpfungen, Stößen und Püffen aus dem Saale geworfen. Wehe auch der Arbeiterin, die sich unterstand, Bleistift und Papier in die Hand zu nehmen, um Notizen zu machen oder die sich weigerte, eine weiße Nelfe, das Abzeichen der Christlichsozialen, zu kaufen. Sie wurde ebenfalls hinausgeworfen. Trotz allem wagte es in einer solchen Versammlung eine Genossin, Christin, sich zum Worte zu melden. Kaum hatte sie jedoch erklärt, sie sei Sozialistin, so ging ein wahres Gebrüll los:„ Reißt sie herunter, die Judenh..." u. s. w. Nur unter dem Schutze von zwei Ordnern konnte die Genossin den Mißhandlungen seitens der christlichen Schwestern" entgehen. In den nämlichen Versammlungen wurden die Hausbesitzerinnen aufgefordert, ihren Miethern mit der Kündigung zu drohen, wenn sie nicht christlichsozial stimmten. Den Meisterinnen wurde eingeschärft, jene Gehilfen zu entlassen, die sozialdemokratisch wählten 2c. Und diese„ christlichen" Lehren haben gefruchtet, der Wahltag hat es bewiesen.
Viele Arbeiterinnen feierten den Wahltag, um die Genossen bei der Wahlarbeit zu unterstützen. Sie stellten sich am Wahltag in den Agitationslokalen zur Verfügung. So war es nicht nur in Wien , sondern in ganz Desterreich. In dem entlegensten Winkel, wo es klassenbewußte Proletarierinnen giebt, arbeiteten diese solidarisch mit den Genossen. In Niederösterreich , Mähren , Schlesien und Böhmen hielten die Genossinnen überall Frauenversammlungen ab, um die sozialdemokratische Wahlkampagne zu unterstützen.
Siegessicher hatten die Wiener Genossinnen dem Wahltag entgegengesehen. Schmerzlich war ihre Enttäuschung, als es am Abend des 9. März in allen Lokalen bekannt wurde, daß in Wien die fünf sozialdemokratischen Kandidaten den Antisemiten, den Schüßlingen der Bischöfe und Prälaten, unterlegen seien.* Im ersten Gefühl des Schmerzes waren Viele wortlos, dann aber stürzte mancher wackeren Genossin, manchem alten Kämpfer eine heiße Thräne aus dem Auge, während Andere zornig die Faust ballten. Einig aber waren Alle in dem Gedanken: Wiens Schmach soll und darf nicht dauern. Schon jetzt bekommt mancher Sozialistenfeind, der als Geschäftsmann von der Kundschaft der Arbeiter lebt, die Wirkung dieses Gelöbnisses zu fühlen. Die Wiener Kleingewerbetreibenden sind auf die Arbeiter angewiesen. Trotzdem haben sie am Wahltage gegen die Arbeiter Partei ergriffen. Das wissen auch die Proletarierinnen, und sie verzeihen es nicht. Der bisher geübten Gutmüthigkeit entgegen wollen sie ihre Feinde nicht länger nähren. Die Gewerkschaftskommission hat es übernommen, die wirthschaftliche Aktion der Arbeiterschaft planmäßig einzuleiten. Die Frauen sind bei Durchführung derselben ein Hauptfaktor, und die tiefe Entrüstung, die sich ihrer bemächtigt hat, bürgt dafür, daß sie ihre Pflicht in dieser Art des wirthschaftlichen Klassenkampfes erfüllen werden. Schon in den nächsten Tagen finden in allen Wiener Wahlkreisen Frauenversammlungen statt mit der Tagesordnung:" Was haben die Arbeiterinnen von den christlichen Abgeordneten zu erwarten?"
Die Wiener Proletarierinnen sind sich bewußt, daß ihrer noch eine schwere, große Aufgabe harrt. Sie sind bereit, sie mit den Genossen zusammen zu erfüllen. Sie werden das ihrige dazu beitragen, daß Wien in der Zukunft für die Sozialdemokratie erobert wird. Neuen Muth schöpfen sie aus dem erfreulichen Erfolg, den die Sozialdemokratie bei den Wahlen in den anderen Kronländern Desterreichs errungen hat. Vierzehn sozialdemokratische Abge= ordnete ziehen in das Parlament ein. Vierzehn, das will viel sagen für den ersten Ansturm und in einem so verpfafften, rückständigen Lande wie Desterreich. Und diese vierzehn Abgeordnete sind ebensoviele Kämpfer für das Wahlrecht der Frauen, für den Schutz der Lohnarbeiterinnen. Und daher gehen die österreichischen Genossinnen mit neuem Muth, mit neuer Kraft an die Arbeit. Wien , im März 1897. Adelheid Popp .
* Diese Niederlage ist eine so glorreiche, daß sie eines der ehrenvollsten Blätter aus der Geschichte des proletarischen Klassenkampfes bildet. Für die Sozialdemokratie wurden in Wien 88 103 Stimmen abgegeben. Für einen ersten Wahlkampf, der obendrein unter den denkbar schwierigsten Umständen geführt wurde, ist das ein großartiger Erfolg, der beredter als alle Lobeserhebungen die Thätigkeit unserer österreichischen Genossen und Genossinnen preist. Die Redaktion der„ Gleichheit".