Die christlichsoziale Frauenbewegung in Wien .

Von Adelheid Popp - Dworfchak, Wien .

Die Bewegung der sich christlich nennenden Wiener Frauen ist eine neue und eigenartige Erscheinung. Ihre Trägerinnen verstehen es, von sich reden zu machen und eine sehr erfolgreiche Reklame zu entfalten. Gewiß haben die deutschen Genossinnen schon von den strebsamen Wiener Frauen gehört, und manche Leserin dieses Blattes wird gefragt haben, was denn die christliche Wiener Frauenbewegung erstrebt. Wohl noch nie war die Frage nach einem Programm so schnell und kurz zu beantworten, wie die nach dem Programm der christlichen Wiener Frauenbewegung. Diese will für sich eigentlich nichts; sie erstrebt nur das Glück und Wohlergehen ihres geliebten Führers, des Junggesellen" Dr. Lueger, genannt der schöne Karl", Bürgermeister der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien . Lueger ist die Hoffnung vieler töchterreichen Mütter, vieler älteren und jüngeren christlichen Jungfrauen, die auf eine Versorgung warten.

Die christliche Frauenbewegung in Wien trat bei Luegers Wahl zum Bürgermeister zum ersten Male als politische Strömung auf. Anläßlich dieser Wahl begannen die Wiener Chriftinnen eine öffent­liche politische Agitation zu entfalten. Schon vorher hatten sich die Christlichsozialen oder Antisemiten gelegentlich an die Frauen ge­

und diese für ihre Bestrebungen auszunuzen gesucht. Alljährlich vor Weihnachten wurden große Frauenversammlungen einzig zu dem Zwecke einberufen, die Frauen zu bestimmen, ihre Weihnachtseinkäufe nur bei Christen zu machen. Die Devise: " Kauft nur bei Christen" wurde dadurch populär gemacht, daß die verschiedenen Redner der Partei vom eleganten Prinzen Lichtenstein ( Alois) bis zum Fabrikanten Zuleger und den verschiedenen Patres ihren geliebten christlichen Frauen und Jungfrauen" einredeten, in Folge des Boykotts der jüdischen Geschäftsinhaber werde das christ­liche Handwerk wieder den gerühmten goldenen Boden" zurückerlangen und damit jede der Töchter des Mittelstandes einen Mann erhalten. Diese Versammlungen repräsentiren die ersten Anfänge der christlichen Frauenbewegung Wiens.

Schon in diesen Kauft- nur- bei- Christen- Versammlungen" be wiesen die christlichen Frauen eine vielversprechende Kunst im Mund­todtmachen ihrer Gegner. Wenn sich eine unserer Genossinnen zu rühren wagte, ristirte sie Beschimpfungen gemeinster Art und wurde zum Verlassen des Saales gezwungen. Indeß bedeuten die damaligen Gepflogenheiten nur verhältnißmäßig bescheidene Aeußerungen von Unduldsamkeit und Brutalität. Heute sind die christlichen Ama­zonen", wie die Versammlungsbesucherinnen genannt werden, weit streit­barer, sie sind jederzeit gerüstet, anders Denkende mit den Fäusten zu bearbeiten, bei den Haaren zu raufen, anzufpeien und ihnen die Kleider vom Leibe zu reißen. Nicht nur, christliche Amazonen", son­dern auch handfeste männliche Ordner umstellen sofort Diejenige, die es wagt, auch nur ein Wort des Widerspruchs gegen die Behaup­tungen der, christlichen Redner" laut werden zu lassen oder gar Notizen zu machen.

