Versuch einer Aktion gemacht hat." Und ich fand, daß diese Gründe tief im Charakter unserer Bewegung, im Wesen unseres Kampfes und in den Bedingungen wurzeln, unter denen er sich abspielt. Ich erachtete, daß diese Gründe auch von maßgebender Bedeutung für die Bewerthung des Braunschen Vorschlags sind. Und an dieser meiner Auffassung halte ich noch jetzt fest. Dies umsomehr, als die leitenden Parteikreise seit dem Jahre 1884 wiederholt Gelegenheit gehabt haben, einen Vorschlag zu erörtern, der in seinen wesentlichen Zügen eine große Familienähnlichkeit mit Genossin Brauns Programm aufweist, der aber für die Gesammtbewegung fordert, was diese für die Frauenbewegung allein verlangt. Der Vorschlag ist stets zurückgewiesen worden. Aus diesem Umstand allein schlußfolgere ich nun gewiß nicht auf den Nichtwerth des empfohlenen Vorgehens, wohl aber darauf, daß sehr ernste Bedenken dagegen vorliegen. Diese Bedenken sind meines Erachtens keineswegs behoben durch Genossin Brauns Ausführungen über diese und jene Sonderverhältnisse, mit denen die sozialistische Frauenbewegung rechnen muß. Diese Sonderverhältnisse fallen nicht so schwer ins Gewicht, als andere aus der proletarischen Klassenlage hervorwachsende Bedingungen, welche für den Kampf der Arbeiter wie der Arbeiterinnen gelten und ihn zu einem gemeinsamen und einheitlichen zusammenschweißen.
Aus der Bewegung.
Von der Agitation. Im Auftrage des Verbands der deutschen Schneider und Schneiderinnen" unternahm Genossin Steinbach- Hamburg eine sehr erfolgreiche größere Agitationstour durch Hannover , Hessen , die Rheinpfalz und Baden . Die Rednerin sprach in Göttingen , Kassel , Eschwege , Mainz , Wiesbaden , Kreuznach, Worms , Aschaffenburg , Darmstadt , Heidelberg , Mannheim , Frankenthal , Rohrbach, Neustadt , Landau , Frankfurt , Hanau , Gießen , Marburg und vielen anderen Orten. In 23 öffentlichen Versammlungen der Schneider und Schneiderinnen gewann sie dem Verband 106 neue Mitglieder. In 14 anderen gewerkschaftlichen oder politischen Versammlungen führte sie den Organisationen 250 Anhänger zu; in insgesammt 37 Versammlungen veranlaßten ihre Ausführungen mithin 356 Personen, sich gewerkschaftlich oder politisch zu organisiren. Das ist gewiß ein sehr achtungswerther Erfolg, der aber, wie Genossin Steinbach hervorhebt, ein noch größerer sein würde, wenn alle Gewerkschaftler, alle Genossen sich eifriger als bisher angelegen sein ließen, die Frauen und Mädchen zum Besuch der Versammlungen und zum Anschluß an die Organisationen zu bestimmen.
( Schluß.)
Beatrice Webb war in der Näherei nicht sehr bewandert, aber dieser Umstand war nicht wichtig genug, um ihren gewissen haften Feuereifer erfalten zu machen. Weit entfernt davon, ihren wirklichen Namen und ihre soziale Stellung ahnen zu lassen, führte sie es Monate lang durch, sich als Verlassene zu geberden, die es dringend nothwendig hatte, ihre fümmerliche Nahrung zu verdienen. Sie irrte in dem undurchsichtigen Nebel, in strömendem Regen in den Vororten des Elends und des Lasters umher; sie bat in den elendesten Buden um Arbeit über den Tag. Oft und oft zurückgewiesen, es war eben mehr Angebot als Nachfrage, passirte es ihr, daß sie Stunden und Stunden umsonst umherirrte, so gepeinigt von der Müdigkeit, so verwundet von dem Zurückweisen, daß sie die Sinnestäuschung des wahren Elends hatte, und wirkliche Thränen über ihre gewollte Drangsal weinte!
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Aber wenn es ihr gelang, Arbeit zu finden, so traf sie eine andere Art von Marter. Sie erduldete die Tortur, zwölf bis vierzehn Stunden auf ihrem Sessel wie angenagelt fißen zu müssen, in einer verpesteten Atmosphäre, in einer winzigen Stube, worin die schmutzigen, halb verhungerten Gestalten dicht gedrängt saßen; dazu die vom Arbeitgeber verabreichte Kost der jedes malige Schrecken ihres verwöhnten Gaumens, die impertinente Härte der Meisterin oder des Meisters, die Verlegungen durch die groben Stoffe, die ihre Finger zerschnitten. All diese Dinge zusammen erschienen ihr wie ein entseßlich quälender Traum. Troßdem hielt sie tapfer aus und kam keine Sekunde in die Versuchung, aufzuschreien, warum sie dort sei.
