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gehälter der Lehrerinnen von 2140 bis 2240 mt. auf. Die That­sachen, welche die Denkschrift enthält, wie die Forderungen, die sie formulirt, sind ein interessanter Beitrag zum Kapitel von der Aus­beutung des Proletariats der Kopfarbeit in der heutigen Gesellschaft.

Soziale Gesetzgebung.

Der Frage des Ziehkinderwesens hat neuerdings die Rechtsverhältnissen, wie Pyriß, Demmin , Grabow , weisen Höchst = schutzstelle für Frauen und Mädchen in Frankfurt a. M. ihre Aufmerksamkeit zugewandt. In einer Eingabe an die preußische und hessische Regierung verlangt sie eine bessere rechtliche Vertretung der Unterhaltsansprüche der unehelichen Kinder an ihre Väter, ferner eine schärfere Ueberwachung des Ziehkinderwesens. Sie schlägt zu diesem Zwecke eine Nachbildung des sog. Leipziger Systems" vor, das den unehelichen Kindern den Vorsteher des Armenamts als Generalvormund bestellt und die sorgfältige Ueberwachung der Ziehkinder durch Aerzte und bezahlte Pflegerinnen durchführt. Die Rechtsschutzstelle weist zur Begründung ihrer Anträge auf den geradezu trostlosen Zustand hin, in dem sich das Ziehkinderwesen in der Um­gebung Frankfurts seit Jahren befindet. Jede sachgemäße Kontrolle fehlt, eine bezügliche Verordnung steht nur auf dem Papier. Nur durch besonders flagrante Fälle von Mißhandlung u. dergl., die zur gerichtlichen Verhandlung kommen, wird zuweilen ein helles Licht auf das Dunkel dieser Zustände geworfen. Die Eingaben erfolgten Mitte Oktober. Die hessische Regierung hat sich seither, in höflicher Ablehnung, jede Einmischung in ihre Angelegenheit verbeten. Von Preußen steht die Antwort noch aus. Kommentar überflüssig. Nicht aber jede weitere Aktion, die denn auch in Vorbereitung sein soll. h. f.

Schul- und Erziehungswesen.

Die ,, Reform" der Berliner Lehrerinnengehälter, welche wir in Nr. 24 einer kritischen Betrachtung unterzogen, ist nunmehr vollzogen worden. Wie nicht anders zu erwarten war, ist sie kläglich genug ausgefallen. Dank der freisinnigen" Majorität gelangte im Rothen Hause" die Magistratsvorlage zur Annahme, welche die Ge­haltsverhältnisse der Berliner Volksschullehrerinnen in durchaus un­genügender Weise aufbessert. Der Berliner Kommunalfreisinn zeigt genau so wenig Verständniß für die Interessen des Proletariats der M. K. Kopfarbeit, wie für die des Proletariats der Handarbeit.