Diese lieblichen Gepflogenheiten stehen in Blüthe seit Dr. Lueger mit Hilfe der Frauen Bürgermeister von Wien geworden ist. Als dem schönen Karl" bei seiner ersten Wahl zum Stadtoberhaupte die faiserliche Bestätigung versagt wurde, machte man die Frauen mobil. Alle christlichsozialen Größen forderten die Frauen auf, für den anti­semitischen Wahlfonds Beiträge zu leisten, um durch Luegers Wahl die zukünftige Versorgung ihrer Töchter zu sichern. Man empfahl den Frauen, sie sollten sich beim Einkaufen Körberlgeld" machen oder ihren Schmuck ins Pfandhaus tragen. Sogar die christlichen Dienstboten forderte man auf, von ihrem geringen Verdienst die Luegerwahl zu unterstützen. Dr. Lueger versäumte nicht, sich den christlichen Frauen in fast allen Versammlungen vorzustellen und ihnen in mehr oder weniger zweideutiger Weise die Erfüllung ihrer Wünsche zu verheißen,

wenn

er nur Bürgermeister werde. In der Folge agitirten die Wiener Chriſtinnen" mit Feuereifer für Luegers Wahl.

Dr. Lueger wurde Bürgermeister von Wien , und die antisemi­tische Presse versäumte nicht, den Frauen alle Anerkennung für ihre Unterstützung des Wahlkampfes zu zollen. In der Hauptsache waren es Klein- und Mittelbürgerinnen, die für Luegers Wahl sich begeistert hatten. Aber auch manche Proletarierfrau hatte gehofft, daß mit dem Moment, wo der Volksfreund" Lueger Oberhaupt der Stadt Wien werde, ihre Noth sich verringern müsse. Besserung der wirth­schaftlichen Verhältnisse erwarteten die Frauen von Luegers Amts­thätigkeit, eine Verbilligung der Lebensmittel, das Sinken der Wohnungspreise und noch vieles mehr. Die überschwänglichsten Hoffnungen sette man auf das Wirken desselben Lueger, zu dessen besten Freunden die rücksichtslosesten Lebensmittelwucherer, Bäcker, Selcher und Fleischermeister gehören, auf das Wirken desselben Lueger, dessen innig Verbündete die Stüßen der brutalen Wiener

37

-

Hausherrenvereinigung sind. So wenig Dr. Lueger den Arbeitern Wort gehalten hat in seiner ersten Rede als Bürgermeister ver­sprach er den bisher Rechtlosen in den Gemeinden das Gemeinde­wahlrecht, ebenso wenig hat er die Erwartungen der Frauen er­füllt. Den Bäckern, Fleischern und Hausherren ist er nicht zu Leibe gerückt. Wie könnte er auch! Sie sind ja seine festesten Stützen, wie die im März stattgefundenen Reichsrathswahlen neuerdings be­wiesen haben.

Auch bei den Reichsrathswahlen traten die christlichen Frauen in Aktion. Zahlreiche Wahlagitationsversammlungen für Frauen wurden von christlichsozialer Seite einberufen, und die Führer der Bewegung wendeten gerade diesen Versammlungen ihre größte Auf­merksamkeit zu. In jeder solcher Versammlung traten drei bis vier bekannte Christlichsoziale auf, die hervorragendsten Leuchten" der Partei sprachen zu den Frauen, als zu ihren lieben christlichen Schwestern". Jeder der Kandidaten stellte sich ihnen vor und bat um ihre Unterstützung. Der schöne Karl" fuhr von Versammlung zu Versammlung und versäumte auch nicht, sich häufig seines Jung­gesellenthums" zu rühmen und die Sozialdemokraten als Zerstörer der Ehe und Anhänger der freien Liebe zu bekämpfen. Eine unserer Genossinnen, der es gelungen war in eine derartige Versammlung zu kommen, konnte sich bei einer solchen Rede nicht enthalten zu rufen: Was ist denn dann der Dr. Lueger, er heirathet ja auch nicht". Der " Junggeselle" Lueger ist, nebenbei bemerkt, ein stattlicher Mann von über fünfzig Jahren!

