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die Forderung geboren. Diese drängt sich vielmehr mit aller Wucht| frankenkasse der Schriftgießer und Buchdrucker aus dem Anfange steifnackiger Thatsachen auf als nothwendige Gegenmaßregel gegen bestimmte Begleiterscheinungen der kapitalistischen   Ausbeutung weib­licher Arbeitskraft, und dies im Interesse der erwerbsthätigen Proletarierin selbst, wie in dem ihrer Klasse und deren Befreiung. Troß allem Respekt vor der Rechtsgleichheit der Geschlechter fommen wir nicht an einer Thatsache vorüber. Die Frau wird Mutter, ihr Organismus ist dem des Mannes nicht gleich. Die rücksichts­lose kapitalistische Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zeitigt in der Folge ganz bestimmte verhängnißvolle gesundheitliche Wirkungen, treibt andere, allgemeine auf die Spize und bedroht mit der Person der Mutter das keimende Leben, die fünftige proletarische Generation.

Welche Gründe nun stellte man in Roubair den bisher maß­gebenden einschlägigen Erwägungen entgegen? Unter Hinweis auf die gewollte Rechtsgleichheit von Mann und Frau in der Haupt­sache zwei: Was für die Frau gesundheitsschädlich ist, ist es auch für den Mann, und der fürzere Arbeitstag wird die Frauen aus der Industrie verdrängen".

" Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenne auch die Verfasser", gilt von diesen Gründen. Wie lächeln sie uns so vertraut als uralte Bekannte entgegen! Es sind die nämlichen seichten Argumente, mittels deren im Namen des Prinzips der Gleichberechtigung der Geschlechter wirrdenkende, von ihrem Klassen instinkt beherrschte englische Frauenrechtlerinnen beschränktester ortho­dorer Observanz den gefeßlichen Arbeiterinnenschutz bekämpfen, mittels deren sie 1895 verschiedene wichtige Schußmaßregeln zu Falle brachten. Es sind die nämlichen Gründe, die in direkter Linie von den man­chesterlichen Gemeinpläßen der Nassau Senior und John Bright  abstammen, von jenen Gemeinpläßen, von denen noch heute der größeren Vortreter fleinere Nachtreter vom Schlage der Eugen Richter   zehren. Und mutatis mutandis die nöthigen Abände­die nöthigen Abände rungen vorausgeseẞt, aus dem vulgär Kapitalistischen in das vulgär Frauenrechtlerische übertragen sind es die gleichen Gründe, welche der jammernde Chor der Schlotbarone, Krautjunker und Ritter vom Ladentische noch stets in den beweglichsten Tönen vor­trägt, sobald gefeßliche Maßnahmen die Ausbeutungsfreiheit des Kapitalistenklüngels ein Weniges einengen sollen.

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Was für die Frau gesundheitsschädlich ist, ist es auch für den Mann", in diesem Saße grüßt sie uns ja, jene frauenrechtlerische Anschauung die klarsten der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen haben sie schon über Bord geworfen, daß die soziale Gleich berechtigung der Geschlechter die Konsequenz sei einer mathematischen Gleichheit von Mann und Frau und ein mathematisches Ausmaß der Verhältnisse bedinge. Was aber sagen die Thatsachen zu dieser Anschauung bezüglich des gesundheitsschädlichen Einflusses industrieller Berufsarbeit unter der kapitalistischen   Wirthschaftsordnung? In den Berichten von Krankenkassen, in den Mittheilungen von Fabrikinspektoren, in sozialpolitischen und ärztlichen Forschungen ist es zu lesen, zum Theil in trockenen Ziffern.

Das Schaffen in Schriftgießereien und Buchdruckereien, in chemischen Fabriken und Quecksilberbelegen, in Bleiweißfabriken, Thomasschlackenmühlen 2c., um nur etliche der bekanntesten, hier in Frage kommenden Industrien herauszugreifen, schädigt die Ge­sundheit der Arbeiterinnen weit tiefer als die Gesundheit der Arbeiter. Der weibliche Organismus im Allgemeinen leidet erheblicher als der männliche unter bestimmten ungesunden Beschäftigungen. Die Gremialfrankenkasse der Wiener   Buchdrucker und Schriftgießer weist für 1896 nach, daß von den in Schriftgießereien thätigen männ lichen Mitgliedern 40,68 Prozent erkrankten, von den daselbst be­schäftigten weiblichen Mitgliedern dagegen 71,69 Prozent. Für die in Buchdruckereien arbeitenden Mitgliedern stellen sich die Ziffern wie folgt: es erfrankten 26,92 Prozent der Maschinenmeister und Drucker, 31,49 Prozent der Seßer und 33,86 Prozent der Ar­beiterinnen. Die ungesunde Berufsarbeit der Frau führt zu be­sonderen Störungen und Leiden, nicht am seltensten zu der Unfähig­keit, Kinder normal auszutragen und zu gebären. Die hohe Zahl der Fehl- und Todtgeburten der Arbeiterinnen von Bleiweißfabriken, Quecksilberbelegen, Schriftgießereien ist bekannt. Konstantin Paul zählte auf 27 Schwangerschaften der Arbeiterinnen einer Bleiweiß­fabrit 22 Fehlgeburten, 4 Todtgeburten und nur 1 lebendes Kind. Nach drei Berichten der Wiener   Gremial­

