Nr. 16.

Die Gleichheit

7. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Begründet von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin .

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch, den 4. August 1897.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Juhalts- Verzeichniß.

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Was leistet die Gewerkschaft für die Besser Unaufhaltsamer Umsturz. stellung der Arbeiterin? I. Aus der Bewegung. Die Women's Cooperative Guild". Von Helene Simon. Feuilleton: Erotik und Idyll. Aus Novelletten von Alexander Kielland . Hoffnung( Gedicht). Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Gewerkschaftliche Arbeite­rinnen- Organisation. Frauenarbeit auf dem Gebiete der Induſtrie, des Handels und Verkehrswesens. Arbeitsbedingungen der Arbeite­rinnen. Soziale Gesetzgebung. Weibliche Fabrikinspektoren. Frauenbewegung. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

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Unaufhaltsamer ,, Umffurg"

Von dem Umsturz der vielbelobten Einrichtungen dieser besten aller Welten reden einmal wieder laut und eindringlich Thatsachen, die steifnackigen Dinger. Und zwar gerade von dem Umsturz einer Institution, welche von den Nutznießern und Klopffechtern der bürgerlichen Gesellschaft als eine der wichtigsten Grundlagen unserer Ordnung gepriesen wird: von dem Umsturz der bürgerlichen Familie. Als Umstürzler aber erscheint auf der Bildfläche nicht die Partei der vaterlandslosen Gesellen", vielmehr niemand Anderes als seine Majestät, das allmächtige Kapital, das in seinem nimmer­satten Ausbeutungsbedürfniß zerstörend und neuschaffend zugleich in den gesellschaftlichen Bau, in das soziale Getriebe eingreift. Die bis jetzt erschienenen Berichte der Fabrikinspektoren von sieben deutschen Bundesstaaten für das Jahr 1896 melden abermals eine bedeutende Zunahme der in der deutschen Großindustrie be= schäftigten Arbeiterinnen. Und bereits im Jahre 1895 war die Zahl derselben in steter Steigung auf rund 700 000 angeschwollen.

Was denn aber besagen diese trockenen Ziffern? Sie er­flären beredt, daß die Zersetzung und Auflösung der proletarischen Familie als einer wirthschaftlichen Einheit rasche Fortschritte macht. Tausende und Tausende von Frauen und Mädchen mehr als im Vorjahre suchen ihren Lebensunterhalt in der Fabrik. Warum das? Vielleicht weil sie des Heimlebens überdrüssig sind, weil sie nach freierer Lebensführung, Unabhängigkeit vom Manne und der Familie begehren? Oder weil die Familie sie in falter Gleich­giltigkeit hinausstößt in den Kampf für das Dasein? Oder aber, weil es Gatten und Kindern, Eltern und Geschwistern gegenüber feine Aufgaben mehr zu erfüllen giebt? Mit nichtem. Weil die Noth der proletarischen Familie Frauen und Mädchen vom häus­lichen Herde reißt und mit scharfen, tiefschneidenden Schlägen hinein­peitscht in die Großindustrie. Die Vervollkommnung der Arbeits­mittel und Arbeitsverfahren, die Ausweitung und Verbesserung des Verkehrswesens, die Konzentration der Betriebe, mit einem Worte: das neuzeitliche Wirthschaftsleben macht die Menschenarbeit ent­behrlicher und drückt unter der Herrschaft des Kapitals ihren Preis tiefer. Mehr und mehr schrumpft die Zahl der proletarischen Familien zusammen, in denen der Verdienst des Mannes allein für den Unterhalt ausreicht.

