Frauenarbeit auf dem Gebiet der Jndustrie, des Handels und Verkehrswesens.

Die Zahl der im deutschen   Baugewerbe erwerbsthätigen Frauen betrug nach der Berufszählung vom 14. Juni 1895 nicht weniger als 13 872. Davon waren 2035 Betriebsunternehmerinnen, 111 Bureauangestellte und 11 726 Bauarbeiterinnen. Von Letzteren waren gegen 60 Prozent bei Bauunternehmung und Bauunterhaltung thätig; 19 Prozent im Maurergewerbe und 21 Prozent in den übrigen Zweigen des Baugewerbes; weibliche Zimmerer wurden z. B. 84 ge­zählt. 27 Prozent aller im Baugewerbe erwerbsthätigen Frauen ent­fallen auf die Großstädte, auf die nur 19 Prozent aller Bauarbeiter kommen, aber diese hohen Verhältnißzahlen werden durch die ein­schlägigen Zustände in einzelnen Orten bedingt und nicht durch eine allgemeine Tendenz. In München   z. B. arbeiten 14 Prozent aller im Baugewerbe thätigen Frauen, nämlich 1724. Nürnberg   zählt 682 weibliche Bauarbeiter, Chemnitz   201. Jn Berlin   waren dagegen unter 49 188 Bauarbeitern nur 276 weibliche; Hamburg  , Altona   und Bremen   zusammen wiesen unter 23 219 Bauarbeitern nur 3 Frauen auf. Die meisten der im Baugewerbe thätigen Frauen sind als Hilfs­arbeiterinnen, Handlanger 2c. beschäftigt und müssen Arbeiten ver­richten, die dem weiblichen Organismus nicht zuträglich, zum Theil sogar sehr schädlich sind. Die Verwendung der Frauen auf Hoch­bauten ist außerdem eine schneidende Ironie auf die Begriffe von Sittlichkeit und Anstand, welche die bürgerliche Welt mit den Lippen bekennt, aber jederzeit mit der That mißachtet, sobald der geheiligte tapitalistische Profit in Frage kommt.

Sittlichkeitsfrage.

Die Zahl der in Berlin   unter Kontrolle stehenden Pro­stituirten betrug nach Angaben des Polizeipräsidiums zu Anfang des Jahres 1896 4996. Im Laufe des Jahres kamen 1128 hinzu, so daß die Zahl sich auf 6123 erhöhte. Es gingen ab: wegen Eintretens in ein Dienst- und Arbeitsverhältniß 487, wegen Verheirathung 84, wegen Fortzug von Berlin   250, wegen Schwangerschaft und Krank­heit 17, wegen Verbüßung längerer Freiheitsstrafen 151, verstorben 36. Mithin blieben 1896 5098 Prostituirte unter Kontrolle. Siſtirt wurden im Laufe des Jahres 1896 und zwar: wegen verbotswidrigen Aufenthalts 139, wegen Nichtgestellung zur Untersuchung 412, wegen lüderlichen Umhertreibens 2014, wegen Aufenthalts bei Kupplern 1504, wegen Verdachts der Syphilis 1324. Dem Amtsanwalt wurden zur Klage vorgeführt 20351. In die Krankenhäuser wurden befördert: wegen Syphilis   2015, wegen Kräze 125. Auf ihren eigenen Antrag wurden dort aufgenommen 556. Aus dem Polizeigewahrsam sind 28 Frauen wegen Syphilis   der Charité überwiesen worden. Die vorstehenden Ziffern erheben eine schwere Anklage gegen die heutigen wirthschaftlichen Verhältnisse, die den Untergrund der Prostitution bilden.

Eine Enquete über die Einkommensverhältnisse der deutschen Bühnenmitglieder, mit besonderer Berücksichtigung der weiblichen, wird in Berlin   regierungsseitig geplant. Die Anregung dazu ist von mehreren die Hebung der Sittlichkeit bezweckenden Vereinigungen" ausgegangen. Bei manchen Sittlichkeitsvereinlern scheint mithin allmälig eine Ahnung aufzudämmern von dem Zu­sammenhange, der zwischen wirthschaftlicher Noth und Unsittlichkeit besteht.

Gegen den überseeischen Mädchenhandel will die belgische Regierung Maßnahmen ergreifen. Mehrere große Frauenorgani sationen haben ihr Eingaben zugestellt, in denen das Treiben der Mädchenfänger in Brüssel   und den belgischen Hafenstädten eingehend geschildert wird. Die Regierung hat daraufhin genaue behördliche Erhebungen über die betreffenden scheußlichen Zustände angeordnet. Auf Grund der Ergebnisse derselben soll ein besonderes Ergänzungs­gesetz zum Strafgesetzbuche dem Abgeordnetenhause vorgelegt werden.

Frauenstimmrecht.

Das Kommunalwahlrecht für die dänischen Frauen unter den gleichen Bedingungen wie für die Männer forderten im letzten Jahre die Sozialdemokraten in ihrem Antrag über das Gemeinde­wahlgesetz. Derselbe verlangt das Wahlrecht für alle mündigen unbescholtenen Männer und Frauen, welche das Heimathsrecht be­sitzen und im letzten Jahre nicht Armenunterstützung genossen haben. Zur Begründung der Forderung des Frauenwahlrechts verwies der sozialdemokratische Abgeordnete Klausen u. A. darauf, daß die Frauen in England, Schweden  , vielen amerikanischen   Staaten und

15

auch Island   das kommunale Stimmrecht besitzen, ohne daß sich in der Folge Unzuträglichkeiten ergeben hätten. Die bisherige Recht­losigkeit des weiblichen Geschlechts in Dänemark   sei kein Grund, das alte Unrecht weiter dauern zu lassen. Der Minister erklärte, die An­nahme des sozialdemokratischen Antrags würde eine vollständige Revolution der Gemeindeleitungen bedeuten. Allen Frauen das Wahlrecht zu geben sei ein Unsinn". Der Antrag scheint keine Aussicht auf Erfolg zu haben.

