und fleinbürgerlichen Familien, die nicht mehr für den vollen standesgemäßen Unterhalt der Töchter aufkommen können; die Ab­nahme der Aussicht auf eine standesgemäße Eheschließung der Mäd­chen jener Kreise. Der Geheime Rath Sydow versicherte, daß seitens der Verwaltung alles zum Schutze der Gesundheit der Telephonistinnen gethan werde. So sei erst kürzlich eine Einrichtung getroffen worden zur Vermeidung der elektrischen Schläge, unter denen die Damen bisher zu leiden hatten. Der zum obersten Leiter des Postwesens avancirte Reitergeneral Podbielski wendete sich mit Rücksicht auf billige Verwaltungskosten gegen die Forderungen Singers. Die niedrigen Gehälter der Gehilfinnen suchte er mit dem Hinweis dar= auf zu beschönigen, daß die Damen in der ersten Zeit doch erst lernen müßten. Auch von der verlangten Statistik wollte er nichts wissen und behauptete, daß der Abgang von Gehilfinnen bisher nur in der Folge von Verheirathung erfolgt sei. Die Fernsprech- und Telegraphen­gehilfinnen können aus den Erklärungen des Herrn Staatssekretärs ersehen, daß sie nur wenig von seinem Wohlwollen" zu erwarten haben, auf das zu bauen und zu hoffen Dr. Lingens ihnen rieth. Wer ihre Interessen in rückhaltsloser Weise vertritt, das erhellt ebenfalls lichtvoll aus den stattgehabten Verhandlungen.

* Die Umgehung des gesetzlichen Magimalarbeitstags der Arbeiterinnen mittels der Unternehmergepflogenheit, den Frauen und Mädchen nach Feierabend im Betrieb Arbeit mit nach Hause zu geben, wird durch eine Reihe von Mittheilungen aus den Berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten nachgewiesen. So wurde von der Ge­werbeinspektion in Bremen festgestellt, daß Druckereien den Arbeite­rinnen nach Schluß der Arbeitszeit zu Hause Drucksachen falzen und heften lassen, so daß die Erwerbsarbeit der Betreffenden bis spät in die Nacht hinein dauert. In den Posamentenfabriken zu Annaberg in Sachsen ist es eine verbreitete Sitte, daß die Arbeite­rinnen nach Feierabend Material zur Herstellung von Posamenten mit nach Hause nehmen und dort noch drei Stunden und länger schaffen. In der Folge sind sie täglich 14 Stunden und darüber mit Arbeiten beschäftigt, welche die Augen ungemein anstrengen, große Aufmerksamkeit erfordern und gewöhnlich in gebückter Haltung aus­geführt werden. Der nämliche Brauch ist in den Schuhfabriken zu Pirmasens in der Pfalz sehr im Schwunge. Hier nehmen sich die Arbeiterinnen Schuhe zum Fertigmachen", Heften und zum Steppen der Schäfte mit nach Hause. Meist schaffen sie sich eine Nähmaschine auf Abzahlung an, um Abends daheim dem Verdienst nachgehen zu tönnen. Sie erhalten für die zu Hause ausgeführte Arbeit den gleichen Stücklohn, wie für die Arbeit in der Fabrik und die eine und andere wird zusammen verrechnet. Es liegt auf der Hand, daß diese Ge­pflogenheit eine direkte Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen be­treffs der Maximalarbeitszeit ist. Jedoch hält es im Allgemeinen schwer, nachzuweisen, daß und wie weit die Gesetzesumgehung auf den Willen des Arbeitgebers zurückzuführen ist. Werden die Arbeite­rinnen von den Gewerbeaufsichtsbeamten hierüber befragt, so behaupten sie gewöhnlich, daß es ihr eigener Wille war, Arbeit für die Abende mit nach Hause zu nehmen, um mehr zu verdienen. So erklärte ein sechzehnjähriges Mädchen in Pirmasens dem Gewerbeinspektor, daß sie aus eigenem Antrieb gewöhnlich noch bis Nachts 11 Uhr zu Hause arbeite, um dadurch zu ihrem ca. 10 Mt. betragenden Wochenlohn noch etwa 4 Mt. zu erwerben. Sie sei durch die Armuth ihrer An­gehörigen zu dieser Ueberarbeit genöthigt. Eine andere, ca. 20 Jahre alte Arbeiterin sagte, daß sie jeden Abend noch bis 12 auch bis 1 Uhr zu Hause arbeite und dadurch ihren Wochenlohn von 10 bis 12 Mt. auf 16 bis 18 Mt. erhöhe. Auch in diesem Falle war es die Noth der Familie, die zur Heimarbeit nach Feierabend drängte. Die Aus­sagen von einigen zwanzig anderen Arbeiterinnen decken sich im Wesentlichen mit den vorstehenden Erklärungen. Nicht blos in der Konfektionsindustrie, auch in anderen Industrien ist die Umgehung der Marimalarbeitszeit für Arbeiterinnen sehr häufig. Wandel muß angestrebt werden durch das Verbot des Brauches, den Arbeiterinnen nach Feierabend Arbeit mit nach Hause zu geben. Und zwar muß dieses Verbot durch die Gesetzgebung für die gesammte Industrie fest­gesetzt werden, statt daß es dem Belieben des Bundesraths anheim­gestellt bleibt, die bezüglichen Vorschriften für bestimmte Industrien zu erlassen. Sollen aber einschlägige gesetzliche Vorschriften nicht todte Buchstaben bleiben, so muß die Hausindustrie gesetzlich geregelt und unter Gewerbeaussicht gestellt werden. Und die Arbeiterinnen selbst müssen dem jetzigen Unfug entgegentreten und sich gegen ihn zur Wehre sehen. Sie müssen zu der Erkenntniß kommen, daß die an­dauernde Ueberanstrengung der Nerven und Muskeln, wie sie die Heim­arbeit nach vollendeter Fabrikarbeit mit sich bringt, nothwendiger Weise nach kurzer Zeit zu einer allgemeinen Ermüdung und Erschlaffung führen muß, die sich je länger je mehr steigert und bald bewirkt, daß in 13 und 14 Stunden bei allem Fleiße nicht mehr fertig gebracht und verdient wird als in 10

