Berechtigung des Begehrens können halbe Maßregeln nicht hinweg­täuschen. Diese mögen dem sozialpolitischen Ehrgeiz eines kapita­listenstaatlichen Ministers genügen, sie mögen die Anerkennung der Unternehmerklasse finden, die Arbeiterinnen weisen sie zurück.

Bur Tage der Berliner Gemeindeschullehrerinnen.

Jm Berliner Rothen Hause" wird sich demnächst eine Kom­mission der Stadtverordneten wieder einmal mit der Frage der Ge­meindeschullehrerinnen zu beschäftigen haben. Die Lehrerinnen sollen nach der Vorlage des Magistrats fünftig ein Anfangsgehalt von 1200 Mf.( 900 Mt. Grundgehalt und 300 Mt. Miethzinsentschädigung) beziehen. Später treten in größeren Zeitabschnitten Gehaltszulagen von 100 und 200 Mt. in Kraft, bis das Maximalgehalt in Höhe von 2400 Mt. erreicht ist. Nach langem Kampfe würden also die Ber­ liner Volksschullehrerinnen in diesem Jahre endlich eine kleine Ver­besserung ihrer materiellen Lage erreichen. Den proletarischen Lese­rinnen unserer Zeitung mag ein Gehalt von 1200 Mt., das im Laufe von zirka drei Jahrzehnten bis auf 2400 Mt. steigen kann, hoch er­scheinen. Thatsächlich ist dieses Gehalt jedoch ein dürftiges zu nennen, wenn man bedenkt, daß an eine Lehrerin ganz bestimmte Anforde= rungen in Bezug auf tadellose Kleidung, anständige Wohnung, An­schaffung von Büchern und Zeitschriften zur geistigen Fortbildung 2c. gestellt werden. Daß die Wohnungs- und Lebensmittelpreise in Berlin sehr hohe sind, dürfte bekannt sein. Darum wird die winzige Gehalts­aufbesserung, welche die Lehrerinnen Berlins demnächst errungen haben werden, feinen merkbaren Einfluß auf die fast durchwegs sehr bescheidene Lebenshaltung dieser Proletarierinnen der Kopfarbeit üben. Sie werden im Gegentheil nach wie vor gezwungen sein, sich durch Privatstunden u. dgl. einen Nebenverdienst zu verschaffen. Die damit verbundene geistige Ueberanstrengung kann dauernd keine Natur ertragen, mag sie noch so kräftig und elastisch sein. So ist es eine hundertfach beobachtete Thatsache, daß die jungen Mädchen, wenn sie endlich nach jahrelangem Warten bei schmalem Zufallsverdienst die heiß ersehnte Anstellung seitens der Stadt Berlin erhalten, in der Zeit von wenigen Jahren herunterkommen und vorzeitig ver­blühen. Das Maximalgehalt von 2400 Mt. erreichen nur wenige Lehrerinnen. Die große Mehrzahl wird vorher arbeitsunfähig und geht dann bei einer dürftigen Pension einem traurigen Alter ent­gegen. Trotz dieser vorzeitigen Arbeitsunfähigkeit die erklärlich und der von behördlicher Seite wiederholt behaupteten genug ist geringeren körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit der Lehrerinnen als der Lehrer, hat der Berliner Magistrat doch eine ganz besondere Vorliebe für die Frauenarbeit auf dem Lehrgebiet. Die Frauenarbeit ist nämlich nur halb so theuer, wie Männerarbeit bei ungefähr gleicher Leistung. Der Berliner Magistrat unterscheidet sich also in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber nur wenig oder gar nicht von dem privaten fapitalistischen Ausbeuter industrieller Frauenarbeit. Ja, der Berliner Magistrat muß es sich sogar nachsagen lassen, daß er knauseriger ist, als die Gemeindekörperschaft mancher kleinen Land­gemeinde, die mit ihren Mitteln verhältnißmäßig haushälterischer umgehen muß, als die Weltstadt Berlin . So zahlt z. B. die kleine Landgemeinde Weitmar bei Bochum ihren angestellten Lehrerinnen ein um 200 Mt. höheres Jahresgehalt als Berlin . Charlottenburg , die Nachbarstadt Berlins , zahlt 1450 Mt. Anfangs- und 2800 Mt. Höchstgehalt. Ferner zahlen

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Frankfurt a. M. Dortmund. Schwerte , Westfalen Kassel Haspe

Anfangsgehalt 1800 Mt. 1650

1600

1500

1450

Höchstgehalt 3150 Mt. 2550

=

2725=

M

2480

2575

2575

2840

=

2480

=

ΕΠ

Westerbauer bei Haspe Breslau Herne , Westfalen Altenhagen Wilhelmshafen Fetesen bei Hagen . Fulda

1450 1400

1400

1350 1350 1350 1317

2475=

2430

V

2475 M 2613 M

Wie kläglich erscheint diesen Zahlen gegenüber die Reform der Lehrerinnengehälter, welche der Berliner Magistrat jetzt endlich noth­gedrungen in die Hand genommen hat! Er hält die Taschen zuge­fnöpft, sein ganzes Streben geht dahin, dem Allerweltsmann Miquel nachzueifern und möglichst hohe Ueberschüsse aus dem Stadthaushalt herauszuwirthschaften. Beim Unterrichtswesen allein sind im ver­gangenen Jahre 357000 Mt. erspart" worden. Dank verwerflicher und die Gemeindeinteressen schädigender Sparkunststücke auf dem Ge­

