Nr. 24.

Die Gleichheit.

7. Jahrgang.

Beitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.

Begründet von Emma Ihrer   in Pankow   bei Berlin  .

Die, Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mr. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 24. November 1897.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

Ein sozialpolitischer Schwabenstreich.

schullehrerinnen. Von M. Kt.

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Zur Lage der Berliner   Gemeinde­Der Delegirtentag der Vereine " Frauenwohl". Aus der Bewegung. Feuilleton: Frauenfragliches. Von Frauenlob.

Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Weibliche Fabrikinspektoren. Gesundheitsschädliche Folgen industrieller Frauenarbeit. Soziale Gesetzgebung. Frauenbewegung.

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Ein sozialpolitischer Schwabenstreich.

Im März dieses Jahres wurde die Forderung, weibliche Assi­stenten der Fabrifinspektoren anzustellen, auch im württembergischen Landtag erhoben. Der sozialdemokratische Abgeordnete Kloß, die volksparteilichen Abgeordneten Hähnle und Haußmann befürworteten sie eindringlich und mit Sachkenntniß. Aus dem Hause selbst erhob sich kein Widerspruch gegen die Neuerung. Dagegen erklärte sich der Minister des Innern, Herr v. Pischek  , im Namen der Regierung sehr energisch gegen die Anstellung weiblicher Gewerbeaufsichtsbeamten. Seine Einwände gegen die geforderte Reform mutheten uns an wie Reminiszenzen an ein längst bekanntes Lied. Und in der That: was Herr v. Pischek   von dem Nichtbewährthaben der eng­lischen Fabritinspektorinnen zu erzählen wußte; was von den Be denken und Zweifeln bezüglich der Fähigkeit von Arbeitern und Arbeiterinnen, mit den Fabrikinspektoren zusammenzuwirken; was von den Schrecken einer möglichen agitatorischen Ausnutzung der Einrichtung durch die+++ Sozialdemokratie; was von der Noth wendigkeit, den Gewerbebeamten das Vertrauen der Unternehmer zu sichern: wir hatten das alles im Laufe der letzten Jahre wieder­holt, nur in fräftigeren Tönen gehört. Gehört in dem Petitions­ausschuß des preußischen Abgeordnetenhauses von einem Vertreter des Handelsministers, gehört im Reichstag vom preußischen Handels­minister selbst, sowie von dem vielgewandten und doch lucanisirten Herrn v. Bötticher.

Mit echt klassenstaatlicher Beamtengewissenhaftigkeit formulirte Herr v. Pischek   sein Urtheil über flipp und klar feststehende That­sachen hinweg. Bereits in der letzten Nummer der Gleichheit" führten wir beweiskräftige Zeugnisse an, welche die absprechende Stritit preußischer Minister über die Thätigkeit der englischen Fabrik­inspektorinnen als unzutreffendes Gerede kennzeichnen. Die Be­fähigung der Frauen für die Gewerbeaufsicht war außerdem klärlich erwiesen durch das rückhaltslose Lob, das der englische   Zentral­fabrikinspektor dem Wirken der ihm unterstellten weiblichen Beamten zollte, von der Anerkennung von Leuten jedes politischen Glaubens­bekenntnisses und der verschiedensten sozialen Stellung ganz zu schweigen. Wer in der Frage gerecht urtheilen und nicht von vornherein verurtheilen wollte, der brauchte außerdem blos die Berichte der Fabrifinspektorinnen verschiedener Länder zu studiren. Und in den besten Berichten deutscher Fabrifinspektoren, so in denen des badischen Regierungsraths Dr. Wörishoffer und der bayerischen Beamten, war unumwunden anerkannt worden, wie nüßlich das Zusammenwirken der Arbeiterorganisationen mit den Fabrikinspek­

toren war.