47

Stunden, wenn die Arbeiterinnen richtig ausgeschlafen und gestärkt des Morgens mit frischen Kräften an die Arbeit gehen können. Die Arbeiterinnen haben auf die Dauer gar keinen Vortheil von der übermäßig ausgedehnten Arbeitszeit, sondern ruiniren nur unaus­bleiblich ihre Gesundheit. Am sichersten erzielen sie einen auskömm­lichen Lohn bei nicht übertrieben langer Arbeitszeit, wenn die Macht der Gewerkschaftsorganisation und ein ausreichender gesetzlicher Schutz zusammenwirken, um der kapitalistischen Ausbeutung der weiblichen h. o. Arbeitskräfte Schranken zu ziehen.

Geradezu schmachvolle Arbeitsverhältnisse zeigte kürzlich eine Verhandlung vor dem Gewerbegericht zu Königsberg . Der Tischlermeister Jsekeit stellt zum Poliren statt männliche Arbeiter niedriger entlohnte Frauen und Mädchen ein. Dieselben erhalten pro Tag 1 Mt. und werden durch einen Vertrag" auf ein halbes Jahr gebunden. Damit die billigen Arbeitskräfte nicht vor Ablauf dieser Zeit davongehen, behält der Herr Tischlermeister in den ersten Wochen je 1 Mark vom Lohne bis zur Höhe von 10 Mark ein. Eine Polirerin, die um die versprochene Lohnzulage bat, erhielt die ge­bildete Antwort: Ich schlage ihr in die Fresse und schmeiße sie raus." Die Betreffende zog es vor, die Arbeit zu verlassen, ehe sie die ver­heißene zarte Behandlung erfuhr und klagte auf Herauszahlung des von ihrem Lohne einbehaltenen Geldes, sowie auf rückständigen Lohn, den sie aus der zugesagten, aber nicht gezahlten Lohnzulage heraus­rechnete. Die Verhandlungen vor dem Gewerbegericht erwiesen neben der unordentlichen Führung des Lohnbuchs seitens des Arbeitgebers den unsäglich rohen Ton, den dieser seinen Arbeiterinnen gegenüber beliebte. Aeußerungen wie: In der Arbeitszeit haben Sie überhaupt nicht die Schnauze zu reißen" und: Ich rede Sie so an, wie es mir in den Mund kommt", ließen feinen Zweifel daran, daß Herr Isekeit es als sein Herrenrecht erachtete, der hochgradigen Ausbeutung seiner ,, freien Arbeiterinnen" die brutalste Behandlung derselben zuzugesellen.

