66 verbrannt, da hielt sich das werkthnlige Volk in kühler Nichtachtung protestirend abseits. Es kennzeichnet die Herrschgewalt des Kapi­tals, die lastende Sklaverei des Proletariats, daß Zehntausend: und Zehntausende deutscher Arbeiter und Arbeiterinnen durch der Unternehmer Machtspruch grollenden Herzens gezwungen waren, am Märzfest des hohenzollernschen Fürstenhauses und der deutschen Kapitalistenklasse die Arbeit ruhen zu lassen. Die Zentcnarfeier, der Hamburger Streik, die Verhand­lungen über den Achtstundentag lassen den proletarischen Maientag in seiner Eigenart als Wahrzeichen des Klassenkampfs mit aller Schärfe erscheinen. Sie sind der reaktionäre Hintergrund, von dem sich der revolutionäre Sinn der Arbeilermanifestation wirksam abhebt. In ihnen gelangt zum Ausdruck, was die bürgerliche Ge­sellschaft dem Proletariat ansinnt, was es leiden, warum es kämpfen muß. In der Maifeier erklärt das Proletariat, daß es den Kampf aufnimmt, und wofür es kämpfen will. Im Gegensatz zu den dem Proletariat von seinen Herren aufgezwungenen Festen charakterisirt sie sich als freigewollt, als selbstgesetzt. Sie ist die kraftvolle Antwort der robottenden und entbehrenden Massen auf den aus Selbstsucht und Kurzsichtigkeit geborenen Widerstand, den die ausbeutenden Protzen und ihre politischen Sachwalter jedem ernsten Reformstreben entgegenstellen. Die Sklaven des Kapitals zählen sich am 1. Mai und verkünden ihren unbeugsamen Willen, ihre Gegenwartsforderungen und Zukunftshoffnungen bei der bürgerlichen Gesellschaft einzukassiren. Genug der Ausbeutung und Verknechtung des Menschen durch den Menschen, erklären sie. Wir forder» alle Reformen, welche diese Ausbeutung ein Weniges mildern, unsere Ketten ein Winziges lockern. Her deshalb mit einer durchgreifenden Aibeiterschutzgesetz- gebung, her vor allem mit dem gesetzlich festgelegten Achtstunden­tag. Der Achtstundentag ist nöthig, dafern die arbeitende Masse nicht körperlich, geistig und sittlich verkümmern soll, so sagt die Wissenschaft, so bezeugt der Thatsachen Fülle. Für seine Dring­lichkeit spricht beredt der schier endlose Zug von in den besten Jahren abgerackerten Männern, vorzeitig gealterten, welken Frauen, greisenhaft schwachen jungen Leuten, siechen, verkrüppelten Kleinen. Nach ihm verlangt das mächtige Bildungssehnen des werkthätigen Volkes, ihn begehrt dessen Wunsch nach etlichen Tagesstunden traulichen Familienlebens. Ihn ruft die für des Kapitals Hörige bestehende Nothwendigkeit, sich aufzuklären, zu organisiren, im Blach- feld des wirlhschaftlichen und politischen Lebens für ihre Interessen zu kämpfen. Der Achtstundentag ist möglich, so erweist die National­ökonomie, so bestätigt die Praxis. Trotz alledem vorenthält die bürgerliche Gesellschaft den Ausgebeuteten diese Reform. Das klassenbewußte Proletariat wird sie ihr allem Sträuben, allen Machtmitteln ohngeachtet entreißen. Her deshalb mit allen poli­tischen Rechten und Freiheiten, welche es in den Stand setzen, auf wirthschaftlichem und politischem Gebiete, durch die Gewerkschaften und durch die Sozialdemokratie gegen die Ausbeutung zu streiten. Her vor allem mit der unbeschränkten Koalitionsfreiheit und Hand weg von dem allgemeinen, gleichen Wahlrecht, das der Reaklion ein Greuel und Scheuel ist. Nicht nur, um den Jammer des Heute zu lindern, heischen die aufgeklärten Männer und Frquen der Arbeit gründliche Reformen. Vielmehr als Vorbedingung für die Eroberung des Morgen. Denn nicht eher kann das Prole­tariat ruhen und rasten, bis die kapitalistische Ordnung geschleift und der Boden für die sozialistische Gesellschaft geebnet ist. Und um diese seine geschichtliche Aufgabe zu vollbringen, bedarf es der körperlichen, geistigen und sittlichen Kraft, die auf der Grundlage besserer Arbeitsbedingungen erwächst. So ringt das Proletariat zielklar für Reformen, weil es die soziale Revolution will, so streckt es die Hand aus nach allen Verbesserungen seiner Lage, welche innerhalb der bestehenden Gesellschaft möglich sind, aber nicht, um in faulem Frieden mit der heutigen Ordnung der Dinge zu Paktiren, sondern um den Kampf gegen dieselbe schärfer und machtvoller führen zu können. Gemeinsam mit dem Weltproletariat erheben die deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen am 1. Mai ihre Forderungen. Viel­sprachig, millionenstimmig klingen sie über den Erdball, der Arbeit zum Schutz, dem Kapital zum Trutz. Die gleiche Klassennoth hat die Proletarier aller Länder zusammengefügt