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oder anarchistischen" gestempelt werden. Man solle den reaktionären Anschlag doch nicht mit dem Hinweis auf die sozialistische Gefahr" oder die Heilighaltung der Familie" begründen. Die Frau ist hineingedrängt worden in die Produktion, sie will sich bessere Eristenz­bedingungen erkämpfen, dazu bedarf sie der Organisation, des Vereins­und Versammlungslebens. Sie ist mündig geworden und verlangt Bürgerrechte. Die sozialdemokratische Partei war bis jest die einzige, die konsequent und geschlossen für die Rechte der Frauen eingetreten ist. Deshalb erheben die Frauen ihre Stimmen zum Protest gegen die Entrechtung des Volks. Auf das mit reichem Beifall aufgenommene Referat folgte eine Diskussion, in der Genosse Fräßdorf und Genossin Eichhorn ebenfalls unter leb­hafter Zustimmung gegen den Streich der Reaktion sprachen. Auch der anwesende konservative Abgeordnete Behrens mußte einer Auf­forderung entsprechend das Wort ergreifen. Er erklärte, man wolle die Frauen nicht von den ordnungsparteilichen Versammlungen aus­schließen, sondern nur von den sozialdemokratischen, in die sie nicht gehörten, und in denen sie nichts lernen könnten. Frau Palm, die Schriftführerin des frauenrechtlerischen Vereins, wies diese Meinung scharf zurück. Man solle den Frauen die Entscheidung darüber lassen, in welche Versammlungen sie gehen wollen. Lernen könne man auf alle Fälle in den sozialdemokratischen Versammlungen. Mit solch findischen Vorwürfen, wie sie Behrens erhoben, müsse ein Ende ge­macht werden, um dem nach Bildung ringenden Weibe die Bahn frei zu machen. Eine herzerfrischend kräftige Abfuhr ließ noch die Refe­rentin in ihrem Schlußworte Herrn Behrens zu Theil werden. erklärte, man könne in sozialdemokratischen Versammlungen sogar sehr viel lernen. Man finde dort ein anständiges Entgegenkommen, wie sonst in keiner politischen Ver­sammlung. Vor allem habe man dort parlamentarischen Taft gelernt. Die bürgerlichen Frauen seien heute noch ziemlich weit zurück, und wenn auch ihre Organisationen nicht direkt von der geplanten Verschlechterung des Vereinsgesetzes getroffen würden, so begriffen sie doch ihre Pflicht, für die arbeitenden Mitschwestern ein­zutreten und Protest zu erheben nach dem Grundsatz: Einer für Alle, Alle für Einen. Die Versammlung nahm fast einstimmig eine scharfe Protestresolution an. Diese Rundgebung ist ebenso bedeutsam als erfreulich. Zum ersten Male haben es in Deutschland   bürgerliche Frauenrechtlerinnen gewagt, offen und mannhaft gegen die politische Reaktion und für Bürgerrechte in den Kampf zu treten. Sie haben muthvoll scharfen Protest erhoben gegen die geplante Entrechtung des werkthätigen Volks, unbekümmert darum, daß sie sich auf eine Kampfeslinie mit der Sozialdemokratie stellen mußten, und daß die ,, Gutgesinnten" sie der Bundesgenossenschaft mit den" Rothen" zeihen werden. Unumwunden haben sie den fördernden Einfluß der Sozial­demokratie auf das öffentliche Leben, auf die politische Schulung der Frauen anerkannt, das konsequente Eintreten der Partei für die Rechte der Frauen. Das energische Vorgehen der Dresdenerinnen verdient um so mehr Beachtung und Anerkennung, als es im schärfsten Gegensatz steht zu der überaus fläglichen Rolle, welche die radikalen" Berliner   Frauenrechtlerinnen gelegentlich der Protestbewegung gegen die lex Recke gespielt haben. Aus taktischen Gründen", wie sie er­flärten, unterließen sie jede Protestaktion, obgleich damals das ge­sammte, noch so wenig oppositionell angehauchte Bürgerthum gegen die Reaktion mobil gemacht hatte, so daß das Mitprotestiren wahr­lich weniger als gefährlich war. Für die Dresdener   Frauenrecht­lerinnen dagegen handelte es sich nicht darum, zusammen mit den bürgerlichen Männern gegen die Reaktion zu marschiren, sondern allein und gegen ihre Klassengenossen. Trotzdem haben sie sich nicht einen Augenblick hinter ,, taktischen Gründen" verschanzt, sondern sind zu ihrer besonderen Ehre und zur Schande der bürgerlichen Männer­welt Sachsens   von allen bürgerlichen Elementen allein gegen die Reaktion in den Kampf getreten. Es sei bei dieser Gelegenheit daran erinnert, daß die Dresdener   Frauenrechtlerinnen von all ihren Gesinnungsgenossinnen zuerst und am energischsten für die streifenden Konfektionsarbeiterinnen eingetreten sind. Die Zukunft wird zeigen, ob die frische Kampfesaktion der Dresdenerinnen eine vereinzelte That einer einzelnen frauenrechtlerischen Gruppe bleibt oder den Anfang bedeutet zu einem energischen Vorwärts der deutschen   Frauenrechtelei.