* Ueber die hausindustrielle Weißnäherei und Stickerei im westlichen Theile Oberfrankens berichtete kürzlich die Frank­ furter Zeitung : In dem Bezirke Naila z. B. werden ungefähr 1000 Personen auf Näherei und Stickerei mit einem Durchschnitts­taglohn von 75 Pf. bis 1,50 Mt. beschäftigt. Die Arbeitszeit dieser Näherinnen darf auf mindestens 12 Stunden täglich veranschlagt werden, wobei die Abhaltung für die Hausarbeiten während des Tages durch viele Nachtarbeitsstunden wieder ausgeglichen werden muß. Durch diese Nachtbeschäftigung hat sowohl das Augenlicht als auch das ganze Nervensystem der mit Weißnäherei und Stickerei be­schäftigten Frauen und Mädchen außerordentlich zu leiden. Bei den bescheidenen Löhnen gehört ein außerordentliches Maß von Fleiß, Ausdauer und Geschicklichkeit dazu, wenn eine gewandte Arbeiterin sich einen Tagelohn von 1,20 bis 1,50 Mt. verdienen will. Nur die feineren und feinsten Ausführungen in Weißnäherei und Stickerei, wie sie beispielsweise von der Schweiz eingeführt werden, erzielen höhere Arbeitslöhne. Um diese besseren Löhne den Näherinnen im bayerischen Vogtlande zugänglich zu machen, hat die Handels- und Gewerbekammer für Oberfranken bei der Staatsregierung die Auf­stellung von Wanderlehrerinnen in diesen Bezirken empfohlen und zur Zeit werden über diese praktische Maßregel Erhebungen ge­pflogen, die voraussichtlich zu einem günstigen Erfolg führen werden. Wenn die Mädchen des nördlichen Theiles von Oberfranken einen besseren Verdienst in der Heimath finden, dann wird die starke Aus­wanderung nach Amerika aufhören und die sowohl für die Industrie als die Landwirthschaft so nothwendigen weiblichen Arbeitskräfte werden dem Lande erhalten bleiben." Statt der Wanderlehrerinnen wären weibliche Inspektoren besser am Platze, die solche Zu­stände genauer untersuchen würden und sicherlich noch ganz andere Bilder des Elends aufdecken könnten, als es in obigem Berichte geschieht.

Frauenbewegung.

* Ueber die Frauenfrage und die oberen Zehntausend sprach kürzlich Frau Marie Stritt aus Dresden im Verein Berliner Kaufleute und Industrieller. Die Rednerin geißelte die Indolenz der Bourgeoisdamen und forderte sie schließlich auf, die Organisationen der Arbeiterinnen zu unterstützen. Es wundert uns, daß eine kluge Frau wie Frau Stritt in Verkennung aller thatsächlichen Verhältnisse solch einen Wunsch äußern kann. Sie kann doch weder erwarten noch verlangen, daß die Frauen und Töchter der oberen Zehntausend ihren Männern und Vätern den Stuhl vor die Thüre sehen. Das aber müßte geschehen, wenn sie entgegen dem Klasseninteresse und dem Parteistandpunkt ihrer Ernährer handeln wollten. Sollten sie aber die Förderung der Arbeiterinneninteressen in der beliebten Art lauer Wohlthäterinnen" versuchen, die hie und da ins Volk hinab

"