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biete des Unterrichtswesens und auf anderen Gebieten hat der Ma­gistrat Berlins im Jahre 1897 glücklich fertig gebracht, acht Millionen Mark Ueberschuß zu erzielen. Es fehlt also nicht an Mitteln; die Stadtverwaltung könnte einmal gehörig in den vollen Säckel greifen und die Personen, denen die wichtige Aufgabe der Bildung und Er­ziehung unserer proletarischen Jugend anvertraut ist, so stellen, daß sie frei von den lähmenden Sorgen um die Existenz, ohne aufreibende ueberarbeit nur ihrer pädagogischen Thätigkeit im Dienste der Allge­meinheit zu leben vermöchten. Statt dessen soll das Gehalt der Volks­schullehrerinnen von 1080 Mt. auf ganze 1200 Mt. erhöht werden. Wer dafür nicht arbeiten will, kann es ja bleiben lassen! Es giebt so viele Mädchen, die mit Freuden bereit sind, für 100 Mt. im Monat Jugendblüthe und Nervenkraft in dumpfen Schulräumen zu opfern, nur um leben zu können.

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Daß solche Zustände einer Millionenstadt mit ihrem theueren Pflaster unwürdig sind, hat vor allen anderen Fraktionen die der Sozialdemokraten im Rothen Hause" erkannt. In dem Augenblick, da wir diese Zeilen schreiben, geht die Nachricht durch die Zeitungen, der Stadtverordnete Singer habe im Namen seiner Kollegen den Antrag eingebracht, daß den Lehrerinnen ein Grundgehalt von 1200 Mt. und eine Miethsentschädigung von 450 Mt. zu gewähren sei. In dreijährigen Zwischenräumen sind acht Alterszulagen von 200 Mt. vorgesehen, so daß das Gesammteinkommen der Lehrerinnen nach 24 Jahren der Berufsthätigkeit 3250 Mt. betragen würde. Ferner sollen bei der Anstellung die Dienstjahre voller Beschäftigung an Schulen in Deutschland in Anrechnung kommen.

Würde dieser Antrag im Rothen Hause" angenommen werden, so wäre damit vorläufig die Lage der Berliner Lehrerinnen that­sächlich um Weniges gebessert. Die bürgerliche Mehrheit der Stadt­verordneten denkt jedoch nicht daran, in so radikaler Weise für die Interessen der Lehrerinnen einzutreten. Auf diese Ehre wird sie wie so oft schon verzichten zu Gunsten ihrer bitter gehaßten Feinde, der Sozialdemokraten. M. Kt.

Der Delegirtentag der Vereine Frauenwohl".

Am 1. und 2. November fand in Berlin der erste Delegirtentag der Vereine Frauenwohl" und der diesen nahestehenden frauenrecht­lerischen Organisationen statt. An den Arbeiten betheiligten sich außer den Vertreterinnen des Berliner Vereins Delegirte der Vereine von Breslau , Frankfurt , Dresden , Hamburg , Stuttgart , Bromberg , Minden , Bonn , Jena , Wiesbaden , Weimar 2c. Die zahlreiche Beschickung des Delegirtentags ist ein erfreulicher Be­weis dafür, daß die radikalen" Frauenrechtlerinnen denn sie sind in den betreffenden Organisationen gruppirtan Boden gewinnen. Ob mit dem äußeren Wachsthum die innere Klärung und Stärkung Schritt gehalten hat, das kann man leider an der Hand der stattgefun­denen Debatten nicht beurtheilen. Die Sigungen waren keine öffent­lichen, da es sich, wie die Frauenbewegung" erklärt, um Pläne handelt, welche erst im Entwurf vorlagen und über die nicht eher etwas verlauten sollte, bis diese Pläne realisirt werden können." Die

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Berichte über die Arbeiten des Delegirtentags sind deshalb äußerst dürftig und lassen gleichsam nur deren grobe Umrisse erkennen.

Der Vorstand des Berliner Vereins Frauenwohl" hatte die nachstehenden fünf Punkte zur Verhandlung gestellt: 1. Die Art und Weise der Propaganda für die Frauenbewegung klar zu stellen und darüber zu bestimmten Plänen zu kommen. 2. Die Sittlichkeitsfrage in ganz bestimmten gesetzlichen Punkten anzugreifen. 3. Ein einheit­liches Vorgehen in der Studienfrage anzubahnen. 4. Die Propaganda über die Rechtslage der Frauen durch Rechtskurse, Vorträge und planmäßige Organisation der Agitation zu fördern. 5. Die Ver­besserung der Lage der Bühnenangehörigen energisch zu veranlassen. Zum ersten Punkte der Tagesordnung referirten die Damen Cauer und Schwerin . Es wurde konstatirt, daß die Frauenbewegung nicht blos in größeren, sondern auch in kleineren Städten überall da festen Fuß gefaßt hat, wo sie volkswirthschaftliche Ziele verfolgt: Grün­dung von Haushaltungsschulen, Erweiterung des Berufsgebiets der Frauen 2c. Die Zweigvereine bedürfen der Unterstützung durch eine Zentralstelle, zumal für Betreibung der Propaganda. Der Berliner Verein schlug neue Wege zur Förderung der Agitation und Organi sation vor. Welches diese Wege sind, darüber hat noch nichts ver: lautet, nur scheint die Errichtung einer Zentralstelle beschlossen wor den, welche Material für die Agitation sammelt. Ueber die Sitt­lichkeitsfrage scheinen die Meinungen weit auseinander gegangen zu sein. Nach den vorliegenden kurzen Berichten liegt jedennoch die Vermuthung nahe, als hätten sich die feindlichen Schwestern der in dieser Frage ganz unverständigen und der einsichtigeren Frauenrecht­lerinnen schließlich in einer platten Bieber- Böhmiade wieder zu­