zum Bruderbund, in dem Ein Ziel, Ein Wille lebendig ist. Der Schritt vorwärts im befreienden Klassenkampfe, den die Maidemonstration bedeutet, er ist gleichzeitig ein weiterer Schritt vorwärts zur Völkerverbrüde­rung, zum Weltfrieden. Welcher Gegensatz! Die frohndenden Beherrschten bekräftigen feierlich ihren Friedenswillen, im Osten Europas   aber brüllen die Schlachtkanonen, jagt die Kriegsfurie einher, die durch die eigennützigen Pläne und durch die berechnende oder blöde Haltung der Regierungen der großen europäischen  Klassenstaaten entfesselt worden ist. Wer vermag zu verbürgen, daß sich nicht an den griechisch-türkischen Schlachtfeuern der Welt­brand entzündet, der alle Kulturländer in wildem Ringen gegen­einander wirft? Gebieterisch, anmaßend wie je hat der deutsche Kapitalisten- klüngcl sein Veto gegen die Maifeier seiner Tributpflichtigen ein­gelegt. Wie er ihnen an seinen eigenen Festtagen mit der Arbeit das Brot vorenthält, wie er sie zwingen will, seinen Götzen zu huldigen, vor seinen politischen Schutzheiligen die Knie zu beugen, so möchte er es ihnen andererseits wehren, aus eigenem Entschluß als Ausdruck proletarischen Kampfwillens einen Tag der Sklaven­rast zu feiern. Das deutsche Proletariat weiß, daß in den Händen der Kapitalistenklasse die Hungerpeilsche ruht, es vergißt nicht, daß gerüstete Staatsgewalten ihr allzeit zu Diensten stehen. Aber es kennt auch die Grenzen, die den kapitalistischen   Allmachtsgelüsten durch die wirthschaftliche Situation gezogen sind, es ist seiner eigenen Stärke bewußt. Allgemeiner, begeisterter, freiheitsent­schlossener als in den letzten Jahren wird deshalb die deutsche Arbeiterklasse Heuer, im Zeichen des verschärften wirthschaftliche» und politischen Klassenkampfes, die Maifeier begehen. Mit der Losung:Rückwärts nimmer, vorwärts immer" reiht sie sich am ersten Mai dem internationalen revolutionären Heerbann ein, der auszieht, der Arbeit Ketten zu zerbrechen und eine Welt zu er­obern. Kritische Veinerlmngen zu Genvssm Brauns Vorschlag. v. Der Vorschlag in Nr. 6 derGleichheit",Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung", ist für Alle, die mit ganzem Herzen der guten Sache anhängen, so wichtig und so interessant, daß der Wunsch, sich darüber zu äußern, gewiß ein allgemeiner ist. Alle. die sich mit Eifer an der Lösung dieser hohen Kulturfrage betheiligen, werden der Leiterin derGleichheit" dankbar sein für die Aufforderung, sich über die Zweckmäßigkeit des Programms der Genossin Braun auszusprechen. Gilt es doch hier zwei Dinge zu vereinigen. Die ideale Forde­rung, nach schwer erreichbaren Zielen zu streben, scheint zunächst un­vereinbar mit der praktischen Forderung, das Nächste und Nothwen- digste ins Auge zu fassen zur Verbreitung richtiger Einsicht in den Kreisen unserer Frauen. Sollen wir das vorgeschlagene Programm annehmen oder verwerfen? Oder sind wir vielleicht in der angenehmen Lage, den für und gegen dasselbe entwickelten Gründen theilweise zu­stimmen zu können? Unbedingt ist der Arbeitsplan, welcher in denAufgaben" auf­gestellt ist, ein werthvoller Beitrag zur Erfüllung unserer Aufgaben und wesentlich geeignet, die Arbeiterinnen zur Pflege und Förderung ihrer Interessen anzuregen. Frau Zetkin   in ihrer Antwort giebt dies auch unbedingt zu, will jedoch die noch wenig zahlreichen Kräfte, über die wir verfügen, nicht der ivichtigern Agitation entziehen. Hiermit ist indeß auch schon der Weg deutlich gewiesen, wie man vorzugehen hat. Man möchte das Eine thun und das Andere nicht lassen. Man stelle eine Jede, die arbeiten kann und will, an den geeig­neten Platz, ihr selbst zur Freude, den Genossinnen zum Nutzen. Wer zur Agitation, zur öffentlichen Rede die Gabe und den Willen besitzt, hat damit seinen besten Beruf gefunden. Niemand wird wünschen, hier störend einzugreifen und dieser wichtigsten Aufgabe eine Kraft zu entziehen. Wohl aber können wir unsere Hauplkämpferinnen entlasten, indem wir ihnen Hilfskräfte zugesellen, welche ihnen einen Theil ihrer Arbeit abnehmen. Wie viel einfacher würde die Aufgabe dieser er­lesenen Schaar sein, wenn man einer Schriftführerin die ganze Kor­respondenz überließe, welche jetzt, zum Schaden der Sache, jede Ein­zelne nach allen Richtungen hin führen muß. Die daraus entstehende gehäufte Arbeit, die mancherlei Mißverständnisse, welche unvermeidlich sind, wenn bald nach dieser, bald nach jener Seite über den gleichen Gegenstand verhandelt wird alles dieses wäre sofort beseitigt. __