Die Besoldungsverhältnisse der Lehrerinnen an den städti­schen Bürgerschulen zu Braunschweig behandelt eine Denkschrift, welche die Braunschweiger Volksschullehrerinnen kürzlich den städtischen Behörden überreicht haben. Die Lehrerinnen fordern: 1) ein Mini­malgehalt von 1500 Mt.; 2) Alterszulagen von je 150 Mt., steigend von drei zu drei Jahren; 3) ein Maximalgehalt von 2500 Mt. Im Durchschnitt würden die Lehrerinnen mit dem fünfundvierzigsten Lebensjahre das Maximalgehalt von 2500 Mt. erreichen. Die Denk­schrift weist mit Recht auf die Ungerechtigkeit der verschiedenen Be­soldung der Bürgerschullehrerinnen und der Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen hin. Letztere beziehen ein um 300 Mt. höheres End­gehalt als Erstere. Der Bildungsgang beider ist jedoch im Allge­meinen der gleiche, und den Bürgerschullehrerinnen fällt hinsichtlich der überfüllten Klassen und des zu schulenden Menschenmaterials in der Regel die schwerere Aufgabe zu. Die Denkschrift befürwortet deshalb, daß jede Lehrerin, gleichviel ob sie an einer höheren oder niederen Schule unterrichtet, nach der nämlichen Gehaltsstala besoldet werde, wie dies in Oldenburg , Potsdam , Frankfurt und Magdeburg geschieht und früher auch in Braunschweig geschah. Die Denkschrift wendet sich des Weiteren gegen den Unterschied der Besoldung von Lehrerinnen und Lehrern. Die Lehrerinnen haben genau die gleichen Aufgaben an den gleichen Schulen zu lösen, wie die Lehrer allerdings ist ihre Stundenzahl eine etwas geringere- ihr Endgehalt beträgt aber nur 55 Prozent von dem ihrer Kollegen. In Braunschweig sind in dieser Hinsicht die Verhältnisse schlechter wie in vielen anderen Städten. In Magdeburg erreichen die Lehrerinnen 70, in Dresden 72, in Rassel 75 Prozent des Höchst­gehalts der Lehrer. Die Forderung einer Erhöhung des Minimal­einkommens begründet die Denkschrift mit der Aufstellung eines Haus­haltbudgets einer alleinstehenden Lehrerin. Dieses Budget sieht durch­aus keine übertriebenen Ausgaben vor nicht einmal Anforderungen für Erholung und Vergnügen und Unterstützung hilfsbedürftiger An­gehöriger dennoch ergiebt sich ein Jahresbedarf von 1560 Mr. Das Minimalgehalt, das die in der Regel im Alter von 25 bis 30 Jahren stehende Lehrerin in Braunschweig erhält, beträgt aber nur 1200 Mt. Die Schlußfolgerungen dieses Standes der Dinge liegen auf der Hand: sie heißen Mangel, Entbehrung, Privatstunden, dafern die Lehrerin nicht wohlhabende Verwandte oder etwas eigenes Ver­mögen besitzt. Bezüglich der Forderung der Erhöhung des Maximal­gehalts macht die Denkschrift geltend, daß dies in Braunschweig für die Lehrerinnen niedriger ist, als in sehr vielen anderen deutschen Städten. Es beträgt in Braunschweig 1700, in Dessau 2000, Aschersleben 2100, Mannheim 2200, Hannover 2300, Chem­ nitz 2400, Dresden 2600, Frankfurt a. M. 2800, Breslau 3140 Mt. Kleine pommerische Landstädtchen mit billigen Lebens­

