Nr. 11.

Die Gleichheit.

8. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2970) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 25. Mai. 1898.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

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Das preußische

Feuilleton: Die

Mutterpflichten im Wahlkampf. Von Lily Braun  - Berlin  . Abgeordnetenhaus und die Frage des Frauenstudiums. Von Paul Hirsch  . Die Magd. Von Richard Dehmel.  ( Gedicht.) Reinen. Von Dorothee Goebeler.( Fortsetzung.) Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Weibliche Fabrikinspektoren. Gesundheitsschädliche Folgen industrieller Frauenarbeit.

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Frauen

arbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrs­wesens. Vereins- und Versammlungsrecht. Frauenbewegung.

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Mutterpflichten im Wahlkampf.

Die Angst der herrschenden Klassen vor den Frauen, vor ihrem wachsenden Interesse, ihrer zunehmenden Theilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens ist unverkennbar. Man be­müht sich in allen Tonarten auf sie einzusprechen, um sie davon zurückzuhalten. Man predigt ihnen unaufhörlich von den nur häus­lichen Pflichten des weiblichen Geschlechts, und wenn das nicht mehr verfangen will, so redet man mit salbungsvoller Stimme den armen Frauen von ihren Mutterpflichten.

Wo ist die Frau, der nicht dabei das Herz in schnelleren Schlägen Klopfte? Freudig will sie sich ihren Kindern opfern und begierig hört sie auf den eindringlichen Mahner, der, um ihrer Kinder willen, das Opfer ihrer eigensten Persönlichkeit von ihr verlangt, der ihr sagt: Kümmere dich nicht um die Welt da draußen; an der Wiege, am Kochherd, am Waschtrog, da ist dein Plaz; entsage allem unweiblichen Ehrgeiz, kümmere dich nicht um Dinge, die du nicht verstehst, nicht verstehen kannst das bist du deinen Kindern schuldig!

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Wie Vielen, die es nicht besser verstehen, leuchten diese Argu­mente ein. Sehen wir einmal, was von ihnen übrig bleibt, wenn wir an der Hand der thatsächlichen Verhältnisse den Dingen auf den Grund gehen, und fragen wir uns dann, was wir in Wahr­heit unsern Kindern schuldig sind.

Nach der Berufsstatistit vom 14. Juni 1895 wurde die weibliche Bevölkerung des Deutschen Reichs auf 26361125 Per­sonen berechnet. Davon sind 6578362 Personen erwerbsthätig, das heißt 24,96 Prozent, oder ein Viertel aller Frauen Deutsch­ lands   sind auf ihren Verdienst angewiesen. Die Höhe dieser Zahl springt noch mehr in die Augen, wenn wir bedenken, daß zu jenen faft 262 Millionen weiblicher Einwohner auch die ca. 81/2 Millionen weiblicher Kinder unter vierzehn Jahren gerechnet werden, die im Allgemeinen nicht als erwerbsthätig gelten. Ziehen wir diese Zahl, also die weiblichen Kinder, von der Zahl der weiblichen Gesammt­bevölkerung ab und vergleichen wir dann damit die Zahl der er­werbsthätigen Frauen, so finden wir, daß nicht ein Viertel, sondern mehr als ein Drittel aller Frauen( mit Ausnahme der Kinder) erwerbsthätig ist. Seit der Berufszählung vom Jahre 1882 ist ihre Zahl um über eine Million, d. h. um 1,51 Prozent gestiegen, während die Zahl der erwerbsthätigen Männer im Verhältniß zu ihrer Gesammtzahl nur um 0,65 Prozent gewachsen ist. Um nun zu sehen, welchen Grundursachen diese mit einer Verdrängung der Männerarbeit verbundene Zunahme der Frauenarbeit entspringt, genügt ein Blick auf ein paar Zahlen der Berufsstatistik von 1895. Da finden wir z. B. die überraschende Thatsache, daß in der Land­wirthschaft von 1882 bis 1895 die weiblichen Erwerbsthätigen um

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner  ), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

218245 zu, die männlichen dagegen um 162049 abgenommen haben. Also in dem Beruf, wo die Löhne am schlechtesten, die Arbeit gesetzlicher Schutz faum besteht, wird das schwache Geschlecht", am härtesten ist, wo die Arbeiter fein Stoalitionsrecht besitzen und ein das zarte Weib", in immer wachsender Zahl hineingetrieben. Es ist nicht die Emanzipationslust, der Drang nach Freiheit und Selb­ständigkeit, der das zu Wege bringt, sondern die harte, graue, erbarmungslose Noth.