Nein, ohne zu ermatten hielt sie sechs Wochen hindurch ihre Lehrzeit aus, und wurde Sachverständige in der Kunst, die
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Im dritten Hamburger Wahlkreise sprach Genossin Zetkin gegen die preußische Vereinsgesetznovelle und für das freie Vereins- und Versammlungsrecht des weiblichen Geschlechts, des Gesindes und der Landarbeiterschaft. Versammlungen fanden statt in Hamm , Cuxhaven , Barmbeck, Eppendorf , Rothenburgsort , Geesthacht , Billwärder und Bergedorf . Sie waren sämmtlich gut, zum Theil sogar glänzend besucht, insbesondere zahlreich waren die Frauen vertreten, sogar in fleinen Orten wie Cuxhaven und Geesthacht . Einstimmig wurde überall die in Nr. 12 der„ Gleichheit" veröffentlichte Resolution, das Vereins- und Versammlungsrecht betreffend, angenommen. In Aalen und Heilbronn ( Württemberg ) nahmen in letzter Zeit ebenfalls sehr gut besuchte Versammlungen in Anschluß an ein Referat von Genossin Zetkin Stellung gegen die preußische Vereinsgesetznovelle und für das freie Vereins- und Versammlungsrecht.
Der Jnternationale Kongreß für gesetzlichen Arbeiterschutz
Der Jnternationale Kongreß für Arbeiterschutz, der vom 23. bis 28. August in Zürich stattfindet, verdient cingehende Aufmerksamkeit seitens der Genossinnen. Auf seiner Tagesordnung stehen eine Reihe von Fragen, die von hervorragender, tiefer Wichtigkeit für die Interessen der Arbeiterinnen sind. Außer den Delegirten von Arbeiterorganisationen, sowie den Arbeitervertretern in öffentlichen Körperschaften können auch Einzelpersonen an den Kongreßarbeiten theilnehmen, zwar nicht mit entscheidender, wohl aber mit berathender Stimme. Ausschlaggebend für die Zulassung bleibt nur das grundsätzliche Eintreten für den gesetzlichen Arbeiterschutz. Das Organisationskomite des Kongresses hat, wie uns scheint, durchaus richtig Schweizer verschiedener Richtungen als Referenten für die Fragen der Tagesordnung aufgestellt. Auch das geschäftsführende Bureau des Kongresses besteht aus Schweizern verschiedener Richtungen. Die Kongreßsprachen sind deutsch , englisch und französisch; gute Uebersetzer sind bestimmt. Die einzelnen Materien werden zunächst in Sektionssizungen vorberathen, nur für die Sonntagsarbeit ist keine vorgängige Berathung angesetzt, weil betreffs der Frage kaum Meinungsverschiedenheiten zu Tage treten dürften. In den Verhandlungen des Gesammtkongresses werden die Referate nebst den An
schwieriger ist, als sie scheint, die Hosen, die für die Arbeiter bestimmt sind, herzustellen.
Sie konnte auf diese Weise feststellen, daß jede fertiggestellte Hose der Arbeiterin zwölf Kreuzer einbringt. Von diesem Lohn muß sie Miethe und Nahrung zahlen und noch froh sein, wenn der Arbeitgeber nicht gar zu hart ist und sie nicht mit seinem ewigen schneller, schneller, Faulenzerin" quält.
All diese Eindrücke hat Beatrice Webb in einer Reihe von Aufsäzen in der Londoner Revue Nineteenth Century" veröffentlicht. Sie sind durch ihre Genauigkeit und Lebendigkeit be= merkenswerth, wie durch den Muth, mit dem sie unbarmherzig alle Grausamkeiten der Arbeitgeber aufgedeckt haben. Diese Artikel erregten beim Publikum ein lebhaftes Aufsehen. Die junge Weltdame, die in Arbeiterfragen so fompetent war, fompetenter als manche Staatsmänner, erregte in den verschiedensten Schichten ein leidenschaftliches Aufsehen. Man griff sie an, man bewunderte sie. Aristokratin durch Verwandtschaft und Vermögen fürchtete sie nicht, den herrschenden Klassen die Wahrheit zu sagen, gewisse Beschlüsse des Hauses der Lords zu tadeln, die Beweise zur Bekräftigung ihrer Worte in Händen. Den Leuten von Welt öffnete sie die Augen über den Jammer, die Versuchungen und die Qualen der Armen. Sie mißbilligte die Ausübung der so bequemen Wohlthätigkeit und forderte für die Verkommenſten und Verachtetsten das Recht auf Arbeit und ein menschenwürdiges Dasein. Sie zeigte jener englischen, in Gold schimmernden Aristokratie, die so voll Verachtung sich von der Menge fernhält, die von Allem entblößt ist, wie reich diese troz allen Elends an moralischen Eigenschaften ist. Sie zeigte die rührende Brüderlichkeit, die zwischen den Enterbten so häufig zu finden ist, sie wies auf die von jedem Egoismus freien Hilfeleistungen hin, die der Arme dem Armen gewährt, auf