"

Nach den Reichsrathswahlen entstand der Christlich e Wiener Frauenbund". In den Versammlungen dieser Organi­sation erschienen die christlichen Führer und statteten den Frauen ihren Dank für die Hilfe im Wahlkampfe ab. Ja, es wurden zu Ehren der Wiener christlichen Frauen Huldigungsfeste veranstaltet, bei denen Lueger die Festrede hielt. Der Erfolg dieser Taktik blieb nicht aus. Heute, das ist nach Verlauf weniger Monate, hat der christliche Frauenbund" in allen neunzehn Bezirken der Hauptstadt Ortsgruppen, und schon ist die erste Bundesortsgruppe außerhalb Wiens gegründet worden.

Obwohl die christliche Wiener Frauenbewegung kein eigentliches Programm hat, obwohl die in ihr lebendige Begeisterung und der sich in ihr äußernde wilde Fanatismus nur um die Person Luegers sich drehen, ist sie nicht zu unterschätzen. Bildet sie doch ein vorzügliches Bollwerk für die Reaktion. In seinem Kampfe gegen die freie Schule und für Pfaffenherrschaft hat Dr. Lueger die Frauenbewegung hinter sich. Obgleich die christlichsozialen Klein und Mittelbürgerinnen einen leidenschaftlichen Antheil am öffentlichen Leben nehmen, haben sie doch bis jetzt nicht das geringste Verständniß für den Fortschritt, nicht das geringste Streben nach höherer Kultur bekundet. Sie sind einzig und allein zum Kampfe für die römisch- katholische Kirche und gegen die Sozialdemokratie aufgerüttelt und gedrillt worden. Daß kein höheres geistiges und sittliches Streben in den Anhängerinnen der Be­wegung erweckt wurde, das ist die große Schuld, die Lueger gegenüber den ohnehin geistig verkrüppelten Frauen auf sich geladen hat. Das Märchen von der freien Liebe, von der Eigenthumsgefährlichkeit der Sozialdemokratie und dem fürstlichen Einkommen ihrer Führer wird in allen christlichen Frauenversammlungen erzählt. Es giebt nichts Schlech­tes, nichts Verabscheuungswürdiges, das der Sozialdemokratie nicht angedichtet wird, und auch die greifbarsten Lügen und Verleumdungen finden in den christlichen Frauenversammlungen gläubige Hörer. Wie fanatisirt die christlichen Wienerinnen sind, geht z. B. daraus hervor, daß eine Rednerin unter frenetischem Beifall ihre Zuhörerinnen auf­forderte, ihren Männern alles zu verweigern, so lange sie nicht den Stimmzettel mit dem Namen des christlichsozialen Kandidaten aus­gefüllt hätten. Der christliche Frauenbund" entfaltet fortwährend eine rege Thätigkeit. Es giebt keine einzige hervorragende christliche Rednerin, die führenden Damen kommen nicht über kurze Ansprachen hinaus. Aber diese Ansprachen sind kennzeichnend für die geistige Qualität der Bewegung und ihrer leitenden Persönlichkeiten. Sie entbehren jedes Gedankeninhalts. In erster Linie wird dem ge­liebten, hochverehrten und verdienten Führer" Dr. Lueger gehuldigt und sodann wird die Sozialdemokratie vernichtet. Kürzlich wollte eine der hervorragendsten Führerinnen, die Vizepräsidentin des Bun­des, Frau Ruziska, einen Beweis von höherer christlichsozialer In­telligenz geben. In einer Bundesversammlung warnte sie die Ar­beiter, Fabrikmädchen" zu heirathen, denn diese sind nach Frau Ruziska die Ursache alles Elends der Arbeiterklasse. So ein junges Flitscherl", sagte die Dame, muß den ganzen Tag in der Fabrik schaffen und versteht in Folge dessen natürlich nichts von der Wirth­schaft; es ist klar, daß sie dem Arbeiter nur Noth und Elend ins Haus bringt!" Punktum. Wen die Arbeiter heirathen sollen, hat die Dame nicht gesagt, die freie Liebe" kann sie als christliche Frau doch nicht anempfehlen, und die Prostitution ist zumeist doch nur für Jung­