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Noch klarer wird uns die Unterdrückung und Ausbeutung des weiblichen Geschlechts, wenn wir die Art seiner Erwerbsthätigkeit im Verhältniß zu der der Männer betrachten. Darnach sind von allen selbständigen Erwerbsthätigen circa ein Viertel Frauen, von allen Erwerbsthätigen, die als höheres Hilfspersonal bezeichnet werden und zu denen z. B. das technische und kaufmännische Ver­waltungs- und Aufsichtspersonal gehört, nur circa ein Bierzehntel, und vom niederen Hilfspersonal den ländlichen und industriellen Arbeitern, wie den gewerblich thätigen Familienangehörigen- circa ein Drittel. Wir sehen aus alledem, wie die Frauen, von deren körperlicher Konstitution die Zukunft des Menschengeschlechts zum großen Theil abhängt, durch die allgemeine wirthschaftliche Ent­wicklung in den Konkurrenzkampf mit dem Manne hineingetrieben werden, aus dem sie zwar auf vielen Gebieten scheinbar als die Sieger hervorgehen, in Wirklichkeit aber die Unterliegenden sind, weil sie sich in Folge ihrer Schwäche, ihrer Genügsamkeit und Bescheidenheit, ihrer ganz fehlenden oder unzulänglichen Vorbildung, in die schlecht bezahlten, untergeordneten, aussichtslosen Arbeits­kategorien zusammen drängen müssen. Die niedrigste Sklaverei im Dienste des Land- und Schlotjunkerthums verwüstet ihren Körper schon in früher Jugend.

Die blassen, welken, früh gealterten Gesichter der Proletarie­rinnen sind nicht nur durch die Noth und die Qual in der Ehe, durch die unter den ungünstigsten Bedingungen gezeugten und geborenen Kinder so grausam gezeichnet worden, vielmehr ist der frühe Ver­lust der Schönheit und Jugendkraft schon auf die Lebensweise vor der Ehe zurückzuführen. Darum versündigt sich die Arbeiterin nicht nur an sich selbst, sondern auch an ihren fünftigen Kindern, wenn sie nicht alle Kraft daran seßt, im Verein mit ihren Gefährtinnen, bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Wenn von den großen Fragen der inneren und äußeren Politik die Rede ist, darf sie nicht abseits stehen und sagen: das geht mich nichts an. Es geht sie wohl etwas an, ob Brot und Fleisch vertheuert, der Lohn verkürzt, die Arbeitszeit verlängert wird, oder ob der Einfluß und die Macht der Arbeiterpartei so erstarken, um an Stelle dieser Verschlimmerungen Verbesserungen des Proletarierdaseins treten zu lassen. Hat sie, die junge Arbeiterin, satt zu essen, braucht sie ihre Kräfte nicht übermäßig anzustrengen, hat sie Muße zur Lebens­freude und zur geistigen Fortbildung, so kommt das Alles nicht nur ihr allein zu Gute, sondern es besteht für sie dadurch erst die Möglichkeit, einmal die Mutter frischer, starker, körperlich und geistig gesunder Kinder zu sein.

Darum führt tein Traumleben, Ihr Mädchen. Wacht auf! Blickt offenen Auges um Euch, nehmt Theil am Befreiungskampf Eurer Brüder und Schwestern. Ihr seid's nicht nur Euch selbst, sondern dem kommenden Geschlecht schuldig, dessen Mütter ihr werdet.

Tritt die Arbeiterin in die Ehe, so soll der Mann nach dem Ideal der guten alten Zeit nunmehr der Ernährer der Familie sein, die Frau aber waltet", um mit Schiller zu sprechen ,,, weise