123 für die bessere Entlohnung der Frauenarbeit. Die bekannten Hungerlöhne der Arbeiterinnen überliefern nicht blos Tausende und Zehntausende fleißig schaffender Proletarierinnen dem grausen Elend, dem frühzeitigen Ruin der Gesundheit und Lebenskraft, sie treiben nicht blos viele Hunderte aus der Roth in die Schande, sie bilden auch eine stete Gefahr für den Verdienst der männlichen Arbeiter. Denn wo immer die technische Möglichkeit vorhanden ist, da kommandirt der Kapitalist:„Frauenarbeit vor!" Die Verwendung der billigen, willigen und fügsamen Arbeiterinnen mehrt unmittelbar seinen Gewinnst, sie wirkt auf dessen reichlicheren Fluß auch mittelbar ein, sie verbilligt die theure Männerarbeit. Die Arbeiterinnen selbst aber empfangen den Rückschlag der Rolle, die zu spielen Roth, Einsichts- losigkeit und Kapitalniacht sie veranlassen. Je niedriger die Männerlöhne herabgehen, um so tiefer sinkt der ohnehin schon so kärglich bemessene Lohn der weiblichen Arbeitskräfte. Die Gewerkschaft nun tritt energisch für die bessere Entlohnung der Frauenarbeit ein, sie strebt die Verwirklichung des Grundsatzes an:„Gleicher Lohn für gleiche Leistung ohne Unterschied des Geschlechts der Arbeiter". Sie vertheidigt mithin die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen und wirkt von zwei Seilen her auf die höhere Entlohnung der werkthätigen Frauen und Mädchen ein. Wie ein Keil den anderen treibt, so beeinflußt der bessere Verdienst der Frauenarbeit den Preis der Männerarbeit. und deren reichlichere Bezahlung wirkt wiederum günstig auf den Erwerb der Arbeiterin zurück. Jede Arbeiterin, die den Fluch winzigen Verdienstes am eigenen Leibe empfunden hat, wird die Nolhwendigkeit und den Werth der gewerkschaftlichen Aktion in diesen Richtungen gebührend zu schätzen wissen. Damit ist indes; noch nicht erschöpft, was die Gewerkschaft für Aufbesserung der Frauenlöhne leistet. Sie wirkt auf ihre Hebung ein, indem sie der Schmutzkonkurrenz entgegenarbeitet, unter welcher die Arbeiterin ihrerseits leidet. Der Kapitalist ruft ja zum Zwecke der Lohnsenkung und Profitmacherei nicht blos die Frauenarbeit auf den Plan, auch die mit wahren Bettelpfennigen entlohnten Arbeiter aus rückständigen Gegenden, aus unentwickelten Industrien, die Kinder und jungen halbwüchsigen Leute. In der Folge wird die billige Arbeit der Frauen und Mädchen durch die noch billigere der betreffenden Arbeitskräfte verdrängt oder zur allerbilligsten Arbeit herabgedrückt. Wie die niedrig entlohnte Frau dem Mann, so schlägt der noch geringer gelohnte ausländische, rückständige, jugendliche und kindliche Arbeiter der Frau das Stück Brot aus der Hand oder schmälert es. Die Arbeiterinnen aber vermögen in der Regel nicht, sich durch kraftvolles Aufbäumen gegen eine Verschlechterung ihrer Erwerbsverhältnisse zu schützen. Sie sind an niedrige Entlohnung gewöhnt, die „verdammte Bedürfnißlosigkeit" ist ihnen zur zweiten Natur geworden, ebenso Nachgiebigkeit und Gehorsam gegenüber dem„Arbeitsherrn". Da belhätigt sich denn die Gewerkschaft als Schützerin ihres Brotes, ihrer Nerdiensthöhe, indem sie ausländische und rückständige Arbeiter aufklärt und organisirt, indem sie dafür kämpft, daß der Auswucherung kindlicher und jugendlicher Arbeitskräfte Schranken gezogen werden, indem sie sich angelegen sein läßt, die Einsicht der jungen Arbeiter und Arbeiterinnen und ihre berufliche Ausbildung zu