Und die vorliegenden Ziffern zeichnen nur einen Theilaus­schnitt des Bildes von der Zersetzung der proletarischen Familie. Denn neben den Hunderttausenden von Fabrikarbeiterinnen da stehen die breiten Massen der Frauen und Mädchen, die in Klein­

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Bettin( Gißner), Stuttgart , Rothebühl Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

betrieben thätig sind oder sich in der Hausindustrie abmühen. Und gerade die Berichte einzelner Fabrikinspektoren sprechen dafür, daß die Zahl dieser beiden Kategorien weiblicher Arbeitskräfte noch stärker gewachsen ist, als die der großindustriellen Lohnsklavinnen. So dürftig auch der den Letzteren zuerkannte Schutz gegen die schlimmsten Auswüchse der kapitalistischen Ausbeutung ist, es be= engt immerhin die Freiheit, die das Kapital meint, die Freiheit auszubeuten und Profit zu feltern, ein Weniges. Und können die gefeßliebenden Unternehmer die gesetzlichen Bestimmungen nicht mit Füßen treten, so machen sie dieselben illusorisch, indem sie, wo die Natur, des Fabrikations zweiges es gestattet, den Kleinbetrieb und die Hausindustrie auf Kosten des Großbetriebs ausdehnen. So findet in den letzten Jahren eine zunehmende Abstoßung von Ar­beiterinnen der geschüßten Großindustrie in die schußlose Klein­und Hausindustrie statt. Mit den industriellen Arbeiterinnen ist jedoch die Zahl der dem Kapital zinsenden Proletarierinnen noch keineswegs erschöpft. Da ist noch das vielköpfige Heer der weib­lichen Dienstboten und Landarbeiter, die Menge der weiblichen Angestellten im Handel und dem Verkehrswesen, der Proletarie­rinnen der Kopfarbeit nicht zu vergessen. So beziffern sie sich heutigentags nach Millionen und Millionen, die deutschen Frauen und Mädchen, denen die Familie nicht mehr das Brot zu reichen vermag, und die deshalb auch ihr gegenüber nicht mehr in alter Weise Pflichten zu erfüllen im Stande sind.

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Gründlich umgestürzt hat mithin die wirthschaftliche Entwick­lung die heilige Stellung der Frau". Neben der vollzogenen und sich weiter vollziehenden wirthschaftstechnischen Revolution be­thätigt sich als wirksamste umstürzlerische Kraft die Gewinngier der Kapitalistenklasse. Etliche Prozentchen Profit mehr bei An­wendung von Frauenarbeit als bei Anwendung von Männerarbeit und es verstummen die gefühlvollen Deklamationen von dem Naturberuf" der Frau und ihren Pflichten in der Familie. Und die Folgen davon für die Arbeiterklasse?

Die steigende Verwendung der Frauenarbeit hat die Tendenz, die Löhne der Männerarbeit tiefer zu drücken. Und jede Senkung des Verdienstes der männlichen Arbeiter wirkt wiederum auf die Verschlechterung des Erwerbs der Arbeiterinnen hin. Die Armuth treibt nicht blos die Frau zur Berufsarbeit, auch die halbflüggen Knaben und Mädchen, auch die Kinder, die noch nicht die Schul­bank verlassen haben. Je mehr Glieder der proletarischen Familie aber wirthschaftlich verselbständigt werden, indem sie der kapita­ listischen Ausbeutung verfallen, um so geringer wird auch ver­hältnißmäßig der Verdienst der einzelnen Angehörigen. So ist die Frauen und Kinderarbeit weit davon entfernt, größeren Wohlstand in das ärmliche Heim zu tragen, sie bewirkt vielmehr eine wirth­schaftliche Verschlechterung der proletarischen Klassenlage.

Damit nicht genug. Von seinem Ausbeutungsbedürfniß ge­stachelt, kennt der Unternehmer keine Rücksicht auf die geringere Kraft, die Besonderheiten des weiblichen Organismus. Ihm ist die Rücksicht fremd auf die Thatsache, daß die Arbeiterin ihre Pflichten als Hausfrau, als Gattin und als Mutter nicht auf eine perfekte Köchin, ein Stubenmädchen, eine Bonne oder Er­zieherin abwälzen kann. An den Arbeitstag für das liebe Brot reiht sich deshalb für sie oft die Arbeitsnacht für das Haus. Die zwiefache Inanspruchnahme ihrer Kräfte rächt sich durch ein schnelleres,