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Die Wirkungslosigkeit der Bundesraths- Verordnung für die Konfektionsindustrie wird von dem Unternehmerorgan, Der Konfektionär" quittirt. Das Blatt schreibt: Die angeblich zum Schutze der Konfektionsarbeiterinnen erlassenen Bestimmungen sind werthlos, weil dieselben diesen Schuß gar nicht verlangt haben; ihnen ist vielmehr damit gedient, wenn sie Sonnabends ein paar Stunden länger arbeiten können und Geld verdienen. Die Praxis hat auch hier Abhilfe geschaffen. Die Zwischenmeister geben den Arbeiterinnen, und zwar immer auf deren Wunsch, Arbeit mit nach Hause und da­durch nimmt die Hausindustrie, die unkontrollirbar ist, immer mehr an Umfang zu. Wenn man also glaubte, durch die neue Konfektions­verordnung die Arbeitsthätigkeit in Betriebswerkstätten zu konzentriren, so hat auch in dieser Beziehung versagt." Das Organ der Kapitalisten bestätigt also durchaus die Richtigkeit der Werthschäßung, welche außer den Sozialdemokraten auch alle leidlich einsichtsvollen und ehrlichen Sozialreformer von der Wirkung des dürftigen Bischens Konfektions­arbeiterschutz hatten. Es hieße Feigen von Disteln und Trauben von den Dornen lesen wollen, erwartete man, daß das Blatt die logische Konsequenz der konstatirten Thatsachen ziehen sollte: Vertiefung und Erweiterung des Konfektionsarbeiterschutzes, Ausdehnung der gesetz­lichen Schutzvorschriften und der Gewerbeaufsicht auf die Haus­industrie. Wir begreifen vollständig, daß Der Konfektionär" läßt, was er in seiner Eigenschaft als Stimme des Ausbeuterthums nicht thun kann: Schutz der Arbeit gegen die kapitalistische Auswucherung zu fordern. Dagegen flunkert das Organ der Unternehmer doch allzu dummdreist, wenn es erklärt, daß die Arbeiterinnen gar keinen gesetz­lichen Schutz verlangt hätten. In Hunderten von Versammlungen und Kungebungen haben die Arbeiter und Arbeiterinnen der Konfektions­industrie den Ausbau des gesetzlichen Arbeiterschutzes zu ihren Gunsten geheischt. Ihre Vertreter und Vertreterinnen haben in ihrem Auf­trag und mit ihrer Billigung ein bis ins Einzelne gehende Programm von Schutzmaßregeln aufgestellt und zur Kenntniß der Oeffentlichkeit wie der gesetzgebenden Gewalten gebracht. Daß die einschlägigen Forderungen so gut wie vollständig ignorirt worden sind, ist wahrlich nicht die Schuld der Kurzsichtigkeit und Einsichtslosigkeit der Arbeiter und Arbeiterinnen, vielmehr eine Wirkung davon, daß Unternehmer­interesse in Deutschland Trumpf ist.

Frauenbewegung.

Die Mädchen und Frauengruppe für soziale Hilfsarbeit in Berlin , die seit vier Jahren besteht, will im Arbeitsjahr 1897/98 laut Programm eine Vertiefung in der Ausbildung ihrer Mitglie­der" anstreben. Zu diesem Zwecke sind vorläufig folgende Vorlesungen in Angriff genommen: Grundlehren der Volkswirthschaft( Dozent Dr. von Wenckstern); Ausgewählte Abschnitte aus der Wohlfahrts­pflege, verbunden mit Besichtigung von Anstalten und Einrichtungen ( Dozent Professor Dr. Albrecht); Grundlehren der Hygiene( Dozent Dr. Weber); Ausgewählte Abschnitte der Armenpflege, insbesondere die neueren Zentralisationsbestrebungen, Fürsorge für Kranke, Haus­pflege u. s. w.( Dozent Dr. Münsterberg); Seminaristische Uebungen für vorgeschrittene Hörerinnen( Dozent Dr. Münsterberg).

* Das Wahlrecht für die Frauen forderte Fräulein Dr. Anita Augspurg in einer Lehrerinnenversammlung zu Berlin . Auf Grund des preußischen Landrechts, Theil I,§ 24, wo es heißt: Die Rechte beider Geschlechter sind einander gleich, soweit nicht durch besondere Gesetze oder rechtsgiltige Willenserklärungen Ausnahmen bestimmt werden", erklärte die Rednerin, daß die Frau das Recht besäße, sich in die Wählerliste eintragen zu lassen und nur den Versuch machen sollte, es auszuüben. Um dies durchzusetzen, müsse man eventuell den Weg der Klage betreten. Die energische Stellungnahme der jungen weiblichen Rechtsgelehrten ist anzuerkennen; wir zweifeln aber, daß die deutschen Frauenrechtlerinnen den Muth und die Ausdauer haben werden, um dem Vorschlag Folge zu leisten.

* Ueber soziale Pflichten sprach Frau Marie Stritt , eine der begabtesten Frauenrechtlerinnen, kürzlich in Hamburg . Im Verlaufe ihrer Rede stellte sie die Forderung auf, daß die bürgerliche Frau sich ganz besonders um die Verbesserung der Lage der Arbeiterin bekümmern müsse, und zwar solle sie die wirthschaftliche und ethische Hebung der Arbeiterinnen als Selbstzweck betrachten, ohne sich, wie