Die von den Berliner   Frauenrechtlerinnen einberufene Protestversammlung, betreffend den Fall Köppen, fand am 9. Jan. statt und war von mehr als 2000 Personen besucht. Noch vor Er­öffnung der Versammlung sperrte die Polizei das Lokal wegen Ueber­füllung ab. Die Ausführungen der Rednerinnen, welche vor der Referentin, Fräulein Augspurg, sprachen, erhoben sich nicht über das durchschnittliche frauenrechtlerische Erfassen der Sittlichkeitsfrage. Im Einzelnen wurde viel Richtiges und Treffendes gesagt, dagegen fehlte es an dem scharfen, klaren Verständniß des ganzen Problems. Frau Cauer erklärte z. B. die Sittlichkeitsfrage könne nur durch die

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Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Eißner) in Stuttgart.-

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Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts gelöst werden; Frau Bieber Böhm   erwartete gar viel Heil von der Ethisirung der Polizei" und zwar nicht blos der Schuyleute, auch ihrer Vorgesezten. Treff­lich geißelte dagegen die letztgenannte Rednerin das unsittliche Ver­halten gewisser Prinzipale und Unternehmer gegenüber ihren weib­lichen Angestellten. Scharf verurtheilte sie es, daß die bürgerliche Presse kein Wort der Entrüstung über einschlägige Fälle habe. Was die Reform der Sittenpolizei anbetrifft, so forderte Frau Bieber­Böhm außer der erwähnten Ethisirung" die Anstellung von Polizei­matronen und Polizeiärzten. Fräulein Miesner wendete sich gegen die staatlich konzessionirte Prostitution und befürwortete die Erziehung der jungen Leute durch Schule und Haus zu einem sittlichen Lebens­wandel, sowie Aufklärung der Jünglinge und jungen Mädchen über ihre Bestimmung als Geschlechtswesen. Fräulein Barkowski schilderte die Lage der Handlungsgehilfinnen, die nicht selten von ihren Prin­zipalen als Genußobjekt betrachtet würden und den schlimmsten Nach­stellungen ausgesetzt seien. Die Referentin, Fräulein Dr. jur. Augs­purg, fritisirte sachgemäß und sachlich, aber scharf das Vorgehen der Polizei im Falle Köppen. Sehr richtig forderte sie die Ab­schaffung der Sittenpolizei, die feinen Schuh gewähre und ihre härtesten Konsequenzen auf die Opfer der Prostitution wirft. Sollte das Institut trotzdem aufrecht erhalten bleiben, so bedürfe es durch­greifender Reformen, die ohne die Mitwirkung der Frauen nicht durchführbar seien. Im Interesse des Schutzes der erwerbsthätigen Mädchen und Frauen müsse das Strafrecht dabei eine Abänderung erfahren, so daß unsittliche Attentate des Unternehmers gegen seine Angestellten ohne Antrag von der Behörde verfolgt werden. Ferner sei die Anstellung von Fabrikinspektorinnen und eine zeitgemäße Aenderung der Gesinde Ordnungen zu fordern. Zur Annahme ge­langten zwei, von der Referentin eingebrachte Resolutionen, welche diesen Ausführungen entsprechen, und die dem Reichstag  , dem preußi­schen Ministerium des Innern und den Polizeibehörden der großen Städte zugeschickt werden sollen. Der Versammlung waren zu­stimmende Erklärungen aus einer Reihe der größten Städte zuge­gangen, die eingeladenen Mitglieder der Stadtmission waren nicht erschienen. Die Mehrheit der Versammlungsbesucher hat nach dem " Vorwärts" offenbar aus Genossinnen und Genossen bestanden, denn ein wahrer Beifallssturm erdröhnte, als Genossin Gubela erklärte: ,, Die einzige Partei, welche bestrebt ist, die Mißstände auf dem Ge­biete des Polizeiwesens mit der Wurzel auszurotten, ist die Sozial­demokratie!"

