Als Ursache des Arbeiterinnenelends tritt uns in der Wäsche­konfektion wie in anderen Industrien die kapitalistische Produktions­weise entgegen. Den Uebeln, die es zeugt, kann nur dadurch entgegen­gewirkt werden, daß der Kapitalsmacht, die zugleich die organisirte Staatsmacht ist, eine andere Macht entgegentritt. Und diese Macht ist eine bewußte, in Organisationen geschulte und zusammengeschlossene Arbeiterklasse, die muthig und unentwegt für eine Hebung ihrer Lage in der Gegenwart und die volle Befreiung in der Zukunft kämpft. Ottilie Baader .

Kleine Nachrichten.

Ueber fast unglaubliche Behandlung weiblicher Angestellten im Telegraphenamte zu Hannover berichtet die bürgerliche Hann. Post". Vor einigen Tagen bemerkte ein Beamter des Fernsprech saales aus dem über das Austreten der Gehilfinnen ge= führten Buch(!), daß eine derselben acht Minuten ausgetreten war. Der betreffende Herr stellte das Fräulein in nichts weniger denn höflicher Weise über das lange Ausbleiben zur Rede und drohte da­mit, das Austreten durch verlängerten Dienst zu bestrafen. Er meinte, die Damen hätten ihrem Körper Zwang anzuthun und denselben so zu gewöhnen, daß sie ihre leiblichen Bedürfnisse im Hause verrichten könnten, im Dienste seien diese auf das Aeußerste zu be­schränken. Diese Tattlosigkeit wurde noch durch heftiges Stampfen mit dem Fuße unterstützt. Am folgenden Tage wiederholte sich das­selbe Spiel. Der Aufsichtsdame, Frl. S., wurden heftige Vorwürfe über das zweimalige Austreten von zwei und sechs Minuten( während einer Dienstzeit von acht Stunden) der Gehilfin W. gemacht, und dies hatte einen Ohnmachtsanfall der Letzteren zur Folge." Wie trefflich versteht es nicht der Staat als Arbeitgeber, in seinen Musterbetrieben" die heilige Stellung der Frau zu wahren!

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Das Konfektionsarbeiterinnen Elend erhellt in unzwei­deutigſter Weise aus dem amtlichen Bericht über die Ermittlungen, die Arbeitsverhältnisse in der Kleider- und Wäschekonfektion betreffend. Wir greifen eine Probe heraus. Nach Aussagen von 48 seitens des kaiserlichen statistischen Amts nachträglich vernommenen Arbeiterinnen der Damenkonfektion beträgt der durchschnittliche Netto Jahres­verdienst für Ledige 470 Mk., für Verheirathete 328 Mk., für Witwen 311 Mk. Diese Angaben stimmen mit denen der Unter­nehmer, soweit dieselben präzis erfolgt sind, durchaus überein. Nach den Erklärungen eines Konfektionärs der westfälischen Arbeiter­konfektion betrug das Netto- Jahreseinkommen von drei alleinstehen­den Heimarbeiterinnen im Durchschnitt 367 Mk. Daß die Arbeitszeit eine ungeheuer lange ist, wird in dem Bericht nachgewiesen. Für 53 vernommene Werkstattarbeiter ergab sich eine durchschnittliche täg­liche Arbeitszeit von über 13 Stunden. Die Heimarbeiterinnen haben durchschnittlich einen noch längeren Arbeitstag. Obgleich die Noth der Konfektionsarbeiterschaft zum Himmel schreit, hat die Mehrheit der Kommission für Arbeiterstatistik in ihren letzten Sitzungen alle einschneidenden Reformanträge abgelehnt. Stumm ist Trumpf auf der ganzen Linie, und die Anläufe zur Sozialreform sind vor der Rapitalgewaltigen Interessen und Willen geschmolzen wie Märzen­schnee an der Sonne.

