industrie und Anstellung weiblicher Inspektoren. Die Nationalliberalen gehen in ihrem Antrag auf gesetzliche Regelung der Hausindustrie und ihre Unterstellung unter Gewerbeaufsicht nicht so weit, wie die Sozialdemokraten, sondern begnügen sich, wie an anderer Stelle zu lesen, mit heuchlerischen Halbheiten. Immerhin fordern sie, daß ,, den Aufsichtsorganen weibliche Aufsichtsbeamte beigeordnet werden sollen". Der Antrag der Freisinnigen Vereinigung fordert von den verbündeten Regierungen einen Gesetzentwurf, nach welchem die An­stellung der Gewerbeaufsichtsbeamten und die Ordnung ihrer Zu­ständigkeitsverhältnisse in Abänderung des§ 139b der Gewerbe­ordnung von Reichswegen erfolgt. Des Weiteren läßt er dem Reichs­ tag die Erwartung aussprechen", daß alsdann 1. die Zahl dieser Beamten vermehrt; 2. ein entsprechender Theil derselben aus Arbeiter­freisen entnommen; 3. insbesondere zur Aufsicht über die Durch­führung der Vorschriften betreffs Frauenarbeit noch weibliche In­spektionsbeamte angestellt werden. Wir sind begierig, ob vom Regierungstisch her mit dem gleichen bornirten Vorurtheil und der nämlichen Sachunkenntniß wie seither eine Forderung beantwortet wird, die endlich nach einer mehr als zehnjährigen sozialdemokratischen Agitation von Vertretern der verschiedensten politischen Richtungen als dringlich formulirt worden ist.

Die Anstellung besonderer Handelsinspektoren und-In­spektorinnen behufs Durchführung der Gewerbeaufsicht im Handels­gewerbe forderte in Hamburg eine stark besuchte öffentliche Ver­sammlung der Handlungsgehilfen und Gehilfinnen im Anschluß an ein Referat des Reichstagsabgeordneten Moltenbuhr über Die Be­schlüsse des Reichstags betreffs Regelung der Arbeitszeit und Er­richtung von Schiedsgerichten im Handelsgewerbe."

Die Justallirung eines Fabrikinspektors und einer Fabrik­inspektorin, bezw. Assistentin in Offenbach hat der Finanzausschuß der zweiten hessischen Kammer nach dem Antrag des sozialdemo­fratischen Abgeordneten Ulrich beschlossen. Da die Regierung dem Antrag nicht entgegengetreten ist, so steht ihre Zustimmung zu dem Beschluß zu erwarten.

Eine Diakonissin als Vertrauensperson wurde kürzlich in Saalfeld in Meiningen bestellt. Dieselbe ist beauftragt, Be­schwerden und Klagen der Fabritarbeiterinnen entgegenzunehmen, zu prüfen und gegebenen Falls an berufener Stelle zur Mittheilung zu bringen. Das böse Beispiel Württembergs macht Schule!

Gegen die Aufstellung von weiblichen Vertrauenspersonen statt der Ernennung von staatlichen Fabrikinspektorinnen, ins­besondere aber gegen die Betrauung von Diakonissinnen und barm­herzigen Schwestern mit dem betreffenden Amte liegen von frauen­rechtlerischer Seite Erklärungen vor. Die Frauenbewegung", das Organ der ,, radikalen" Frauenrechtlerinnen, verurtheilt entschieden das diesbezügliche Vorgehen etlicher Regierungen als Halbheit". Der Frauenberuf", der von dem äußerst gemäßigten Schwäbi­schen Frauenverein" in Stuttgart herausgegeben wird, fordert eben­falls die Anstellung staatlicher Fabrikinspektorinnen. Die etwas mehr nach links neigende Frauenlesegruppe Stuttgart" befaßte sich gleich­falls mit der schwebenden Frage. Sie erklärte betreffs der von der württembergischen Regierung beliebten Neuerung, daß die zwischen den Arbeiterinnen und der Gewerbeinspektion vermittelnde Thätigkeit der weiblichen Vertrauenspersonen allein nicht hinreiche, um den Arbeiterinnen den gesetzlichen Schuß genügend zu sichern und manchen Uebelständen, denen die gewerblich thätige Frau ausgesetzt ist, abzu­helfen. Sie hält vielmehr in Uebereinstimmung mit dem Bund deutscher Frauenvereine " an der Ueberzeugung fest, daß weibliche Gewerbeinspektoren eine Nothwendigkeit seien und will daran mit­arbeiten, daß besonders ausgebildete Frauen als solche angestellt werden."