fördern, sie der Organisation zuzuführen. Wachsamen Auges und zum Handeln bereit steht die Gewerkschaft allezeit auf Posten, um die Arbeiterin vor jeder Uebervortheilung betreffs der Entlohnung zu bewahren. Der Kapitalist begnügt sich ja bekanntlich nicht damit, seine„Hände" so ärmlich als möglich zu entlohnen. Er versucht vielmehr vielfach, ihren kargen Verdienst durch allerlei Kniffe und Pfiffe zu kürzen und diese Kniffe und Pfiffe sind so mannigfaltig und so verschlungen, wie die Wege der Vorsehung. Neue Lohnberechnungsmethoden werden eingeführt; ein spitzfindigst ausgeklügeltes Prämiensystem tritt in Kraft; der Akkordlohn wird nach einer unglaublich geringen Herstellungszeit des Artikels bemessen; der Zeitlohn wiederum wird nach Maßgabe einer mörderisch abhetzenden Akkordarbeit festgelegt; die Arbeiterin muß für Zuthaten aufkommen und damit einen Theil der Betriebsunkoslen zahlen, womöglich muß sie die Zuthaten im Geschäft und theurer als irgendwo kaufen; die Fabrikkantine liefert für verhältnißmäßig viel Geld wenig und schlecht w. w. Um sauer verdiente Groschen wird die Arbeiterin dadurch geprellt, daß sie Ueberstunden zu den gewöhnlichen Lohnsätzen oder auch unbezahlt schaffen muß, daß der Unternehmer Sonntags- wie Werkeltagsarbeit lohnt. Empfindlich treffen sie die Strafgelder, welche die Vorgesetzten für alles und jedes erheben, für eine Minute Verspätung, für ein den Lippen entflohenes Wort oder Lachen, für vorgeblich mangelhaste Leistung u. s. f. Es ist eine bekannte Thatsache, daß gerade die Arbeiterin weit mehr als der Arbeiter unter dem„groben Unfug" solcher Praktiken der kapitalistischen Lohnkipper und Lohnwipper leidet. Wie stets, so spekulirt auch hier das Unternehmerthum darauf, daß die Arbeiterin als Frau unaufgeklärt, unterwürfig und vor allem auch unorganisirt ist. Gar manche Proletarierin macht es sich von vornherein nicht klar, worauf irgend eine„Neuerung" der charakterisirten Art abzweckt. Und findet sie am Tage der Lohnzahlung die unzweideutige Erkenntniß auf dem Grunde ihres schmalen Beutelchens, so fehlt ihr meist der Muth und die Kraft zu ernstem Widerstand gegen das ihr angethane Unrecht. Das Gleiche gilt, wenn sie Strafgelder treffen, die oft ohne jeden wirklichen Grund zum offensichtlichen Zweck der Lohnkürzung verhängt werden, und deren Verwendung in vielen Fällen trotz der gesetzlichen Vorschrift unbekannt bleibt. Selten nur vermag die Arbeiterin es zu erzwingen, daß ihr gleich den Kameraden das Schaffen außerhalb der gewöhnlichen Arbeitsstunden zu einem höheren Lohnsatz berechnet wird. Die Uebervortheilte, die Betroffene seufzt: ihr Verdienst ist ohnehin so kärglich, daß jeder Pfennig weniger sie empfindlich berührt, ihre Sorgen vermehrt, ihre Entbehrungen steigert. Trotzdem wagr sie kaum zu murren. Folgt denn nicht jeder Aeußerung ihres Unmuths scharfe oder grobe„Zurechtweisung", vielleicht gar die Entlassung? Wie anders gestalten sich die Verhältnisse in der Beziehung, wenn die Arbeiterin Rückhalt an einer Gewerkschaft besitzt. Schon der Umstand, daß sie Mitglied einer starken Organisation ist, hält den Unternehmer vielfach davon zurück, seinen profithungrigen Rücken und Tücken die Zügel schießen zu lassen. Und setzt er trotzdem alle Bedenken bei Seite, um zu Nutz und Frommen seines Geldsacks den Verdienst der Arbeiterin zu schmälern, nun so klopft nöthigenfalls die Gewerkschaft auf die raffgierigen