Hungerlöhne für Arbeiterinnen sind in der Leipziger Kon­fektion an der Tagesordnung. Eine Frau, die für eine hochangesehene Konfektionsfirma schafft, verdiente im Verlaufe von vierzehn Tagen bei 13 bis 14stündiger Arbeitszeit und Zuhilfenahme des Sonntags 12 Mf. 40 Pfg. Die Frau ist Witwe und hat für zwei Kinder zu sorgen, von denen das eine an der englischen Krankheit leidet. Wie üppig mag sich bei Kartoffeln und Hering das Schlemmerleben" der Aermsten gestalten!

Das Frauenwahlrecht für die Schulbehörden forderte in Bern eine von 400 Frauen besuchte Versammlung. Schon vor einiger Zeit war diese Forderung erhoben, jedoch von den bezopsten Herren der Schöpfung" abgelehnt worden. Nun erneuerten die Frauen energisch ihr Begehren und erklärten, nicht eher zu ruhen, bis ihr Ziel erreicht ist. Daß sie nicht umsonst agitiren und fämpfen, davon sind wir fest überzeugt.

* Die Frage des Frauenstimmrechts wurde fürzlich im Ge­meinderath der Stadt Graz in Desterreich besprochen. Die dortige Gemeindewahlordnung gestattet den Frauen die Ausübung des Wahl­rechts durch Bevollmächtigte, es sollte ihnen nunmehr die persönliche Wahl erkämpft werden. Unter dem Hinweis darauf, daß weder in Wien noch in den meisten anderen Landeshauptstädten die Frauen irgend ein Wahlrecht für die Gemeindevertretung besitzen, die Frauen in Graz also ohnedies gegenüber den Frauen in jenen Städten einen Vorzug genießen, lehnte der Gemeinderath jede Aenderung des Frauen­wahlrechts ab.

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* Frauenstimmrecht in England. Im englischen Oberhaus ( House of Lords ) hat Lord Templetown am 8. März einen Gesetz­entwurf zu Gunsten des Frauenstimmrechts vertheidigt und die zweite Lesung beantragt. Der Premierminister, Lord Salisbury , der für seine Person ein Anhänger der Frauenstimmrechtsbewegung ist und von dessen Einfluß die Frauen viel erwarteten, war, verhindert, der Verhandlung beizuwohnen". An seiner Stelle sprach der Herzog von Devonshire im Namen der Regierung und erklärte, daß die zweite Lesung nicht stattfinden könne, weil ein ähnliches Gesetz dem Unter­hause vorgelegen habe und das Oberhaus erst nach der Erledigung dort, seinerseits eine Entscheidung treffen könne. Im Verlauf seiner Rede sagte der Herzog, daß in der Regierung ebenso wie in den Parteien eine Uebereinstimmung in Bezug auf diese Frage nicht vor­handen sei, er selbst sich aber als entschiedenen Gegner des Frauen­stimmrechts bekenne. Nachdem auch noch der Graf Kimberley sich gegen die zweite Lesung ausgesprochen hatte, wurde Lord Templetowns Antrag abgelehnt. Bei dem ganzen Vorgang ist die eine Thatsache bemerkenswerth, daß der Premierminister, Lord Salisbury , auf dessen Unterstützung die Frauen so große Hoffnungen setzten, sich im Ober­haus durch einen ihrer eifrigsten Gegner vertreten ließ.

* Petitionen zur Unterstützung des Frauenstimmrechts­gesetzes werden von den englischen Frauenvereinen in großem Um­fange vorbereitet. Nur die radikale Women's Franchise League" wird das Parlament um Ablehnung des Beggschen Entwurfes bitten, weil er nur einem kleinen Theil der Frauen das Stimmrecht giebt, und gerade diejenigen ausschließt, die am nothwendigsten vertreten sein müßten. Es sind das die Lodgers", d. h. die Aftermiether. Ihr Ausschluß wird von einigen Frauenvereinen, die im Punkte der Moral besonders hoch zu stehen vermeinen, damit begründet, daß man die unsittlichsten weiblichen Elemente dadurch vom Stimmrecht ausschließen wolle. Thatsächlich werden Lehrerinnen, Arbeiterinnen 2c. Klassen weiblicher Arbeiter in England besitzen, daß sie die Gelegen­davon getroffen, und es zeigt, wie wenig Selbstbewußtsein beide heit noch nicht ergriffen haben, um gegen diese Auffassung der Führerinnen" der Frauenstimmrechtsbewegung energisch zu protestiren.

