2. Beseitigung des Spizzelwesens. Die Provokationen der Polizeispitzel haben häufig zu unberechtigten Verhaftungen Veran­laffung gegeben. Das Spielwesen ist nur dazu angethan, das Ansehen der Ordnungspolizei in der Achtung des Publikums herab­zusetzen.

Das beauftragte Bureau der ersten Versammlung:

D. Baader. M. Rohrlack. E. Jhrer.

In Berlin fand eine imposante Protestversammlung der Frauen und Mädchen gegen die Marinevorlage und die Kolonial­politik des Evangeliumkurses statt. Der große Saal der Brauerei Lips, Friedrichshain , war schon lange vor Beginn der Versammlung dicht gefüllt; das weibliche Geschlecht hatte die große Mehrzahl der Versammlungsbesucher gestellt. Zur Tagesordnung: Marinevorlage, Kolonialabenteuer und die Interessen der Frauen des Volkes", refe­rirte Genossin Zetkin- Stuttgart. Die Rednerin wies in der Ein­leitung zu ihrem Referat auf die Entrüstung hin, die in konservativen Organen darüber laut geworden, daß die Frauen Stellung zu den vorliegenden politischen Fragen nehmen wollen. Sie stellte dieser Entrüstung das Dankesschreiben gegenüber, in welchem der Marine­Tirpitz die Schüler des Realgymnasiums zu Ludwigslust belobigte, die durch ihre Sammlung Stellung zur Marinevorlage nahmen. Diese verschiedenartige Bewerthung erhelle lichtvoll eine Thatsache: was in Deutschland grünen Jungen recht sei, die von väterlichen Geldbeutels Gnade die Schulbank drücken, sei Frauen nicht billig, die ihren eigenen Unterhalt erwerben, ernste Pflichten im Hause und als Erzieherinnen der Kinder erfüllen und alle Staatslasten tragen müssen. Die Rednerin beschäftigte sich darauf eingehend mit der Höhe und dem Charakter der Marinevorlage. Sie zeigte, daß dieselbe sowohl dem Volke schwerste Lasten aufbürde, wie das Budgetrecht des Reichs tags auf lange hinaus binde und dadurch die politischen Rechte des Volkes zu Gunsten einer selbstherrlichen Regiererei schmälere. An einem reichhaltigen Zahlenmaterial über die Küstenentwicklung von Deutschland und anderen Staaten, über die Stärke der Handels­und Kriegsflotte, die Stärke der Bemannung der einen und anderen von Deutschland und England, über die Entwicklung des deutschen Seehandels 2c. führte sie den Beweis, daß die Flottenpolitik der Re­gierung weder durch die Rücksicht auf die nationale Vertheidigung geboten sei, noch durch die Rücksicht auf den deutschen Handel. Die durch die Besetzung von Riautschau inaugirirte Kolonialpolitik des Evangelienkurses sei die Politik der Kolonialabenteuer und des Welt­machtkißels. Sie liege im Interesse der Kapitalistenklasse und der absolutistischen Neigungen, die sich in den letzten Jahren im politi­schen Leben Deutschlands in einer Weise breit machen, die in schroffstem Gegensatz steht zu den Bedingungen eines konstitutionellen Staats­wesens und der Nothwendigkeit einer demokratischen Entwicklung. Die verhüllte Besizergreifung von Kiautschau soll der erste Schritt sein zur Erschließung von China . Die auf der Halbinsel nöthigen Weg- und Eisenbahnbauten, Hafen- und Befestigungsanlagen, der Unterhalt der Besatzung 2c. werden sehr hohe Reichsausgaben ver­ursachen. Die deutsche Industrie begegnet in China der Konkurrenz von England, Ostindien, Japan , Australien , Amerika und vor Allem von Rußland . Mit der Erschließung des Reiches der himmlischen Mitte geht die Entwicklung der modernen Industrie daselbst Hand in Hand, und dieser Industrie stehen die bedürfnißlosesten, wohlfeilsten Arbeitskräfte zur Verfügung. Deutsche Kapitalisten werden mit Rück­sicht auf die billigen Hände" ihre Fabriken nach China verlegen, wie es französische und italienische Seidenfabrikanten bereits gethan. Aus einem Abnehmer deutscher Waaren kann China in verschiedenen Industriezweigen ein Konfurrent deutscher Waaren werden. Auch die Gefahr der Einführung von Kulis nach Europa ist keineswegs aus­geschlossen. Der wirthschaftliche Gegensatz zu England führt zur politischen Abhängigkeit von Rußland , also zur Stärkung der Macht­position des Herdes der Reaktion in Europa . Deutschland wird in alle Wirrungen der Weltpolitik verwickelt. So wird die Politik der Kolonialabenteuer nur kleinen kapitalistischen Kreiſen frommen, da­gegen die wirthschaftlichen und politischen Interessen des Proletariats schädigen. Die Rednerin zeigte darauf an der Hand offizieller An­gaben die gewaltige Steigerung der Ausgaben für Marinezwecke, für das Militär und das entsprechende Anschwellen der Steuerlasten und der Reichsschulden. Sie führte eingehend unter Bezugnahme auf die Einkommensverhältnisse der Arbeiter und Arbeiterinnen aus, daß die Interessen der werkthätigen Frauen durch diesen Stand der Dinge empfindlich berührt werden. Neue Lasten werden ihnen zu den alten Bürden aufgehalst. Es können jene Forderungen nicht verwirklicht werden, welche die Proletarierinnen im eigenen Interesse und zu Nutz und Frommen ihrer Kinder, ihrer Angehörigen auf dem Gebiete des Schul- und Bildungswesens, der Alters-, Kranken- und Invalidenversorgung, der Wohnungsverhältnisse 2c. stellen müssen.

