famen. Der Andrang zu der Frauenversammlung war um so be= merkenswerther, als am gleichen Tage in den verschiedenen Stadt­gegenden Leipzigs noch fünf allgemeine Volksversammlungen statt­fanden, die ebenfalls seitens der Frauen und Mädchen gut besucht waren. Protestkundgebungen gegen die Entrechtung der Minder­jährigen und Frauen haben noch stattgefunden oder stehen bevor in Chemniz, Zwickau , Meißen , Großenhain , Plauenscher Grund, Bauzen, Löbtau , Freiberg und vielen anderen Orten. Es ist Ehrensache, heilige Pflicht der Genossinnen, thatkräftig und opferfreudig dafür zu wirken, daß die Frauen und Töchter des werk­thätigen Volkes überall hervorragenden Antheil an der Protestbewegung nehmen.

Zur Förderung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen hielt Genossin Vogel- Leipzig in letzter Zeit eine Reihe von Versammlungen ab. In Eilenburg gelang es der Rednerin, eine Filiale des Verbands der Textilarbeiter und-Arbeite­rinnen zu gründen, in Zwenkau und Wurzen führte sie der Dr­ganisation der Schuhmacher weibliche Mitglieder zu, in Gaußsch hielt sie mehrere Versammlungen für die streifenden Textilarbeiterinnen der dortigen Kammgarnspinnerei ab. Ueberall war ihre treue Arbeit von Erfolg begleitet.

Der Gewerkschaftsorganisation weibliche Mitglieder zu­zuführen war der Zweck mehrerer Versammlungen, welche Genossin Zetkin kürzlich abhielt. Dieselbe referirte bei den Schneidern und Schneiderinnen und den Textilarbeiterinnen in Stuttgart , ferner in der Organisation der Metallarbeiter in Eßlingen . Zwei sehr gut besuchte Volksversammlungen in Thailfingen und Onstmettingen , Industriedörfern auf der Rauhen Alb", dienten der politischen Agi­tation. Genossin Zetkin sprach hier über Die gegenwärtige politische Lage und die kommenden Reichstagswahlen".

Die Behörden im Kampfe gegen das Versammlungsrecht der proletarischen Frauen. Am 6. Juli war, wie wir seinerzeit berichteten, in Köpenick eine öffentliche Volksversammlung aufgelöst worden, in der Reichstagsabgeordneter 3ubeil über Indirekte Steuern" sprechen sollte. Grund der Auflösung war, daß der Vor­sitzende sich weigerte, der Aufforderung des Ueberwachenden ent­sprechend, die Frauen aus der Versammlung auszuweisen. Der Ge­nosse Zubeil sollte nun den Ueberwachenden durch die Aeußerung be­amtenbeleidigt" haben: Sie sind heute nicht fähig, eine Versammlung zu überwachen". Gegen diese im September erfolgte Verurtheilung zu

ging, haben sie wieder ausgelöscht und in Nacht, in dunkler Nacht

liegt wieder meine Erde!"

Der Gast verbarg sein Gesicht in den Händen. Stumm stand der Alte. Das Herdfeuer war verlöscht; Finsterniß erfüllte die Hütte.

Plöblich stahl sich ein Lichtstrahl durch das Fenster, küßte die Lider des Kindes in der Wiege, und langsam schlug es die Augen auf. Es richtete sich empor, sah staunend hinaus und kletterte schließlich aus der Wiege. Mit bloßen Füßchen schlich es zum Fenster.

"

Vater, Mutter", rief es laut.

Erschrocken wandten sich Beide, die des Kindes nicht geachtet hatten, zu ihm. Sein Köpfchen war in rosige Gluth getaucht.

" Seht, seht das große Licht", jubelte es und streckte die Arme der Sonne entgegen, die wie ein Feuerball im Osten auf­stieg. Noch lag das Thal im Dunkel, nur die Bergspigen glühten in ihren ersten Strahlen.

Die Nacht ist vorbei!" tönte des Alten Stimme wie eherner Glockenschall. Auf den Arm nahm er das Kind.

"

Dem steigenden Lichte weih' ich Dich. Geh hinab ins Thal, rufe Deine Gespielen; machet die Bahn frei, auf daß die alten Götter der Kraft und der Schönheit wieder einziehen auf Erden."

Der Gast hatte sich erhoben. Er legte die Hand auf des Kindes Haupt und seine Worte klangen wie hundertstimmiger Jubelchor:

" Im steigenden Lichte bist Du erwacht. Geh' hinaus in alle Welt, predige das Evangelium aller Streatur, erfülle meine Bot­schaft, Du Menschensohn. Und siehst Du einst, am Abend Deines Lebens, die Tyrannen gerichtet, die Sklaven befreit, die Noth vertrieben, das Glück erlöst, dann steige auf die Berge zur Weih­nachtszeit und feiere das Fest des Befreiers, der Sonne!"

Lily Braun .