Forderungen der Fabrikinspektion von Illinois , den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung betreffend. Im Anschluß an den vorläufigen kurzen Bericht der Fabrikinspektion von Illinois für 1896, den Frau Florence Kelley veröffentlicht hat, werden folgende gesetzliche Maßregeln empfohlen: 1. Ausdehnung der geltenden Schutz­bestimmungen auf Läden, Magazine, Bureaus und Waschanstalten. 2. Verbot, Kinder mit Erwerbsarbeit länger als 8 Stunden pro Tag oder 48 Stunden pro Woche und vor 6 Uhr Morgens und 9 Uhr Abends zu beschäftigen. 3. Verbot, Kinder unter 16 Jahren bei irgend einer Beschäftigung zu verwenden, die das Leben, die Glieder, die Gesundheit oder die Moral bedroht. 4. Verbot der Beschäftigung von Kindern unter 16 Jahren, die einfache Säße in englischer Sprache nicht lesen und schreiben können. 5. Einholung eines Erlaubniß­scheines für alle Straßenhändler, Verkäufer, Austräger, Zeitungs­jungen, Zeitungsmädchen und Schuhputer unter 16 Jahren. Dieser Erlaubnißschein wird nicht Kindern unter 14 Jahren oder solchen ertheilt, die nicht einfache Sätze in englischer Sprache lesen und schreiben können. 6. Verbot, jugendliche Arbeiter unter 18 Jahren an Aufzügen zu beschäftigen. Verbot, Minderjährige an Aufzügen zu beschäftigen, die mit einer Geschwindigkeit von mehr als 200 Fuß in der Minute funktioniren. 7. Zuziehung zweier Aerzte zu dem Stab der Fabrikinspektoren, und zwar eines männlichen und eines weiblichen Arztes. Nur von diesen Aerzten geprüfte Gesundheits­zeugnisse sind giltig. 8. Verpflichtung der Lokalschulbehörden, zur Verantwortung vor Gericht alle Eltern zu ziehen, welche dem Gesetz entgegen Kinder von 8 bis 14 Jahren nicht regelmäßig zur Schule senden. 9. Machtbefugnisse der Fabrikinspektoren, Ventilationseinrich­tungen, sanitäre Maßregeln, Beleuchtung, Heizung, Nothausgänge, Sicherheitsvorrichtungen an Maschinen, Aufzügen, Verschalungen der Räder 2c. zu fordern. Verpflichtung der Unternehmer, jeden in ihrem Betrieb vorgekommenen Unfall binnen 24 Stunden dem Fabrikinspektor anzuzeigen. Straffälligkeit des Unternehmers, der den Forderungen der Fabrikinspektion entgegen nicht für die geeigneten Sicherheits­maßregeln und sanitären Einrichtungen sorgt. 10. Verbot, irgend welche für den Verkauf bestimmte Waaren in Tenementhäusern ( Schwißläden) oder unter den gleichen Verhältnissen oder Bedingungen wie dort anfertigen zu lassen.

Die Einführung des Frauenstimmrechts in Kalifornien war beantragt worden. Der betreffende Antrag auf Abänderung der Verfassung wurde jedoch abgelehnt. Daß die kalifornischen Frauen trotzdem sich in naher Zukunft das Stimmrecht erwerben, dürfte zweifellos sein.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner ) in Stuttgart. - Druck und Verlag von J. H. W. Diez in Stuttgart .