36

Gleichzeitig steigt der politische Einfluß des Stumm- Klüngels, der ostelbischen Junker. Die Politik der Liebesgabenbettler und Lebens­mittelvertheuerer triumphirt, der friedlichen Handelsentwicklung werden durch eine verkehrte Handelspolitik Schranken gezogen, die politischen Lebensrechte des Volkes sind bedroht. Auf den Wechsel­balg der lex Recke folgte der geheime Erlaß des Grafen Posadowsky, auf das Attentat gegen das Vereins- und Versammlungsrecht der Möchtegernstreich gegen die Koalitionsfreiheit. In dem nämlichen Augenblick erstrebt man die Zerschmetterung der Gewerkschaftsbewe­gung, wo der Staat auf Kosten der werkthätigen Masse der Kapitalistenklasse neue Absatzgebiete erschließen, neue Profite sichern soll. Auch das Wahlrecht ist durch die Umstürzler von oben ge= fährdet. Die geplante Weltmachtspolitik leistet den volksfeind­lichen Bestrebungen auf wirthschaftlichem und politischem Ge­biete Vorschub. Sie wirkt der demokratischen Ausgestaltung des politischen Lebens entgegen, die eine Vorbedingung ist für die Entwicklung der kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaft, für die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat. Mögen deshalb Professoren, Pastoren, Doktoren und andere Thoren in der Uniform freiwilliger Seehusaren paradiren, die deutsche Ar­beiterklasse wird diese Narrenjacke nicht anlegen. Den mit stürmi­schem Beifall aufgenommenen Ausführungen der Rednerin trat in der Diskussion Pfarrer Naumann entgegen. Er erklärte, in Vielem mit der Referentin einverstanden zu sein, so mit ihrer Ansicht, daß es teine größere politische Frage gebe, die nicht ebenso die Interessen der Frauen wie der Männer berühre. Es sei auch richtig, daß die Elemente, die für Flotten- und Kolonialzwecke am meisten zahlen könnten, viel zu billig wegkommen. Jedoch werde der sozialdemo­kratische Protest gegen diesen Stand der Dinge wirkungslos verhallen. Ausschlaggebenden Einfluß werde die Sozialdemokratie erst erlangen, wenn an Stelle des Protestes die positive Mitarbeit an der Politik des Vaterlands trete. Jetzt benüze die Partei ihre Macht nur negativ. Die Konservativen und Ultramontanen seien flüger, für ihr positives Zusammenarbeiten mit der Regierung erringen sie Einfluß und Vortheile für die von ihnen vertretenen Schichten. Würde die Sozialdemokratie nicht prinzipiell die Forderungen der Regierung verneinen, so könne fie für ihre Zustimmung von Fall zu Fall Kompensationen für die Arbeiterklasse durchsetzen. Eine starke Marine sei nöthig, um die deutsche Ein- und Ausfuhr zu schützen, die Kolonial­entwicklung liege im Interesse der deutschen Industrie und damit auch der deutschen Arbeiterklasse. Bewillige die Sozialdemokratie Mittel für die als nöthig erachtete Politik, so erlange sie die politische Macht, um den Arbeitern Vortheile zuzuwenden. Genossin Zetkin erwiderte, Naumann habe eine Politik des gemeinen Schachers empfohlen. Die Regierung sei die Interessenvertreterin der herrschenden Klassen und müsse es sein. Sie habe in der Folge nicht das Bedürfniß, mit der Arbeiterklasse zu regieren, sie sei vielmehr gezwungen, gegen dieselbe zu regieren. Diese Thatsache sei sogar in den vielbesungenen Flitterwochen des sozialen Königthums in Erscheinung getreten. Der Arbeiterschutzgesetzentwurf der Regierung von 1891 sei hinter den bescheidenen Forderungen des Zentrums zurückgeblieben, dagegen habe er in schärfster Form eine Verschlechterung des Koalitionsrechts er­strebt. Die Sozialdemokratie habe in redlicher, ernster Weise positiv gewirkt in der Richtung der Arbeiterschutzgesetzgebung, der sozialen Reformen und in der Richtung der Erweiterung und Sicherung der politischen Rechte des Volkes. Ausschlaggebenden Einfluß auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens erwartet sie nicht von den Ver­sprechungen der kapitalistenstaatlichen Regierung, vielmehr von ihrer eigenen, gegen diese Regierung gerichteten Macht. Diese Macht wird nicht durch Schacher erworben, sie muß erobert werden Dank einer revolutionirten Auffassung aller Glieder des Proletariats. Mögen die von den besten Absichten erfüllten Wolfenfuckucksheimer die For­derungen der Regierung apportiren, in der Hoffnung, daß diese sich durch Gegengeschenke erkenntlich zeigt. Die Arbeiterklasse hält daran fest, daß im politischen Leben nur eins zu den erstrebten Zielen führt: die Macht. Das Proletariat aber kann nur im Kampfe gegen die heutige Gesellschaftsordnung zur Macht erstarten. Unter brausendem Beifall gelangte folgende Resolution zur Annahme:" Die heutige, am 1. Februar in der Brauerei Friedrichshain stattfindende Ver­sammlung der Frauen und Mädchen Berlins ist mit den Ausfüh­rungen der Vortragenden einverstanden, erklärt sich entschieden gegen die Flottenvorlage, sowie alle Kolonialabenteuer und verspricht, speziell auch im Interesse der Frauen und Mädchen dafür zu sorgen, daß bei den nächsten Reichstagswahlen der Wille des Volkes zum energischen Ausdruck kommt."