* Für den Frauenkongreß der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 werden in den französischen   Frauenvereinen jetzt schon die Vorbereitungen getroffen.

* Als Leibärztin der Frauen des Negus von Abessinien soll Fräulein Zurcher angestellt werden. Die Dame hat fürzlich ihr medizinisches Doktorexamen in Bern   glänzend bestanden und ist be­reits nach Abessinien an den Hof des Negus abgereist.

* Eine Advokatin am obersten Gerichtshof von New York  hatte Gelegenheit, in einer Anklagesache ihren eigenen Vater zu ver­theidigen. Anita Haggerty's Plaidoyer war so vorzüglich, daß der Gerichtshof ein freisprechendes Urtheil abgab.

* Weibliche Advokaten. In England, dem Lande der größten Freiheit der europäischen   Frau, übt Miß Eliza Drme seit 1870 den Beruf einer Rechtskonsulentin aus. In Schweden   wurde Fräulein Elsa Eschelsson   dieser Tage offiziell als Rechtsgelehrte anerkannt und zur Ausübung der Anwaltsthätigkeit zugelassen! In Schweden   hatten schon vor Frl. Eschelsson zahlreiche Frauen kraft einer besonderen Voll­macht vor Gericht plaidirt. Die meisten Gerichte erkannten die Giltigkeit einer solchen Vollmacht ohne Weiteres an, einzelne aber wiesen sie zurück. Daraufhin brachte Herr Oloff Person im schwedischen Parla­ment einen Gesetzentwurf ein, der der Frau formell das Recht zu­erkannte, vor Gericht zu plaidiren. Am 14. März 1896 wurde der Entwurf von 119 Stimmen( gegen 73) angenommen. Der Senat weigerte sich jedoch, diesem Votum Gesetzeskraft zu verleihen, da er es für unnöthig hielt, den Frauen ein Recht zuzusprechen, das sie implizite" besäßen. Oloff Person brachte aber in diesem Jahre seinen Antrag wieder ein, der diesmal im Senat und in der Kammer einstimmig angenommen wurde. Am 23. November unterzeichnete König Oskar das neue Gesetz. Frl. Elsa Eschelsson   wurde in Upsala  auch als Privatdozentin zugelassen. Ihrer ersten Vorlesung, welche die Verbrechen gegen die Preßfreiheit behandelte, wohnten mehr Zu­hörer bei, als der Saal fassen konnte, so daß eine größere Halle ge­nommen werden mußte, die bald völlig besetzt war.

Zur Nachricht. Wegen Raummangel muß leider der für Nr. 2 angekündigte Artikel über Die christlich soziale Frauenbe­wegung in Wien  " bis zur nächsten Nummer zurückgestellt werden. Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b.H.) in Stuttgart  .