Finger, die in das schwindsüchtige proletarische Portemonnaie fassen wollen. So vertheidigt die gewerkschaftliche Organisation den Verdienst der Arbeiterin nicht nur gegen den großen Raubzug der kapitalistischen Mehrwerthpresserei, sondern auch gegen die kleinliche, schmutzige Busch- klepperei. So wirkt sie in den verschiedensten Richtungen, um der Arbeiterin einen größeren Antheil an den Früchten ihres Schaffens und Mühens, um ihr ein reichlicheres Einkommen zu sichern. Ein reichlicheres Einkommen aber bedeutet für die Fordernde genügend Brot, ein Mehr von dem materiellen Wohlstand unserer Zeit, damit auch ein höheres Maß von Ruhe, Freude und Genuß, von Bildung und sittlicher Entfaltung. Der höhere Lohn ist Grundlage für eine freiere, freundlichere, inhaltreichere Existenz der Arbeiterin, er ist der feste Boden, von dem aus sie zu einer wirthschaftlich, geistig und sittlich höheren Lebenshaltung emporsteigt. Die Gewerkschaft ist mithin die Sparkasse, in der die werkthätige Proletarierin ihr„Kapitälchen", ihre sauer abgedarbten Groschen am reichsten und sichersten zinstragend anlegt. Aus der Bewegung. Von der Agitation. Im 7. schleswig-holsteinischen Wahlkreis unternahm Genossin Ihrer- Pankow kürzlich eine erfolgreiche Agitation. In acht Orten fanden sehr gut besuchte Versammlungen statt. so in Kiel , Neumünster und anderwärts. Ueberall stellten die Frauen einen starken Prozentsatz der Versammlungsbesucher. Einstimmig gelangte in allen Versammlunge» die Resolution zur Annahme, welche gegen die preußische Vereinsgesetznovelle protestirt und das freie Vereins- und Versammlungsrecht für das weibliche Geschlecht fordert. In Rendsburg ließen es sich die Behörden angelegen sein, die Frauen über ihre Rechtlosigkeit aufzuklären; wie wir an anderer Stelle mittheilen, forderten sie die Entfernung der weiblichen Versammlungsbesucher. Der reiche Beifall, mit dem die Ausführungen der Genossin Ihrer überall aufgenommen wurden, beweist, daß die Frauen Schleswig-Holsteins mehr und mehr zu der Erkenntniß erwachen, wie tief die jetzige soziale Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts ihre Interessen schädigt und wie nöthig es ist, im Lager der Sozialdemokratie für Recht und Freiheit zu kämpfen. Die Agitationstour hat der Partei der„vaterlandslosen Gesellen" unter den Frauen des Wahlkreises zahlreiche neue Anhängerinnen gewonnen. In einer öffentlichen Volksversammlung zu Breslau protestirte» die anwesenden Genossinnen dem Antrag der Genossin Geiser entsprechend gegen die preußische Vereinsgesetznovelle und erhoben sie die Forderung eines freien und gesetzlich gesicherten Vereins- und Versammlungsrechts für das weibliche Geschlecht. Das Gleiche geschah seitens der Genossinnen von Königsberg in einer gut besuchten Versammlung für Frauen und Mädchen, in der Genosse Gottschalk referirte. Eine öffentliche Volksversammung in Manebach bei Ilmenau forderte im Anschluß an ein Referat der Genossin Zetkin ebenfalls das freie Vereins- und Versammlungsrecht für das weibliche Geschlecht. Viittelei und Juristerei im Kampfe gegen die proletarischen Frauen. In Rendsburg sollte Genossin Ihrer in öffentlicher Versammlung über das Thema referiren:„Die Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch." Doch wieder einmal hatte
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7 (4.8.1897) 16
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