Auch streng religiöse Organe haben sich gegen die Aufstellung von Diakonissinnen als Vertrauenspersonen der Arbeiterinnen erklärt. So schreibt die national- soziale Hilfe" des Pfarrers Naumann in Nr. 46: Wir können den neuen Plan aus verschiedenen Gründen nicht gutheißen. Die Diakonissinnen und barmherzigen Schwestern haben andere dankbare Aufgaben zu erfüllen, denen sie bei dem heu­tigen Mangel an tüchtigen Ersatzkräften auf keinen Fall entzogen werden dürfen. Außerdem fehlt ihnen bei allem Einblick in das soziale Elend der ärmeren Volksklassen doch die erforderliche Qualifi­fation zur Entgegennahme und ersten Prüfung gewerblicher Miß­stände und berechtigter oder unberechtigter Arbeiterinnenforderungen. Dazu sind aber intelligente Arbeiterinnen in genügender Anzahl vor­handen, die sich weit besser als Vertrauensfrauen für diesen besonderen Zweck eignen würden. Auch ist die Verquickung von christlicher Liebes­thätigkeit und gefeßlicher Gewerbeaufsicht vom Uebel für beides. Es muß also bei der einzig richtigen Forderung bleiben: Staatliche Auf­stellung von berufsmäßigen Fabrikinspektorinnen." Und die Mit­theilungen des evangelisch- sozialen Kongresses" urtheilen

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zu der Frage: In Baden, Weimar , Meiningen und Ham­ burg sollen nicht feste Stellen( für Fabrikinspektorinnen) geschaffen werden, sondern auf dem Verwaltungswege Frauen, die auf dem Ge­biet der Kranken- und Wohlfahrtspflege gearbeitet haben, zum Bei­spiel im Rothen Kreuz, versuchsweise den Inspektoren beigegeben werden. Man muß befürchten, daß solche Kräfte weder den Arbeite­rinnen gegenüber die richtige Vertrauensstellung, noch den Unter­nehmern gegenüber die richtige Autorität besitzen werden. Das Gleiche läßt sich auch von dem jüngst in Württemberg aufgetauchten Vor­schlag behaupten, Diakonissinnen und barmherzige Schwestern zu diesem Zwecke zu verwenden. Denn diese werden in den Arbeiterinnen meist nur Leute sehen, die Wohlthaten, aber nicht Personen, die ihr Recht wollen."

Sittlichkeitsfrage.