der 90er Jahre fonnten von 78 Wöchnerinnen aus Schriftgießereien nur 37 normal entbinden; 52,5 Prozent machten Fehlgeburten. Dr. Hirt hält es für eine feststehende Thatsache, daß Fehlgeburten der in Quecksilberbelegen thätigen Arbeiterinnen die Regel sind. Und mehr noch. Die verhängnißvollen Wirkungen der Arbeit in der einen und anderen Industrie reichen über den mütterlichen Organismus hinaus und lassen noch das feimende Leben im Mutter­schoß für die Sünden der kapitalistischen   Ausbeutung büßen. Dr. Hirt nimmt an, daß durchschnittlich 65 Prozent der von Quecksilber­arbeiterinnen geborenen Kinder vor Ablauf des ersten Lebens­jahres sterben. Nach den Erhebungen Wörishoffers, des badischen Fabrikinspektors, ist die Sterblichkeit der Kinder der badischen Bigarrenarbeiterinnen 15 Prozent höher, als die durchschnittliche Sterblichkeit der Arbeiterkinder. Und die an anderer Stelle von der Gleichheit" mitgetheilten Resultate einer Erhebung des Pro­fessors Etienne in Nancy   erweisen klärlich, daß die bald nach der Entbindung aufgenommene Berufsarbeit in Tabatfabriken die Mutter­milch geradezu in Gift für den Säugling verwandelt.

Aber die Anhänger der famosen Theorie: Was der Frau gesundheitlich schadet, schadet dem Mann, wenden gegen die An­ziehung obiger Thatsachen vielleicht eins ein: Anders liegen die Verhältnisse bezüglich des gesundheitsschädlichen Einflusses be­stimmter Industrien auf den weiblichen Organismus, anders liegen sie bezüglich der Länge der Arbeitszeit. Nicht gegen das gesetzliche Verbot der Frauenarbeit in den fraglichen Gewerben haben wir uns gewendet, vielmehr gegen den geforderten kürzeren Arbeitstag der Arbeiterin. Lange Arbeitszeit ist für den Mann wie für die Frau unzuträglich.

So zutreffend die lettere Behauptung ist, so steht doch unseres Erachtens noch ein Anderes fest: die lange Arbeitszeit schädigt die Gesundheit der Frauen und Mädchen schwerer, als die der Männer. Der Schweizer Fabrifinspektor Dr. Schuler wies seinerzeit an statistischem Material nach, daß Kränklichkeit und Sterblichkeit der Schweizer Arbeiterinnen größer ist, als Kränklichkeit und Sterblich­keit der Arbeiter. Die Arbeiterinnen zählten einundeinhalb­mal mehr Tage der Arbeitsunfähigkeit, wie die Männer; ihre Sterblichkeit überstieg die der letzteren um 27 Prozent. Der weibliche Organismus ist den schädigenden Einflüssen der Fabrik­arbeit gegenüber zugänglicher, weniger widerstandsfähig, wie der Körper des Mannes. Die Kraft der Arbeiterin wird außerdem nicht blos von der Berufsarbeit in Anspruch genommen, auch von der Hausarbeit, welche die Proletarierin nicht auf das Stuben­mädchen und die perfekte Köchin abwälzen kann. Das Zusammens wirken dieser Umstände verschärft für die Frau die gesundheits­schädlichen Einflüsse der heutigen industriellen Berufsarbeit und macht den kürzeren Arbeitstag der Arbeiterin zu einer hygienischen Nothwendigkeit.

Man führe gegen diese Forderung nicht den Hinweis ins Feld auf den für alle erwachsenen Arbeiter erstrebten Achtstunden­tag. Der Achtstundentag muß Schritt für Schritt in zähem Kampfe errungen werden. Und in Folge verschiedener Umstände ist dem Kapitalistenstaat früher die kürzere Arbeitszeit für Frauen als für Männer zu entreißen. Allzu schreiend treten die Frevel der kapi­ talistischen   Ausbeutung gegen die Gesundheit der Arbeiterin in Er­scheinung. Allzu verhängnißvoll rächen sie sich in dem körperlichen Verkommen des proletarischen Nachwuchses. Die Kapitalistenklasse aber bedarf des Maschinenfutters, der Kapitalistenstaat kann des Kanonenfutters nicht entrathen. Aus nicht zu umgehender Rücksicht auf die Mutter durchbricht die kapitalistische Gesellschaft der Ar­beiterin gegenüber das Prinzip des laisser- faire, das nach ihr die Arbeitsbedingungen der erwachsenen Arbeiter regeln soll. Außer­dem hat die gefeßlich festgelegte Arbeitszeit der Arbeiterinnen in Praris noch stets den kürzeren Arbeitstag der Männer dort zur Folge gehabt, wo ein Hand- in- Handarbeiten der männlichen und weiblichen Arbeitskräfte eingebürgert und schwer zu umgehen ist. Uebrigens: hätten wir heute den Achtstundentag für alle erwachsenen Arbeiter, morgen schon müßte der Kampf für die noch kürzere Arbeitszeit der Frauen eröffnet werden. Ein achtstündiger Arbeits­tag, obendrein unter kapitalistischer Fuchtel, ist ein Allzuviel für die Gattin, die Mutter, derer im Haus vielseitige Aufgaben harren.