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100 Mark Geldbuße hatte der Miffethäter Berufung eingelegt. Die neuerliche Verhandlung der Angelegenheit vor der dritten Straf­fammer des Landgerichts II Berlin warf sehr interessante Streiflichter auf die von den Behörden beliebte Praxis in Sachen des Ver­sammlungsrechts der Frauen. Es wurde festgestellt, daß in Köpenick seit Jahren alle öffentlichen Volksversammlungen als politische Vereins­versammlungen betrachtet und aufgelöst wurden, sobald Frauen an­wesend waren. Der die Versammlung vom 6. Juli Ueberwachende sagte als Zeuge aus, daß den überwachenden Beamten die allge­meine Anweisung gegeben worden sei, die Ausweisung der Frauen aus allen Versammlungen zu fordern, in denen staatliche Angelegenheiten erörtert werden sollten. Diese Anweisung widerspricht dem Gesetz, das den Frauen in Preußen die Betheiligung an allen öffentlichen Volksversammlungen gestattet. Der genannte Zeuge mußte dann auch zugeben, daß eine 14 Tage nach der aufgelösten Versammlung einberufene Versammlung mit der gleichen Tagesordnung stattfinden konnte, ohne daß die Entfernung der Frauen vom Ueberwachenden gefordert wurde. Wie er erklärte, war dies vorher beschlossen worden. Es sollte einmal festgestellt werden, was alles in Gegenwart der Frauen gesprochen würde. Der Inspektor hat darüber einen Bericht an den Regierungspräsidenten erstatten müssen. Das Landgericht sprach aus, daß die Versammlung wegen des ange­führten Grundes nicht aufgelöst werden durfte, sand aber Genossen Zubeil der Beleidigung schuldig und bestätigte das Urtheil der ersten Instanz. Mit herzerfrischender Deutlichkeit zeigt der Fall, wie rück­sichtslos Beamtenwillkür dem Buchstaben des Gesetzes entgegen mit dem Versammlungsrecht umspringt, um die Proletarierinnen vom öffentlichen Leben fernzuhalten.

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Zu dem gleichen Zwecke wurde in letzter Zeit in Dortmund wieder einmal eine Gewerkschaft die der Maler und Anstreicher zu einem politischen Verein erflärt, und eine von ihr geplante Fest­lichkeit zu einer politischen Vereinsversammlung umge- frempelt. Die Genehmigung zu der Festlichkeit wurde von der Polizeiverwaltung versagt mit Rücksicht auf die voraussichtliche Betheiligung der Frauen an der hochpolitischen Aktion des Tanzens. Der Regierungs­präsident von Arnsberg hat den Beschluß der Polizeibehörde als gerechtfertigt erklärt, weil die in Aussicht genommene Gestaltung der Festlichkeit( Tanz) die Mitwirkung von Frauen voraussetzte und andererseits die Betheiligung von Schülern und Lehrlingen nicht aus­schloß". Die verbrecherische Mitwirkung" der Frauen an der poli­tischen Morithat des Tanzbeinschwingens ist also glücklich vereitelt worden. Bei einer Festlichkeit des nationalliberalen Bürgervereins zu Dortmund , einer ausgesprochen politischen Organisation war

dagegen die Mitwirkung" der Frauen erlaubt. Wenn Zwei das­selbe thun, so ist es nicht dasselbe, und was bürgerlichen Organi­sationen und Damen recht ist, das ist Arbeitergewerkschaften und Proletarierinnen noch lange nicht billig.

Berichtigung. In dem Bericht über die Agitation der Berliner Genossinnen zu den Stadtverordnetenwahlen ist in Folge eines unliebsamen Druckfehlers Genossin Brauer statt Ge­nossin Braun als Referentin in einer Versammlung genannt.

Notizentheil.

( Von Lily Braun und Klara Betkin.)

Soziale Gesetzgebung.

Mehrere Arbeiterschuhanträge hat die sozialdemokratische Fraktion im Reichstag eingebracht. Außer dem an anderer Stelle erwähnten Antrag, der sich auf die Ausdehnung der Gewerbe­aufsicht auf die Hausindustrie und die Anstellung weiblicher

Fabrikinspektoren bezieht, fordert sie: Die Einführung obli­

gatorischer Gewerbegerichte; die Einführung einer acht­stündigen Arbeitszeit für alle in Handel, Industrie und Gewerbe beschäftigten Personen; die Aufhebung der Ge­sindeordnungen; die Einführung eines Reichsbergwerks­gesezes. Von den Anträgen politischer Natur, welche die Sozial­demokraten eingebracht haben, ist für die proletarische Frauenwelt der­jenige von besonderem Interesse, der die Einführung eines Reichs­vereinsgesetzes fordert. Dieser Antrag ist die würdige Antwort auf die Versuche der Reaktion, das Vereins- und Versammlungsrecht des Volkes, insbesondere aber das der Frauen, durch die Landes­gesetzgebung zu beschränken, bezw. ganz zu beseitigen. Die National­liberalen begnügen sich in der Materie mit der Erneuerung des An­trags, das sogenannte" Nothvereinsgeset" betreffend, das lediglich für inländische Vereine das Verbot des Inverbindungtretens aufhebt.