Auf die Machtbefugnisse und die Praxis der Berliner Sittenpolizei wirft ein standalöser Vorgang helles Licht, der durch eine Gerichtsverhandlung in die breiteste Oeffentlichkeit ge­drungen ist. Ein junges anständiges Mädchen wollte Abends gegen zehn Uhr seinen Bräutigam in den Elektrizitätswerken abholen. In der Gegend des Humboldthains wurden der Dame von einem frechen Patron unsittliche Zumuthungen gemacht, die sie kurz abwies. Nach­dem sie eine ziemliche Strecke weiter gegangen, wurde sie von einem Schußmann und ihrem Beleidiger eingeholt und unter der Be­gründung angehalten, daß sie den letzteren, der sich als ehrbaren Bürger" bezeichnete, angesprochen und belästigt habe. Trotz aller Betheuerungen wurde die Dame sistirt und mitsammt dem Denun­zianten zur Wache gebracht. Obgleich der Wachtmeister bemerkte, daß die Verhaftete nicht den Eindruck einer Dirne mache, wurde Frl. Köppen in Polizeigewahrsam gehalten, während ihr Angeber nach Feststellung seiner Persönlichkeit entlassen wurde. Das Verlangen der Dame, die Identität ihrer Persönlichkeit durch telephonische An­frage bei ihren Eltern festzustellen, fonnte nicht erfüllt werden, da der Fernsprechverkehr bereits geschlossen war. Am nächsten Morgen wurde Frl. Köppen mittels des berüchtigten grünen Wagens nach dem Polizeipräsidium gebracht, wo sich die Be­dauernswerthe der polizeiärztlichen Untersuchung unter­werfen mußte. Erst dann begannen die Erhebungen über ihre Persönlichkeit, und als diese ihre Angaben durchaus bestätigten, wurde sie Nachmittags 2 Uhr aus der Haft entlassen. Eine Anklage gegen den niederträchtigen Hallunken, der für den Fräulein Köppen widerfahrenen Schimpf verantwortlich ist, führte zu einer Verurthei­lung zu sechs Monaten Gefängniß. Dagegen ist noch keine Antwort auf die Beschwerde erfolgt, welche der Vater des jungen Mädchens beim Polizeipräsidium eingereicht hat. Der empörende Fall hat mit Recht in der Berliner Frauenwelt die tiefste Entrüstung wachgerufen. Die frauenrechtlerischen Organisationen haben sich mit Petitionen an das Polizeipräsidium gewendet. In der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr wollen die bürgerlichen Frauen eine große Protestversammlung einberufen, zu der Männer und Frauen aller Stände" eingeladen sind. Die Ansichten der Frauenrechtlerinnen, wie in Zukunft derartige standa­löse Vorfälle unmöglich gemacht werden können, sind verschieden. Die Einen erwarten das Heil in erster Linie von einer Bekämpfung der zweierlei Moral in Geschlechtssachen, von der Aufhebung des staat­lichen Schutzes der Prostitution, der Anstellung von Polizeimatronen 2c. Andere, wie Frl. Helene Lange und Frl. Dr. juris Augspurg, fordern konsequenter die Aufhebung der betreffenden Polizeivorschriften und die Beschränkung der Machtbefugnisse der Polizeiorgane. Unseres Erachtens ist an erster Stelle zu verlangen die Aufhebung des zum Theil gänzlich überflüssigen, zum Theil direkt schädlichen In­stituts der Sittenpolizei. Daß die Sittenpolizei weder das Um­sichgreifen der Prostitution zu verhüten, noch eine Versittlichung" des Straßenlebens herbeizuführen vermag, das lehren die Thatsachen augenscheinlich. Wenn die gewöhnliche Polizei den Dirnen und Zu­hältern gegenüber die allgemeinen Vorschriften zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nur mit halb der Schneidigkeit und Spitz­findigkeit zur Anwendung bringt, die ihr gegenüber der Arbeiterklasse zur Verfügung stehen, so wird auch ohne besondere sittenpolizeiliche Vorschriften und Organe selbst der prüdeste Mucker nicht durch öffent­liche Schamlosigkeit" ein Aergerniß erhalten. Die den Protest jeder Frau herausfordernde Behandlung, die Frl. Köppen geschah, wirst nicht blos helle Schlaglichter auf die unterbürtige soziale Stellung der Frau, sondern auch auf das Ueberwiegen der Polizeigewalt über Bürgerrecht in Deutschland .

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Quittung. Für den Agitationsfonds gingen bei der Unterzeich­neten ein: 3,30 Mt. durch Genossin Schröder Charlottenburg, auf Liste Nr. 2; 10 Mf. durch Genossin Riemann Chemniz. Summa 13 Mt. 30 Pf. Dantend quittirt

Frau M. Wengels, Vertrauensperson.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Eißner) in Stuttgart . Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. h.) in Stuttgart .

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