Für das Frauenwahlrecht zum englischen Parlament er­flärte sich im Prinzip die Generalversammlung der Vorstände des großen Bundes der liberalen Partei, die zu Derby tagte. Die Versammlung beschloß auch ein Aktionsprogramm, auf das sich die Partei für den Fall der Wiedererlangung einer Majorität verpflichten soll. Einstimmig wurde als Hauptpunkt desselben die Wahlrechts­reform erklärt. Gefordert wird das Stimmrecht aller erwachsenen Männer nach dreimonatlichem Aufenthalt, die Abschaffung aller Pluralstimmen, sowie die Einführung der Stichwahlen. Ein Antrag zu Gunsten des Frauenwahlrechts fand eine Majorität von 182 gegen 124 Stimmen; nachdem damit die Prinzipienfrage entschieden war, einigte man sich jedoch dahin, die Forderung zur Zeit nicht auf das Aktionsprogramm zu sehen. Da das Frauenstimmrecht unter den Konservativen sehr zahlreiche Anhänger zählt, und da es die eng­lischen Frauenrechtlerinnen sicherlich nicht an einer rührigen Agitation fehlen lassen werden, so wird auch die liberale Partei in naher Zu­kunft gezwungen sein, in Sachen der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter von der theoretischen Anerkennung zur praktischen That überzugehen.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Organisirte sozialdemokratische Feldarbeiterinnen waren durch weibliche Delegirte auf dem Landeskongreß der sozial­demokratischen Feldarbeiter Ungarns   vertreten, der letzte Weihnachten in Budapest   tagte und von etwa 250 Ortschaften mit mehr als 300 Delegirten beschickt war. Am zweiten Verhandlungstage ergriff eine der weiblichen Delegirten, Marie Kerti, im Namen des Frauenverbandes von Solt das Wort, um die überaus traurige Lage der Feldarbeiterinnen zu schildern und die Nothwendigkeit des Kampfes für bessere Existenzbedingungen darzuthun. Unter Anderem betonte sie, daß die Arbeiterinnen seitens der Behörden gar keinen Schutz genießen. Erfolglos verhallen ihre Klagen, die Gesetzgebung glaubt, wichtigere Angelegenheiten erledigen zu müssen, als Tausenden und Tausenden ungarischer Feldarbeiterinnen ihr trauriges Los zu er­leichtern. Ihre Worte machten tiefen Eindruck, der bürgerliche Pester Lloyd" erklärt, mit erstaunlicher Beredtsamkeit" habe die Rednerin die Lage der Arbeiterinnen in Ungarn   geschildert und sei sie gegen die Regierung und das Parlament losgezogen." Auch die Frau des verurtheilten und im Kerfer schmachtenden Arbeiterführers Johann Szanto- Kovacs wohnte dem Kongreß bei und wurde bei ihrem Er­scheinen freudig begrüßt. Der Kongreß stellte sich entschieden auf den Boden des Klassenkampfes und forderte im Namen der Feldarbeiter das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für jeden Staatsbürger, der das 20. Lebensjahr überschritten, freies Vereins­und Versammlungsrecht, Freiheit der Presse, Kolportage 2c. und eine Reihe gesetzlicher Maßregeln zum Schuße der in der Landwirthschaft thätigen Männer, Frauen und Kinder. Der Kongreß ist ein hoch­bedeutsames Ereigniß. Er zeigte das mächtige Anwachsen der sozia­ listischen   Bewegung auf dem flachen Lande in Ungarn  . Der sozia­listische Gedanke hat hier nicht blos die Feldarbeiter ergriffen, auch die Kleinbauern; ohne Unterschied der Nationalität und des Ge­schlechts sammelt er alle Ausgebeuteten und Unterdrückten um sein Banner.

Frauenbewegung.

Eine bedeutende Kundgebung der Dresdener   Frauenrecht­lerinnen gegen die Verschlechterung des Vereins- und Ver­sammlungsrechts hat am 7. Januar stattgefunden. Einberufen war dieselbe von der Gräfin Bülow von Dennewitz  , als Referentin sprach Frau Marie Stritt  . In objektiver, aber scharf zugespitzter, energischer Weise trat die Rednerin den reaktionären Plänen entgegen, die nach ihr eine Entrechtung des gesammten Voltès bezwecken. Eine selbst­verständliche Pflicht sei es, dagegen zu protestiren, und die bürger­lichen Frauen müßten in der Beziehung nachholen, was die bürger­lichen Männer versäumt hätten. Das von den Konservativen beliebte Vorgehen sei ein viel bezeichnenderer Gradmesser für die Werthschätzung der Frauenwelt, als alle blumenreichen Damentoaste; es bedeute eine Erniedrigung des ganzen Geschlechts. Mittels einer spißfindigen Aus­legekunst werde jede beliebige Versammlung zu einer sozialistischen  "