Buschriften an die Rebaktion ber Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Bettin( Eißner), Stuttgart  , Rothebühl­Etraße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

Aber wer dürfte so umstürzlerisch" sein, einem Minister zuzumuthen, zu anderen Lasten", die er hat, auch noch die" goldene Last" zu tragen, über alle auftauchenden Fragen nicht blos zu reden, sondern auch zu lesen? Und so bescheinigen wir in dem vorliegenden Falle mit jener Freudigkeit, welche dem beschränkten Unterthanenverstand bei Beurtheilung von Staatseinrichtungen und Staatsmännern mit Rücksicht auf das Strafgesetzbuch geziemt: Herr v. Pischek   ist ein fenntnißreicher Mann; Herr v. Pischek ist ein arbeiterfreundlicher Mann; Herr v. Pischer ist nicht das Echo preußischer Minister; Herr v. Pischek treibt gesunde schwäbische Sozialpolitik.

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Und weil dem so ist, so konnte sich Herr v. Pischek   nicht auf die Negation einer Reform beschränken, es mußte ihn drängen, Positives" zu schaffen. Er anerkannte die Nothwendigkeit, weib­liche Vertrauenspersonen zu bestellen, welche die Beschwerden der verschüchterten, Unternehmerrache fürchtenden Arbeiterinnen entgegen­nehmen und den Fabrikinspektoren übermitteln sollen. Barmherzige Schwestern aber und Diakonissinnen erschienen ihm als die geeig­netsten Persönlichkeiten für diese Aufgabe. Diese Auffassung wurde schon in der erwähnten Sizung des württembergischen Landtags scharf zurückgewiesen. Die Presse charakterisirte sie als einen schlechten Wit". Nun haben jedoch fürzlich die Thatsachen be­wiesen, daß die Presse ebenso die Befähigung des Herrn Ministers zu schlechten Wizen wie auch sein Verständniß für sozialpolitische Maßnahmen zu Gunsten der Arbeiterinnen ganz bedeutend über­schäßt hat. Wie wir an anderer Stelle mittheilen, sind der An­regung der Regierung entsprechend in Ulm   und in Ravensburg  thatsächlich barmherzige Schwestern zum Amte der Vertrauens­personen in Aussicht genommen worden. Die Regierung hat damit gethan, was ihres Amtes nicht ist, und sie hat gelassen, was ihre Pflicht wäre.

So gewiß wie Herr v. Pischek   den Nagel auf den Kopf traf, als er konstatirte, daß die Arbeiterinnen sich scheuten, gesund­heitliche und sittliche Mißstände zur Kenntniß des Fabrikinspektors zu bringen, daß ihnen das Vertrauen mangelt, bürgerlichen Damen ohne Kenntniß der proletarischen Verhältnisse ihre Leiden mitzu­theilen, so gewiß haut er daneben, wenn er meint, barmherzige Schwestern und Diakonissinnen könnten als Vertrauenspersonen den Arbeiterinnen das volle Maß des ihnen nöthigen Schutzes sichern.

Daß weibliche Vertrauenspersonen die Vermittlerrolle zwischen den Arbeiterinnen und dem Fabrikinspektorat übernehmen sollen, ist bereits vor Herrn v. Pischek   von sozialdemokratischer Seite an­geregt worden. geregt worden. Aber von dieser Seite wurde auch nachgewiesen, daß diese Vertrauenspersonen einen durchaus unamtlichen" Charakter tragen und sozusagen Organe der Selbsthilfe des Proletariats sein müßten, sollten sie die vorliegenden Aufgaben wirklich erfolgreich lösen. Sache der Arbeiterorganisationen sei es, so wurde betont, den Arbeiterinnen weibliche Vertrauenspersonen zu stellen, und zwar aus den Kreisen der Arbeiterinnen selbst oder aus Kreisen, die in engster Fühlung mit diesen stehen.

Unseres Erachtens ist nun der Charakter als Vertrauens­personen der Arbeiterinnen von vornherein getrübt, wenn die be­treffenden Persönlichkeiten auf einen bestimmten Vorschlag der Ne­gierung hin aus nichtproletarischen Streisen entnommen werden.